«Die Italiener möchten wieder selbst bestimmen, wie sie leben»

«Die Italiener möchten wieder selbst bestimmen, wie sie leben»

Die direkte Demokratie der Schweiz ist ein Orientierungspunkt für das neue Italien

Nördlich der Alpen wird die Politik der neuen italienischen Regierung fast durchweg heftig kritisiert. Aber es gibt auch Ausnahmen. So hat die «Basler Zeitung» am 21. November 2018 den Genueser Rechtsphilosophen Paolo Becchi in einem Interview ausführlich zu Wort kommen lassen («Der Feind sitzt nicht mehr in Rom, sondern in Brüssel»; <link https: bazonline.ch ausland europa der-feind-sitzt-nicht-mehr-in-rom-sondern-in-bruessel story external-link seite:>bazonline.ch/ausland/europa/Der-Feind-sitzt-nicht-mehr-in-Rom-sondern-in-Bruessel/story/28267401). Von 2006 bis 2017 lehrte Becchi Rechtsphilosophie in Luzern. Mit der neuen Regierung Italiens verbindet er «eine Chance für mehr Föderalismus in Europa und eine Reform der EU».

km. In ein Links-rechts-Schema, so wie es verbreitet versucht wird, lasse sich die neue Regierung nicht einordnen. Das Wahlergebnis zeige statt dessen: «In Süditalien hatten die Menschen genug von den alten Parteien, die bloss den Niedergang verwaltet haben. Im Norden kam hinzu, dass die Bürger mehr Autonomie, mehr Föderalismus wollen.»
Paolo Becchi hofft, dass Italien mit der neuen Regierung «gegen aussen seine nationale Identität wieder erlangen und sich gegen innen reformieren [kann].» Becchi: «Die neue Unterscheidung verläuft zwischen Souveränisten und Globalisten. […] Die Italiener möchten wieder selbst bestimmen, wie sie leben. Sie wehren sich gegen die Fremdbestimmung durch die globalen Finanzmärkte und die globalisierte Politik, vor allem durch die Bürokraten aus Brüssel – und sie wehren sich gegen deren Statthalter in Rom.»
Dem Vorwurf der Friedensgefährdung durch eine wieder mehr national orientierte Politik entgegnet Becchi: «Schuld an den furchtbaren Kriegen des 20. Jahrhunderts war doch nicht die Idee der Nation. Wer hat diese Kriege denn angezettelt, die Nationalstaaten oder die Imperien?»
Nationalismus könne sich zwar «in gefährlichen Imperialismus steigern». Aber Souveränismus habe nichts mit Nationalismus auf Kosten anderer Länder zu tun: «Er bedeutet keinen absoluten, zentralistischen Staat, sondern ein selbstbestimmtes Land mit einem föderalistischen Staatsaufbau von unten – genauso, wie ich es in der Schweiz kennengelernt habe.»
Becchi ergänzt: «Dieser echte Föderalismus, gepaart mit direktdemokratischen Elementen, ist ein Vorbild für das zukünftige Italien.»
Nicht nur für Italien gehe es darum, dass die «Menschen eine Identität und eine Heimat brauchen, in der sie zu Hause sind und wo sie als Bürger ihr Schicksal mitbestimmen [können].»
Die Italiener wollen einen föderalen und direktdemokratischen Staat, da werde Macht geteilt, verteilt und damit beschränkt. Das habe nichts mit den Katastrophen des 20. Jahrhunderts zu tun.

Der Euro – eine Katastrophe für Italien

Der Euro hingegen sei eine tatsächliche Katastrophe für Länder wie Italien. Mit dem Euro würden die Länder des Südens «in wirtschaftliche Geiselhaft genommen». Er sei ein «sichtbares Zeichen der Fremdbestimmung Italiens».
Mit Blick auf die EU meinte Becchi, man müsse auf die Idee der «Vereinigten Staaten von Europa» verzichten und «zurück zu einem ‹Europa der Vaterländer›». Nach 1990 habe man geglaubt, «mit dem Fall des Eisernen Vorhanges sei das ‹Ende der Geschichte› erreicht und die Idee des Nationalstaates vorbei und alles löse sich in der Globalisierung auf. Das war aber ein Irrtum».
Die meisten Menschen «brauchen Wurzeln, Heimat und einen Staat, der sie ernst nimmt und wo sie mitbestimmen können». Die Schweiz mit der weitgehenden Autonomie der Kantone und der direkten Mitbestimmung durch die Bürger sei ein Vorbild für den souveränen Staat des 21. Jahrhunderts. Die EU hingegen sei «ein undemokratisches, leviathanisches Gebilde».
Die Schweiz zeige, wie auch schwierige Zeiten bewältigt werden könnten: «mit Föderalismus und direktdemokratischer Mitbestimmung».
Demokratie und Föderalismus bräuchten «die Souveränität des Landes, die Unabhängigkeit von transnationalen Gremien, die immer undemokratisch sind».
Die neue Regierung in Italien habe das ­Potential, diesen Weg zu mehr Souveränität und Föderalismus zu gehen – «und die Schweiz sollte Italien dabei unterstützen».
Am Schluss des Interviews kommt Becchi auf die unübersehbare Krise der EU zu sprechen: «Ich glaube, die Krise kann man nur lösen, wenn die Nationalstaaten eine Renaissance erleben. Ich bin zuerst Genoveser, dann Italiener, und ich fühle mich kulturell als Europäer. Aber Europa ist nicht die EU. Diese muss die nationalen Identitäten, Traditionen und politischen Kulturen respektieren, wenn sie überleben will.»    •

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