Leserbrief

«Vom pädagogischen Wert der Zuversicht»

In Zeit-Fragen Nr. 14 wird der Artikel von Carl Bossard von einem Foto begleitet, welches den Unterricht, das «dialogische Geschehen» im Schulzimmer, eingefangen hat. Die Schulkinder schauen gebannt auf die Lehrerin, und sie versuchen, die Fingerbewegungen der Lehrerin nachzuahmen. Das Bild verdeutlicht die Bedeutung der Lehrpersonen.
Im Text hat mich der Gedanke der Zuversicht, «die Zuversicht als menschliche Grundhaltung», angesprochen. In meiner Tätigkeit als Lehrerin habe ich es für mich so ausgedrückt: Ich muss für jeden einzelnen Schüler die Sicherheit haben, dass er alles lernen kann.
Ein alter Freund, Bruno, hat vor vielen Jahren ein Gedicht geschrieben, in dem er die Bedeutung der Lehrerin für ihn als Sonderschüler festgehalten hat. Einige Zeilen daraus möchte ich hier wiedergeben.
Geknickt, stumm, misstrauisch, mit der inneren Verletztheit eines Schülers, der aufgegeben wurde, sitzt er in der Kleinklasse. Er will nichts von sich geben, er stottert, er hat ein unkontrolliertes Zucken im Gesicht. Er will nicht angesprochen werden, aber er beobachtet sehr genau das Geschehen in der Klasse. Wie spricht die Lehrerin mit den anderen? Wie hilft sie ihnen? Wie findet sie den Beziehungsfaden? Dann schreibt er:
«Ich verspür, dass sie kein(en) Schüler wird fallen lassen.» Und eine Beruhigung tritt ein. Dann kommt der Tag, an dem die Lehrerin ihn zum Rechnen anleitet:

«‹Versuch die Rechnung›, spricht die Lehrerin, ‹du kannst es schon.›
Ich schreib’ die Zahlen, das Resultat schwebt einfach so davon.
Die Amsel da draussen möchte ich sein, die muss nicht studieren.
‹Versuch’s doch mal›, hör ich, ‹tu’s probieren.›
Neun und zwölf – schon ist das Resultat wieder fort.
Weit in der Ferne hör ich der Lehrerin Wort.
Bin abgeschweift, die Amsel draussen muss nicht studieren.
‹Versuch’s noch mal›, hör ich, ‹tu’s probieren.›
Doch der Lehrerin Worte lässt mich nicht in Ruh,
derweil ich draussen schau den Amseln zu.»

Nachdem endlich erst mit Mühe und dann mit Elan einige Rechnungen gelungen sind, heisst es im Gedicht weiter:

«Vergessen die Amsel, hör sie auch nicht mehr singen.»

In dieser Szene kommt für mich die Zuversicht der Lehrerein so klar zum Ausdruck. Sie ermutigt Bruno, gibt ihm die Zuversicht, so dass seine gedankliche Flucht: «Die Amsel möchte ich sein», hinter dem tatkräftigen Zupacken, dem Lösen der Rechenaufgaben, zurücktritt.
Bei dem Lösen der Aufgaben bleibt die Lehrerin nicht stehen. Mit der Anerkennung verbindet die Lehrerin einen Hinweis, den Bruno im Gedicht so ausdrückt:

«‹Gut gemacht!› Es tut mir gut, wie sie spricht.
‹Doch merk dir das, eine Rechnung überspringen tut man nicht!›
Ich schau sie lange an, sie meint es ernst.
‹Dass du mit Mogeln das Rechnen nicht erlernst!›»

Carl Bossard schreibt im letzten Absatz von den lernschwächeren Schülerinnen und Schülern, die Lehrpersonen brauchen, «die sie ermutigen und ihnen so eine Brücke zum Gelingen bauen – und damit die Zuversicht und zur Einsicht: ‹Ich kann es.›»
Dass Zeit-Fragen diesen pädagogischen Schwerpunkt in vielen Artikeln betont, finde ich schlicht gut.

Margret Kleine-Pauli, Zürich

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