Warum fand der Angriff auf die Ölanlage Abqaiq statt?

Welche Lehren sollten die USA daraus ziehen?

von Gareth Porter, USA*

Der durchschlagende Erfolg des Drohnenangriffs vom 14. September auf das wichtigste Zentrum für den Ölexport in Saudi-Arabien brachte eine neue Wendung in der Iran-Krise. Er hat gezeigt, dass Iran in der Lage ist, Druck auf die USA auszuüben, damit sie ihren Krieg gegen die iranische Wirtschaft beenden, oder dass er sonst den Willen [und die Fähigkeiten, Anm. d. Übers.] hat, ihn zu verschärfen.
Eine Reihe komplexer Fragen im Zusammenhang mit den verschiedenen iranischen und Huthi-Waffensystemen und den technischen Beweisen im Zusammenhang mit der Zerstörung der Anlagen in Abqaiq werden zurzeit untersucht. Diese von der Administration vorgelegten Beweise mögen schwach oder überzeugend sein. In beiden Fällen jedoch wäre es ein strategischer Fehler derjenigen, die sich dem Krieg in Jemen und der Beteiligung der USA daran widersetzen, dies zum Hauptthema zu machen. Dies wird nur die Auswirkungen dieses Krieges verdecken und die zentralen politischen Fragen verdrängen, die jetzt angegangen werden müssen: Warum fand dieser Angriff statt? Und was heisst das in einer Situation, die nur eine kleine Krise braucht, um sich zu einem schwerwiegenden Krieg im Nahen Osten zu entwickeln?
Die Frage, ob es sich bei dem Angriff auf Abqiaq um eine kombinierte Huthi-iranische Operation oder eine eigenständige iranische Aktion handelte, ist von untergeordneter Bedeutung. Es ist offensichtlich, dass, unabhängig von der genauen Herkunft des Angriffs, Iran sehr wahrscheinlich bei der Entstehung der beteiligten Drohnen und/oder Marschflugkörper und an der strategischen Rechtfertigung dieses Angriffs beteiligt war. Es ist auch durchwegs vertretbar zu behaupten, dass die Huthi und Iran legitime Gründe für einen solchen Angriff hatten.
Für die Huthi geht es darum, Saudi-Arabien zu zwingen, seinen systematischen Krieg gegen die Zivilbevölkerung in von den Huthi kontrollierten Gebieten in Jemen und seine Luft- und Seeblockade von lebenswichtigen Gütern einzustellen. Für die Iraner geht es darum, die USA zu zwingen, ihre Wirtschaftsblockade, mit der sie Druck auf die Kunden Irans ausüben, zu beenden. Saudi-Arabien hat durch seinen Aggressionskrieg zur Erreichung eines Regimewechsels in Jemen die grundlegendsten Prinzipien des Völkerrechts verletzt, da es bei Kriegsbeginn keinesfalls von den Huthi angegriffen worden war. Trotz der Bemühungen, den Konflikt durch Widerstand, Verhandlungen und Angriffe gegen unwichtige Ziele in Saudi-Arabien zu beenden, konnten sie den weithin als kriminell geltenden Krieg nicht stoppen.
Für Iran hingegen ist der Angriff gegen Abqaiq ein absolut notwendiger Schritt, um den USA zu signalisieren, dass sie ihren Angriff auf die iranische Wirtschaft nicht ohne sehr ernste Folgen fortsetzen können. Der Zeitpunkt des Angriffs ist mit ziemlicher Sicherheit die Folge der aggressivsten und offensivsten Sanktionen gegen die lebenswichtigen Interessen Irans, welche die Trump-Regierung seit dem Austritt aus dem iranischen Atomprogrammabkommen verhängt hat.
Seit fast einem Vierteljahrhundert praktizieren die USA einen sekundären Boykott (Sanktionen gegen die Staaten, die mit einem Staat Handel führen, den die US-Regierung als Feind betrachtet), um Druck auf die iranische Politik auszuüben, beginnend mit der Verabschiedung des Iran Libya Sanctions Act (ILSA) im Jahr 1996. Heute hat die Trump-Administration den Einsatz dieses Instruments bis zur letzten Konsequenz betrieben, indem sie versucht hat, die Ölexporte Irans – seine Export-Haupteinnahmequelle – auf «null» zu reduzieren, wie Aussenminister Mike Pompeo im vergangenen April stolz erklärte. Die Regierung plant auch, die iranischen Exporte von Gas und Metallen (Eisen, Stahl, Aluminium und Kupfer) so weit wie möglich zu reduzieren. In seiner öffentlichen Präsentation der berühmten «12 Forderungen» an Iran vom Mai 2018 erklärte Pompeo, dass der eigentliche Zweck all dieses Drucks darin besteht, das iranische Volk zu zwingen, die USA von dem verhassten Regime in Teheran zu befreien.
Die Trumpsche Politik des «Maximaldrucks» auf Iran stellt eine extreme Verletzung des Rechts jedes Staates auf Teilnahme an der Weltwirtschaft dar, ohne die ein moderner Staat nicht überleben kann. Bezogen auf den Handel entspricht dies einer Seeblockade, um eine Nation auszuhungern, und dies würde weltweit als Kriegsakt anerkannt, wenn es von irgendeinem anderen Staat der Welt verübt würde. Iran nennt dies «wirtschaftlichen Terrorismus».
Im Zusammenhang mit diesen umfassenderen rechtlichen und moralischen Fragen ist die Frage nach der jeweiligen Rolle Irans und der Huthi bei diesem Militärschlag nicht nur eine Frage von taktischer und propagandistischer Bedeutung, sondern eine grundsätzliche. Die Ausschaltung von Abqaiq ist ein unmissverständliches Signal der Islamischen Republik: Sie hat bereits mehrfach erklärt, dass, wenn die Vereinigten Staaten darauf bestehen, ihr die Möglichkeiten zum Verkauf von Erdöl zu verweigern, sie es nicht länger zulassen wird, dass das Erdöl der übrigen Welt die Strasse von Hormuz passiert.
Der Angriff auf Abqaiq ist auch ein dramatischer Beweis für die Fähigkeit Irans, die USA strategisch zu überraschen und deren politische und militärische Pläne zu stören. Iran hat die letzten zwei Jahrzehnte damit verbracht, sich auf eine mögliche Konfrontation mit den USA vorzubereiten, und das Ergebnis ist eine neue Generation von Drohnen und Marschflugkörpern, die Iran die Möglichkeit geben, jeder amerikanischen Anstrengung viel effektiver zu begegnen, indem sie darauf abzielen, ihre militärischen Ressourcen zu zerstören und amerikanische Stützpunkte im Nahen Osten anzugreifen.
Die USA waren anscheinend völlig überrascht, als Iran einen Prototyp einer amerikanischen Marinevariante der Global-Hawk-Überwachungsdrohne, ein Fluggerät in der Grösse einer Boeing 737, mit einer Khordad-Rakete abschoss, die von einem Ra'ad-Boden-Luft-Raketensystem gestartet wurde, das erstmals vor einigen Jahren eingesetzt wurde. Auch das iranische Flugabwehrsystem wurde kontinuierlich verbessert, beginnend mit dem russischen S-300-System, das Iran 2016 erhielt. 2019 hat Iran auch sein eigenes Flugabwehrsystem Bavar-373 vorgestellt, das mehr dem von Indien und der Türkei begehrten russischen S-400-System gleichkommt als dem S-300-System.
Dann ist da noch die Entwicklung einer Flotte von Militärdrohnen durch Iran, was einen Analysten veranlasste, Iran als «Drohnen-Supermacht» zu bezeichnen. Im Gebiet der Drohnen gehören die Shahed-171, eine «Stealth-Drohne» mit präzis gelenkten Raketen, und die Shahed-129, eine Hybridkopie des amerikanischen Sentinel RQ-170 und des amerikanischen MQ-1 Predators, dazu.
Iran hat in den letzten Jahren stark in technologische und militärische Errungenschaften investiert, vor allem, weil es sich gefährlich verletzlich fühlte. Die Analysten nehmen jedenfalls diese Generation iranischer Systeme sehr ernst, von denen sie glauben, dass sie grossen Einfluss auf die amerikanische Politik haben werden. Ich bezweifle jedoch, dass jemand Präsident Trump über diese Realität informiert hat …
Alle Gegner zukünftiger Kriege dürfen sich nicht durch die Frage nach Beweisen für die Verantwortung Irans ablenken lassen. Es geht darum, sich auf das dringende Problem der amerikanischen Verantwortung zu konzentrieren, das auch jetzt wieder unter den politischen und medialen Teppich gekehrt wird.    •

* Gareth Porter, geboren 1942, ist amerikanischer Historiker, investigativer Journalist, Autor und ­politischer Analyst der Nationalen Sicherheitspolitik der USA. Er ist ein Vietnam-Spezialist und war bereits Kriegsgegner während des Vietnam-Kriegs. Er hat verschiedene Publikationen zu den Möglichkeiten der friedlichen Konfliktlösung im Südosten Asiens und im Mittleren Osten verfasst.

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Quelle: www.theamericanconservative.com/articles/evidence-of-irans-culpability-in-the-attack-isnt-important/ vom 19. September

Unilaterale Sanktionen gehören zum Arsenal des Faustrechts

«Sanktionen sind ein Instrument der internationalen Politik, das der Idee der Diplomatie und des friedlichen Zusammenlebens der Völker zuwiderläuft. Wie aus den Bestimmungen von Kapitel VII der Uno-Charta klar hervorgeht, sind Sanktionen die Vorstufe der Anwendung von Waffengewalt. Diese Art von Zwangsmassnahmen hat also moralisch den Charakter des Krieges.
[…] Unilateral gehören Sanktionen letztlich zum Arsenal des Faustrechts und passen insofern wohl besser in das ‹alte› Völkerrecht, in dem das ius ad bellum, das ‹Recht zum Kriege›, die Prärogative des souveränen Staates war. Allerdings, so heisst es heute übereinstimmend, hätten wir dieses Rechtsverständnis seit dem Ende des Ersten Weltkrieges überwunden.» («Sanktionen aus völkerrechtlicher Sicht»; in: Hans Köchler, «Schweizer Vorträge – Texte zu Völkerrecht und Weltordnung», Verlag Zeit-Fragen, Zürich 2019, S. 150, ISBN 978-3-909234-23-3, 169 Seiten)

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