Mediale Flurbereinigung – Vorbereitung auf weiteren Demokratieabbau?

Mediale Flurbereinigung – Vorbereitung auf weiteren Demokratieabbau?

von Christian Fischer*

Im politischen Diskurs wird seit einiger Zeit gerne das Wort Narrativ (Erzählung, Erzählweise) verwendet. Ja, es geht um Erzählungen, nicht um Fakten – die werden gerne mit «alternativen Fakten» in einen Topf gesteckt und umgerührt, bis man nicht mehr weiss, was wahr ist. Es geht auch kaum um diese oder jene politischen Forderungen – die werden gerne mit der Alternativlosigkeit des Mainstreams konfrontiert, damit man sich nicht mit eigenen dummen Gedanken blamieren möge. Aber was wird uns da gerade erzählt? Geht es nur um Verwirrung? Oder gibt es einen roten Faden beim angesagten Narrativ?

Zurzeit präsentieren uns die Nachrichten eine politische Landschaft, bei der einem zuerst das Wort Dekonstruktion einfällt. Als würde es nicht genügen, dass einige SPD-Granden sich tatsächlich nicht so benehmen, wie man es von Politprofis erwartet, nein, die Presse streut tagaus tagein mit Hochgenuss Salz in die Wunden des gesamten Politbetriebes. Und wenn sie keine neuen Wunden findet, schlägt sie selber welche.
Zuerst bot sich die FDP zum Kopfschütteln an, nachdem sie die Jamaica-Sondierung abgebrochen hat, dann hat die SPD-Führung selbst einiges dafür getan, um nicht ernst genommen zu werden. Schliesslich wird bei der CDU eine Merkel-Dämmerung herbeigeredet. Zwischendurch gibt es das übliche AfD-Bashing, so wie beim Zirkus der Pausenclown durch die Manege stolpert. Interessanterweise bleiben die Grünen und überwiegend auch die Linken verschont von dieser Negativ-Inszenierung.
Damit kein Missverständnis aufkommt: Hier soll nicht um Mitleid für gebeutelte Spitzenpolitiker geworben werden. Es geht um die Frage: Welches Stück wird gerade gespielt? Da fällt auf, dass gerade die politische Mitte, die sich normalerweise der medialen Unterstützung sicher sein kann, zurzeit intensiv und parteiübergreifend aufs Korn genommen wird. Obwohl es nach kurzer Verhandlungszeit einen Koalitionsvertrag für eine Union-SPD-Regierung gibt, der zu anderen Zeiten vor allem Applaus erlebt hätte. Gewiss, dieser Vertrag enthält viele allgemeine Absichtserklärungen und wenig verbindliche Pläne – für jeden etwas zum Freuen und zum Ärgern – nichts, was grosse Begeisterung und Aufbruchsstimmung zu fruchtbaren Ufern verkünden würde. Aber das war bei ähnlichen Gelegenheiten früher schliess­lich kein Grund, mediale Zustimmung und flankierende Propaganda zu verweigern. Was ist da los?
In der Talkshow bei Maybritt Illner am 15. Februar 2018, um nur ein Beispiel zu nennen, bekommt ein unbekanntes SPD-Mitglied namens Gründinger, vorgestellt als Vertreter der jungen Generation, mehr Redezeit als der amtierende Parteivorsitzende. Er wird, anders als sonst üblich, kaum unterbrochen bei seinen kritischen Ausführungen über die alte Politiker-Generation. Anderswo wird ein Jens Spahn zum neuen Hoffnungsträger der CDU hochgeredet, ein Mann, den niemand aus der politischen Arbeit für die Bürger kennt, ausser er wäre selbst in den Tiefen des Parteiapparates oder der transatlantischen Netzwerke zu Hause (<link www.heise.de tp features>www.heise.de/tp/features/Ausgemerkelt-Jens-is-waiting-3975098.html). Das einstweilige Verschwinden des Grünen Cem Özdemir von der Vorderkante der Bühne wird dagegen allgemein bedauert.
Man registriert, dass die SPD laut Umfragen inzwischen ungefähr gleichauf mit der AfD liegt. Da man inzwischen weiss, dass die meinungsbildenden Medien eine nicht zu unterschätzende Macht besitzen, denkt man sich: Ist das vielleicht gewollt? Fassen wir zusammen: Die bisher verantwortlichen politischen Akteure und ihre Parteien haben eine schlechte Presse – trotz einer wirtschaftlichen Situation Deutschlands, die zugleich weitherum als beneidenswert dargestellt wird, trotz eines Koalitionsvertrages, der ebenso gut als gelungener Kompromiss verkauft werden könnte; und noch bevor die neue Kanzlerin gewählt ist, wird lauthals über ihre(n) Nachfolger(in) spekuliert. Die Kanzlerin fühlt sich gezwungen, selbst jemanden vorzustellen, aber ob Kramp-Karrenbauer gegen Spahn und die von den Think tanks offenbar geliebten Grünen Bestand haben wird, ist noch nicht entschieden.
Bei diesem Destruktionstheater muss man unweigerlich an Frankreich vor einem Jahr denken. Dort fand eine Neuordnung statt, bei der die traditionellen Parteien, die alte ­politische Elite, an den Rand gedrängt wurde, teils durch eigenes Versagen begünstigt; und es geschah eine Polarisierung zwischen dem Front National und dem medial raketenhaft aufgebauten Macron. Das politische System Frankreichs bot für diesen radikalen Umbau sicher bessere Bedingungen als Deutschland. Aber findet bei uns nicht gerade etwas Ähnliches statt? Langsamer, mit deutscher Gründlichkeit eben, angepasst an unser politisches System, und bisher noch in der Destruktionsphase, aber doch mit Parallelen.
Das Narrativ, um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, war in Frankreich das Thema EU und internationale Vernetzung hier oder Nation dort, also: Zukunft oder Vergangenheit, Licht oder Schatten? Wer genauer bei uns hinschaut, wird Parallelen finden. Inhaltliche Debatten finden zwar kaum statt, desto weniger, je länger sie anstelle von Personaldebatten gefordert werden. Das Bekenntnis zur EU als Zukunftsprojekt und Seitenhiebe gegen die, die zum Nationalstaat zurückwollen (als gäbe es den schon nicht mehr!), sind allerdings überall präsent. Ebenso die neoliberalen Bedenken gegen allzu viele soziale Leistungen und die Werbung für Investitionen in mehr Ausrüstung für eine angeblich unterversorgte Bundeswehr.
Die AfD ist den Medien willkommen als Repräsentant des Gestrigen, als dunkler Hintergrund, vor dem das lichte Gegenbild erstrahlen soll. Dieses Gegenbild darzustellen fällt allerdings noch schwer: Die EU ist einerseits nicht beliebt beim Bürger, auch wenn die Propaganda des Antinationalen andererseits schon kräftige Wurzeln geschlagen hat. Ein Martin Schulz war wohl ein Versuch, mit der EU in der Bundespolitik zu punkten; aber er hat sich persönlich zu ungeschickt angestellt; auf der nationalen Bühne hat er sich nur als Laiendarsteller erwiesen.
Die Geschichte ist noch nicht zu Ende. Wenn die hier angedeuteten Überlegungen richtig sind, werden wir weitere Versuche erleben, politische Debatten zu entleeren und eine Zuspitzung auf das Thema EU oder Nation zu lenken, verbunden mit weiterer Sozialstaatsschelte und der Notwendigkeit militärischer Aufrüstung. Bald wird uns ein politischer Führer aus der jüngeren Generation vorgestellt werden, der das Projekt EU noch aggressiver als bisher lancieren wird. Oder nein: Wahrscheinlich wird es bei uns, anders als im präsidial geprägten Frankreich, eher eine junge Führungsclique in verschiedenen politischen Farben sein. Ein strahlender Held wie Macron oder Kurz fehlt noch, deshalb wird es eher ein parteiübergreifendes Team sein, was ja auch Sympathien wecken kann.
Das antinationale Narrativ wird mit dem Thema Krieg gegen die inzwischen ungezählten Wiedergänger Hitlers verbunden bleiben, pardon, mit dem Thema internationale Verantwortung und humanitäre Hilfe. Damit würden ja nicht zum ersten Mal ­politische Meinungsverschiedenheiten im Volk eingeebnet werden. Ich kenne keine Parteien mehr … dieser Satz des Kaisers von 1914 würde heute wohl heissen: Ich kenne keine Nationen mehr, ich kenne nur noch Europäer. So ähnlich formulierte es schon der kommissarische Aussenminister Gabriel kürzlich bei der Münchener Sicherheitskonferenz: «Eu­ropa ist nicht alles, aber ohne Europa ist alles nichts.» Ach wirklich? Und worauf hat er seinen Amtseid geleistet?
Das politische Destruktions- und bald auch Neubau-Projekt wird wohl nicht ganz so einfach zu realisieren sein wie in Frankreich – da hat unser Parteiensystem sogar einen positiven Bremseffekt; und wohl auch nicht so einfach wie zu Kaiser Wilhelms Zeiten – dazu gibt es inzwischen eine zu starke Gegenöffentlichkeit. Die muss aber zusammenfinden und zusammen wirken. Und sie muss die spezifische Polarisierung, die gerade aufgebaut wird, durchschauen. Das ist die Hauptsache bei der antidemokratischen und kriegstreibenden Propaganda, der wir ausgesetzt sind.    •

*    Christian Fischer ist promovierter Diplom-Ingenieur und Autor von zwei Büchern zur deutschen Demokratie («Demokratisches Manifest 21,  Souveräne Bürger – direktere Demokratie», 2012, ISBN: 978-3-8301-1558-8 und «Demokratie buchstabieren», 2014, ISBN: 978-3-7357-9273-0). Er lebt in Köln.

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