«Ein Zeitalter des Friedens, der Sicherheit, Freiheit und Rechtsordnung»?

«Ein Zeitalter des Friedens, der Sicherheit, Freiheit und Rechtsordnung»?

Zum Buch von Aktham Suliman «Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht»

von Dieter Sprock

Der kürzlich verstorbene 41. Präsident der Vereinigten Staaten, George H. W. Bush, rief 1991 nach Beendigung des Zweiten Golf-Kriegs eine neue Weltordnung aus: «Ein Zeitalter des Friedens, der Sicherheit, Freiheit und der Rechtsordnung.» Was daraus geworden ist, dokumentiert der deutsch-syrische Nahostexperte Aktham Suliman in seinem Buch «Krieg und Chaos in Nahost. Eine arabische Sicht».

Aktham Suliman war Ende 1989 nicht einmal ganz 20jährig, als er von Damaskus nach Deutschland kam, um Informatik zu studieren. Als wenige Monate später, am 2. August 1990, irakische Panzer die Grenze zum benachbarten Kuwait überquerten, war das für ihn und die anderen jungen arabischen Studenten in Deutschland ein Schock, obwohl noch niemand ahnen konnte, welch «erschütternder und neuartiger Krieg» sich daraus im Nahen Osten entwickeln würde. Es war der Auftakt zum Zweiten Golf-Krieg. (Der Erste fand 1980 bis 1988 zwischen dem Irak und Iran statt.) Aktham Suliman änderte seine Studienpläne und studierte Publizistik, Poli­tologie und Islamwissenschaften. Er arbeitete mehr als zehn Jahre als Korrespondent und Büroleiter des arabischen Nachrichtensenders al-Jazira in Deutschland, den er aber im Sommer 2012 verliess, weil dieser sich zu einem Propagandasender im Dienste der USA und der Nato entwickelt hatte. Er lebt heute als freier Autor in Berlin.

Der Zweite Golf-Krieg und seine Folgen

Aktham Suliman versteht sein 2017 erschienenes Buch «als Lebenslauf des Todes im Nahen Osten des letzten Vierteljahrhunderts aus arabischer Sicht». Was für den Westen die Befreiung Kuwaits unter dem Namen «Operation Wüstensturm» war, sei für viele in der Arabischen Welt «ein Sturm des Todes» gewesen, von dem sich «die Region zwischen dem Atlantischen Ozean und dem Persischen Golf» bis heute nicht erholt habe.
Mit dem Zweiten Golf-Krieg, so die «Kernthese» seines Buches, nahmen viele später stattfindende Entwicklungen zwischen der Arabisch-Islamischen Welt und dem Westen ihren Anfang. Er zeichnet die Entwicklung vom Zweiten Golf-Krieg, über den 11. September 2001 und den «Krieg gegen den Terror», den Irak-Krieg 2003 und den «Arabischen Frühling» 2011, über die Entstehung des «Islamischen Staates» (IS) bis hin zum Syrien- und Libyen-Krieg detailreich nach und stellt die Frage: «Warum so viel Krieg und Chaos?» Dabei erhebt er nicht den Anspruch, die, sondern nur eine arabische Sicht zu präsentieren, wobei er einräumt, dass es auch «das empfundene Gemeinsame» gibt. Aus arabischer Sicht handle es sich bei den letzten 25 Jahren «nicht nur um historische Entwicklungen und Ereignisse, sondern vielmehr um konkrete Schicksalsmomente für Menschen aus Fleisch und Blut». Er widmet sein Buch stellvertretend für Millionen Getöteter seit 1991 drei arabischen Freunden.

Zurück in die Steinzeit

Am 17. Januar 1991 um 3:00 Uhr Ortszeit begannen die massiven Luftangriffe auf den Irak, nachdem die USA zuvor mehrere Vermittlungsversuche und Angebote Saddam Husseins zum Truppenabzug aus Kuwait abgelehnt hatten. Hunderte Kampfflugzeuge und Bomber flogen «mehr als 1000 Luftangriffe mit 1400 Tonnen abgeworfener Bomben täglich». Mehreren Quellen zufolge wurde in nur fünf Wochen eine grössere Bombenlast auf den Irak abgeworfen «als während des gesamten Zweiten Weltkrieges». Am 24. Februar begann der Bodenkrieg, und am 28. Februar verkündete Präsident Georg H. W. Bush das Ende des Krieges mit den Worten: «Kuwait ist befreit, Iraks Armee ist besiegt, wir haben das Vietnam-Syndrom ein für alle Mal verscheucht.» War das also das Ziel der massiven Bombardierung des Iraks?
«Bombardiert wurde im Irak alles», schreibt Suliman, «Elektrizitätswerke- und Wasserversorgungsanlagen, Kommunikations- und Hafeneinrichtungen, Ölraffinerien und -pipelines, Eisenbahnen, Verbindungs­strassen und Brücken.» Stundenlang bombardiert wurde auch der Konvoi irakischer Soldaten, die sich auf dem Rückzug aus Kuwait befanden und bereits kapituliert hatten.
Die «Steinzeit-Strategie» der USA erweckte nach Suliman unter den Arabern, und zwar selbst unter den Gegnern Saddam Husseins, schnell den Eindruck, dass der Westen den Irak «vorsätzlich und böswillig» zerstört hat, um an dem Zweistromland mit Militärmacht ein «Exempel» zu statuieren. Es sollte der gesamten arabischen Welt signalisiert werden, wer nun allein das Sagen hat, wenn es um «die Durchsetzung politischer und ökonomischer Interessen» in der Nahost-Region geht.

Medienpropaganda

Als neuartig an diesem Krieg bezeichnet Suliman die Tatsache, dass die USA sich auf eine Uno-Resolution stützten und sich die Unterstützung von über 30 Ländern sichern konnten. Das machte den Krieg zu einem «absolut legitimen Krieg», in dem sich nicht mehr zwei Kriegsparteien gegenüber standen, sondern ein «Militärbündnis der Guten», der «internationalen Gemeinschaft», einem Schurken. Der neue Begriff hiess: «Militäreinsatz mit Uno-Mandat».
Ebenfalls neuartig sei die starke mediale Präsenz im Zweiten Golf-Krieg gewesen. Die Bombardierung Bagdads konnte in Echtzeit an den Bildschirmen verfolgt werden und sollte die ganze Welt von der militärischen Kampfkraft der USA überzeugen. «Es war der Beginn des Zeitalters der Live-Übertragung von Kriegen mit farbigen, bewegten Bildern», schreibt Suliman. Und es war auch der Beginn eines neuen Zeitalters für die Kriegspropaganda. Mit farbigen und bewegenden Bildern wurden die Menschen vor Kriegsbeginn weltweit zu Tränen gerührt und in die Stimmung versetzt: «Man muss etwas tun.» Hierfür steht die sognannte «Brutkastenlüge», die für 10 Millionen Dollar von einer New Yorker PR-Firma erfunden und verbreitet wurde. Danach sollten irakische Soldaten in Kuwait-City frühgeborene Babys aus den Brutkästen gerissen und auf den harten Boden geworfen haben. Eine infame Lüge, wie sich später herausstellte.

Warum so viel Krieg und Chaos im Nahen Osten?

Aktham Suliman stellt am Ende des Buches die Frage nach Sinn und Ziel des westlichen Handelns im Nahen Osten. «Was genau wollte der Westen dort in den 25 Jahren zwischen 1991 und 2016?»
Für ihn brach im Januar 1991, versteckt hinter dem Namen «Zweiter Golf-Krieg», der «Dritte Weltkrieg» aus; «ein Krieg um handfeste geostrategische Interessen wie Bodenschätze, Energiewege und Einflusssphären – losgetreten durch den Westen, allen voran die USA».
Dieser in den Nahen und Mittleren Osten verlegte Weltkrieg sei für viele im Westen und anderswo in der Welt nicht unmittelbar sichtbar gewesen. «Es wurde über längere Zeiträume, aus verschiedenen Anlässen und auf verwirrend breiter und zum Teil asymmetrischer Front, von Afghanistan im Mittleren Osten bis Libyen in Nordafrika über den Irak und Syrien im Nahen Osten gekämpft.»
Mit dem Zweiten Golf-Krieg – der ersten Etappe des «Dritten Weltkriegs» – sollte seiner Meinung nach auch damals vielleicht noch nicht sichtbaren Feinden, prophylaktisch mit vielen Koalitionspartnern und viel Feuerwerk, eine Lektion erteilt werden.
Für die zweite Etappe, den «Krieg gegen den Terror», hätten sogenannte «akademische Gedankenspiele» wie «Das Ende der Geschichte» [Fukuyama] oder «Kampf der Kulturen» [Huntington] als eine Art ideologische Vorbereitung, Begleitung und Rechtfertigung des Krieges gedient. Diese hätten zu einer Atmosphäre beigetragen, in der ein Krieg als legitimes Instrument zur Verbreitung des westlichen Werte- und Politsystems und als Selbstverteidigungsmassnahme gegen ein vorwiegend aus dem islamischen Kulturkreis stammendes und weltweit agierendes Terrornetz vermarktet werden konnte.
Zur dritten Etappe zählt Suliman die unmittelbar nach der Besetzung Afghanistans 2001 und des Iraks 2003 von amerikanischer Seite aufkommende Rede von der Bildung eines «Grossraums Mittlerer Osten». Bei einem Besuch in Tel Aviv habe Condoleezza Rice verkündet, in der Region ein «kreatives Chaos» säen zu wollen, aus dem ein «Neuer Naher Osten» hervorgehen solle.
Die vierte Etappe des «Dritten Weltkriegs» sieht Suliman mit zwei Grossschlachten in Libyen und Syrien angebrochen.
Die grössten Verlierer unter den Arabern sind für ihn die Libyer, die Syrer und nicht zuletzt die Jemeniten. Der am strategisch wichtigen Bab al-Mandab (Tor der Tränen), der Meeresstrasse zwischen dem Roten Meer und dem Golf von Aden liegende Jemen sieht sich ab dem Frühjahr 2015 mit der Intervention einer von Saudi-Arabien angeführten und von den USA, Grossbritannien und Frankreich unterstützen Militärallianz konfrontiert.

Wer ist eigentlich der Gegner des Westens?

Die Frage nach dem Gegner des Westens im «Dritten Weltkrieg» sei für das Verständnis dessen, was im Nahen Osten zwischen 1991 und 2016 geschah, nicht unerheblich. Ein einziger Blick auf die Weltkarte verrate umgehend, um welchen Feind der Westen einen islamischen Bogen wie den «Grossraum Mittlerer Osten» spannen wollte. «Und das auch um den Preis einer erneuten Zusammenarbeit mit radikalen Gruppen, einer Verstümmelung des demokratischen Gedankens zur ‹Steinzeit› und ‹Fata-Morgana-Demokratie›, einer Wirtschaftskrise, einer erhöhten Terrorgefahr für die eigene Bevölkerung und einer Völkerwanderung von Millionen Flüchtlingen aus Afghanistan, dem Irak und Syrien in alle Himmelsrichtungen, auch nach Europa.»
Ein Buch, das viel zu einem besseren Verständnis der heutigen Gefahrensituation in der Welt beitragen kann. Seine Lektüre kann vor unbedachten emotionalen Parteinahmen schützen, die zu weiteren Kriegen führen. Es ist ihm deshalb eine breite Leserschaft zu wünschen.     •

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