Am 10. September 2018 berichtete die «Bild»-Zeitung ausführlich darüber, es gebe Überlegungen im deutschen Verteidigungsministerium, wie sich Deutschland im Falle eines Einsatzes chemischer Kampfstoffe in Idlib an der Seite der USA, Grossbritanniens und Frankreichs an Militäraktionen gegen die syrische Regierung beteiligen kann. Die US-Regierung habe um eine deutsche Kampfbeteiligung angefragt. Wie 1999 im völkerrechtswidrigen Angriffskrieg der Nato gegen die Bundesrepublik Jugoslawien könnten sich deutsche Tornados erneut an Bombardierungen beteiligen. Im Deutschen Bundestag, der laut Parlamentsbeteiligungsgesetz einem deutschen Militäreinsatz vorher zustimmen muss, könne man dann erst nachträglich eine Zustimmung einholen.
Konkrete Berichte der russischen Regierung, dass ein solcher Chemiewaffeneinsatz von den Kämpfern in Idlib inszeniert werden soll, um einen Kriegseinsatz der USA und ihrer Verbündeten herbeizuführen, blieben unerwähnt. In der Bundestagsdebatte vom 12. September 2018 verteidigte auch die Kanzlerin die deutschen Kriegseinsatzpläne und wandte sich gegen die laut gewordene Kritik daran – obwohl sie im April 2018 noch anders Stellung genommen hatte. Und obwohl sich mehr als 70 Prozent der befragten Deutschen in einer aktuellen Umfrage gegen einen solchen Kriegseinsatz ausgesprochen haben.
Deutsche Kriegspläne sind völkerrechts- und grundgesetzwidrig
Am selben Tag, an dem die «Bild»-Zeitung über die Pläne im Verteidigungsministerium berichtet hat, hat der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages – ein dem Parlament zugeordnetes parteiunabhängiges Wissenschaftlergremium – ein 10 Seiten umfassendes Gutachten veröffentlicht, das noch einmal herausstellt, dass ein solcher deutscher Kriegseinsatz weder mit dem Völkerrecht, noch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar ist. Das Gutachten betont zudem, dass auch die vergangenen Kriegseinsätze der USA, Grossbritanniens und Frankreichs in Syrien völkerrechtswidrig waren. Auch auf dieses Gutachten ging die Kanzlerin am 12. September nicht ein.
Wenige Tage später hat der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages ein weiteres Gutachten vorgelegt, das herausstellte, es sei ebenfalls rechtswidrig, einen eventuellen deutschen Kriegseinsatz in Syrien ohne vorherigen Beschluss im Bundestag zu befehligen.
Dass die deutschen Drohungen mit Krieg dazu beigetragen haben, dass sich der russische und der türkische Präsident und im Anschluss daran auch die syrische Regierung am 17. September auf eine entmilitarisierte Zone in Idlib geeinigt haben und die grosse Schlacht um Idlib nun doch erst einmal vermieden werden kann, ist eher unwahrscheinlich.
Bundestagsdebatte am 12. September
Am 12. September 2018 debattierte der Deutsche Bundestag über den Bundeshaushalt für das Jahr 2019. In der Debatte über den Etat des Bundeskanzleramtes – traditionell eine Grundsatzdebatte über die Politik der Bundesregierung – meldete sich auch der Fraktionsvorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD), Alexander Gauland, zu Wort und kritisierte die Politik der Bundeskanzlerin. Gauland knüpfte an die Aussage des Bundesinnenministers Horst Seehofer an, der wenige Tage zuvor die Migration als die «Mutter aller Probleme» bezeichnet hatte.
Gauland wies darauf hin, dass es doch widersprüchlich sei, wenn die Bundesregierung einerseits davon spricht, Fluchtursachen bekämpfen zu wollen, andererseits aber mit einem deutschen Kriegseinsatz in Syrien neue Probleme und Fluchtursachen erzeugen werde. Zudem bestehe die Gefahr einer direkten Konfrontation mit Russland. Auch der Bundeswehreinsatz in Afghanistan habe die hohe Zahl von Migranten aus Afghanistan nicht verringert, im Gegenteil.
Gauland sprach sich gegen eine weitere Zuwanderung nach Deutschland aus sicheren Drittstaaten aus und stellte die (rhetorische) Frage, wer die innere Sicherheit in Deutschland gefährde. Er zählte tagtägliche Gewaltverbrechen auf, die von Migranten begangen werden, und kritisierte offizielle Reaktionen auf die Tötung eines Menschen in Chemnitz.
Schliesslich kam er auf die Reaktion der Kanzlerin auf die Vorgänge in Chemnitz zu sprechen. Angela Merkel hatte von «Zusammenrottung» gesprochen und damit einen Begriff aus dem DDR-Strafrecht benutzt, der dort gegen Bürgerproteste gerichtet war.
«Immer tauchen solche Figuren auf und produzieren die gewünschten Bilder»
Die Personen, die rechtsextreme Parolen gerufen und den Hitlergruss gezeigt hatten, bezeichnete Gauland als «aggressive Hohlköpfe», die keineswegs repräsentativ für die Demonstranten in Chemnitz waren, und reagierte auf Zwischenrufe, diese Rechtsextremen seien doch von der AfD, mit den Worten: «Die ‹Ausländer raus›-Schreier und Hitlergruss-Zeiger sind doch die grösste Hoffnung für Sie, meine Damen und Herren vom politisch-medialen Establishment. Wenn es diese Idioten und Dumpfbacken nicht gäbe, wenn nur die normalen Bürger demonstrieren würden, wäre das doch eine Katastrophe für Sie. Immer tauchen solche Figuren auf und produzieren die gewünschten Bilder.»
Das wirklich schlimme Ereignis, so Gauland weiter, sei die Bluttat zweier Asylbewerber gewesen, es waren nicht die folgenden Demonstrationen. Die Bundesregierung habe aber Öl ins Feuer gegossen, als Kanzlerin und Regierungssprecher von «Hetzjagden» auf Ausländer gesprochen haben, anstatt den Bürgern zuzuhören. In Wahrheit habe es in Chemnitz keine Menschenjagden gegeben, dies hätten die sächsische Generalstaatsanwaltschaft, der sächsische Ministerpräsident und dann auch der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz bestätigt.
Faschismusvorwurf
Nach Alexander Gauland meldete sich der SPD-Abgeordnete und ehemalige Kanzlerkandidat der Partei, Martin Schulz, mit einer Zwischenbemerkung zu Wort. Er warf der AfD vor, komplexe Sachverhalte auf ein einziges Thema zu reduzieren, nämlich eine Minderheit im Lande zum Problem zu machen. Das sei «ein tradiertes Mittel des Faschismus». Der Bundestag habe dies soeben erneut vorgeführt bekommen. Schulz verglich die aktuelle Debatte mit jenen in der Endphase der Weimarer Republik, die «Demokraten in diesem Lande» müssten sich dagegen wehren. Schulz schloss mit der Aussage, Gauland und die AfD gehörten auf den Misthaufen der Geschichte.
Es ist nicht bekannt, ob sich Schulz mit seinem Wortbeitrag an der ehemaligen US-amerikanischen Aussenministerin Madeleine Albright orientiert hat, die mit ihrem neuesten Buch in verschiedenen Ländern der Welt, auch in den USA und in Europa, Zeichen eines wieder erstarkenden Faschismus zu erkennen glaubt und die «bürgerliche» Front der linksextremen Antifa eröffnet hat. Jedenfalls erhielt Schulz für seinen Wortbeitrag stehenden Applaus. Im Sitzungsprotokoll ist vermerkt: «Die Abgeordneten der SPD, der Linken und des Bündnisses 90/Die Grünen erheben sich.» Der Kommentar im halbstaatlichen Deutschlandfunk lobte Martin Schulz und trug den Titel: «Sternstunde im Parlament».
Kampagne gegen den Präsidenten des Verfassungsschutzes … und den Bundesinnenminister
Gemäss einer Vereinbarung der Koalitionsrunde (Treffen der Vorsitzenden von CDU, CSU und SPD) vom 18. September 2018 sollte der bisherige Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, aus seinem bisherigen Amt entlassen und statt dessen mit der Aufgabe eines Staatssekretärs im Bundesinnenministerium betraut werden.
Maaßen hatte in einem Interview mit der «Bild»-Zeitung vom 6. September anders Stellung genommen als die deutsche Kanzlerin (vgl. Zeit-Fragen Nr. 21 vom 11. September 2018). Den Aussagen Maaßens war eine Kampagne gegen ihn gefolgt, an der sich viel politische Prominenz, vor allem aus der SPD, sowie fast alle Leitmedien intensiv beteiligt haben. Die Frage, ob Maaßen mit seinen Aussagen recht hatte, spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Andere Vorwürfe bekamen mehr Gewicht, zum Beispiel, Maaßen sei gegenüber der Kanzlerin illoyal gewesen, Maaßen habe vor geraumer Zeit mit Politikern der AfD gesprochen, und überhaupt sei er ein Gegner der Migrationspolitik der Kanzlerin.
Dass der Bundesinnenminister Hans-Georg Maaßen zu seinem Staatssekretär machen wollte, war sicher auch ein politisches Signal. Entsprechend wüst waren die Reaktionen von interessierter Seite. Nur drei Tage nach der Koalitionsrunde war die Vereinbarung vom 18. September nur noch Makulatur, … und der Kampf in der Regierungsbank um den künftigen Kurs der Politik hält an. Von interessierter Seite wird kein Pardon gegeben und mit allen Mitteln zugeschlagen. •