Ulrike – eine Erzählung über das Wirken Friedrich Fröbels

Ulrike – eine Erzählung über das Wirken Friedrich Fröbels

von Rita Brügger*

In einer interessanten Buchhandlung in Weimar habe ich ein Buch entdeckt, das 1957 in Knabes Jugendbücherei erschienen ist und in ebendiesem Verlag seit kurzem wieder neu aufgelegt wurde. Das Jugendbuch verdient Aufmerksamkeit und ist nicht nur für junge Leser lesenswert.
Anhand der Lebensgeschichte des Mädchens Ulrike wird das Lebenswerk Friedrich Fröbels (1782–1852) auf eindrückliche Weise dargestellt. Friedrich Fröbel, ein Schüler Pestalozzis, ist der Begründer des Kindergartens. Seine Pädagogik umfasst die ganzheitliche Förderung des Vorschulkindes. Fröbel gab, was in seiner Zeit als revolutionär galt, dem Spiel des Kindes eine grosse Bedeutung. Zuvor hatte man Kinder meist als kleine Erwachsene behandelt, und die Betreuung von Kleinkindern erfolgte, wenn nötig in grossen Bewahranstalten ohne adäquate Förderung.
Das kleine Büchlein beginnt mit einer Episode während des Jahres 1813, also damals, als Napoleon herrschte, Europa vom Krieg gebeutelt wurde und später in der Völkerschlacht bei Leipzig unzählige Menschen ihr Leben lassen mussten. Fröbel ist als Soldat unterwegs mit dem Lützowschen Freikorps und begegnet einer Horde zerlumpter Kinder, die betteln. Ein hagerer Junge rennt mit dem erbeuteten Brot davon, ohne den andern etwas abzugeben. Durch die Aufregung, stürzt ein kleiner Junge unbemerkt ins nahe Wasser, seine Schwester Magdalena will ihn herausziehen und ertrinkt fast selbst. Zum Glück können die Kinder durch Michael, Fröbels Kriegskameraden, und auch mit Fröbels Hilfe gerettet werden.
Fröbel denkt nach diesem Erlebnis nach über seine eigene Kindheit, über seinen Werdegang als Erzieher und die Zeit in der Schweiz bei Johann Heinrich Pestalozzi. Mit seinen Kameraden diskutiert er noch lange darüber, was getan werden sollte, damit die Kinder ein schöneres, sorgenfreies Leben haben können, und wie man solche Verwahrlosung verhindern kann, die ihnen gerade begegnet ist. Fröbel sieht es als sein Ziel an, alles daran zu setzen, den Kindern nach Beendung des Krieges zu helfen.
Michael, sein Dienstkamerad, heiratet später jene Magdalena, die er während des Kriegs gerettet hat. Sie bekommen vier Kinder, leben in einer düsteren Kellerwohnung und beide Eltern sind gezwungen, auswärts zu arbeiten, um über die Runden zu kommen. Während die älteren Kinder ihren Möglichkeiten entsprechend mithelfen, den spärlichen Lebensunterhalt zu sichern, kann niemand auf die Kleinste, Ulrike, aufpassen. Erst ist sie tagtäglich bei einer Nachbarin, die ohne Geschick viele Kinder beaufsichtigt und vor der sich Ulrike fürchtet. Später darf das Mädchen in die «Bewahranstalt», wo es zwar etwas angenehmer ist, die Kinder jedoch militärisch gedrillt werden.
Nach dem Krieg ist Friedrich Fröbel nicht untätig geblieben. Er schreibt Artikel, gründet 1837 eine «Anstalt zur Pflege des Beschäftigungstriebes für Kindheit und Jugend». Er, dem die Natur zeitlebens am Herzen liegt, erkennt: «Als ich eines Tages durch den blühenden Frühling wanderte, kam es wie eine Offenbarung über mich: Garten … Paradies! Ja, Kindergarten soll das den Kindern zurückgegebene Paradies heissen! Und die Kinder sollen sich darin glücklich fühlen, gedeihen und wachsen.» Fröbel bildet denn auch junge Mädchen zu Kindergärtnerinnen aus und hält im nahen Kurort Vorträge über seine Pädagogik.
Ulrike wächst heran und bekommt eine Stelle als Kindermädchen bei «feinen» Leuten. Sie liebt die beiden Kinder, die sie betreuen soll, ist ihnen jedoch nicht gewachsen. Die Eltern geben dem Kindermädchen Schuld für allen Unfug ihrer Sprösslinge, wodurch den Kindern jeglicher Respekt vor Ulrike fehlt. Mit der Familie reist sie an einen Badeort, um dort ihre Aufgabe weiter zu erfüllen.
Im Hotel freundet sich Ulrike mit dem Hausknecht Wilhelm an, der ihr von Fröbel berichtet. Zufällig macht Ulrike mit dem alten Mann Bekanntschaft, von dem man sich erzählt, dass er mit den Kindern im Garten herumspielt. Die einen lachen über ihn, andere bewundern den Pädagogen, so auch die Baronin Marenholtz, die Ulrike auch weiterhilft. Ihr grösster Wunsch geht in Erfüllung: Sie darf bei Friedrich Fröbel eine Ausbildung zur Kindergärtnerin machen.
Ulrike lernt, was sie kann, hat sichtlich Erfolg bei den Kindern und freundet sich mit anderen jungen Frauen an. Sie schätzt ihren Lehrer und dessen junge Frau ausserordentlich. Zu seiner Hochzeit kann sie kein Geld beisteuern, was sie sehr bedauert. Zu ihrem Leidwesen wird sie deswegen von einer ihrer Mitschülerinnen blossgestellt, und sie zieht sich zurück. Einfühlsam und wirksam führen Friedrich Fröbel und seine Frau die beiden jungen Kindergarten-Schülerinnen durch eine gemeinsam zu lösende Aufgabe wieder zur gegenseitigen Freundschaft.
Genau in dieser Art widmet sich denn auch Ulrike in ihrem Beruf als Kindergärtnerin den Kindern, die ihr anvertraut sind. Sie verbindet die Kleinen miteinander, gewinnt sie fürs Miteinander, auch dann, wenn sie kein freundschaftliches Verhalten zeigen.
Während die jungen Mädchen in ihrer Ausbildung lernen, die Kinder ins Herz zu schliessen und ihnen spielerisch beizubringen, was sie im Leben weiterbringt, wird Fröbel wegen seiner Pädagogik zunehmend angefeindet, ja seine Kindergärten werden in Preussen gar verboten. Man wirft ihm vor, er würde sozialistisches Gedankengut verbreiten und die Kinder zu Atheisten erziehen. Fröbel arbeitet daraufhin sehr viel. Er setzt alles daran, mit seinen Schriften zu beweisen, dass die Gegner unrecht haben, und seine Frau Luise tröstet ihn: «Preussen ist nicht Deutschland. Sie wollen dein Werk vernichten, doch das wird ihnen nicht gelingen. Dein Name wird noch genannt werden, wenn von den preussischen Bürokraten kein Mensch mehr spricht.» Friedrich Fröbel freut sich über diesen Vertrauensbeweis seiner Frau. Und genauso freut er sich auch über den Besuch von Ulrikes Vater Michael, seinem ehemaligen Dienstkameraden. Allerdings ist er da schon kränkelnd, und seine Kräfte lassen immer mehr nach. Friedrich Fröbel stirbt im Juni 1852.
Tatsächlich hat sich der Name Fröbel bis heute als Gründer unserer Kindergärten erhalten. Und das schöne Wort «Kindergarten», das er geprägt hat und dem Symbolkraft zukommt, hat weltweit Bestand, ja es existiert sogar in englischer Sprache. Die Bedeutung des Kindergartens und das spielerische Lernen hat Jahrzehnte überdauert und zur Entwicklung der Kleinkinder viel beigetragen.
Leider mehren sich in letzter Zeit Bestrebungen, den Kindergarten als eigene Stufe abzuschaffen und immer mehr in die Schule zu «integrieren», was einer Verschulung dieser Institution Vorschub leistet und den Kindern keinen Dienst erweist.
Beim Lesen des kleinen Büchleins geht einem das Herz auf, denn es zeigt am Beispiel von Ulrike, wie sehr die Beziehung zum Erzieher, die Freude am Kind, das spielerisches Lernen und die Förderung der Gemeinschaft unseren bewährten Kindergarten geprägt haben und stellt Friedrich Fröbel als Begründer und «Vater» dieser schönen Idee vor.     •

*    Die Autorin ist seit vielen Jahren als Kindergärtnerin tätig.

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