Was tun in Zeiten des Krieges?

Deutschland Was tun in Zeiten des Krieges?

von Karl Müller*

Wenige Wochen vor seinem Tod am 27. November 1947, gezeichnet von den Schrecken des Weltkrieges und noch nicht einmal 27 Jahre alt, hat der deutsche Dichter Wolfgang Borchert einen seiner berühmtesten Texte verfasst: «Dann gibt es nur eins!» Wolfgang Borchert rief in diesem Gedicht alle Menschen dazu auf, zu allen Handlungen, die zum Krieg gehören, künftig nein zu sagen, … und er zeigte in drastisch anschaulichen Bildern auf, was passieren würde, wenn dies erneut nicht gelingen sollte.
Deutschland führt schon seit fast 20 Jahren wieder Kriege. Ganz offen 1999 in Jugoslawien, seit 2002 in Afghanistan, auch beim Irak-Krieg seit 2003 hat Deutschland mittelbar mitgemacht. Deutsche Soldaten sind in einigen Ländern der Welt stationiert und greifen ins Kriegsgeschehen ein: auch in Syrien und im Irak. In der Ukraine hat die deutsche Regierung den Staatsstreich nach Kräften gefördert und schliesslich – gegen anderslautende offizielle Vereinbarungen – tatkräftig gutgeheissen. Eine der Folgen war der bis heute anhaltende Krieg im Osten des Landes mit Tausenden Opfern. – Am 7. März 2018 hat die Bundesregierung erneut beschlossen, eine Reihe von Auslandseinsätzen der Bundeswehr verlängern zu wollen. Dabei werden sogar manchmal die Fronten gewechselt, wenn es opportun erscheint: im Irak zum Beispiel zuerst mit den Kurden, künftig mit der irakischen Armee (die gegen die Kurden kämpft).
Dass sich Deutschland im Krieg befindet, soll möglichst kein öffentliches Thema sein, zumindest nicht unmittelbar. Die verantwortlichen deutschen Politiker sprechen lieber davon, dass Deutschland «mehr Verantwortung in der Welt» übernimmt. Die Bundeswehr ist nicht mehr dazu da, Kriege zu verhindern. Aus ihr ist eine «Armee im Einsatz» geworden. Auch der «Gefallenen» wird schon wieder gedacht.

In Zeiten des Krieges wird nicht die Wahrheit gesagt

Als Deutsche täten wir gut daran, uns darauf einzustellen, dass in Zeiten des Krieges nicht die Wahrheit gesagt wird. Zur Kriegspropaganda gehören Feinde und Feindbilder. Ganz vorne stehen dabei derzeit der syrische Präsident Assad und der russische Präsident Putin. Wir müssen leider davon ausgehen, dass wir nicht die Tatsachen über Assad und Putin erfahren, sondern lauter Dinge, die zu einem Feindbild passen. Das ist ein gefährliches Spiel. In einem gewissen Sinne befindet sich Deutschland schon wieder in einem Weltkrieg, auch wenn auf unser Land bislang noch keine Bomben und Raketen fallen. Lokal begrenzte Kriege standen auch am Anfang des Ersten und des Zweiten Weltkrieges. Und dass in diesen «lokal begrenzten» Kriegen auch dieses Mal wieder die Grossmächte verwickelt sind, ist keinerlei Geheimnis mehr.
Geschichtswissenschaftler haben es gerne, wenn man für Kriege einen genauen Beginn und ein genaues Ende angeben kann. Zum Beispiel für den Ersten Weltkrieg: vom 28. Juli 1914 bis zum 11. November 1918; oder für den Zweiten Weltkrieg: vom 1. September 1939 bis zum 7. Mai 1945. Aber ist das wirklich sinnvoll? Gehören die Balkan-Kriege vor 1914 und die zahllosen Kriege im Osten Europas nach 1918 nicht auch zum Ersten Weltkrieg? Gab es überhaupt ein festes Ende des Ersten Weltkrieges, oder muss man nicht ehrlicherweise sagen, dass es zwischen dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg nur lokal begrenzte Waffenstillstände gab – trotz der sogenannten Friedensverträge?

Neuere Forschungen zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

Was wissen wir überhaupt über die Vorgeschichte, den Verlauf und die Folgen der Kriege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Mit wachsendem zeitlichen Abstand erscheinen auch in deutscher Sprache umfangreiche Werke, die bislang Geglaubtes mit guten Argumenten und Fakten in Frage stellen. Zum Beispiel die Bücher von Wolfgang Effenberger und Willy Wimmer («Wiederkehr der Hasardeure. Schattenstrategen, Kriegstreiber, stille Profiteure 1914 und heute»), von Andreas von Bülow («Die deutschen Katastrophen. 1914 bis 1918 und 1933 bis 1945 im Grossen Spiel der Mächte») oder von ­Nikolay Starikov («Wer hat Hitler gezwungen, Stalin zu überfallen?» als Übersetzung eines russischen Originals). Mittlerweile sind wir es schon gewohnt, dass Infragestellungen des bislang Geglaubten mit dem Etikett «Verschwörungstheorie» abgetan werden. Für viele Menschen werden solche Theorien durch solche Etiketten aber erst so richtig interessant. Viele kennen die Kurzformel: «Die Sieger schreiben die Geschichte.» Das greift wahrscheinlich zu kurz. Aber es gibt viele Belege dafür, dass Geschichtsbetrachtungen immer wieder für politische Ziele instrumentalisiert werden und dabei die Wahrheit auf der Strecke bleibt.

Wir wollen die Wahrheit wissen

Da wir Menschen mit Vernunft begabt sind und selbst denken können, spricht nichts dagegen, sich von «Verschwörungstheorien» selbst ein Bild zu machen – allen Kampagnen zum Trotz. Und das ist bitter notwendig. Es ist wohl die erste Antwort auf die Frage, was es in Zeiten des Krieges zu tun gilt: sich darum bemühen, der Wahrheit auf die Spur zu kommen. Noch ist es in unserem Land nicht gefährlich, wenn man Bücher und Artikel liest, wenn man zugängliche Quellen studiert. Noch wird das Hören von «Feindsendern» nicht bestraft. Wobei der offizielle Kampf gegen sogenannte «fake news» schon bizarre Formen angenommen hat. Aber gegen «fake news» sind wir ja auch, wir wollen ja die Wahrheit wissen.

Sich nicht gegeneinander aufhetzen lassen

Zweitens: Sich nicht gegeneinander aufhetzen lassen. «Divide et impera!» (Teile und herrsche!) ist eine Machtmethode seit mehr als 2000 Jahren. Sie wird auch heute noch angewandt. Die überwiegende Anzahl der Menschen will in Frieden mit dem Mitmenschen leben, will, dass es auch dem anderen gut geht, sucht nicht einfach so nach Streit und Konflikt. Aber Streit und Konflikt können geschürt werden, da wird Öl ins Feuer gegossen. Zwischen den Völkern, aber auch innerhalb unseres Landes. Eigentlich ein alter Hut, aber leider funktioniert es immer wieder. Hier kann jeder ganz bewusst gegensteuern. Wem dient es, wenn wir uns streiten? Uns sicher nicht!

Aufrechte Haltung bewahren

Ein dritter Schritt ist, aufrechte Haltung zu bewahren. Ich lasse mich nicht irritieren in meinem wachen Empfinden für das, was Recht und Unrecht ist. Dafür braucht es Gefühl und Verstand. Die Propagandisten des Krieges und der Feindbilder appellieren an unser Gefühl mit emotional geladenen Botschaften und vor allem Bildern. Am besten ist es, nichts sofort zu glauben, sondern immer den Sachen auf den Grund zu gehen. Unsere Medien sind leider keine grosse Hilfe dabei, vieles in ihnen ist Teil des Propagandaapparates. Das hat verschiedene Gründe, die Journalisten an sich sind keine schlechteren Menschen als du und ich. Ich muss mich also auf meinen wachen Verstand besinnen und kritische Fragen stellen. Schon in der Schule haben wir zum Beispiel die Bedeutung der «W-Fragen» kennengelernt. Wenn die nicht stimmig beantwortet werden, ist Vorsicht geboten. Aber es darf auch niemand genötigt werden, sich ständig zu bekennen oder gar Widerstand zu leisten. Bertolt Brecht hat in seiner Parabel «Mass­nahmen gegen die Gewalt» einen Mann vorgestellt, der niemals offenen Widerstand gegen die Gewalt leistete. Er sagte, seine Aufgabe sei es nicht, sich das Rückgrat brechen zu lassen. Aber er hat sich immer geweigert, der Gewalt innerlich zu dienen. Das ist das mindeste.

Ohne Freunde geht es nicht

Viertens geht alles nicht ohne Freunde, ohne Menschen, denen ich vertrauen kann und mit denen ich mich frei und offen über alles austauschen kann. Ehrliche zwischenmenschliche Beziehungen sind unverzichtbar. Behutsam und sorgfältig Beziehungen zu Menschen aufbauen, die ich neu kennenlernen möchte. Und im Gespräch dann merken, dass der andere ähnliche Fragen hat wie ich und so froh ist, jemanden zu treffen, mit dem auch er seine Gedanken austauschen kann.

Überleben sichern!

Fünftens, und das ist im Krieg das Wichtigste: Überleben sichern! Mein Leben und das Leben anderer. Das klingt für uns Deutsche noch sehr weit weg. Für die Menschen in den akuten Kriegsgebieten ist das nicht so. Aber auch diese Menschen haben ein Recht auf Leben wie wir. Wo ich kann, prangere ich das Unrecht und die Unmenschlichkeit des Krieges an. Ich nenne Ross und Reiter. Menschen, die von einer «humanitären Intervention» sprechen oder wie die schlimmen Lügen sonst alle heissen, müsste die Stimme versagen ob solcher Ungeheuerlichkeiten. «War is obsolete!» sagte ein US-Veteran, der die Schrecken des Krieges hautnah mitbekommen hat, vor ein paar Jahren. Daran hat sich nichts geändert und wird sich nichts ändern, mögen unsere «Verantwortlichen» auch noch so unmenschlich kriegerisch handeln. «War is obsolete!»

Parteien werden wohl nicht helfen können

Sechstens: Es wird nichts nutzen, darauf zu hoffen, dass andere die Probleme lösen. Die Geschichte der Parteien in der Bundesrepublik Deutschland hat seit 1945 eines gezeigt: Die Parteien werden im Gegensatz zur Bestimmung im Grundgesetz nicht «frei» gegründet. Die Anliegen vieler ehrlicher Parteimitglieder müssen zurücktreten, wenn es um Wesentliches geht. Dann kommen andere Kräfte zum Zug, dann wird top-down entschieden. Dann geht es um strategische Schachzüge von Menschen im Hintergrund. George Soros ist ein Synonym dafür.
Direkte Demokratie täte Deutschland gut
Und siebtens: Am besten täte Deutschland eine ehrliche direkte Demokratie auf allen staatlichen Ebenen. Aber auch die kann nicht verordnet werden. Das ist ein Langzeitprojekt, an dem über die Wirrnisse der Zeit hinweg von den Bürgern, von vielen Bürgern gearbeitet werden muss. Zur direkten Demokratie gehört eine politische Kultur des Dialogs und der ehrlichen, gleichwertigen Auseinandersetzung, die Bereitschaft, die eigenen und die Anliegen anderer kennenzulernen und in Einklang bringen zu wollen, Kompromisse zu finden und dem Gemeinwohl zu dienen. Eine Arbeit für bessere Zeiten – mit der heute begonnen werden kann.    •

* Karl Müller ist deutscher Staatsbürger und unterrichtet an einer deutschen Schule. Er schreibt regelmässig für die Zeitung Zeit-Fragen.

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