«Wir müssen die Kriege beenden»

«Wir müssen die Kriege beenden»

Interview mit David Beasley, Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen*

rt. Dass Hungersnöte kein Zufall, sondern auf das engste mit kriegerischen Konflikten verknüpft sind, wird in der jüngsten Ausgabe des Schweizerischen DEZA-Magazins «Eine Welt» vom März 2018 mehr als deutlich. In seinem Vorwort betont der DEZA-Direktor, Manuel Sager, die Rolle der Kriege: «Der Hungertod ist […] nicht einfach das traurige Ende eines menschlichen Schicksals, sondern von Menschen verursacht oder zumindest in Kauf genommen». Mit dieser Aussage verweist er auf das Interview mit dem Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP), David Beasley. Dieser fasst die aktuelle Situation im Interview mit Jens Lundsgaard-Hansen zusammen.

«Es gibt mehr als genügend Wohlstand auf der Welt, um jeden Menschen zu ernähren. Doch wenn derart viel Energie in Konflikte fliesst, ist es nicht möglich, bei unserem übergeordneten Ziel echte Fortschritte zu erzielen.»

Eine Welt: Herr Beasley, die Zahl der hungernden Menschen hat – nach Jahren des Rückgangs – wieder zugenommen. Was läuft falsch?

David Beasley: Tatsächlich haben wir in den letzten zwei Jahrzehnten grosse Fortschritte im Kampf gegen den Hunger erzielt. Doch leider geht die Entwicklung zurzeit in eine falsche Richtung. Rund 108 Millionen Menschen litten 2016 unter schwerer Ernährungsunsicherheit, verglichen mit 80 Millionen im Jahr zuvor. Der Hauptgrund dafür sind von Menschen verursachte Konflikte. Vor allem deswegen stehen gegenwärtig 27 Millionen Menschen vor dem Hungertod. Das ist die grösste humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg.

Südsudan, Somalia, Jemen, Syrien und andere Konfliktregionen – die Zahl der Konflikte und Krisenherde ist hoch. Können Sie überhaupt noch Prioritäten setzen, oder fühlen Sie sich wie Sisyphus?

Wir brauchen mehr denn je neue Impulse, um den Hunger weltweit in gemeinsamem Engagement zu bekämpfen. Der erste und wichtigste Impuls wäre, die Konflikte zu beenden. Die Situation bezüglich Ernährungssicherheit in den Regionen, die Sie erwähnen, ist in erster Linie durch Konflikte bestimmt. Wir tun alles dafür, dass die Menschen die Dimension dieser Krisen verstehen und erkennen, wie stark diese ihr Leben beeinflussen und wie wichtig es für die globale Stabilität ist, den Hunger zu beenden. Dieser trägt wesentlich zur globalen Instabilität bei und ist einer der Auslöser der aktuellen Migrationskrise. Unsere Forschung zeigt, dass eine Zunahme der Ernährungsunsicherheit um ein Prozent zu einer Zunahme der Migration um zwei Prozent führt.

Erhalten Sie die nötige Unterstützung der Geberländer? Wie steht es mit der Schweiz?

Es ist so, die gegenwärtige Krise erfordert mehr Geld. Die Reaktion unserer Geberländer war enorm. Was die Schweiz betrifft: Sie war und ist ein grossartiger Partner. Seit 2012 rangiert sie unter den zehn wichtigsten Geberländern. Über die Jahre hat sich die Schweiz zu einem wichtigen Verbündeten des WFP entwickelt, der die neue Strategie des WFP stark unterstützt. Das geht über Geldbeiträge und Sachleistungen hinaus.
Die DEZA unterstützt das WFP dabei, in Krisen und Katastrophen die Brücke zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu schlagen. Die DEZA trägt auch neue, innovative Konzepte mit, zum Beispiel die Bargeldtransfers an Bedürftige.

Hat das WFP, angesichts all dieser Krisen, genügend Ressourcen und Kraft, um nicht nur die Symptome, sondern auch die Ursachen des Hungers zu bekämpfen?

Auf lange Sicht verfolgt das WFP das Ziel, zur wirtschaftlichen Weiterentwicklung der Länder und Gesellschaften beizutragen, in denen wir präsent sind. Wir arbeiten daran, mehr Kinder mit Schulmahlzeiten zu versorgen und körperlich gesunde Erwachsene in die Entwicklung und Unterstützung ihrer Regionen einzubinden. Das Welternährungsprogramm wird immer stark sein in Notsituationen, doch um dauerhafte Ernährungssicherheit zu erreichen, müssen wir die Lebenssituation von Männern, Frauen, Knaben und Mädchen gemeinsam und nachhaltig verbessern. Übrigens: Alle können helfen. Jede noch so kleine Spende, zum Beispiel über unsere App «Share The Meal» (www.sharethemeal.org), hat eine Wirkung.

Welche Beiträge leistet das WFP im Zusammenhang mit chronischer Ernährungsunsicherheit und Fehlernährung?

Wir stellen den Regierungen unser Wissen zur Verfügung und unterstützen sie im Kampf gegen den Hunger. So arbeiten unsere Experten für Schulmahlzeiten mit Ländern in Afrika, Asien und Lateinamerika zusammen, damit diese ihre eigenen Programme aufbauen und führen können. Das Ziel ist es, arme Kinder in die Schule zu bringen und auch dort zu behalten, damit sie eine bessere Ausbildung und die Chance für eine bessere Zukunft erhalten.

Das Ziel der «Agenda 2030» ist klar: «Zero Hunger» bis 2030. Bis 2050 werden wir zwei Milliarden Menschen mehr sein als heute. Glauben Sie an dieses Ziel, oder ist es etwas illusorisch?

Ich glaube sehr stark an dieses Ziel. Es ist der Grund dafür, dass Männer und Frauen jeden Tag für das WFP arbeiten. Nicht wenige nehmen Gefahren für ihre persönliche Sicherheit in Kauf, wenn sie jenen helfen, die am verletzlichsten sind. Wir werden das Ziel der «Agenda 2030» also nie aus den Augen verlieren. Doch gleichzeitig muss ich eingestehen: Wir werden den Hunger nie wirklich beenden können, wenn wir die Kriege nicht beenden. Das Ziel der «Agenda 2030» ist schlicht nicht erreichbar, wenn wir die Konflikte nicht drastisch reduzieren können. Denn diese führen stets zu grosser Ernährungsunsicherheit und umgekehrt. Es gibt mehr als genügend Wohlstand auf der Welt, um jeden Menschen zu ernähren. Doch wenn derart viel Energie in Konflikte fliesst, ist es nicht möglich, bei unserem übergeordneten Ziel echte Fortschritte zu erzielen.    •

*    David Beasley ist seit April 2017 Exekutivdirektor des Welternährungsprogramms (WFP) der Vereinten Nationen. Dieses versorgt jedes Jahr rund 80 Millionen Menschen, die unter schwerem Hunger leiden. David Beasley war über 40 Jahre lang in Politik, Wirtschaft und öffentlichem Dienst tätig und engagierte sich dabei für die wirtschaftliche Entwicklung und humanitäre Unterstützung der Bedürftigsten. Zwischen 1995 und 1999 war er Gouverneur des US-Staates South Carolina.

Quelle : Eine Welt. Das DEZA-Magazin für Entwicklung und Zusammenarbeit Nr. 1/März 2018 Herausgeber: Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) des Eidgenössischen Departementes für auswärtige Angelegenheiten (EDA)

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