Wilhelm Röpke heute

Wilhelm Röpke heute

Zur Aktualität des grossen liberalen Ökonomen und Publizisten

von Dr. rer. publ. Werner Wüthrich

Das Liberale Institut in Zürich hat ein Buch herausgegeben mit dem Titel «Wilhelm Röpke heute». Wilhelm Röpke war einer der herausragenden liberalen Ökonomen in der Kriegs- und Nachkriegszeit. Er hat in der Schweiz gelebt und zählt zu den Vertretern des Ordo­liberalismus oder des Rheinischen Kapitalismus. Er gilt zusammen mit Walter Euken, Alexander Rüstow, Ludwig Erhard und anderen als einer der geistigen Architekten des Wirtschaftswunders im Nachkriegsdeutschland. Verschiedene Autoren aus mehreren Ländern würdigen im vorliegenden Buch sein Leben und Werk und verbinden seine Gedanken mit aktuellen Fragen von heute. (Die angegebenen Seitenzahlen im Text beziehen sich auf das genannte Buch.)

Wilhelm Röpke wurde 1899 in einer Kleinstadt in der Lüneburger Heide geboren und verlebte – wie er oft erzählte – eine glückliche Kindheit in einer Umgebung mit Dörfern und kleineren Städten, mit traditionellen Gemeinschaften und mit einem gepflegten Handwerker- und Bauerntum.

Verbunden mit der Schweiz

Röpke sympathisierte nach dem Ersten Weltkrieg mit dem Sozialismus. Er wurde mit 24 Jahren an der Universität Jena zum damals jüngsten Professor für Ökonomie in Deutschland ernannt. Seit 1930 warnte er immer wieder vor einer nationalsozialistischen Diktatur. Er nahm kein Blatt vor den Mund – weder als Professor der Volkswirtschaftslehre noch als deutscher Bürger. Als die Nazis an die Macht kamen, wurde er 1933 wegen «unnationalem Verhalten» in den vorzeitigen Ruhestand versetzt. Als ihn SS-Leute zu Hause aufsuchen wollten, wusste er, dass er in Gefahr war. Vorerst emigrierte er nach London, wo er John Maynard Keynes und Friedrich August von Hayek traf. 1937 kam er nach Genf. Bald fühlte er sich mit der Schweiz sehr verbunden, weil er hier die meisten seiner Lebensgrundsätze in der Praxis wiederfand. Hier blieb er bis zu seinem Tod im Jahr 1966. Röpke lehrte an dem von William Rappard gegründeten Institut Universitaire de Hautes Etudes Internationales in Genf. Viele bedeutende Persönlichkeiten studierten bei ihm – wie der spätere einflussreiche Direktor des Schweizerischen Handels- und Industrievereins (Vorort) Gerhard Winterberger. In den Jahren 1942 bis 1945 schuf er seine bedeutende Trilogie «Die Gesellschaftskrisis der Gegenwart», «Civitas Humana» und «Internationale Ordnung».

Liberal aus Überzeugung

Wilhelm Röpke war mit Herz und Seele ein Liberaler, der viele Jahre für Wirtschaftsfreiheit, den freien Markt und gegen ein Zuviel an staatlicher Intervention geschrieben und gelehrt hat. Er war ein Bewunderer der grossen liberalen Revolutionen des 18. und 19. Jahrhunderts, die die absoluten Monarchien in die Schranken gewiesen und durch Regierungen mit verfassungsmässig beschränkter Macht ersetzt hatten.
Nie zweifelte er an der Überlegenheit von möglichst freien Märkten – eingebettet in eine wertbewusste und starke Zivilgesellschaft. Er bevorzugte inhabergeführte Unternehmen und hatte eine gesunde Skepsis gegenüber Grosskonzernen. Diese hätten wegen ihrer Grösse zwar auch ihre Vorteile, dürften aber in der Gesetzgebung nicht bevorzugt werden. (S. 88)
Röpke kämpfte nicht nur gegen den totalitären Kollektivismus von National- und anderen Sozialisten, sondern war auch gegen übermässige Staatseingriffe und Planung in der Marktwirtschaft. In der grossen Wirtschaftskrise der dreissiger Jahre waren Zweifel aufgekommen, ob die freiheitliche Marktwirtschaft nicht durch eine staatlich gesteuerte Ordnung ersetzt werden sollte. Der Staat müsse es richten, bei Schwierigkeiten energisch eingreifen, hiess es schon damals, grosse Unternehmen retten, mit staatlichen Ausgaben für Nachfrage sorgen und so eine stagnierende Wirtschaft anschieben, für soziale Gerechtigkeit sorgen und manches mehr. Das alles solle von oben gesteuert, geplant und mit Schulden und über die Notenpresse finanziert werden. John Maynard Keynes vertrat diese interventionistische Politik. Röpke dagegen sah den Staat eher in der Rolle des Schiedsrichters, der für die Einhaltung der Spielregeln sorgt, und nicht als Steuermann, der die Spielzüge vorgibt oder gar aktiv mitspielt.

Ordoliberale Grundsätze

Die Marktwirtschaftler unter den Ökonomen gehen von der Frage aus: Welche rechtlichen Bedingungen und ordnungspolitischen Grundsätze müssen in einer freiheitlichen Wirtschaft gegeben sein, damit diese funktioniert und sich in einer lebensdienlichen Umwelt gut entwickelt?
Kern von Röpkes Lehrgebäude ist die Wirtschaftsfreiheit im Rahmen einer freiheitlichen Gesellschaftsordnung. Er leitete die Wirtschaftsfreiheit – in seiner Zeit wurde sie in der Schweiz als Handels- und Gewerbefreiheit bezeichnet – naturrechtlich aus der persönlichen Freiheit und Würde des Menschen ab. Dazu gehört ein gesetzlicher Rahmen mit Grundsätzen wie der Garantie des Privateigentums, der Vertragsfreiheit und offenen Märkten. Dazu gehören weiter währungspolitische Stabilität, dezentrale Regelungen, eine zurückhaltende Wirtschafts­politik, moderate Steuerbelastung, Pflege des Bildungswesens, Schutz von Schwachen, ein gewisser sozialer Ausgleich, verbunden mit einem Auffangnetz. Dies alles ist eingebettet in einen freiheitlichen Rahmen mit möglichst viel Selbstbestimmung, Unternehmergeist, freiheitlicher Kooperation und Eigenverantwortung. – Ein solcher Staat – so Röpke – entspricht der Würde und Freiheit des Menschen weit besser als ein kollektivistischer Staat – sei er nun von nationaler oder sozialer Art.

Wertorientierung

Wilhelm Röpke und auch andere Liberale vertraten engagiert die Überzeugung, dass der freie Markt keinen Automatismus beinhaltet, der alle Fragen aus sich selber heraus löst (Laisser faire). So hat jeder Wochenmarkt seine Regeln, die eingehalten werden müssen.
Für Röpke gehört aber auch eine Wert­orien­tierung dazu – eine Ethik, die vom einzelnen Menschen ausgeht und die Mitmenschen einbezieht. Angebot und Nachfrage (von denen die Ökonomen ständig reden) sind ja nichts Abstraktes, sondern dahinter stehen einzelne und recht unterschiedliche Menschen, die arbeiten, sich betätigen, etwas produzieren, eine Dienstleistung anbieten, konsumieren usw. Ein Menschenbild, das nicht von der Masse Mensch ausgeht, sondern vom einzelnen Individuum, war für Röpke Grundlage jeglicher Ökonomie. Röpke war deshalb auch kein Freund von Modellen, in denen Angebot und Nachfrage auf quantifizierbare und messbare Grössen reduziert werden und die Menschen nur utilitaristisch handeln.
Welche Werte sind für Röpke wichtig? Er nennt Tugenden wie Fleiss, Aufmerksamkeit, Sparsamkeit, Pflichtgefühl, Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Angemessenheit. An anderer Stelle ergänzt er persönliche Eigenschaften wie Mut, Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit – verbunden mit Grundsätzen aus dem Geschäftsleben wie «Pacta sunt servanda» (Verträge sind einzuhalten) und Treu und Glauben. Zudem gehören zum Privateigentum gesellschaftliche Verantwortung und zum Markt Einrichtungen wie zum Beispiel eine Kartellbehörde, die den Wettbewerb sicherstellt und Monopole verhindert.
Röpke betont immer wieder, dass ethische Rahmenbedingungen nicht von allein entstehen. Der Markt kann sie nicht selber hervorbringen, sondern der Mensch muss sie mitbringen, wenn er auf den Markt geht.

Wie entstehen Werte?

Röpke nennt insbesondere kleine Gemeinschaften in der Zivilgesellschaft, in denen solche Werte entstehen und vermittelt werden wie zum Beispiel die Familie, die Kirche, die Klassengemeinschaften in der Schule, echte Gemeinschaften wie Vereine, Verbände, Genossenschaften, Freundes- und Gesinnungskreise und ähnliches mehr. Diese Gemeinschaften tragen zur Bildung einer individuellen Identität bei, auch indem sie Traditionen und ein geschichtliches Bewusstsein pflegen.
Auf eine Kurzformel gebracht: Röpke war ein liberaler Wertkonservativer, der immer und immer wieder betonte, dass freie Marktwirtschaft an Werte anknüpfen muss, für die wir uns täglich neu einsetzen sollten. (S. 92) Sie sind die unentbehrlichen Stützen, die den Markt vor Entartung bewahren. Das ist sein bleibendes Vermächtnis.
«Die Marktwirtschaft hat nur Bestand, wenn jene Werte, Sitten und Regeln erhalten bleiben, die jenseits von Angebot und Nachfrage heranwachsen.» (Wilhelm Röpke. Jenseits von Angebot und Nachfrage. 1958)

Wo gedeihen kleinere Gemeinschaften gut?

Die Antwort ist für Röpke klar: In kleinräumigen und dezentralen Strukturen. Unterdrückung, Korruption, Willkür und Kollektivismus nehmen stets ihren Anfang mit der Zerrüttung und Zerstörung von kleineren Gemeinschaften. Deshalb sind für ihn Föderalismus und kommunale Selbstverwaltung Grundpfeiler für eine freiheitliche Gesellschaftsordnung – mit starken Genossenschaften, ausgeprägten Vereinsstrukturen und einem republikanischen Bürgersinn, der sich nicht nach oben orientiert, weil er keine Elite braucht, die ihm das Denken abnimmt. Röpke rief unermüdlich dazu auf, den «Sinn des Gemeinschaftslebens» wiederzufinden. (Alain Laurent, S. 156)
Solche Gedanken sind zweifellos stark von der Schweiz inspiriert, wo Röpke dreissig Jahren lang gelebt hat. Hier hat er auch eine verträgliche und massvolle Streit- und Diskussionskultur miterlebt.

Hintergrund von Röpkes Ideengebäude: die politische Kultur der Schweiz

Wilhelm Röpke hat sich mit zahlreichen Artikeln an den politischen Auseinandersetzungen beteiligt – vor allem mit Zeitungsartikeln in der «Neuen Zürcher Zeitung», in Zeitungen der französischen Schweiz und in den Schweizerischen Monatsheften. Er hat auch etliche Volksabstimmungen miterlebt. Er erwähnt sie zwar in seinen Büchern nicht direkt, weil er nie ein Buch über die Schweiz geschrieben hat. Wer aber wie Röpke als Liberaler den «Sinn des Gemeinschaftslebens» betont, für den ist nicht nur Selbstbestimmung wichtig, sondern auch Mitbestimmung – ein Prinzip, das in den liberalen Wirtschaftsartikeln der schweizerischen Bundesverfassung zu finden ist.
Die Handels- und Gewerbefreiheit als individuelles Grundrecht und auch als Grundsatz für die Ausgestaltung der Wirtschaftsordnung hat in der Schweiz ihren Ursprung in den Kantonsverfassungen des 19. Jahrhunderts. Sie wurde 1874 in die Bundesverfassung übernommen, nachdem sie sich in den Gemeinden und Kantonen bereits bewährt hatte. Einzigartig war allerdings, dass die Stimmbürger damals die Wirtschaftsfreiheit mit der direkten Demokratie verbanden. Das heisst, dass das Volk die Eckpunkte des Ordnungsrahmens und die Weichen in der Wirtschaftspolitik weitgehend selber bestimmt – was in einer Vielzahl von Volksabstimmungen auch erfolgt ist. Wenn man zu den reinen Wirtschaftsabstimmungen auch sozial-, umwelt- und finanzpolitischen Abstimmungen (die dazu gehören) dazuzählt, sind es auf Bundesebene bis heute über zweihundert Abstimmungen – auf Gemeinde- und Kantons­ebene unzählige mehr. Der Begriff «soziale Marktwirtschaft», den Röpke gewählt hat, verbindet sich in der Schweiz mit der «sozialen Demokratie». – Das wird der Grund sein, dass die Schweiz weltweit das einzige Land ist, das die Wirtschaftsfreiheit als Menschen- oder Freiheitsrecht anerkennt. (Kölz 2004, S. 870) Weder das deutsche Grundgesetz noch die amerikanische Verfassung gehen ähnlich weit.

Röpke heute – europäische Integration, GATT und WTO

Die Autoren des Buchs «Wilhelm Röpke heute» ziehen gedankliche Verbindungen zu den aktuellen Fragen von heute wie europäischer Integration, Globalisierung und Sozialstaat. Auch dazu einige Hinweise und Bemerkungen:
Röpke war kein radikaler Gegner der europäischen Integration. Er war ein Mahner und Kritiker jeder Form überzogener Zentralisierung, Bürokratisierung und Mono­poli­sierung. Dazu Richard Ebeling in seinem Aufsatz «Freiheitliche politische Ökonomie in einer post-totalitären Welt» (S. 97): Röpke war grundsätzlich der Integration Europas nicht abgeneigt, insistierte aber darauf, dass diese von unten kommen müsse. Die Integration würde effektiver vonstatten gehen, wenn sich die Nationen intern und unilateral liberalisieren und nach ihrem Gusto öffnen. So wären supra-europäische Institutionen nicht notwendig, die den Integrationsprozess von oben managen und gar erzwingen. Röpke würde in den heutigen Reaktionen der Visegrad-Länder wie Ungarn, Polen, Tschechien und Slowenien eine natürliche Reaktion auf die Zentralplaner in Brüssel sehen. Einzig möglicher Mittelweg war für ihn ein echter «Dezentrismus» (Gerd Habermann, S. 87), der auf einem massgeschneiderten Freihandel aufbauen würde – ohne zentrale Führung oder Diktat. Röpke würde der EU heute empfehlen, sich auf das zu besinnen, was wirklich funktioniert, und einen Rückbau ins Auge zu fassen, der den einzelnen Ländern wieder mehr Spielraum belässt.
Auch das damalige GATT hatte Röpke gefallen, weil das Abkommen flexibler und weniger strikt war als die heutige WTO (die in ihrem überzogenen Ansatz mehr oder weniger gescheitert ist). Im GATT hatten die Entwicklungsländer einen grossen Freiraum, und Ausnahmen waren möglich. Sogar der Schweiz war es 1966 gelungen, ein Abkommen auszuhandeln, das die selbstbestimmte Landwirtschaftspolitik in den siebziger und achtziger Jahren mit zahlreichen Volksabstimmungen möglich machte. Die strikten Regeln der WTO und der EU bevorzugen dagegen Grosskonzerne und schränken die Souveränität der Länder ein.

EFTA als Alternative

Dazu der US-Amerikaner Samuel Gregg: «Röpke hatte eine klare Vorstellung von einer Alternative zur EU: die Europäische Freihandelsassoziation (EFTA), welche 1960 als Gegenmodell zur EWG gegründet wurde. Die EFTA fokussierte sich nicht nur darauf, Freihandel zwischen seinen Mitgliedern und zu nicht-europäischen Drittstaaten sicherzustellen, sondern sie verzichtet auch auf eine grossangelegte Bürokratie  und auf Versuche, ihren Mitgliedern eine sozialdemokratische Politik von oben zu verordnen.» (S. 143) Freihandel ja – war Röpkes Credo – aber mit Wahrung der demokratischen Strukturen und nationalen Eigenheiten. Die EFTA beschäftigte nie mehr als 200 Mitarbeiter – auch nicht in den Jahren, als sie noch mehr Mitglieder hatte. Heute beschäftigt die EFTA in Genf noch ungefähr 100 Mitarbeiter. Die EU beschäftigt in Brüssel ungefähr 75 000. Grossbritannien (das heute aus der EU austreten will) hat sich 1957 an der EWG nicht beteiligt und war 1960 Gründungsmitglied der EFTA – ebenso wie Österreich, Schweden, Dänemark und Norwegen, Portugal, Liechtenstein und die Schweiz. Grossbritannien trat erst 1972 der EG bei – auf Druck der USA (wie heute zugängliche Dokumente belegen – vgl. dodis.ch/30116). Heute erinnern sich die Briten, dass es eine Alternative zur zunehmend zentralistischen EU gibt.

Trennung von Wirtschaft und Politik

Röpke befürwortete in Europa – wie Richard Ebeling (USA) in seinem Beitrag ausführt (S. 114) – eine Friedens- und Wirtschaftsordnung, die Politik und Wirtschaft trennt. In der Schweiz war das Team um Bundesrat Schaffner in den 1960er Jahren dieser Em­pfehlung gefolgt, als es den grossen Freihandelsvertrag der EFTA-Länder mit der damaligen EWG aushandelte. Sie hatten Erfolg. Der Vertrag erreichte 1972 in der Volksabstimmung eine Zustimmung von über 70 Prozent, und der Vertrag hat sich bewährt, wurde nach und nach ausgebaut und gilt noch heute. Er hätte auch weiter ausgebaut werden können. Dies ist jedoch nicht erfolgt, weil der Bundesrat auch nach dem EWR-Nein des Volkes im Jahr 1992 noch mehr als 10 Jahre das strategische Ziel verfolgte, der EU beizutreten. Die «Bilateralen» sollten den Weg dazu ebnen. Darin unterscheiden sie sich vom Freihandelsvertrag von 1972.
Röpke wäre auch kein Freund eines Rahmenabkommens, das die Schweiz politisch noch stärker an die EU anbinden würde, das sich zu einer immer «engeren Union» weiterentwickelt. Der ehemalige deutsche SPD-Präsident Martin Schulz zum Beispiel wollte, dass die «Vereinigen Staaten von Europa» bis 2025 Wirklichkeit werden. Wilhelm Röpke dagegen würde der EU einen Rückbau empfehlen auf das, was in einem freiheitlichen Europa auch wirklich funktioniert.

Aktuelle Fragen

Auch die von Brüssel von oben verordnete grenzüberschreitende Strommarktliberalisierung soll die auch in der Energieversorgung recht unterschiedlichen Länder politisch enger zusammenfügen. Sie funktioniert mehr schlecht als recht. Brüssel will, dass die Schweiz hier andockt. Röpke würde dies kaum befürworten, weil diese zentralistische Ordnung auf Grosskonzerne ausgerichtet ist, während in der Schweiz nach wie vor über 600 kleinere und mittlere Elektrizitätsbetriebe mit oft eigenen Wasserkraftwerken die Haushalte und Betriebe in ihrer Region zuverlässig mit Strom zu Gestehungskosten versorgen.
Röpke befürwortete ein soziales Auffangnetz – aber nicht einen Sozialstaat, der die Eigenverantwortung und Selbsthilfe, das Milizsystem und die gegenseitige Unterstützung in den Kommunen und kleineren Gemeinschaften schwächt. Erich Weede (Deutschland) weist in seinem Beitrag «Die Krise des zeitgenössischen Wohlfahrtsstaates» (S. 119) darauf hin, dass der heutige Sozialstaat auch Nebenwirkungen hat. «Viele Menschen in den ärmsten Ländern Europas oder im angrenzenden Mittelmeerraum wissen, dass die Sozialleistungen in Deutschland und in anderen europäischen Ländern immer noch höher sind als das, was man in der Heimat erarbeiten kann.» (S. 126) Mobilität mit Ein- und Auswanderung gehört zu einer Marktwirtschaft und zu einem liberalen Rechtsstaat. Das heisst aber nicht – so Röpke –, dass ein souveräner Staat die Migration nicht auch steuern darf.

Mont Pèlerin Society

Kurz nach Ende des Zweiten Weltkrieges trafen sich die massgebenden Liberalen jener Zeit wie Wilhelm Röpke, Alexander Rüstow, Walter Euken, Ludwig von Mises, Friedrich August von Hayek, Milton Friedman und andere am Genfersee und gründeten die Mont Pèlerin Society – mit der Absicht und dem Ziel, den Liberalismus zu erneuern. Sie wählten dafür die Bezeichnung Neoliberalismus. Es kam zwischen den unterschiedlichen Ökonomen und Denkern bald zu Differenzen und Spannungen. Wilhelm Röpke beschäftigte sich am stärksten mit den moralischen, gesellschaftlichen und kulturellen Voraussetzungen eines erfolgreichen Liberalismus. Hayek dagegen bezeichnete in seinem Hauptwerk «Verfassung der Freiheit» (1960) zwar ebenfalls einen gesetzlichen Rahmen und ordnungspolitische Grundsätze als unerlässlich. Er vertraute jedoch weniger auf den «Sinn des Gemeinschaftslebens» (Alain Laurent, S. 156) als auf Selbstbestimmung und die «Kräfte der spontanen Ordnung».
Alain Laurent (Paris) bezeichnete Röpke in seinem Beitrag «Röpke, Mises und Hayek – eine Würdigung» (S. 160) als den «Neo-Liberalsten» von den dreien, im besten Verständnis dieses oft allzu oft willkürlich und entwertend verwendeten Begriffs.
1962 trat Röpke vorzeitig als Präsident der Mont Pèlerin Society zurück und verliess die Gesellschaft. In den folgenden Jahren bestimmten vor allem Hayek, Mises und Friedman die Ausrichtung der Gesellschaft.    •

Quellen:
Bessard, Pierre (Hrsg.). Wilhelm Röpke heute. Zur Aktualität des grossen liberalen Ökonomen und Publizisten. Liberales Institut Zürich, Zürich 2017 (Das Buch kann dort auch direkt bezogen werden.)
Kölz, Alfred. Neuere Schweizerische Verfassungsgeschichte I. Ihre Grundlinien vom Ende der alten Eidgenossenschaft bis 1848. Bern 1992 (mit Quellenbuch)
Kölz, Alfred. Neuere Schweizerische Verfassungsgeschichte II. Ihre Grundlinien in Bund und Kantonen seit 1848. Bern 2004 (mit Quellenbuch)
Sprecher, Thomas. Schweizer Monat 1921–2012, Zürich 2013

Röpke – auch im Frankreich von heute

ww. Das Buch «Wilhelm Röpke heute» erinnert an die Erklärung von Paris, die Zeit-Fragen am 21. November 2017 abgedruckt hat. Es fällt auf, dass heutige Hochschullehrer und Persönlichkeiten aus Frankreich ganz ähnliche Gedanken wie der Deutsche Wilhelm Röpke nach dem Krieg entwickeln. Auch sie wollen eine Zukunft Europas, «die im besten Sinn liberal» ist, die die Demokratie wahrt und nationale Eigenheiten respektiert.

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