Die Pferdepost vom Gotthard

Die Pferdepost vom Gotthard

Das schönste Verkehrsmittel der Schweiz

von Heini Hofmann

Als der letzte Gotthard-Postillion vom Bock stieg, ging eine grosse und dynamische Ära transalpiner Postverbindungen zu Ende. Heute lässt sich dieses Abenteuer von einst in originalgetreu nachgebauten, achtplätzigen Coupé-Landauern mit Fünfergespann touristisch nachempfinden.

Nach über einem halben Jahrhundert Betrieb wurde die pferdebespannte Gotthardpost, weil durch den Eisenbahntunnel konkurrenziert, am 1. Juni 1882 eingestellt. 1909 erlebte sie nochmals ein Comeback für Touristen, dem jedoch 1922 das Postauto erneut ein Ende setzte. Doch dank privater Initiative gibt es seit 1988 wieder eine historische Reisepost, die in den Sommermonaten Nostalgiefahrten von Andermatt via Hospiz bis Airolo anbietet.

Ein nostalgisches Revival

Heute erscheint sie wie von einem anderen Stern, die gelbe Postkutsche, wenn sie mit fünf vorgespannten, ungeduldigen Rossen am Bahnhof Andermatt auf die Passagiere wartet. Wie vor 150 Jahren winken unterwegs Passanten und Touristen den Fahrgästen wie gekrönten Häuptern zu. Nach einem ersten Apérohalt mitten in Andermatt, wo schon Dichterfürst Goethe abgestiegen war (der vom Urserental schwärmte, es sei von allen Gegenden, die er kenne, die «liebste und interessanteste»), führt die Fahrt nach Hospental, wo die Bergstrecke beginnt. Im Mätteli oben gibt’s Rast für die Pferde und Erfrischung für die Passagiere. Diese wechseln nach jedem solchen Halt zwischen Coupéabteil unter dem Kutschbock, mittlerer Kabine und hinterem Hochsitz.
Und immer wieder das grosse Staunen der anderen Verkehrsteilnehmer: Autos schalten in den Kriechgang, und Motorradfahrer steigen von ihren Benzinrossen und fotografieren die Haferpferde. Wo immer möglich, wechselt das Gespann jedoch auf die alte Pass­strasse, so auch beim Brüggloch, wo bereits die Grenze zum Kanton Tessin im Trab überschritten wird. Mittagshalt ist auf dem Gotthard-Hospiz, wo die Reisegäste in der alten Sust eine mehrgängige Mahlzeit und die Rosse draussen eine eingängige Haferfourage aus dem Kopfsack geniessen. Anschliessend lebt im Gotthard-Museum die Zeit von anno dazumal auf, und alle Teilnehmer erhalten eine abgestempelte Nostalgiefahrkarte als Erinnerungsstück.

Via Tremola zur Merenda

Dann geht’s wieder bergab, über die engen, kopfsteingepflasterten Serpentinen der Tremola, auch durch jene Himmelskurve, die Rudolf Koller auf seinem berühmten Gotthardpost-Gemälde verewigt hat. Heute allerdings erleichtern Scheibenbremsen, mit denen die nachgebaute Kutsche ausgerüstet ist, dem Postil­lion und den Pferden die schwierige Aufgabe. Via Motto Bartola erreicht das Gespann den Bahnhof Airolo in der Leventina, wo sich Fahrgäste, Postillion, Kondukteur und Begleitmannschaft (die mit einem Kleinbus samt Hufschmiede immer diskret im Hintergrund mit auf der Strecke war) bei einer Merenda, einem tessinerischen Zvieri, verabschieden.
Während Pferde und Kutsche mit Transporter und Anhänger auf der Strasse zurückfahren, heim in die Stallungen der historischen Reisepost, die sich ausserhalb von Andermatt in einem ehemaligen Militärgebäude befinden, reisen die Passagiere mit dem Zug zurück und träumen dabei – um ein gewaltiges Erlebnis reicher geworden – von jenen Zeiten, als die Gotthardpost noch Realität war.

Die ersten Anfänge

Den Verkehr mit Pferdekutschen am Sankt-Gotthard-Pass, einer der wichtigsten Nord-Süd-Verbindungen über das europäische Hochgebirge, ermöglichte erst der Bau der Fahrstrasse durch die Schöllenen, die Tremola und andere Engnisse in der Leventina. Ab 1830 wurde der Pass zaghaft mit Zwei­plätzer-Gespannen befahren. Engpass war jetzt noch die beschränkte Kapazität der Botenschiffe zwischen Luzern und Flüelen (Axenstrasse noch inexistent). Die schwerfälligen, mit Segel versehenen Ruderbarken boten lediglich fünf Reisenden Platz, verkehrten nur zweimal pro Woche und benötigten für die Überfahrt von Luzern nach Flüelen zwölf Stunden. Dies änderte sich ab der Inbetriebnahme der Dampfschiffahrt auf dem Vierwaldstättersee 1837, womit sich die Fahrzeit auf unter drei Stunden verkürzte.
Passagierzahlen und Postfracht nahmen nun laufend zu, so dass ab 1842 täglich eine fünfspännige Achtplätzer-Kutsche in beiden Richtungen zwischen Chiasso und Flüelen verkehrte. Auch im Winter wurde der Pass offen gehalten und die Bergstrecke dann mit Schlittenkolonnen absolviert. Je hundert Ruttner (Wegmacher) und Schlittenknechte fanden so beidseits des Hospizes Arbeit. 1847 machte die Fertigstellung des Seedamms von Melide die schwerfälligen Trajektfähren zwischen Melide und Bissone überflüssig. Und da die Bundesverfassung von 1848 die Binnenzölle und kantonalen Währungen aufhob, stand ab 1849 die gesamte Gotthardstrecke von Basel bis Chiasso erstmals unter einheitlicher Oberleitung.

Blütezeit und Ende

Zur Jahrhundertmitte 1850 verlängerte die Eidgenössische Post die Gotthardlinie bis zum Bahnhof von Camerlata südlich von Como, der damaligen Endstation der Bahnstrecke von Mailand nach der Schweiz. Dies trug dem Gotthard-Postkurs den Zunamen «Mailänder» ein. Jetzt kamen auch neugebaute, eidgenössische Postwagen erstmals zum Einsatz. Noch dauerte die Reise von Basel über den Gotthard nach Mailand rund 50 Stunden. Ein kombiniertes Retourbillett kostete Fr. 68.60, was dem Lohn eines Postkutschers für drei Monate entsprach. Weil nun immer mehr Vergnügungsreisende über den Gotthard drängten, wurde 1864 ein zusätzlicher «Herrenkurs» eingerichtet, und für die ungeduldigen Geschäftsleute ein nächtlicher «Eilkurs».
Die Passagierzahlen stiegen fortwährend, von rund 14 000 im Jahr 1849 (nach Einführung der neuen Bundesverfassung) auf gut 25 000 im Jahr 1861, und zehn Jahre später waren es bereits 42 000 Postkutschen-Reisende. Nach Rudolf Kollers Kultgemälde wurde 1875 die Höchstzahl von gut 72 000 Passagieren erreicht. Dann ging es bergab: 1880 waren es noch rund 61 500, und im letzten vollen Betriebsjahr, 1881, nur noch 58 500. Ab Inbetriebnahme der Gotthardbahn wurden sowohl Passagiere wie Postsendungen zwischen Göschenen und Airolo zeitsparend durch den Eisenbahntunnel befördert. Am 1. Juni 1882 schlug die Schicksalsstunde: Der Pferdepostbetrieb wurde eingestellt – das Ende einer grossen Ära!

Spektakuläre Ereignisse

Doch aus den Annalen der hippomobilen Alpen­traversierung mit der Gotthardpost bleiben manch grosse, aber auch viele tragische Geschehnisse in Erinnerung. Die wohl aufregendste Extrafahrt war jene der russischen Zarin, als sie samt Gefolge im Oktober 1856 auf ihrer Reise nach Nizza die Schweiz von Rorschach nach Magadino via Gotthardpass querte. Der Tross bestand aus nicht weniger als sieben Sechsspännern, zwei Vierspännern sowie zwei Vorausreitern, deren Aufgabe es war, Wechselpferde, Mahlzeiten und Übernachtungen zu bestellen. Bei jeder Wechselstation wurden nicht weniger als 52 Pferde benötigt. Vom gebotenen Service schien die Zarin angetan; denn sie schenkte dem verantwortlichen Kondukteur eine Golduhr mit Kette.
Weniger erfreulich erging es dem Nachtpostkurs Camerlata-Flüelen vom 22. November 1862. Eine Räuberbande überfiel den Postwagen und stahl Gelder und Uhren; als sie letztere in Ghiffa am Langensee zu verscherbeln versuchten, konnten die Banditen verhaftet werden. Noch schlimmer war der Überfall am 13. Oktober 1864 auf den Nachtpostkurs auf dem Monte Ceneri – einer Gegend, die lange als unsicher galt. Der Kondukteur wurde gefesselt, der Postillion angeschossen; er erlag später seinen Verletzungen. Die Reisenden mussten Uhren, Schmuck und Geldbeutel herausrücken. Der Chef der Räuberbande konnte später in Mailand verhaftet werden.
Aber auch die Natur schlug zu: Im November 1874 verschüttete eine Lawine in der Tremola die Schlittenkolonne der Gotthardpost, die aus 10 Pferdeschlitten und 23 Reisenden bestand. Der Kondukteur konnte nur noch tot geborgen werden. Auch im Januar 1879 erfasste eine Lawine in den Tremola-Kehren 8 der 11 Pferdeschlitten des Postkurses. Diesmal hatten alle Mitreisenden Glück, nicht aber 2 Pferde, die unter den Schneemassen verendeten.

Ein Brotkorb auf Zeit

Die Durchfahrt der Pferdepost war stets das Hauptereignis des Tages. Posthornsignet und Pferdegeschell, das Trampeln der Hufe, Poltern der Räder, Ächzen der Achsen und Kreischen der Bremsen, vermischt mit Hundegekläff, das lockte die Leute an die Fenster oder auf den Dorfplatz, wo es Neuigkeiten zu erfahren und fremde Menschen in mondänen Roben zu bestaunen gab.
Die Gotthardpost (der letzte originale Pferdepostwagen ist heute noch im Landesmuseum in Zürich zu sehen) war aber auch Brotkorb für unzählige Familien, direkt für die Angestellten und Fuhrhalter und indirekt für jene im Strassenunterhalt und Winterdienst. Als der Passverkehr plötzlich eingestellt wurde, versiegte für die Bevölkerung diese lebenswichtige Erwerbsquelle ebenso schlagartig. Ganze Familien und viele junge Leute waren zur Auswanderung nach Amerika gezwungen. Davon merkten diejenigen nichts, die jetzt durch den Eisenbahntunnel fuhren …    •

Weitere Infos: <link http: www.gotthardpost.ch>www.gotthardpost.ch  oder Telefon 041 888 00 05.

Postillion und Kondukteur

HH. Obschon die Postillione die eigentlichen Helden des Geschehens waren, standen sie rangmässig unter den Kondukteuren. Sie waren einfache Wagenlenker, die an den Pferdepoststationen (Relais) zusammen mit den Gespannen ausgewechselt wurden. Das geschah auf der Strecke zwischen Flüelen und Camerlata nicht weniger als zwölfmal. Lesen und schreiben musste ein Postillion nicht zwingend können, wohl aber das Posthorn blasen. Beherrschen musste er Dienstsignale wie Abgang und Ankunft der Post, Zahl der Wagen oder Schlitten und Pferde (zwecks Kreuzen und Vorbereiten der Wechsel), aber natürlich auch einige Unterhaltungsstücke.
Der Hauptverantwortliche und in der Hierarchie Bessergestellte war der Kondukteur, der die gesamte Reisestrecke absolvierte. Als Kontrolleur war er zuständig für die Einhaltung des Fahrplans, den Pferdewechsel und die Beförderung der Postsendungen. Ab 1852 oblag ihm auch die Überwachung der Telegrafenlinie entlang der Postroute. Und natürlich war er der Ombudsmann der Reisenden. Ebenso wichtig waren die Postpferdehalter in Andermatt und in Airolo, die als Vertragsunternehmer der Post arbeiteten. Sie stellten an den Etappenorten die notwendige Anzahl Pferde samt Postillion. In den besten Zeiten standen allein zwischen Flüelen und Gotthard-Hospiz bis zu hundert Pferde im Stall!

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