Die Skripal-Affäre – eine weitere anti-russische Eskalation

Die Skripal-Affäre – eine weitere anti-russische Eskalation

von Christopher Black

zf. Der folgende Text erschien schon am 9. März 2018, nur wenige Tage nach Beginn des «Skripal-Falles» und noch vor der dann folgenden Eskalation – die aber bereits vorhergesagt wird. Er macht deutlich, wie fragwürdig die bisherige offizielle Version war und ist und welche Fragen sich stellen, die von unseren Regierungen nicht thematisiert werden.

«Ich denke, wir können davon ausgehen, dass sie den richtigen dramatischen Zeitpunkt wählen werden, um etwas zu nennen und zu sagen, dass nur russische Labors das herstellen könnten. Das ist ihre Vorgehensweise. Sie werden sicher nicht feststellen wollen, dass VX beteiligt sei, denn VX wurde 1952 in Porton Down, nahe beim Ort des Geschehens, entwickelt; das würde notwendige Untersuchungen betreffend die Sicherheit der Einrichtung und die mögliche Beteiligung dortigen Personals nach sich ziehen. Trotz der Tatsache, dass Porton Down mit der Herstellung chemischer Kampfstoffe, einschliesslich Nervengiften, beschäftigt ist und es logisch wäre, dass Aufsichtsorgane von Porton Down als Untersucher in einem Fall, in den sie selbst involviert sein könnten, ausgeschlossen würden, hat die britische Regierung sofort Porton Down damit beauftragt, die Substanz zu identifizieren, die zum Einsatz gekommen sein könnte.»

Die britische Regierung führt einen verbalen Krieg mit Russ­land über einen mysteriösen Vorfall, der angeblich am Sonntag, 4. März, nur wenige Kilometer entfernt von Porton Down in Wiltshire, der geheimnisumwitterten britischen Forschungs- und Entwicklungseinrichtung für biologische und chemische Kriegsführung, stattgefunden haben soll. Ich sage angeblich, weil wir abgesehen von den Stellungnahmen der Regierung über sehr wenig Informationen verfügen, was genau geschehen ist, und wir keine Fotografien der mutmasslichen Opfer in ihren Spitalbetten gesehen haben, die uns überzeugen könnten, dass die angeblichen Opfer krank wurden und behandelt werden. Nehmen wir dennoch an, dass der Vorfall so stattfand, wie er beschrieben wurde.

Keinerlei bekannte Bedrohung von seiten Russlands

Das Rätsel besteht in der Tatsache, dass die Opfer, der ehemalige russische Oberst des Militärischen Geheimdienstes, Sergej Skripal, und seine Tochter unter keinerlei bekannter Bedrohung von seiten Russ­lands standen. Skripal war 2006 von Russ­land als Agent des britischen Geheimdienstes MI 6 [militärischer Auslandsgeheimdienst] und der Weiterleitung geheimer Informationen an die Briten angeklagt und verurteilt worden. Er kam ins Gefängnis, wurde aber 2010 in einem Agentenaustausch begnadigt und durfte aus Russ­land ausreisen, zuerst nach Wien, dann nach Grossbritannien, wo er seither ständig gelebt hat. Warum er begnadigt wurde, ist schwierig auszumachen, es sei denn, dass es juristisch notwendig war, um den Austausch mit den Briten zu erwirken. Jedenfalls wollten die Russen nichts mit ihm zu tun haben, aber es scheint, dass die Briten andere Verwendungen für ihn hatten, als «Verbrauchsmann» für eine Provokation gegen Russ­land.
Gemäss den Fakten, wie sie die britische Regierung darlegt, trafen sich Skripal und seine Tochter, die aus Russ­land zu Besuch war, zum Nachtessen in Salisbury, der Stadt, vor deren Toren sich Porton Down befindet. Der Zweck des Besuches der Tochter ist nicht bekannt. Gemäss sich ständig verändernder Medienberichte berichteten Zeugen in einem Restaurant, dass Skripal in aufgeregtem und ärgerlichem Zustand zu sein schien, er verliess das Lokal in diesem Zustand, und seine Tochter folgte ihm. Worüber er erregt und verärgert war, wissen wir nicht.

Schuld wurde sofort auf Russland geschoben

Eine halbe Stunde später, sagt man, wurden die beiden gefunden, zusammengebrochen auf einer öffentlichen Ruhebank. Einige frühe Medienberichte besagen, man nehme an, dass sie zu viel Fentanyl [ein synthetisches Opiod] eingenommen und erbrochen hätten und dass ihre Krankheit selbstverursacht gewesen sei. Sehr schnell aber behauptete die britische Regierung, dass sie mit einem chemischen Kampfstoff oder einem Nervengift vergiftet worden seien, und schoben die Schuld sofort auf Russ­land, obwohl die Untersuchung gerade erst begonnen hatte. Der Vorfall wurde der lokalen Polizei sofort aus der Hand genommen und der Anti-Terror-Polizei, früher als Special Branch bekannt [Spezialeinheiten, zuständig für die nationale Sicherheit und Spionage], übergeben, obwohl die Regierung sich weigerte, ihn als terroristisches Ereignis zu bezeichnen. Ein Treffen des hochrangigen Notfall-Ausschusses der britischen Regierung, Cobra oder COBR [Cabinet Office briefing room in der Downing Street], wurde einberufen. Warum man das tat für etwas, das ein Anschlag, ein Mordversuch oder selbstverschuldeter Unfall zu sein schien, ist eine gute Frage. Die Antwort liegt in der unverzüglichen Propaganda­kampagne, welche die britische Regierung gegen Russ­land in Gang setzte.

Widersprüchliche Geschichten

Am Donnerstag, 8. März, behauptete die britische Regierung, sie habe die verwendete Substanz als «Nervengift» identifiziert. Am selben Tag zitierte die BBC eine Ärztin, welche vor Ort war, welche gesagt habe, dass sie Frau Skripal bewusstlos zusammengebrochen auf einer Bank fand, erbrechend und mit krampfartigen Zuckungen. Sie habe die Kontrolle über ihre Körperfunktionen verloren. Die Ärztin, die namentlich nicht genannt sein wollte, erklärte der BBC, dass sie die Tochter in stabile Seitenlage gebracht und ihre Atemwege freigelegt habe, während andere sich um ihren Vater kümmerten. Die Ärztin gab an, sie nahezu 30 Minuten versorgt zu haben und dass sie keine Anzeichen von irgendeinem chemischen Agens auf ihrem Gesicht oder Körper gefunden habe und dass sie sich, obwohl sie beunruhigt war, sie könnte mit einem Nervengift in Berührung gekommen sein, bisher «wohl fühle».
Doch die britischen Medien veröffentlichten am Dienstag ein Foto eines Polizeibeamten, der am Schauplatz zugegen war und von dem sie behaupteten, er sei erkrankt und in Intensivpflege, nun aber sei er stabil und erhole sich. Die beiden Geschichten stimmen nicht überein, da es scheint, dass die Ärztin in näherem körperlichen Kontakt mit den zwei Opfern stand als der Polizeibeamte, die Ärztin aber an keinerlei Symptomen litt.

«Ich denke nicht, dass Herr Skripal verfolgt wurde»

Der «Guardian» zitierte Andrej Lugovoi, einen anderen ehemaligen russischen Agenten, der von den Briten des Mordes an Litvinenko angeklagt wurde; er habe gesagt, dass Skripal in Russ­land begnadigt worden sei und dort niemand hinter ihm her sei. «Ich schliesse nicht aus, dass das eine weitere Provokation der Briten ist. Was auch immer auf britischem Territorium geschieht – sie beginnen zu schreien: ‹Er wurde umgebracht, er wurde erhängt, er wurde vergiftet!› und dass Russ­land an allem schuld sei. Das ist zu ihrem Vorteil.» Igor Sutyagin, ein anderer russischer Verräter, der 2010 in einem Agentenaustausch nach Russ­land geflogen wurde, sagte ebenfalls: «Ich denke nicht, dass Herr Skripal verfolgt wurde, denn er wurde begnadigt.»
Um das Rätsel noch zu vergrössern, weigert sich die britische Regierung, den Namen des Nervengiftes zu nennen. Um noch mehr Dramatik zu schaffen, erklärte der britische Innenminister, Amber Rudd, dass es sich weder um Sarin noch um VX, sondern um etwas «sehr Seltenes» handle. Ich denke, wir können davon ausgehen, dass sie den richtigen dramatischen Zeitpunkt wählen werden, um etwas zu nennen und zu sagen, dass nur russische Labors das herstellen könnten. Das ist ihre Vorgehensweise. Sie werden sicher nicht feststellen wollen, dass VX beteiligt sei, denn VX wurde 1952 in Porton Down, nahe beim Ort des Geschehens, entwickelt; das würde notwendige Untersuchungen betreffend die Sicherheit der Einrichtung und die mögliche Beteiligung dortigen Personals nach sich ziehen. Trotz der Tatsache, dass Porton Down mit der Herstellung chemischer Kampfstoffe, einschliesslich Nervengiften, beschäftigt ist und es logisch wäre, dass Aufsichtsorgane von Porton Down als Untersucher in einem Fall, in den sie selbst involviert sein könnten, ausgeschlossen würden, hat die britische Regierung sofort Porton Down damit beauftragt, die Substanz zu identifizieren, die zum Einsatz gekommen sein könnte.

«Massenmedien marschierten im Gleichschritt»

Ob die Russen Recht damit haben könnten, dass der Vorfall eine weitere, von der Nato arrangierte Provokation ist, muss ernsthaft in Erwägung gezogen werden. Trotz der Tatsache, dass es keinen Beleg, welcher Art auch immer, dafür gibt, dass Russ­land irgend etwas mit dem Vorfall zu tun hat, war die britische Regierung schnell dabei, Russ­land als den Schuft im Stück zu etikettieren, und die Massenmedien marschierten pflichtbewusst im Gleichschritt und verbreiteten die Nachricht. Boris Johnson bezeichnete Russ­land als «bösartige und zerstörerische Macht» und drohte mit dem Rückzug der Teilnahme des Vereinigten Königreichs an der Fussballweltmeisterschaft, die dieses Jahr in Russ­land stattfinden wird. Die Versuche der Nato-Allianz, Russ­land unter dem Vorwand von Doping-Vorwürfen aus den Olympischen Spielen hinauszuwerfen, waren weitgehend erfolgreich, und nun sehen wir einen erneuten Versuch, ein Sportereignis, das für die Fans des Weltfussballs und für Russ­land wichtig ist, zu stören. Johnson fügte hinzu, Grossbritannien werde «robust» handeln, sollte sich zeigen, dass Moskau involviert sei.
Die russische Botschaft in London erklärte, dass die Behauptungen einer russischen Beteiligung unwahr seien und dass das «Skript einer weiteren anti-russischen Kampagne bereits geschrieben worden ist». Es scheint so, und das Skript umfasst noch einige Seiten mehr. Man muss sich fragen, welche Rolle der britische Geheimdienst dabei spielt, denn die BBC berichtet auch, dass Skripal noch Kontakt zu britischen Agenten pflegte. Man muss sich fragen, weshalb? Worin bestand seine andauernde Rolle als Agent des MI 6? Was war deren Rolle an jenem Tag?

Bekanntes Muster britischer Vorwürfe

Aber dieser Strang der Untersuchung wird nicht verfolgt werden. Alle britischen Medien verbinden den Vorfall mit dem Fall von Alexander Litvinenko, einem weiteren Russen, der angeblich mit einem radioaktiven Tee vergiftet wurde. Hinweise darauf, dass Kumpane von ihm involviert waren, wurden ignoriert, und die Linie, wonach Russ­land dahinterstecke, bevorzugt, obwohl nie irgendwelche Beweise vorgelegt wurden, um diese Behauptung zu stützen. Es wird auch behauptet, dass diese «sehr seltene» Substanz aus einem staatlichen Militärbestand kommen müsse, womit die Stellungnahmen, welche von der britischen Regierung kommen werden, vorhersagbar sind.
Das jetzige Ereignis weist auch Anklänge zum Fall von Georgi Markov auf, dem bulgarischen Dissidenten, der 1978 in London umgebracht wurde – man sagte, das sei mittels einer Rizin-Kapsel, die man mit Hilfe eines Schirmes in sein Bein injizierte, geschehen, obwohl es ohne Zweifel mit einer Luftpistole geschah. Dieser Mord wurde sehr schnell dem KGB und Agenten der bulgarischen Regierung angelastet, aber es gibt Belege dafür, dass der Mord tatsächlich vom MI 6 arrangiert worden war, so wie auch der Mord am Medienmagnaten Robert Maxwell im Jahre 1991, der im Besitz von Dokumenten in Zusammenhang mit dem Markov-Mord war – dies sagen Richard Cottrell in seinem Buch «Gladio» und Berichte des ehemaligen britischen Geheimdienstagenten Gordon Logan.

Man erinnert sich an den Tod von David Kelly

Der Skripal-Vorfall ruft auch Erinnerungen an den Tod von Dr. David Kelly im Jahre 2003 wach, bei dem die Ursache seines Todes in den Wäldern in der Nähe seines Hauses offiziell als «Suizid» bezeichnet wurde. Viele sind der Meinung, dass er vom britischen Geheimdienst und der CIA umgebracht worden ist, um ihn davon abzuhalten, Geheimnisse über den Krieg im Irak offenzulegen. Er arbeitete in Porton Down als Leiter der Mikrobiologie.
Er wiederum ist verbunden mit anderen Wissenschaftlern in Porton Down, die unter fragwürdigen Umständen gestorben sind, zum Beispiel Dr. Richard Holmes, dessen Leiche 2012 in den gleichen Wäldern wie diejenige Dr. Kellys gefunden wurde – zwei Tage, nachdem er auf einen Spaziergang gegangen war, und einen Monat, nachdem er seine Stelle in Porton Down aufgegeben hatte, aber auch an den Tod von Vladimir Pasechnik im November 2001, einem anderen russischen Überläufer, der angeblich einem Schlaganfall erlag. Sein Tod wurde erst einen Monat später bekanntgegeben, und zwar vom britischen Geheimdienst. Dr. Kelly war an seinem Debriefing beteiligt, nachdem er Russ­land verlassen hatte.

Wer hat welche Motive?

Sir Edward Leigh, ein Mitglied des parlamentarischen Verteidigungsausschusses, erklärte im britischen Parlament: «Die Indizienbeweise gegen Russ­land sind sehr gewichtig. Wer sonst könnte ein Motiv und die Mittel haben?» Die Antwort darauf ist natürlich, dass die britische Regierung das Motiv und die Mittel hat. Was hätte Russ­land davon, einen Ehemaligen wie Skripal zu schädigen und damit diesen ganzen Wirbel zu verursachen? Nichts. Was hätten Grossbritannien und die Nato davon? Die Antwort darauf liefert ebenfalls Sir Richard, der weiter erklärte: «Der einzige Weg, um den Frieden zu erhalten, ist durch Stärke», womit er gewissenhaft Trumps Aussenpolitik wiedergab, «und wenn Russ­land dahinter steckt, ist das ein dreister kriegerischer Akt der Demütigung unseres Landes, und Verteidigung ist erste Pflicht, und eine Erhöhung des Verteidigungsbudgets um 2 % ist nicht genug.» Genau hier liegt das Motiv. Eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben zu legitimieren und einmal mehr mit einem Propagandafeldzug auf Russ­land einzuschlagen, um die kontinuierliche Aggression der Nato gegen Russ­land zu rechtfertigen.
Russ­land hat sich freiwillig anerboten, bei der «Untersuchung» mitzuhelfen, aber wozu? Das Drehbuch ist schon geschrieben, das Drama wird sich abspielen, die Konsequenzen werden sich ergeben und nicht zu Frieden und Kooperation, sondern zu mehr Feindseligkeit und Krieg führen.    •

* Christopher Black ist internationaler Strafrechtler und lebt in Toronto. Er ist bekannt aus einigen Prozessen um Kriegsverbrechen von grossem öffentlichem Interesse, so zum Beispiel als Strafverteidiger im Prozess um den Genozid in Ruanda und dem ehemaligen Jugoslawien. Kürzlich erschien sein Roman «Beneath the Clouds». Er schreibt Essays über internationales Recht, Politik und Weltereignisse, insbesondere für das Online-Magazin «New Eastern Outlook».

Quelle: New Eastern Outlook vom 9.3.2018

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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