Souveränität im Dienst der Völker

Souveränität im Dienst der Völker

Samir Amin – Perspektiven für eine eigenständige Entwicklung Afrikas

rt. Mit einem Plädoyer für eine «nationale Souveränität» der Staaten Afrikas passt der im August 2018 verstorbene Entwicklungsökonom Samir Amin nicht in die gewohnten Denkschablonen einer auf Effizienz und Shareholder Value getrimmten westlichen Welt. Auf der Grundlage einer marxistischen Orientierung, aber dennoch offen für andere Ansätze sucht Samir  aus einer globalen Perspektive heraus und einem breiten historischen Wissen nach Auswegen für eine an den Rand gedrängte «Dritte» Welt. Die Idee zur deutschen Übersetzung von drei Aufsätzen Amins in «Souveränität im Dienst der Völker. Plädoyer für eine antikapitalistische nationale Entwicklung»1 aus dem Französischen entstand im Oktober 2017 in einem Wiener Workshop.

Samir Amin – ein führender Entwicklungstheoretiker

Andrea Komlosy schreibt in ihrer Einleitung zur Persönlichkeit Samir Amins: «Amin ist 85 Jahre alt, als er diese Texte schreibt. Er blickt auf ein aussergewöhnliches Dasein zurück, das ihn Kolonialismus, Entkolonialisierung, Aufbruchsstimmung der postkolonialen Staaten und sozialistische Experimente ebenso wie eine Reihe von Rückschlägen erleben liess». (S. 8) Amin gilt als einer der führenden Entwicklungstheoretiker für die Dritte Welt. Er leitete verschiedene international renommierte Institute in Afrika, die sich mit der Entwicklung des Kontinents im internationalen Zusammenhang beschäftigen, unter anderem das Institut africain de dévelopement économique et de planification (IDEP) in Dakar.

Forderung nach nationaler Souveränität

Amin analysiert in den drei Aufsätzen in «Souveränität im Dienst der Völker» aus dem Blickwinkel afrikanischer Staaten die weltweite politische und wirtschaftliche Situation und entwickelt daraus Perspektiven für die Menschen in den afrikanischen Ländern. Eine zentrale Forderung ist dabei die nach nationaler Souveränität, geknüpft an die Ernährungssouveränität dieser Staaten. Dadurch könnten sie unabhängig werden, aber auch eine eigenständige Wirtschaft aufbauen und ihre Bevölkerung in Arbeit und Brot bringen. Diese Ernährungssouveränität knüpft er zwingend an das gleiche Recht auf zu bebauenden Boden und damit an weitgehende Selbstbestimmungsrechte der Bevölkerung, womit er sich deutlich von vielen marxistischen Theoretikern abhebt.

Afrika – ein verslumter Planet

Seine Analyse der Situation Afrikas wirkt schockierend, ist aber gleichzeitig nicht von der Hand zu weisen, auch wenn uns Erfolge der UN-«Milleniumsziele» einen anderen Eindruck vermitteln: Unser derzeitiges weltweites Wirtschaftssystem führt im Süden zur raschen Verelendung von Milliarden (!) Menschen, die noch in einer selbstversorgenden Subsistenzwirtschaft leben – eben weil sie von ihrem Boden vertrieben wurden und werden. Amin bezieht die weltweiten Entwicklungen im Agrobusiness sowie das Land grabbing und den Anbau von «Bio»-Treibstoffen in seine Analysen ein. «Die einzige Perspektive, die er [der Kapitalismus, Anmerkung rt] bietet, sind die eines verslumten Planeten mit Milliarden ‹überzähliger› Menschen». (S. 76)

Familien als Grundlage für Ernährungssouveränität

Um die drohende Entwicklung zu stoppen und dem Ziel nach Selbstbestimmung der Völker nachzukommen, fordert er die nationale Souveränität auf der Grundlage einer gesicherten Ernährungssituation für die gesamte Bevölkerung. Dazu entwirft er verschiedene Entwicklungsmodelle und greift immer wieder auf historische oder aktuelle Entwicklungen zurück. Unvoreingenommen sieht er in den bäuerlichen Familien eine sinnvolle Grundlage für eine Landwirtschaft, die die Ernährungssouveränität ermöglicht. Im Rahmen seiner marxistischen Denkweise lotet er verschiedene Möglichkeiten aus. Dass er das Beispiel China sehr milde beurteilt, schmälert nicht seine mutigen Analysen, worauf Andrea Komlosy hinweist.

Alternative zu westlichem Fatalismus

Die Lektüre wirkt befreiend. Amin sprengt das bleierne Denken eines westlichen Ökonomismus, das sich auf Gewinnmaximierung und «Entwicklungszusammenarbeit» beschränkt und bisher keine überzeugenden Alternativen für ein Drittel der Menschheit bietet. Zieht man bei der Lektüre Verbindungen zu den Ansätzen des UN-Weltagrarberichts von 2008, der zu Unrecht aus der Diskussion gedrängt wurde, kann man durchaus sehr sinnvolle Anknüpfungspunkte entdecken.
Die Veröffentlichung dieser Übersetzung im Promedia-Verlag Wien kann man nur begrüssen. Der Leser ist dabei froh um die hilfreiche Einleitung von Andrea Komlosy. Eine vertiefte Diskussion um die globale Entwicklung erhält so im deutschsprachigen Raum neue Impulse.    •

1    Amin, Samir. Souveränität im Dienst der Völker. Plädoyer für eine antikapitalistische nationale Entwicklung. Promedia Verlag 2018. 978-3-85371-453-9. Original: La souveraineté au service des peuples, l‘agriculture paysanne, la voie de l‘avenir! Editions du CETIM. Genf 2017

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