Kinder und Jugendliche und die direkte Demokratie

Kinder und Jugendliche und die direkte Demokratie

von Rita Brügger

Errungenschaft Demokratie

Unsere Vorfahren haben für uns und unser Land etwas Wertvolles geschaffen: die direkte Demokratie. Diese Errungenschaft ermöglicht uns in einem hohen Mass die Mitbestimmung und gleichzeitig auch Mitverantwortung für die Politik in unserem Land, auf Gemeinde-, Kantons- und Staatsebene. Nicht Staatsmänner, Könige, Kaiser, Sultane bestimmen die Geschicke unseres Staates. In der Schweiz bestimmt der Souverän, also die Staatsbürger, über Gesetze und Steuern. Andere Länder beneiden uns um diese Möglichkeiten, und vielerorts sehen wir Bestrebungen, das Mitbestimmungsrecht auch dort auszubauen und zu vermehrter Freiheit zu gelangen.
Indes wird bei uns seit einiger Zeit vielfach ein Desinteresse der jüngeren Generation beklagt. Jungbürgerfeiern müssen auf Grund von Absenzen abgesagt werden, oder aber man wirbt dafür, indem man die Feier ähnlich einer Party gestaltet, anstatt die jungen Leute so anzusprechen, dass sie dem Auftakt in die Mündigkeit als Staatsbürger mit dem nötigen Ernst und einem gewissen Stolz begegnen. Dann hätten Jungparteien vielleicht vermehrten Zuwachs, und die Neuwähler würden bei kommenden Abstimmungen und Wahlen nicht durch Abwesenheit glänzen.
Neu gehen zwar im Moment Schüler und Studenten für den Klimaschutz auf die Strasse. Wie ihr breites Engagement für eine bessere Welt und der solidarische Einsatz für eine gute Politik und nachhaltige Zukunft längerfristig aussehen wird, muss sich aber erst noch erweisen.

Was Hänschen lernt

Die Demokratie kommt nicht von selbst. In zum Teil mühsamem Ringen haben vergangene Generationen das zustande gebracht, was wir heute an Rechten und Pflichten besitzen. Vorrechte werden von Oligarchen nicht gerne abgegeben. Das mussten auch Freiheitskämpfer erfahren. Nicht selten waren sie wegen ihrer Meinung in Gefahr.
Heute ist dies zum Glück nicht mehr so. Aber unterschätzen wir nicht gerade deshalb die Bedeutung dieser Freiheiten und sehen sie als selbstverständlich an? Es gilt doch weiterhin, dass jeder Mann, jede Frau in die politischen Gepflogenheiten hineinwachsen soll, dass sie erleben und erfahren, was direkte Demokratie bedeutet und was es heisst, sie bewusst weiterzupflegen und nicht dem Zeitgeist zu opfern.
Zu beachten ist, dass von klein auf Kinder auf vielfältige Weise an das kostbare Gut unserer Staatsform herangeführt werden können. Dies heisst es für das Zusammenleben in der Familie, für Kindergarten und Schule sowie für die Gesellschaft ganz allgemein. Auch auf dem Gebiet der Demokratie ist weiterhin gültig: Was Hänschen lernt, das wird er mitnehmen für sein späteres Leben.

Familie, Schule, Gesellschaft

Jeremias Gotthelf hat geschrieben: «Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.» Wie wahr ist doch dieser Ausspruch. Wenn das Kind in der Familie eingeführt wird in das Zusammenleben, in dem jede und jeder seinen Platz hat, wenn es auch eingeführt wird, seinen eigenen Platz einzunehmen und auszufüllen, wenn es zuhört und mittut, dann ist dies der erste Schritt zur gelebten Demokratie. Auch Kinder können ihrem Alter entsprechend Verantwortung übernehmen. Sie tun das ihre, um das Leben in der kleinen Gemeinschaft angenehm zu gestalten: kleine Ämtchen ausführen, mitdenken, sich in andere einfühlen, Solidarität erleben.
Der Kindergarten bietet weitere Übungsmöglichkeiten des Zusammenlebens. Nach den Eltern und Geschwistern kommen nun Pädagogen mit je ihrer eigenen Persönlichkeit dazu und andere Kinder, meist gleichaltrige. Es gibt da verschiedenste Charaktere und Menschen unterschiedlichster Herkunft. Das Blickfeld des Kindes erweitert sich. Das Kind hört zu, lernt Andersartigkeit und Vielfalt kennen, vertritt seine Meinung. Auch da, wie später in der Schule, übernimmt es Aufgaben und zunehmend Verantwortung.
In der Schule wird das Kind in die Kulturtechniken des Lesens, Schreibens, Rechnens eingeführt. Sie sind Grundlagen für den zukünftigen Staatsbürger. Er soll am Ende seiner Schulzeit das nötige Rüstzeug haben, um sich mit politischen Sachfragen auseinanderzusetzen. Dazu gehören: die Geschichte der Region und des Landes kennen, das Lesen und Verstehen von Abstimmungsvorlagen (was übrigens im 20. Jahrhundert auch ein Grund für die Schulpflicht in der Schweiz war) und die Auseinandersetzung und Diskussion mit anderen, um sich als mündiger Mitbürger eine eigene Meinung zu bilden.
Neben Familie und Schule hat auch die Gesellschaft eine Verpflichtung, dass Kinder zu Staatsbürgern heranwachsen. Eine sachliche, ausgewogene Information, besonders in Schulbüchern, aber auch in anderen Medien, kann mithelfen, beim Jugendlichen Werte zu entwickeln, die ihn befähigen, sein Interesse am Mitmenschen und am Gemeinwohl zu stärken. Dabei kann er seine eigene Identität entfalten und mit dem Blick auf seine Umwelt immer mehr beitragen zum Wohle der Gemeinschaft und damit auch zum Erhalt der direkten Demokratie.

Wissen vermitteln, Gefühl entwickeln

Ja, Bücher, Geschichten, Erzählungen und das Erleben vor Ort tragen viel dazu bei, dass das Bewusstsein von Menschen gestärkt wird. Oft macht man sich kaum Gedanken darüber, wie etwas in seiner unmittelbaren Nähe entsteht. Wieviel Kenntnis und menschliche Kraft nötig waren und sind, damit etwas wird und erhalten bleibt. Was passiert zum Beispiel in der Gemeinde? Wo kommt das Wasser her? Was ist mit dem Abwasser? Wer kontrolliert die Kanalisation? Was tun wir, wenn es lange nicht regnet? Wer baut die Strassen, wer reinigt sie? Und wer bezahlt die vielen öffentlichen Bauten wie die Schulen, das Schwimmbad und vieles mehr? Manches ist für uns selbstverständlich geworden, und unbekümmert kann man den Abfall irgendwo liegenlassen. Neulich kam im Radio eine Meldung, dass man daran ist, recycelbare Kartonzelte für Open-Air-Festivals herzustellen, weil die vielen liegengelassenen Plastikzelte nach den Partys die Umwelt belasten. Es gibt bessere Lösungen.
Eine solidarische Gesellschaft, die sich um alle Belange des Zusammenlebens kümmert, hat die Natur mit im Auge. Aber das entsteht nicht von heute auf morgen. Wird das Kind von klein an angehalten, seinen eigenen Sachen und für die von Familienmitgliedern und Kameraden Sorge zu tragen, dann hat es später einen besseren Blick auf die Umwelt, als wenn es nur gefragt wird, ob ihm dieses oder jenes Essen passt. Vielleicht wäre hin und wieder ein bisschen Verzicht ganz gut, anstelle der Spassgesellschaft, welche die Erfüllung von Wünschen an erste Stelle setzt.
Auch mit Kindern kann man über solche Dinge gut reden. Sie dürfen wissen, dass Mutter nicht alles kaufen kann, was im Angebot ist. Sie können verstehen, dass zuerst die Früchte gegessen werden, die im Haus sind, bevor man frische kauft. Und dass auch ältere, nicht sehr moderne Kleider noch getragen werden.
Später erfahren sie, dass es Steuern gibt, die jedermann, also auch ihre Eltern, bezahlen müssen. Steuern ermöglichen zum Beispiel, dass jedes Kind in die Schule gehen und lernen kann. Dies öffnet wohl manchen Jungen die Augen, besonders wenn sie hören, dass in gewissen Ländern noch heute nur Reiche oder nur Buben die Schule besuchen dürfen. Dieses Wissen ermöglicht vielleicht den Kindern eine grössere Wertschätzung für den Wert unserer Bildung für jedermann.
Entsprechend ihrem Alter wachsen also Kinder und Jugendliche immer stärker in die Demokratie hinein. Erst ist ihr Blickfeld auf die Familie, die Natur, die Nachbarschaft und die Kameraden ausgerichtet. Zunehmend wird ihr Wissen erweitert. Ausgehend vom eigenen Quartier, ihrer Wohngemeinde, ihrem Kanton und dann dem Staat, erfahren sie etwas über die Welt.

Vom Wert der Vereine

Für Kinder gibt es heute unzählige Möglichkeiten, wie sie ihre Freizeit verbringen können. Sehr wertvoll sind dabei Jugendvereine, die Wegbereiter sein können für das Hineinwachsen der Kinder in die direkte Demokratie. In kleineren oder grösseren Gruppen erleben die Kinder das gemeinschaftliche Zusammenleben. Sie gewöhnen sich an die Regeln und Gepflogenheiten ihres Vereins. Ein regelmässiges, pünktliches Erscheinen ist da etwa gefragt. Bei Abwesenheit gilt eine Entschuldigung. Es bahnen sich Freundschaften an, eine gegenseitige Verläss­lichkeit entsteht. Wenn Nora nicht mitsingt, fehlt eine Stimme im Chor. Beim Turnen an Geräten steht Tim in Hilfestellung dabei. Ältere, erfahrenere Jugendliche wirken als Trainer für Jüngere. Jungsamariter stellen an der Monatsübung einen eigenen Posten, oder junge Feuerwehrleute lernen den Verkehr regeln. Solches Tun in Verantwortung lässt die Jungen reifen und macht auf eine gesunde Art stolz, weil sie spüren, dass sie im realen Leben gebraucht werden. Man traut ihnen etwas zu. Jeder ist wichtig.
Wer schon an Vereinsanlässen dabei war, weiss, wie demokratisch Vereinsbeschlüsse gefällt werden. Gemeinsam wird an der Generalversammlung das Programm diskutiert und abgesegnet. Im Musikverein stellt sich die Frage, ob die 50jährige Vereinsfahne restauriert oder ersetzt werden muss. Es gibt eine lebhafte Diskussion, in der jede Meinung gefragt ist, und viele begründen ihren Entscheid. Danach wird abgestimmt. Interessanterweise sind es vorwiegend die jungen Mitglieder, die sich für den Erhalt der traditionellen Flagge entscheiden. Diese Mehrheit ermöglicht nun den Auftrag für die Restauration, die finanziell teurer zu stehen kommt als eine allfällige Neuanschaffung.
Wenn Vereine aus ihren Reihen schon früh den jungen Mitgliedern Gelegenheit geben, auch in wichtigen Funktionen mitzuwirken, ist das ein weiterer Ansporn, sich für diesen Verein einzusetzen und mit bestem Wissen und Gewissen beizutragen, dass es funktioniert.

Für etwas einstehen, Gemeinnützigkeit

In der Nacht auf den 1. November läuten Kinder an den Haustüren, um Süsses oder Saures zu erbetteln. Sie verlangen etwas für sich und ihre Freunde. Um den Dreikönigstag herum gibt es vielerorts den Brauch, singend von Haus zu Haus zu ziehen und von den Bewohnern etwas zu erbitten für einen wohltätigen Zweck, etwa gegen Kinderarbeit in Indien oder für eine Behindertenschule in Peru. Bei letzterem lernen die Kinder, über ihre Nasenspitze hinaus zu sehen und sich für eine gerechtere Welt einzusetzen.
Dasselbe gilt, wenn Schüler Schoggitaler verkaufen. Der Verkauf der Schokoladetaler steht immer unter dem Motto von Heimat- und Naturschutz. Dieses Jahr geht es zum Beispiel um den Erhalt von schützenswerten Insekten. Wenn Schulkinder auf der Strasse die Schokolade in goldglänzender Folie mit wunderbarem Motiv anpreisen, dann lernen sie, sich einerseits für eine Sache zu engagieren. Sie lernen aber nicht nur, für diese wichtige Sache einzustehen. Sie gehen auf die Menschen zu, begrüssen sie freundlich, stellen ihnen das Projekt vor und geben Auskunft auf Fragen.
Dabei müssen sie auch Enttäuschungen in Kauf nehmen. Nicht alle Passanten werden mit Begeisterung auf die Kinder reagieren. Da gibt es gehetzte, frustrierte Menschen, die kein Interesse zeigen. Auch dies ist eine Lebensschule und gehört mit zur direkten Demokratie. Denn jeder Mensch ist in seiner Meinung frei. Das Kind kann zwar versuchen, die Leute zu informieren, was dann aber jeder tut, ist seine Sache. Hier gilt: trotzdem freundlich bleiben und den nächsten Vorbeikommenden ansprechen.
Wer weiss, vielleicht erinnert sich der eine oder andere Staatsbürger später einmal an diese ersten Demokratieerlebnisse, wenn er oder sie dann seine Mitbürger für eine Initiative, ein Referendum oder eine anstehende Wahl zu gewinnen versucht.
Kommen wir zurück auf die anfangs angesprochene Jungbürgerfeier, die wegen fehlendem Interesse abgesagt werden musste. Inzwischen hat jene Gemeinde ihre Lehrlinge mit dem Auftrag betraut, all die Jugendlichen persönlich per Telefon zu kontaktieren und sie für die bevorstehende Jungbürgerfeier zu motivieren.
Anscheinend hat diese Aktion gewirkt. Es gibt also unzählige Möglichkeiten, die Jungen für die direkte Demokratie zu gewinnen. Sie gehen gerne darauf ein, wenn sie deren Bedeutung nachvollziehen können und von klein her darin geübt sind. Verpassen wir die Chancen nicht, es ihnen zu gönnen!    •

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