Ordnung ins Verhältnis EU–Schweiz bringen

Ordnung ins Verhältnis EU–Schweiz bringen

«Die Schweiz braucht keinen Rahmenvertrag mit der Europäischen Union»

von Felix W. Zulauf*

Mit der nur auf ein Jahr befristeten Anerkennung des Regelwerks der Schweizer Börse hat die EU der Schweiz eine Ohrfeige verpasst. Weshalb dies so ist, liegt primär am falschen Verhalten der Schweizer Behörden in den letzten 25 Jahren.

«Die Schweiz will keine Abschottung, denn sie hat eine der offensten Volkswirtschaften und ist auf Aussenhandel angewiesen. Vielfach werden von Befüwortern einer Annäherung an die EU Horrorszenarien gezeichnet, dass der Marktzugang ohne ein Rahmenabkommen nicht mehr möglich sei.»

Im Frühjahr 1992, kurz vor der EWR-Abstimmung, reichte der Bundesrat bei der EU ein Beitrittsgesuch der Schweiz ein. Damit gab er der EU die Hoffnung, die Schweiz werde ihr mittelfristig beitreten.
Mit Ausnahme der SVP führten alle Bundesratsparteien den Beitritt der Schweiz zur EU in ihrem Programm. Inzwischen haben FDP und CVP ihn gestrichen, weil das Volk ihn nicht will, aber es gibt noch immer eine grosse Zahl versteckter Befürworter in diesen Parteien.
Alle Aussenminister der Schweiz seit 1992 (Felber, Cotti, Deiss, Calmy-Rey, Burkhalter) wollten in die EU und hielten sich einen Stab an hohen Verwaltungsbeamten, die das auch anstrebten.
Entsprechend wurden von der Schweiz bei der EU entsprechende Hoffnungen laufend belebt, selbst als die Mehrheit des Volkes dies schon lange ablehnte. Aus diesem Blickwinkel wurden auch alle bilateralen Verträge abgeschlossen.
Die Schweizer Unterhändler und verantwortlichen Bundesräte machten laufend Schritte, die dem Schweizer Volk Sand in die Augen streuen, um den Weg in die EU vorzubereiten und den Rückweg zu verbauen.

«Bern kann nie gute Verträge mit der EU aushandeln, wenn die eigenen Vertreter lieber auf der anderen Seite des Tisches sässen.»

Brüssel erhöht den Druck

Mit der Einführung des Euro hat sich die EU von ihren ursprünglichen Entwicklungszielen nach dem Zweiten Weltkrieg, nämlich der Kooperation souveräner Staaten, verabschiedet.
Die Einheitswährung für strukturell völlig unterschiedlich aufgestellte Volkswirtschaften bewirkt wachsende wirtschaftliche Ungleichgewichte; sie müssen über Umverteilung ausgeglichen werden, was den Zentralismus fördert. Die EU-Elite und auch diejenige in diversen Hauptstädten haben das Ziel der Vereinigten Staaten von Europa vor Augen.
Gegen aussen tritt die EU sehr protektionistisch auf. Es ist verständlich, wenn ihr der kleine weisse Fleck mitten in Europa ein Dorn im Auge ist. Da heute die grosse Mehrheit der Schweizer Bevölkerung gegen den Beitritt ist, macht sich in der EU Ärger und Enttäuschung breit. Deshalb erhöht sie den Druck auf die Schweiz, sich anzupassen und zu integrieren.
Da die Schweiz zwar von der EU im Handel mehr kauft als umgekehrt, doch die EU für die Schweiz der mit Abstand wichtigste Handelspartner ist (was umgekehrt nicht zutrifft), kommt bei manchen hiesigen Exportunternehmen Angst auf wegen möglicher Diskriminierung.

«Boni für mich» statt Bonum commune

Einst schweizerische Grosskonzerne sind heute mehrheitlich in ausländischer Hand und werden meist von ausländischen Verwaltungsräten und Managern geführt. Diese haben mit den Werten der direktdemokratischen politischen Ordnung, den Werten, der Geschichte und der Kultur des Landes wenig am Hut.
Sie wollen einfach innerhalb der Haltefrist von Topmanagern (vier bis sieben Jahre) für ihre Gesellschaft so viel Geld wie möglich verdienen, um möglichst hohe Boni zu kassieren. Der Rest kümmert sie wenig. Diese Manager beeinflussen heute massgeblich die Meinungsbildung der economiesuisse. Diese ist in Wirtschaftsfragen eine wichtige Meinungsmacherin für die Mitteparteien.
Die Schweiz will keine Abschottung, denn sie hat eine der offensten Volkswirtschaften und ist auf Aussenhandel angewiesen. Vielfach werden von Befürwortern einer Annäherung an die EU Horrorszenarien gezeichnet, dass der Marktzugang ohne ein Rahmenabkommen nicht mehr möglich sei.
Doch weder Chinesen noch Amerikaner übernehmen automatisch EU-Gesetze und können trotzdem einen grossen Handel mit der EU betreiben, dank der Welthandelsorganisation (WTO), zu deren Mitgliedern auch die Schweiz zählt.

«In der politischen Ordnung der Schweiz ist das Volk die oberste Instanz; die Schweiz ist das einzige Land, wo das Volk die Regierung und ihre Beschlüsse korrigieren kann. Die Mitgliedsstaaten der EU und die EU selbst sind politisch völlig anders organisiert.»

Die direkte Demokratie ist inkompatibel mit der EU

In der politischen Ordnung der Schweiz ist das Volk die oberste Instanz; die Schweiz ist das einzige Land, wo das Volk die Regierung und ihre Beschlüsse korrigieren kann. Die Mitgliedsstaaten der EU und die EU selbst sind politisch völlig anders organisiert.
Dort wird die Regierung alle paar Jahre gewählt, in der Zwischenzeit hat der Bürger nichts zu sagen. Diese beiden Systeme sind nicht kompatibel. Der Beitritt zur EU oder nur schon ein Vertrag mit automatischer Gesetzesanpassung an EU-Recht würde die ­politische Ordnung der Schweiz auf den Kopf stellen und die direkte Demokratie auflösen.
Den Menschen in der Schweiz geht es wirtschaftlich und in puncto Freiheit besser als denjenigen in den EU-Staaten. Nicht weil die Schweizer bessere Menschen sind, sondern wegen des besseren Systems, das mehr Prosperität und Freiheit für die Bürger schafft.
Föderalismus und direkte Demokratie haben Nachteile, aber unter dem Strich überwiegen die Vorteile der Subsidiarität bei weitem. Wer also das schweizerische System demontiert, der demontiert auch den hohen Wohlstand.

Denkfehler der politischen Eliten

Die hohe Politik in der Schweiz macht noch einen anderen gravierenden Fehler, denn sie denkt linear. Die EU wird auf ihrem Weg in den Zentralismus viele Hürden zu überwinden haben und vermutlich sogar daran scheitern, denn die Meinungen der einzelnen Staaten zu Themen wie Zentralismus/Föderalismus, Geldpolitik, Sozial-, Fiskal- oder Bankenunion, Flüchtlingswesen und sogar Verteidigung gehen zum Teil weit auseinander.
Die dadurch entstandenen Gräben werden grösser, die Zentrifugalkräfte nehmen zu. Dazu kommt, dass sich auch der Graben zwischen diesen Zentralisten und ihren eigenen Völkern immer mehr ausweitet.
Durch ihre Engstirnigkeit haben die EU-Technokraten bereits den Austritt Grossbritanniens provoziert, denn sie haben in dogmatischer Art und Weise den Briten nicht gestattet, in der Personenfreizügigkeit gewisse Grenzen zu setzen.
Damit hat die EU den zweitgrössten Beitragszahler sowie eine Wirtschaftsleistung verloren, die immerhin so gross ist wie diejenige der 20 kleinsten Mitgliedsstaaten addiert (von insgesamt 27). Auch tritt mit dem Vereinigten Königreich diejenige Nation aus, die marktwirtschaftliche und freiheitliche Prinzipien am höchsten von allen gewichtet hat.
Wenn die EU dafür jetzt Serbien, Mazedonien, Montenegro, Kosovo, Albanien und Bosnien-Herzegowina aufnehmen will, dann schwächt sie sich weiter. Erstens sind das alles arme Nationen, die grosse Nettobezüger von Geldern sein werden, und zweitens gehören sie mehrheitlich einem anderen Kulturkreis an. Die inneren Konflikte der EU werden nur schon mit der Diskussion über die Aufnahme grösser werden.

Cassis muss Remedur schaffen

Bundesrat Ignazio Cassis sollte zuerst einmal sämtliche EU-beitrittswilligen Verwaltungsbeamten im Aussendepartement durch Mitarbeiter ersetzen, die die Bewahrung der Unabhängigkeit der Schweiz als oberstes Ziel verstehen. Bern kann nie gute Verträge mit der EU aushandeln, wenn die eigenen Vertreter lieber auf der anderen Seite des Tisches sässen.
Dort liegt der Hund begraben. Das falsche Verhalten der politischen Elite in Bern hat über die Jahre eine unangenehme Situation zum Nachteil der Schweiz provoziert, die Aussenminister Cassis nun bereinigen muss.
Er muss Brüssel also klarmachen, dass die Schweiz der EU nicht beitreten will, jedoch eine gute nachbarschaftliche Beziehung wünscht, mit einem für beide Seiten möglichst einfachen, hürdenfreien Marktzugang.
Die Schweiz braucht keinen Rahmenvertrag, aber es liessen sich diverse Themen von gemeinsamem Interesse regeln, und zwar ohne Guillotineklausel. Wichtig ist, dass die Schweiz nicht automatisch EU-Gesetze übernehmen muss und auch in puncto Zuwanderung die Souveränität zurückgewinnt.
Wenn der neue Aussenminister dies versteht und so handelt, dann wird es für die Schweiz zukünftig wirtschaftlich und rechtlich weniger Unsicherheit und mehr Klarheit geben.    •

* Felix W. Zulauf ist Präsident der Zulauf Asset Management AG (Hedge Fund in Zug). Vorher arbeitete er bei der UBS als globaler Finanzstratege. Seine Investment-Karriere begann er als Händler für die Schweizerische Bankgesellschaft und machte Weiterbildungen an mehreren führenden Investment-Banken in New York, Zürich und Paris. Er ist langjähriges Mitglied des Barron’s Roundtable Club und schreibt regelmässig in Finanz und Wirtschaft. felixzulaufblog.blogspot.ch

Quelle: Finanz und Wirtschaft vom 29.3.2018

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