Kolonialwaren – Erfolg wider den Mainstream

Kolonialwaren – Erfolg wider den Mainstream

Nostalgisches Lebensmittelgeschäft mit Charme

von Heini Hofmann

Alle reden von Firmen-Imaging, Ranking, Upgrading und In-Sein. Überall muss umstrukturiert und auf Teufel komm raus modernisiert werden. Ein Konzept jagt das andere. Dass es auch anders geht, beweist der Schweiz letztes Kolonialwarengeschäft, das seit über 150 Jahren und bereits in fünfter Generation mit Erfolg auf die Karte Nostalgie setzt.

Im Fastfood-Zeitalter verkommen Lebensmittel zu liebloser, industrieller Massenware. Deshalb der Wunsch nach mehr Originalität. Dass sich solches Experiment lohnen kann, zeigt sich am Beispiel des Zürcher Familienunternehmens Schwarzenbach, einem Kuriosum und zugleich florierenden Zeitdokument. Wenn man in den altväterisch hergerichteten Schaufenstern die unzähligen exotischen Produkte bestaunt und dabei kurz die Augen schliesst, glaubt man eine Kamelkarawane vorbeiziehen und dunkelhäutige Menschen im Schatten von Palmen arbeiten zu sehen, und alle Wohlgerüche Arabiens umschmeicheln die Nase. Doch der Traum ist Wirklichkeit.
In der Zürcher Altstadt, rechts von der Limmat, zwischen Ober- und Niederdorf, keine hundert Meter vom Grossmünster entfernt und schräg vis-à-vis vom Cabaret Voltaire, zudem nicht weit entfernt von Gottfried Kellers Lieblingsbeiz oder dem Haus, wo Genosse Lenin die Zeit vor Beginn der Russischen Revolution verbrachte, kurz mitten drin im geschichtsträchtigen Altzürich steht es, das flott florierende Zeitdokument.

Anders als die anderen

Dieser letzte Kolonialwarenladen der Schweiz mag durch sein Traditionsbewusstsein antiquiert erscheinen. Doch das trügt; denn bezüglich Firmen-Imaging und Corporate-Identity-Auftritt stellen die Schwarzenbachs vieles in den Schatten. Wo sonst in der Schweiz gibt es ein Detailhandelsgeschäft als Familienunternehmen, dessen Patron in fünfter Generation (!) den gleichen Vornamen trägt, von Heinrich I. bis Heinrich V., das zudem seine alte, die Warenherkunft erläuternde Firmenbezeichnung (Kolonialwaren) beibehält und sich bezüglich Verkaufsladen-Einrichtung und Warensortiment so gibt, wie es immer war?
Dieses konsequente Verfolgen einer persönlichen Note, die heute schon fast Kultstatus geniesst, widerspiegelt sich beim Kolonialwarengeschäft Schwarzenbach in seiner individuellen Identität als authentisches Produkt der eigenen Biographie. Wie ein Fels in der Brandung steht dieses Relikt inmitten der Hektik einer beschleunigten Wirtschaftswelt. Seine Schaufensterauslagen und Ladeneinrichtung haben sich seit Bestehen kaum verändert. Hier wird nicht auf der Welle des kurzfristigen Erfolgs geritten, verfolgt vom Zwang ständiger Veränderung und Erneuerung. Nicht In-Sein ist angesagt, sondern Sich-selbst-Bleiben, anders als die anderen.
Hier wird eine eigenständige Unternehmenskultur, die man als verstaubt belächeln mag, mutig und konsequent über Generationen durchgezogen, um damit langfristige Wertschöpfung im Sinn von Konstanz und daraus resultierendem Vertrauen zu gewinnen. Ein scheinbar unwirkliches, zeitfremdes Rezept, das jedoch – dank Einmaligkeit und Originalität – bestens zu funktionieren scheint. Der eigene Pfad, auch wenn er steinig ist, erweist sich eben auch im Geschäftsleben oft als zielführender als der bequemere Mainstream.

Im Rückspiegel der Geschichte

Geschichtlich gesehen ist Kolonialismus (= wirtschaftliche Expansion mit politischer Beherrschung) ein belasteter Begriff. Kolonien waren die von europäischen Staaten erworbenen, meist «überseeischen» Besitzungen. Der neuzeitliche Kolonialismus begann parallel zu den grossen Entdeckungen im 15. Jahrhundert und war ein Mix aus Handels­interessen, Rohstoffausbeutung, politischen Interessen und Missionierungsdrang – ein Geschichtskapitel mit grossem Schattenwurf.
Nach der Entkolonialisierung blieben zwischen ehemaligen Kolonien und deren vormaligem – wie es so schön hiess – «Mutterland» wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen bis heute bestehen.
Zwar hat die kleine Schweiz nie Kolonien besessen. Doch zumindest indirekt nahm auch sie am Prozess der europäischen Expansion teil, auf der einen Seite durch Auswanderung unterschiedlicher Art (fremde Kriegsdienste, Siedlungsgründungen, Mission), auf der anderen Seite durch den Aussenhandel, das heisst den Industrieexport und durch die Einfuhr preisgünstiger Kolonialwaren.
So gab es denn früher überall, sowohl in den Städten als auch auf dem Land, diese etwas exotisch anmutenden Kolonialwarenläden mit ihrem fremdländischen Sortiment. Um der Geschichte und wohl auch dem Neudeutsch gerecht zu werden, verschwand diese Bezeichnung nach dem Zweiten Weltkrieg nach und nach gänzlich – bis auf Schwarzenbachs Kolonialwarengeschäft in der Zürcher Altstadt, das bereits auf über anderthalb Jahrhunderte zurückblicken kann.

Ein Hauch von 1001 Nacht

Diese magische Institution erinnert an einen Krämerladen aus früherer Zeit. Ladeneinrichtung, Verkaufstheke und Wandgestelle stammen aus der Gründerzeit. Alte Schriftzüge preisen die Produkte an: Colonialwaren, Kaffeerösterei, Südfrüchte und Conserven. Auf die früheren Haus- und Hotellieferungen weist der Vermerk «Detail und Mi gros» hin. Die Schaufensterauslagen sind ein sinnliches Schlaraffenland aus 1001 Nacht.
Was anno 1864 mit Teigwaren, Eiern, Gewürzen und Kaffee begann, ist heute ein riesiges Sortiment von rund 3000 Artikeln: 17 verschiedene Kaffeemischungen (zweimal wöchentlich wird – von der Strasse her einsehbar – der eigenhändig eingekaufte Rohkaffee selber geröstet) und nicht weniger als 150 Teesorten. Beides kann man im angebauten Teecafé probieren und dabei feststellen, dass Tee und Kaffee, ähnlich wie Wein oder Käse, Regionalprodukte mit eigenem Charakter sind, geprägt von Klima, Boden und Verarbeitung.
Der Warenkorb ist heute enorm reichhaltig. Da imponiert vor allem einmal die farbenfrohe Palette an Dörrfrüchten, Beeren, Nüssen und Kernen im Offensortiment (vgl. Kasten). Gross ist auch die Auswahl an Honig, Konfitüre, Schokolade und kandierten Früchten, an Salz-, Senf- und Gewürzspezialitäten, Öl und Essig, Hülsenfrüchten, Mehl und Flocken, Reis und Teigwaren. Und natürlich alles ohne Selbstbedienung, sondern mit informativer Verkaufsberatung.

Vorteile des Kleinbetriebs

Früher kamen die exotischen Produkte aus den Kolonien; heute reisen die Leute selber und lernen fremdländische Spezialitäten kennen, die sie dann auch zu Hause haben möchten. So wandelt und vergrössert sich das Angebot und passt sich der Nachfrage an.
Sichtlich stolz sagt der Ururenkel des Firmengründers und derzeitige Unternehmensleiter in fünfter Generation, Heini V. Schwarzenbach: «Weil ein Kleinunternehmen agiler ist, kann es rascher auf Kundenwünsche reagieren. Überhaupt spielt – neben der Qualität des Angebots – die Nähe zum Kunden und dessen individuelle Beratung eine ausschlaggebende Rolle; denn das Feedback von der Kundschaft lässt uns bezüglich Sortiment-Assortierung sofort richtig reagieren. Sobald neu eingeführte Produkte sich etabliert haben, werden sie dann oft von Grossverteilern in deren Feinfood-Linien hineinkopiert.»
Der moderne Kolonialwarenhändler betont es mit sichtlichem Stolz: «Entscheidend ist auch der direkte Kontakt zu den Produzenten, worauf wir viel Zeit verwenden. Wir sind stets unterwegs mit offenen Augen und wissen deshalb, wo welche Produkte die besten sind. Und wir prüfen sie vorgängig und kaufen nur frische Ware ein.» Der Erfolg über Generationen scheint ihm Recht zu geben.    •

Die Palette der Dörrfrüchte

HH. «Diese sind», betont eine Verkäuferin, «nicht nur gesund dank ihren konzentrierten Nährstoffen, Vitaminen und Spurenelementen; sie haben auch einen ökologischen Pluspunkt dank umweltfreundlicherem Transport auf dem See- und Landweg statt per Luftfracht.»

Aus allen Ecken der Welt

Klassiker unter den Dörrfrüchten sind Feigen, etwa die kleinen wilden aus Iran oder die dünnhäutigen Izmir-Feigen. Für die fruchtlose Jahreszeit waren getrocknete Feigen seit jeher ein Grundnahrungsmittel wie Brot. Weil frische Feigen sehr empfindlich und nur kurzfristig haltbar sind, eignen sich getrocknete auch besser für den Transport und sind erst noch preisgünstiger.
Daneben gibt es entsteinte Datteln aus Tunesien oder riesige Medjool-Datteln aus Kalifornien, Bananenchips von den Philippinen, Bananenstängel aus Costa Rica, Ananas aus Thailand und Togo, Mangoscheiben aus Mexiko, Papayaschnitze und Kokosstreifen aus Thailand, australischen Ingwer, Jackfruit aus Sri Lanka, Kumquats (Baby-Orangen) von den Philippinen, Nektarinenhälften aus Kalifornien, Kiwischeiben aus Iran, Jumbo-Aprikosen aus Kalifornien, «Kurpflaumen» aus Chile und rote Sauerkirschen aus Michigan.
Natürlich fehlen – dem Kolonialbegriff zum Trotz – auch einheimische Produkte nicht: sauer-aromatische Fellenberger Zwetschgen, Schweizer Apfelringli mit Schale, Apfelschnitze mit Schale wie zu Grossmutters Zeiten für «Schnitz und drunter» oder «Gute Luise»-Birnen für Aufläufe oder Birnbrot. Dörrfrüchte lassen sich so essen oder auch in Desserts oder Fruchtsalate integrieren.

Beeren, Trauben, Nüsse, Kerne

Unter den getrockneten Beeren und Trauben finden sich chilenische Erdbeeren, Preiselbeeren (Cranberries) aus Oregon, Stachelbeeren aus Kolumbien, Berberitzenbeeren (Sauerdorn) aus Iran, spanische Malagatrauben (Muskateller), Rosinen aus Griechenland (Korinthen) und Sultaninen aus der Türkei oder extra grosse (Flames) aus Chile, letztere als kernlose Alternative zur Malagatraube.
Auch Nüsse und Kerne gibt´s in allen Variationen: Grenobler Baumnüsse, chilenische Baumnusskerne, Haselnüsse aus Italien, dazu die extra grossen Römer Riesen, aus Spanien braune Mandeln und auch weisse (Ferranges) sowie Apéro-Salzmandeln, kalifornische Mandelstäbli (die in keiner Backstube fehlen) und Bittermandeln.
Ferner Spanische Nüssli und mit Wasabi-Kruste ummantelte Erdnusskerne, aus Bolivien Paranüsse, aus Indien Cashew-Kerne (Kernels), aus Kenia Macademia-Nüsse, aus Kalifornien Apéro-Pistazien und aus Portugal Pinienkerne. Schliesslich Sonnenblumen- und Kürbiskerne aus Österreich, wobei hier die Kolonialherkunft wieder zu relativieren wäre ...

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