Eine chinesisch-russische Brandmauer gegen amerikanische Einmischung

von M. K. Bhadrakumar*, Indien

China hat den Vereinigten Staaten und Grossbritannien ausdrücklich vorgeworfen, hinter den «prodemokratischen» Demonstrationen in Hongkong zu stehen. Peking hat sich des Falles auf diplomatischem Wege angenommen und gefordert, dass die US-Geheimdienste aufhören, die Hongkonger Demonstranten zu ermutigen und zu unterstützen. Anfang August wurden Fotos in den Medien veröffentlicht, die Julie Eadeh, politische Beraterin im US-Konsulat in Hongkong, im Gespräch mit Führern der prodemokratischen Studentenbewegung in Hongkong in der Lobby eines lokalen Luxushotels zeigen.

Washington hat gar keine Freude an den Enthüllungen der wahren Identität von Frau Eadeh. Sie sei eine Expertin, die bereits in anderen Ländern «Farbrevolutionen» organisiert habe und mit der Inszenierung von «subversiven Aktionen» im Nahen Osten verbunden sei. Zu diesem Punkt veröffentlichte die chinesische Zeitung «The Global Times» einen heftigen Leitartikel: «Die amerikanische Regierung spielt bei den Unruhen in Hongkong eine beschämende Rolle. Washington unterstützt öffentlich die Demonstrationen und hat Gewalttaten gegen die Polizeikräfte nie verurteilt. Das US-Generalkonsulat in Hongkong verstärkt die direkte Einmischung in die lokale Situation. Die amerikanische Regierung ist für die Unruhen in der Stadt verantwortlich, so wie sie die ‹Farbrevolutionen› in anderen Teilen der Welt angeheizt hat.»

Sind Chinas Behauptungen plausibel? In der «Asia Times» bemerkte der renommierte kanadische Wissenschaftler, Ökonom und Autor Ken Moak kürzlich sehr treffend, dass die Demonstrationen grosszügig finanziert wurden und dass ihre Logistik und Organisation so umfangreich sei, dass die benötigten Ressourcen nur «von ausländischen Regierungen oder wohlhabenden Personen, die von ihnen profitieren könnten», eingesetzt werden konnten. Anschliessend erläuterte er verschiedene Beispiele, bei denen die Vereinigten Staaten und Grossbritannien versucht hatten, China zu destabilisieren.
Herr Moak prognostiziert, dass in Zukunft «intensivere und gewalttätigere» subversive Operationen gegen China von den Vereinigten Staaten durchgeführt werden.
Tatsächlich organisieren Provokateure tägliche Protestaktionen wie das Verbrennen chinesischer Flaggen oder die Besetzung des Hongkonger Flughafens. Ziel ist es, Peking zum Eingreifen zu zwingen, was eine Vielzahl von Konsequenzen auslösen würde – unter anderem westliche Sanktionen.
Angesichts der bevorstehenden Einführung der 5G-Technologie wäre es für die Vereinigten Staaten ein guter Zeitpunkt, ihren westlichen Verbündeten einen Boykott Chinas aufzuzwingen, obwohl einige Länder wie Deutschland und Italien blühende Handels- und Investitionsbeziehungen zu China aufgebaut haben und sich daher nur ungern dem amerikanischen Trend anschliessen würden.

Francesco Sisci, ein in Peking lebender renommierter italienischer Journalist und langjähriger Beobachter Chinas, schrieb kürzlich, dass Hongkong das «Sicherheitsventil» Pekings sei – die Stadt zu ersticken, könnte das gesamte chinesische System lahmlegen. Sisci vergleicht Hongkong daher mit einer «Druckausgleichskammer, einem Sicherheitsventil zwischen Chinas geschlossener Wirtschaft und den offenen Volkswirtschaften der übrigen Welt».
Wenn China in der Lage war, gierig von der Globalisierung zu profitieren und gleichzeitig seine Wirtschaft geschlossen zu halten, dann geschah dies dank Hongkong, das bereits völlig offen war und den drittgrössten Finanzmarkt der Welt beherbergte. Im Falle einer grösseren Kapitalflucht aus Hongkong müsste China seine künftigen finanziellen Vereinbarungen mit Ländern aushandeln, über die es keine politische Kontrolle hat. Gemäss Sisci «erlaubt der aktuelle Status Hongkongs es Peking, Zeit zu sparen, aber das Hauptproblem bleibt der Status Chinas. Die Zeit, in der das Land dank einer komplexen Architektur von Sondervereinbarungen sowohl innerhalb als auch ausserhalb des Welthandelssystems lag, neigt sich dem Ende zu».
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die aktuellen Unruhen in Hongkong für das amerikanische Vorgehen repräsentativ sind, das darin besteht, China unter maximalen Druck zu setzen, um seine Dynamik zu bremsen und es daran zu hindern, seine Führungsrolle als Konkurrent im globalen Technologiewettlauf des 21. Jahrhunderts zu behaupten. Einflussreiche chinesische Kommentatoren in den USA freuen sich bereits, dass «die Revolution in Hongkong in der Luft liegt» und dass dies «das Ende des Kommunismus auf chinesischem Boden» bedeuten werde.

Hier kommt Russland ins Spiel. Zufällig oder nicht sind auch Unruheherde in den Strassen Moskaus entstanden, bevor sie sich zu grossen Demonstrationen gegen Präsident Wladimir Putin entwickelt haben. Wenn das Auslieferungsgesetz der Vorwand für die Ereignisse in Hongkong war, dann haben offenbar die Wahlen in die Moskauer Staatsduma (das städtische Legislativorgan) die russischen Demonstrationen ausgelöst.
So wie die Unzufriedenheit in Hongkong wirtschaftlicher und sozialer Natur ist, wird der Popularitätsrückgang von Wladimir Putin auf die Stagnation der russischen Wirtschaft zurückgeführt.
In beiden Fällen verfolgt die amerikanische Strategie offen einen «Regime change». Dies mag überraschen, da die chinesischen und russischen Behörden offensichtlich sehr gut verankert sind. Die Legitimität der von Präsident Xi Jinping geführten Kommunistischen Partei Chinas und die Popularität Putins bleiben auf einem Niveau, das jeden Poli­tiker der Welt eifersüchtig machen würde, aber die Doktrin der «Farbrevolutionen» gründet nicht auf demokratischen Prinzipien.

Der Zweck von Farbrevolutionen ist es, eine etablierte politische Ordnung aufzulösen, ohne dabei auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen zu sein. Das sind getarnte Staatsstreiche. Sie haben auch gar nichts mit Demokratie zu tun. Die jüngsten Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in der Ukraine haben gezeigt, dass die Farbrevolution von 2014 ein Aufstand war, den das Volk ablehnte.Natürlich ist die Destabilisierung Chinas und Russlands eine grosse Herausforderung. Es geht um nichts Geringeres als um das globale strategische Gleichgewicht. Die doppelte Eindämmungsstrategie gegenüber Russ­land und China ist das eigentliche Ziel des «Projekts für ein neues amerikanisches Jahrhundert» [«Project for a New American Century»], nämlich die Hegemonie der USA für das 21. Jahrhundert.Die USA haben damit gerechnet, dass die Farbrevolutionen Moskau und Peking unter Druck setzen und sie so isolieren würden. Schliesslich sind ja autoritäre Regimes sehr exklusiv, und selbst Nahestehende und Verbündete sind im Heiligtum ihrer Innenpolitik nicht erwünscht.Gerade da hat Moskau Washington mit einer unliebsamen Überraschung konfrontiert. Die Sprecherin des russischen Aussenministeriums, Maria Sacharowa, sagte am 9. August, dass Russland und China Informationen über die Einmischung der USA in ihre inneren Angelegenheiten austauschen sollten. Sie hielt fest, dass Moskau die Erklärungen Chinas zur Intervention der USA in interne Hongkonger Angelegenheiten zur Kenntnis genommen habe und dass diese Informationen «mit grösster Ernsthaftigkeit» behandelt würden.«Darüber hinaus halte ich es für richtig und nützlich, diese Art von Informationen über unsere entsprechenden Dienste auszutauschen», sagte Frau Sacharowa und fügte hinzu, dass die russische und die chinesische Seite dieses Thema bald diskutieren würden. Weiter ergänzte sie noch, dass die US-Geheimdienste spezielle Technologien einsetzten, um Russland und China zu destabilisieren.Zuvor hatte der russische Aussenminister den Leiter der politischen Abteilung der US-Botschaft, Tim Richardson, vorgeladen und gegen die Unterstützung einer nicht genehmigten Kundgebung in Moskau am 3. August durch die Vereinigten Staaten formell protestiert.Tatsächlich hat Moskau viel mehr Erfahrung als Peking in der Neutralisierung geheimer Operationen der amerikanischen Geheimdienste. Die Tatsache, dass in Russland während der ganzen Ära des Kalten Krieges und der anschliessenden «postsowjetischen» Zeit keine ähnlichen Phänomene wie die durch die US-Geheimdienste ausgelösten Ereignisse auf dem Tian’anmen-Platz (1989) oder in Hongkong (2019) stattfanden, zeugt vom Talent, der Sachkenntnis und der Beharrlichkeit des russischen Systems.Moskaus Botschaft an Peking ist direkt und aufrichtig: «Vereint stehen wir, geteilt fallen wir.» Es besteht kein Zweifel daran, dass beide Länder sich bereits beraten haben und dies dem Rest der Welt bekanntgeben wollten. In der Tat ist die Botschaft von Frau Sacharowa – die eine gemeinsame Brandmauer gegen amerikanische Einmischung darstellt – von grösster Bedeutung. Sie stärkt das russisch-chinesische Bündnis, hebt es auf eine qualitativ höhere Ebene und schafft damit eine neue politische Grundlage für die kollektive Sicherheit.    •

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

Quelle: www.indianpunchline.com vom 11.8.2019

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Unsere Website verwendet Cookies, damit wir die Page fortlaufend verbessern und Ihnen ein optimiertes Besucher-Erlebnis ermöglichen können. Wenn Sie auf dieser Webseite weiterlesen, erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden.
Weitere Informationen zu Cookies finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.
 

Wenn Sie das Setzen von Cookies z.B. durch Google Analytics unterbinden möchten, können Sie dies mithilfe dieses Browser Add-Ons einrichten.

OK