2018 – Es gibt Gründe, zu kämpfen und zu hoffen

2018 – Es gibt Gründe, zu kämpfen und zu hoffen

von Natacha Polony, Frankreich

Frankreich ist zuversichtlich, dass noch alles möglich ist. Einige meinen, es genüge, Kassandra zu bekämpfen, um den Trojanischen Krieg zu verhindern. Andere wenden sich ab. Andere versuchen schliesslich, den Schiffbruch zu verhindern, indem sie ihr eigenes Schiff so gut wie möglich steuern.

In der Kälte des zu Ende gehenden Dezembers ist die Bilanz des zur Neige gehenden Jahres seltsam ungewiss. Man müss­te schon erstaunlich unkritisch sein, um zu verkünden, dass die ersten Monate der Präsidentschaft Emmanuel Macrons entweder wundervoll oder katastrophal waren.
Man könnte natürlich alles, was es an Spannungen und Hass, politischen Kleinkriegen und Kämpfen unter Zwergen gab, beiseite lassen. Man könnte vergessen, dass der Mythos von der «fünftgrössten Wirtschaftsmacht der Welt» soeben offiziell beerdigt wurde und dass die jüngsten internationalen Untersuchungen, die sowohl bei Erwachsenen wie auch bei Kindern durchgeführt wurden, ein Land beschreiben, dessen Fähigkeiten sich im freien Fall befinden.
Frankreich ist jedoch zuversichtlich, dass noch immer alles möglich ist. Einige sind der Meinung, dass ein Präsident, der die Whistleblower, die Enthüller geisselt, die Situation zum Besseren wenden werde und dass es genüge, Kassandra zu bekämpfen, um den Trojanischen Krieg zu verhindern. Andere wenden sich ab. Andere schliesslich versuchen, den Schiffbruch zu verhindern, indem sie ihr eigenes Schiff so gut wie möglich steuern. Und sie sind es, denen Anerkennung gebührt. All jenen Franzosen, die Frankreich am Leben erhalten. All jenen gewöhnlichen Menschen, die ganz einfach und unbeirrt ihre Aufgaben erfüllen.
Es stimmt, ein grosser Teil der französischen Industrie ist zerstört. Die Textilindustrie, die Lederwaren-, die Schreibwaren-, die Porzellan- und die Stahlindustrie … sind ausradiert durch den Freihandel und den damit verbundenen unlauteren Wettbewerb. Aber in jedem dieser Produktionsbereiche kämpfen Helden, um weiterhin in Frankreich zu produzieren oder Neues aufzubauen, getragen vom Willen, sich der Low-Cost-Logik zu widersetzen. Mehr und mehr Franzosen erkennen, dass sie durch die Wahl von «Made in France»-Qualitätsprodukten eine Möglichkeit haben, gegen die Massenarbeitslosigkeit anzukämpfen. Denn nur durch einen industriellen Neuaufbau – der die jahrelangen unrealistischen Phantasien der Eliten über «Dienstleistungsgesellschaft» und «Unternehmen ohne Fabriken» zum Verschwinden bringt – können wir noch gerettet werden. Unternehmer kämpfen, Handwerker bilden Lehrlinge aus, von denen ein Teil erfüllt ist von Verantwortung, Berufsstolz und dem Bemühen um Spitzenleistungen.
Es stimmt, die Zahl der Bauern ist auf 320 000 gesunken, und viele von ihnen leiden stark unter der schwierigen wirtschaftlichen Situation. Aber ein Teil von ihnen hat begonnen, neue lokale und regionale Verkaufsmöglichkeiten zu entwickeln, wendet sich vom Gross­handel ab und erfindet neue Wege, um seine Produkte aufzuwerten. Wichtig ist, dass ein bestimmtes Gesetz noch immer in Kraft ist: das Agroökologie-Gesetz, das einen der wenigen Lichtblicke in der erschreckenden Bilanz der vergangenen fünfjährigen Präsidentschaft darstellt. Dieses Gesetz hilft den Landwirten, mit Methoden zu arbeiten, die Ökologie und Rentabilität verbinden und die einzige gute Möglichkeit darstellen, ohne Glyphosat auszukommen, von dem die Nationale Vereinigung der Bauerngewerkschaften (FNSEA) behauptet, dass es durch nichts zu ersetzen sei.
Es stimmt, die Generalstände für Ernährung [Etats généraux de l’alimentation] sind nichts als Augenwischerei, deren Schlussfolgerungen sogar von Umweltminister Nicolas Hulot abgelehnt wurden, da sie nur aus Klischees und Täuschungsmanövern bestehen. Aber die Tatsache allein, dass es Generalstände für Ernährung gibt, beweist, dass das Bewusstsein geweckt wurde. Fortan kann kein Politiker mehr so tun, wie wenn er nicht wüsste, dass die Nahrung, die die Franzosen zu sich nehmen, deren Gesundheit beeinflusst – in einer Zeit, in der die amerikanischen Essgewohnheiten Diabetes und Fettleibigkeit weltweit explodieren lassen. Er weiss auch, dass das Überleben der Bauern, die Qualität der Böden und das Fortbestehen der Natur in Gefahr ist – eine Natur, aus der bereits 80 % der Insekten verschwunden sind.
Es stimmt, die Schulen Frankreichs versagen darin, Kindern das Lesen und Verstehen einfacher Texte beizubringen – selbst solchen aus privilegiertem Milieu. Sie haben aufgegeben, mathematische Spitzenleistungen zu fordern, mit denen die Denkfähigkeit ihrer Kinder geschult wurde, um die zukünftigen Ingenieure und Mathematiker auszubilden, für die sie früher bekannt waren.
Aber der neue Erziehungsminister [Jean-Michel Blanquer] hat zum ersten Mal seit dreissig Jahren die in der Rue de Grenelle [Sitz des Ministeriums] aufgebaute Festung erschüttert, welche von Scharlatanen errichtet wurde, die von ihrem Recht überzeugt waren, Kinder als Versuchskaninchen benutzen zu dürfen.
Von dort wird die Erneuerung kommen. Dort verbergen sich die starken Kräfte, die dieses Land zu dem machen, was es ist – trotz jahrzehntelanger moralischer Krise und Fehlentscheidungen der Eliten, die besessen sind von der Beseitigung alter Reste französischer Eigenheiten und der Anpassung an das neoliberale Modell.
Diejenigen, die beschliessen, sich nicht von den phantastischen Ankündigungen der PR-Heere der Macht hinreissen zu lassen, sind keineswegs Schwächlinge oder Pessimisten. Es bedeutet nicht, in freudlosen Leidenschaften zu schwelgen, wenn man das dumme Gerede von der «Start-up-Nation», die Taschenspielertricks, mit denen Misserfolge in tolle Siege umgewandelt werden, Neuverhandlungen der Richtlinien über entsandte Arbeitnehmer, über Glyphosat, über den Kampf gegen Steueroasen in der EU klar zurückweist. Dieses Nein bedeutet Ja.
Ein gewaltiges Ja, gerichtet an all jene Franzosen, die in aller Bescheidenheit dazu beitragen, dass eine Industrie, eine Landwirtschaft, ein Handwerk, ein Fachwissen fortbesteht, an all jene Lehrer, die über wirksame Lehrmethoden nachdenken, an all die heranwachsenden jungen Menschen, die bereit sind, über sich selbst hinauszuwachsen. Sie alle sind die bescheidene Armee der Kämpfer für Frankreich.    •

Quelle: © Natacha Polony, «Le Figaro» vom 29.12.2017

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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