Buchbesprechung
Der Krieg der Nato gegen ein kleines Land auf dem Balkan erlebt bald seinen 20. Jahrestag. Heute Serbien und Kosovo-Methochia, damals das schon zerstückelte Jugoslawien, erfuhren einen «Blitzkrieg», wie ihn Hitler nicht besser hätte machen können. Novi Sad, Belgrad, Südserbien und der Kosovo wurden mit Clusterbomben und Mini-Nukes überzogen, die ihre grausame Spur der Vernichtung des Lebens bis heute zeitigen.
Die Kommission der Feststellung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und das Völkerrecht der Bundesrepublik Jugoslawien zeigt im vorliegenden Buch das Schicksal der Kinder auf, die unbarmherzig ins Leiden und den Tod geschickt wurden. Autorin ist Dr. Margit Savovic, damals Ministerin für Menschenrechte in der jugoslawischen Regierung. Nur wenige hundert Exemplare dieser Dokumentation wurden gedruckt, obwohl sie zum Verständnis des Ausmasses der Angriffe auf die Zivilbevölkerung im April/Mai 1999 gewichtige Hintergründe bietet.
Auf dem Feld, bei der Ernte oder dem Hinaustreiben des Viehs, beim Spielen in der Scheune, in der Schule, auf der Busreise, beim Wochenendbesuch bei Verwandten – der Tod kam gnadenlos. Kinder waren Opfer, ebenso ihre Eltern und Grosseltern – alles zivile Opfer.
Präzisionswaffen trafen den Traktor, auf dem sich oft die ganze Familie befand. Krater zeugen von der Heftigkeit des Einschlags. Wer kennt denn schon die Dörfer und Landstriche, wo dies alles geschah? Eine Landkarte herauszusuchen und die Szenerien zu lokalisieren würde sich lohnen.
Die von den regionalen Polizeistellen erstellten Zeugenaussagen ergeben ein Bild der Todesumstände, der Art der Verletzungen, wir sehen Körper mit abgerissenen Köpfen, verkohlte Körper, dokumentiert im Krankenhaus, Autopsieberichte, die Zerstörung der Wohnhäuser, fotografische Abbildungen ergänzen die Zeugenaussagen der Überlebenden.
Branislava Pavlovics aus Ralja, die ihren Mann und ihre Kinder verlor, gibt zum Beispiel zu Protokoll:In deutscher Übersetzung: «Vor dem Nato-Angriff lebte ich in Belgrad mit meinem Mann und zwei minderjährigen Kindern in der Jurija-Gagarina-Strasse 241. Ich war Angestellte der ITM-Fabrik, genauer gesagt arbeitete ich in der Produktionsabteilung zur technischen Vorbereitung als Ingenieur für Mechanik. Mein Mann und ich hatten ein Sommerhaus in Ralja, ein Grundstück von 70 a, das mein Mann von meinem Vater geerbt hatte.Vom Anbeginn der Nato-Angriffe an mussten wir uns im Untergeschoss verstecken, unser Hochhaus hatte keine Schutzräume. Die Untergeschosse waren feucht, die Atmosphäre war gespannt, die vor Gefahren warnenden Sirenen ertönten zu oft, deshalb gingen wir oft nach Ralja, um eine Pause zu haben. Dort gab es keine Sirenen, die Atmosphäre war entspannt. Mein Mann und ich dachten, es wäre viel besser für die Kinder, hier zu sein als in der Stadt. Vom Beginn der Nato-Angriffe bis zur Bombardierung von Ralja gingen wir dreimal dorthin. Wir würden am Freitag in unser Sommerhaus gehen und am Montag zurückkommen. Ich erinnere mich nicht mehr an die Bombardierung, Ich kann mich nicht erinnern, was an diesem Tag geschah. Sogar als ich im Krankenhaus aufwachte, wusste ich nicht, warum ich hier bin, aber niemand, weder meine Verwandten noch die Ärzte, waren stark genug, mir zu erzählen, was geschehen war. Später versuchte ich mich an irgend etwas zu erinnern, was mit diesem Tag in Zusammenhang stand. Ich konnte mich nur daran erinnern, dass immer, wenn wir nach Ralja gingen, wir zusammen Abendessen hatten, dann würde ich die Kinder baden, und dann würden wir alle zusammen schlafen gehen. Wir würden im gleichen Bett liegen, da wir uns so sicherer fühlten, und ich dachte, das wäre das beste für die Kinder. Das ist alles, woran ich mich im Zusammenhang mit der Bombardierung erinnern konnte.Später erfuhr ich von meinen Verwandten, dass die Bombardierung in der Nacht vom 26. auf den 27. Mai 1999 stattfand, um ungefähr 23:30 Uhr, da wurde unser Sommerhaus direkt von einer Bombe getroffen. Ganz bestimmt gab es keine Soldaten in unserem Haus. Die Verwandten erzählten mir, dass meine minderjährigen Kinder Stefan, 7 Jahre alt, und Dajana, 5 Jahre alt, getötet wurden und dass mein Mann zusammen mit mir aus den Trümmern gezogen wurde. Er wurde ins Krankenhaus gebracht und sei dort 7 Tage nach der Bombardierung gestorben.»Das jugoslawische Komitee der Unicef stellte diese Sammlung zusammen – sie durfte die Öffentlichkeit jedoch nicht erreichen. Die 500 gedruckten Exemplare verschwanden, und nur dank Dr. Savovic erhält die Nachwelt eine Kopie davon. Der Tod eines Kindes zerstört auch das Leben der Eltern und der ganzen Familie. Eltern leben jeden Atemzug mit ihren Kindern und für ihre Kinder. Die seelische Verbindung ist so eng und einmalig, dass die Eltern sozusagen mit ihren Kindern sterben. Wer kann dieses Leid und das Unrecht ermessen, das durch den «Blitzkrieg» gebracht wurde?Inzwischen erleben Serbien und der Kosovo eine ständig steigende Krebsrate, hervorgerufen durch die verwendete Munition. Ein Testgebiet für neue Waffen, das war der Krieg 1999 auch. Niemand fühlt sich zuständig, niemand will die Verantwortung übernehmen. Zur Kenntnis nehmen sollten wir es allemal. •
Savovic, Margit. Children Accuse – Children-Victims of Nato Aggression against FR Yugoslavia. Hg. v. Yugoslav Commission for the cooperation with Unicef, (englischsprachige Ausgabe) Belgrad 2002, 490 S.,
ISBN 86-7552-013-1
Das Buch kann in elektronischer Form gegen einen Unkostenbeitrag bezogen werden bei <link>b.hug@thurweb.ch.
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