Ein wertvoller kultureller Brückenschlag

Zum neuerschienenen Kunstband «Julius von Klever – Maler am Mare Balticum» von Alfried Nehring

von Urs Knoblauch, Kulturpublizist, Schweiz

Mit dem wunderschönen Kunstband «Abendglocken an der Wolga – Russische Künstlerkolonien um 1900» hat der Theater- und Kunstwissenschaftler Alfried Nehring nicht nur Leben und Werk des weltberühmten russischen Landschaftsmalers Isaak Lewitan (1860-1900) eindrücklich dargestellt, sondern auch zur Tradition der guten nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland, Russland und den anderen europäischen Ländern beigetragen. (Zeit-Fragen hat das Buch in Nr. 11, 2017 vorgestellt.) In seinem neuen Kunstband kann nun der wichtige baltisch-deutsch-russische Landschaftsmaler Julius von Klever (1850–1924) entdeckt werden.

Auch bei diesem Künstler zeigt sich die enge Beziehung zwischen Russland und Deutschland, aber auch seine Offenheit gegenüber Europa. In seinem Lebenswerk kommen seine starken Bezüge zum Baltikum, zu Deutschland und Russland zum Ausdruck. Er gehört zu den grossen russischen Künstlern des Realismus des 19. Jahrhunderts und entwickelte einen Stil, der mit der Spätromantik und insbesondere mit Caspar David Friedrich Berührungspunkte hatte. Zentral war dabei immer das Naturstudium: «Die Studie ist das intimste Zwiegespräch des Künstlers mit der Natur», so Julius von Klever. Der Maler lebte jahrelang in Deutschland, beteiligte sich an den grossen internationalen Kunstausstellungen, war zu seinen Lebzeiten in Deutschland und in Frankreich der bekannteste russische Maler und der Liebling in den Petersburger Salons. Julius von Klever stellte 1880 als einer der ersten im damals berühmten Pariser Salon aus. Mit seinen russischen Landschaftsmotiven wurde er berühmt, und sie prägten sein ganzes Lebenswerk. Seine Bilder sind heute in zahlreichen Museen und auf dem Kunstmarkt nicht nur bei den russischen Kunstsammlern sehr begehrt.

Die Biographie als Schlüssel des Künstlerlebens

Julius von Klever wird am 31. Januar 1850 in der traditionsreichen Universitätsstadt Dorpat – heute Tartu in Estland – als Sohn eines Chemikers geboren und wächst mehrsprachig auf. Nach dem Gymnasialabschluss studiert er an der Kunstakademie in St. Petersburg. Er trägt der Familientradition folgend den gleichen Vornamen wie sein Vater und gibt diesen auch an einen seiner Söhne weiter.
Anschaulich führt Alfried Nehring in die interessante Familiengeschichte ein: Zwei Jahre vor der Geburt von Julius «hatte der Vater nach seinem Pharmaziestudium die Magisterwürde erworben. Die dazu notwendige Arbeit verfasste er in deutscher Sprache. Die immerhin 56seitige Abhandlung behandelte vor allem den Nutzen von Phosphor als Düngemittel und fusste auf den Forschungen des berühmten deutschen Agrarwissenschaftlers und Chemikers Justus von Liebig. Obgleich die Klevers wie viele deutsch-baltische Familien ein Adelsprädikat besitzen, verzichtete er darauf bei der Namensnennung in seiner Magisterarbeit. Nach bestandenem Examen heiratet der junge Wissenschaftler die ebenfalls aus einer deutschen Familie stammende Maria Magdalena Gradek. Seine Hoffnung auf eine glänzende Laufbahn an der Dorpater Universität erfüllt sich nicht. Er findet nur eine Anstellung als Apotheker am Veterinär-Institut. Aus der Ehe gehen vier Kinder hervor» (Katalog, S. 13), Julius mit dem Zunamen Sergius ist der älteste Sohn neben zwei Töchtern und dem jüngsten Sohn. Das Familienleben ist turbulent und lebensfroh, von den «Jagdausflügen, zu denen Freunde seines Vaters den naturliebenden Knaben Julius Sergius gerne mitnehmen, bringt er häufig Zeichnungen von Tieren des Waldes mit» (S. 13).
Der Autor verweist auf die komplexen geographischen und politischen Verhältnisse. So wird beispielsweise das «zu Russland gehörende Livländische Gouvernement» von Riga aus, «natürlich durch einen vom Zaren ernannten russischen Gouverneur», verwaltet, und die «Justizbehörden, das Militärkommando und die Verwaltungen der Polizei und der Kreise sind mit russischen Beamten besetzt. Sowohl die estnische als auch die lettische Bevölkerung wird in der gesellschaftlichen Oberschicht nicht repräsentiert. Dennoch leben die verschiedenen Bevölkerungsgruppen weitgehend konfliktfrei und friedlich zusammen.» (S. 13)
Der regierenden Zarenfamilie und der Romanow-Dynastie «ist das wissenschaftliche und kulturelle Potential der deutsch-baltischen Familien in Dorpat durchaus einiges wert, und so [schütten sie] reichlich Orden und Ehrenzeichen aus. Auch der Pharmazeut Klever wird zum Staatsrat und Ritter ernannt», bleibt aber trotzdem in seinen 40 Berufsjahren auf der untersten Stufe des Veterinärinstituts. Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde im Livländer Gouvernement eine «Russifizierungskampagne der zaristischen Regierung» durchgesetzt. «1893 wird Dorpat in Jurjew umbenannt und muss diesen Namen bis zur estnischen Unabhängigkeit 1918 führen. Russisch wird zur alleinigen Amtssprache. Ein Ukas des Zaren beendet so die liberalen ‹Baltischen Verhältnisse›.» (S. 14)
Mit diesen Einblicken soll deutlich gemacht werden, wie prägend die familiären und kulturpolitischen Faktoren für die weitere Entwicklung des jungen Künstlers waren. Das frühe Interesse von Julius von Klever an der Natur und am Zeichnen und Malen wurde entscheidend für seinen Lebensweg als Künstler. Obwohl ihm 1867 als 17jähriger Student ein Kunststudium an der Petersburger Universität vorschwebte, wurde der persönliche Kontakt zu seinem Zeichenlehrer am Gymnasium, dem bekannten Künstler Konstantin von Kügelgen, entscheidend. Er war ein Freund der Familie und Hofmaler der Romanows und wurde zu seinem Vorbild und Förderer seines Talents. Schon 1874 wurde Julius von Klever Gründungsmitglied der Petersburger Kunstausstellungsgesellschaft und erhielt an der Ausstellung den ersten Preis. Ohne Studienabschluss avancierte er schliess­lich zum Akademiemitglied und Professor in St. Petersburg. Nehring betont die Bedeutung dieser menschlichen Beziehung: «Wie wichtig er als fast väterlicher Mentor für Julius von Klever» war, zeigt die Tatsache, dass Konstantin von Kügelgen auch von St. Peterburg aus die familiären Verbindungen pflegte. Ein guter väterlicher Mentor wurde Julius von Klever dann selbst für die Ausbildung seines Sohnes Julius Juljewitsch Klever II zum Künstler. Dieser studierte ab 1908 an der Kunstakademie in München und wurde ein erfolgreicher Stillebenmaler. Er begleitete seinen Vater auf seinen zahlreichen Reisen und bei Naturstudien. Leider kam er «während der Leningrader Blockade durch die faschistische Wehrmacht» ums Leben (S. 42).
Vor dem Hintergrund dieser Einblicke in die Biographie des jungen Malers wird auch verständlich, dass sich der junge Künstler Julius von Klever nicht der Gruppe und Tradition der Peredwischniki und ihren sozialrevolutionären Anliegen um Ilja Repin zuwandte. Die Wandermaler reisten von den Städten aufs Land und würdigten die bäuerliche Bevölkerung und ihre Lebenswelt auf eindrücklichen Bildern. Klevers Weg zum Künstler und zu seinen Zielen formte sich früh in seiner Familie, insbesondere in den inspirierenden familiären Beziehungen, vor allem in den Kreisen der Oberschicht und unter dem Einfluss seiner Lehrer und Förderer: «Die sensationelle Karriere, die der junge Klever an der Akademie in St. Peterburg machte, führten viele seiner Malerkollegen auf die Protektion durch Zar Alexander II. und durch die Grossfürstin Maria Nikolajewna zurück.» Weiter schreibt Nehring: «Die Schwester des Zaren leitete als Präsidentin die Kunstakademie in St. Petersburg.» (S. 11) Auch der berühmte Kunstsammler und -förderer Pawel Tretjakow trug mit dem Ankauf eines Werks zum Erfolg des Künstlers bei.

Landschaftsbilder des Realismus in zauberhaften Lichtstimmungen

Die Gemälde von Julius von Klever zeichnen sich durch einen äusserst exakten und zugleich poetischen Realismus aus. Seine Landschaftsbilder und seine zahlreichen Meeresbilder strahlen eine zauberhafte Lichtstimmung aus. Man wird in romantisch verklärte Naturerlebnisse und Welten versetzt. In seinen wunderschönen Waldbildern kommen offensichtlich auch starke innere Bilder und Naturerlebnisse aus seiner eigenen Anschauung und den ersten zeichnerischen Erfahrungen im geheimnisvollen Waldinnern zum Ausdruck. Die Gemälde «‹wirkten so illusionsstark›», so Alexander Benois, der Direktor des Russischen Museums in St. Peterburg, «‹dass sich echte Skandale auf den Ausstellungen ereigneten; Besucher kletterten über die Trennwand, um sich zu vergewissern, ob hinter diesem ‹Wunder› irgendeine Täuschung steckt und ob die Gemälde von hinten mit einer transparenten Vorlage beleuchtet wurden. Manche piekten mit den Fingern in die Leinwand, streichelten sie, suchten nach irgendwelchen Tricks, und diese Draufgänger mussten mit Hilfe der Polizei hinausgedrängt werden.›» (S. 11)

Verführungen des luxuriösen Lebens und Rückkehr zum Lebenssinn

Der Künstler malt viele gefällige Bilder, verkauft gut und wird 1889 vom Moskauer Multimillionär Kusnezow zur Ausmalung einer Wandgalerie in seinem Sommerpalast in Foros auf der Krim eingeladen, dem «Sehnsuchtsort» vieler Künstler in seiner mediterranen Schönheit. Alfried Nehrung schreibt: «Das luxuriöse Leben im Sommerpalast von Foros hat etwas Verführerisches und bleibt nicht ohne Einfluss auf die weitere Entwicklung des Malers.» (S. 53) Der grosse Erfolg des Künstlers, seine zunehmenden Vermögenswerte und sein Wohlstand, seine rastlose Reise- und Ausstellungstätigkeit sowie die Welt des grossen Geldes verführen den Maler zu einem gefährlichen Lebensstil der Spielleidenschaft, der ihn auf Abwege und in die Schulden treibt. Er kann sich aus diesen gefährlichen Verstrickungen befreien «und wieder zu seinem Künstlertum und zu ehrlicher Arbeit» zurückfinden. Er «verlässt St. Peterburg, reist nach Finnland, lebt einige Jahre in Riga und Weissrussland, bis er in Deutschland endgültig wieder zu sich selbst findet.» (S. 58) Eindrücklich beschreibt der Künstler 1909 in der «Petersburger Zeitung» offen und ehrlich seine «schlimmen, verlorenen Jahre». «‹Ich hörte auf, die Natur zu erforschen, sie für neue Motive auszukundschaften.›» «‹Ich musste entscheiden, ob ich mich der reissenden Strömung ergebe, […] soweit es noch nicht zu spät war …›»
Der Künstler stirbt am 24. Dezember 1924 im Kreise seiner Familie und wird neben seinen berühmten Malerkollegen «auf dem Smolensker Friedhof in St. Petersburg, der traditionellen Begräbnisstätte für die Professoren der Kaiserlichen Akademie der Künste und der St. Petersburger Universität» (S. 79) begraben.
Dem wunderschönen Kunstband, erstmals ein Werk in deutscher Sprache über Julius von Klever, ist eine weite Verbreitung zu wünschen. Der Verfasser schreibt: «Meine Frau und ich haben für die Recherchen zu diesem Buch mehrfach St. Peterburg und Moskau besucht. Auch in Estland und Lettland folgten wir den biographischen Spuren von Julius von Klever. Die Freundlichkeit, die wir bei diesen Bildungsreisen erleben durften, werden wir nie vergessen. Für uns endet Europa im Osten nicht an der Aussengrenze der EU. Möge dieses Buch ein kleiner Beitrag für mehr Verständnis und friedvolle Partnerschaft sein.» (S. 84)    •

Das in Leinen gebundene Buch (Selbstverlag, ISBN 978-3-941-064-75-1) kann für 24 Euro (ohne Versandkosten) über den Autor Alfried Nehrig, Weg zum Hohen Ufer 21, D 18347 Ahrenshoop, Tel. 0049-38220-66189, E-Mail: nehring.agt-online.de und postjulius-klever.com sowie übers Internet bei www.julius-klever.com bezogen werden.

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