Rettet die Bienen und die Demokratie!

Das «Volksbegehren Artenschutz – ‹Rettet die Bienen›» in Baden-Württemberg erhitzt die Gemüter

von Dr. Matthias Burchardt

zf. In Baden Württemberg sind in den letzten Wochen Unterschriften für das «Volksbegehren Artenschutz – ‹Rettet die Bienen›» gesammelt worden. Verschiedene Landwirtschaftsverbände haben hierauf konstruktiv-kritisch reagiert. Nach Überzeugung von Betroffenen und Sachverständigen ist das Volksbegehren inhaltlich fragwürdig (siehe Kasten unten). Seit dem 18. Oktober werden deshalb in Baden-Württemberg auch Unterschriften für einen Volksantrag gesammelt (siehe Artikel auf Seite 6). Ein Volksantrag ist in Baden-Württemberg in Ablauf und Bedeutung etwas anderes als ein Volksbegehren. Die jetzt begonnene Unterschriftensammlung zum Volksantrag soll aber auch inhaltlich eine wirkliche Alternative bieten – auch zum sogenannten, sehr wahrscheinlich ebenfalls problematischen «Alternativvorschlag» zum Volksbegehren, der jetzt von der grün-schwarzen Landesregierung angekündigt wurde.
Der folgende Text des an der Universität Köln lehrenden Philosophen und Pädagogen Dr. Matthias Burchardt thematisiert das ursprüngliche Volksbegehren und ordnet es grundsätzlich ein. Dabei würdigt er insbesondere die Möglichkeiten der direkten Demokratie als Bildungsanlass.

Am «Volksbegehren Artenschutz. ‹Rettet die Bienen›» in Baden-Württemberg lässt sich aufzeigen, dass Volksentscheide als Instrumente der direkten Demokratie herausragende Bildungsanlässe darstellen. Dabei lohnt es sich, nicht einfach zu unterschreiben, als würde man Facebook-Likes verteilen, sondern Argumente und Programme wirklich zu prüfen. Zudem bietet dieses Volksbegehren eine Gelegenheit, die Akteure aus Landwirtschaft, Umweltschutz und Globalisierungskritik zu einem Gespräch zusammenzubringen. Auch hier ist wichtig, dass wir uns nicht spalten lassen.
Mein Vater und mein Grossvater waren Imker. Schon in meiner frühesten Kindheit lernte ich den emsigen Fleiss der Bienen kennen, die unglaubliche Mühe, mit der sie die vielen Nektartropfen aus den Blütenkelchen in den brausenden Bienenstock tragen. Und wenn dann die Apfelbäume im Herbst reiche Ernte brachten, wusste ich, dass es den Bienen zu danken war, die im Frühling die Blüten bestäubt hatten.
Seltsam kam es mir allerdings vor, wenn mein Opa immer wieder das Bienenvolk als Gleichnis für den Staat heranzog. «Wir haben doch keine Königin!» hab’ ich ihm entgegnet. Den Begriff der Demokratie kannte ich damals noch nicht. So reibungslos und wabenförmig das Gemeinwesen der Bienen auch aufgebaut sein mag, taugt es doch nicht als Modell für unseren Staat.
Wir Menschen sind politische Wesen und Wesen der Freiheit, geben uns eine Verfassung, Gesetze und Regierungen, diskutieren öffentlich über Fragen, die das Gemeinwesen betreffen. In der Demokratie gilt das Volk als Souverän. Allerdings ist diese Staatsform voraussetzungsreich und verletzlich. Nur wenn die Bürger über Gemeinsinn, demokratische Tugenden und politische Urteilsfähigkeit verfügen, kann ein demokratischer Staat florieren. Gewährleistet und verteidigt werden die Voraussetzungen durch ein gutes Bildungswesen. Ungebildete Staatsbürger sind eine leichte Beute von Propaganda und Ideologie.
Man könnte die aktuelle Situation in der Merkel-Republik durchaus auf den erbärmlichen Zustand unserer Schulen und Universitäten zurückführen. Diese sind infolge der neoliberalen Pisa- und Bologna-Reformen, welche ihnen durch Stiftungen und durch die OECD eingeflüstert wurden, kaum noch in der Lage, ihren Verfassungsauftrag zu erfüllen. Die Autorin Sibylle Berg führt in ihrem düster-zynischen Roman «GRM-Brainfuck» vor, dass die Eliten als letzten Coup gegen die Armen dem zerrütteten Gemeinwesen die direkte Demokratie verpassen, weil es wesentlich einfacher ist, die ungebildeten Massen zu steuern als deren gelegentlich eigenwillige «Repräsentanten».
Ich teile diese düstere Position nicht, sondern möchte im Gegenteil dafür plädieren, dass Volksentscheide als Instrumente der direkten Demokratie herausragende Bildungsanlässe darstellen, wie sich aktuell am «Volksbegehren Artenschutz – ‹Rettet die Bienen›» in Baden-Württemberg zeigen lässt.
Als Imkersohn war ich sofort begeistert von diesem Vorstoss. Doch bald kamen mir auch Zweifel: Aus eigener Erfahrung habe ich schmerzlich lernen müssen, dass edle ­politische Ziele oft über Kleingedrucktes hinwegtäuschen, dass die gewählten Mittel nicht zum versprochenen Ziel führen, dass die Programme der politischen Akteure absehbare Nebenwirkungen haben oder häufig einer verborgenen Agenda folgen (Beispiele: Friedensmissionen, Anti-Terror-Gesetze, Bildungs-, Hartz- oder Gesundheitsreformen).
Insofern lohnt es sich auch bei diesem Volksbegehren, nicht einfach zu unterschreiben, so als würde man Facebook-Likes verteilen, sondern ausführlich Argumente und Programme zu prüfen. Glücklicherweise findet das Verfahren nicht im Netz statt, weil man dann im Gespräch mit anderen Menschen der Sache auf den Grund gehen kann.
Warum sollte man dieses Volksbegehren nicht unterstützen? Wieso sprechen sich der Imkerverband1 und auch der Öko-Anbauverband Bioland2 dagegen aus? Selbstverständlich wollen diese Akteure nicht die Bienen zum Tode verurteilen oder sind gar gegen Biodiversität. Vielmehr befürchten sie, dass der gutgemeinte Antrag auf Grund handwerklicher Fehler, starrer und wenig durchdachter Regulationen weder den Bienen noch der traditionellen oder biologischen Landwirtschaft helfen wird.
Dabei zeigt etwa das Wildbienen-Monitoring des NABU3 exemplarisch, wie fruchtbar die Kooperation von Naturschutz und traditioneller Landwirtschaft am Bodensee bereits jetzt funktionieren kann. In einem verzweifelten offenen Brief bringt die Obstbäuerin Antonia Kitt die Lage zum Ausdruck:
«Wir Obstbauern vom Bodensee können mit Fug und Recht sagen: Wir haben die (Wild)Bienen in unseren Obstanlagen bereits gerettet! Und ja, natürlich tragen wir Bauern die Verantwortung für den Natur- und Artenschutz mit! Aber anstatt die Landwirte weiter in ihrer Arbeit für die Natur und ihre Lebewesen zu unterstützen und weitere positive Anreize zu bieten, bringt der Gesetzesentwurf des Volksbegehrens Verbote, Einschränkungen und planwirtschaftliche Vorgaben und Zwänge, die für viele bäuerliche Betriebe existenzbedrohend sind.
Die Verabschiedung des Gesetzesentwurfs wird noch mehr Höfe zum Aufgeben zwingen, weil sie mit diesen so radikal geforderten Auflagen nicht mehr wirtschaftlich produzieren können, das gilt für Biobetriebe ebenso wie für die integrierte und konventionelle Produktion. Diese Konsequenz dürfte den wenigsten Unterstützern von ‹Rettet die Bienen› klar sein».4
Landwirtschaft ist für viele Menschen in den Städten ein blinder Fleck. Der Bauer erscheint als mediale Witzfigur («Bauer sucht Frau») oder sprichwörtlich einfältiger Glückspilz («Der dümmste Bauer hat die dicksten Kartoffeln»). Er wird beim Kindergeburtstag im Hofladen oder Streichelzoo zum romantischen Tier- und Pflanzenkümmerer idealisiert, und wenn er diesem Klischee nicht entspricht, unter den Pauschalverdacht des Tierquälers oder Umweltvergifters gestellt.
Schwarze Schafe und gute Hirten finden sich in jeder Berufsgruppe, sogar im Journalismus. Nur vergessen wir leicht, dass wir durchaus ein paar Wochen ohne die «Qualitätspresse» auskommen könnten (was für eine verlockende Vorstellung!), aber nicht ohne die Landwirtschaft, der wir unser tägliches Brot verdanken. Wir müssen deshalb zur Kenntnis nehmen, dass der Neoliberalismus auch in diesem Umfeld verheerende Wirkungen entfaltet hat.
Viele Landwirte verlieren ihre Existenz oder kapitulieren,5 weil sie zerrieben werden zwischen ideologisch-unzweckmässigen Auflagen, monopolistischen Lebensmittelkonzernen und dem gewaltigen Marktdruck unter den Bedingungen des globalisierten Freihandels. Die Konsequenzen betreffen die Sonderkulturen (Obst, Wein, Hopfen, Gemüse, …), den Ackerbau und die Viehwirtschaft: Kleine Betriebe müssen schliessen, und die Produktion wird in grosse industrielle Formen überführt oder wandert gleich ins Ausland ab, wo es weniger oder gar keine sozialen oder ökologischen Auflagen gibt.
Ob der Import von Obst, Gemüse und Fleisch aus anderen Erdteilen ökologisch sinnvoll ist, darf mit Recht bezweifelt werden. Die aufgegebenen Ländereien liegen entweder brach oder werden gar von Investoren aufgekauft, die ihr Geld in eine krisensichere Anlage stecken wollen, bevor die nächste Finanzblase platzt.6
Anlässlich des Volksbegehrens entsteht endlich eine Gelegenheit, die Akteure aus Landwirtschaft, Umweltschutz und Globalisierungskritik zu einem sachorientierten Gespräch zusammenzubringen. Wichtig erscheint mir allerdings, dass wir uns nicht spalten lassen. Antonia Kitt betont das gemeinsame Anliegen:
«Darum, liebe Bienenfreunde und Artenschützer, wenn Ihr wirklich etwas für den Erhalt der Artenvielfalt tun möchtet, dann solidarisiert Euch mit uns heimischen Bauern! Wir haben das gleiche Ziel!»7
Das unausgereifte Volksbegehren scheitern zu lassen, könnte die Geburtsstunde eines neuen gesellschaftlichen Zusammenhalts bilden, der ohne Ökopopulismus und Spaltung gute Lebensverhältnisse für Mensch und Natur schafft.    •

1 www.bienenundnatur.de/aktuelles/imker-verbaende-unterstuetzen-volksbegehren-nicht/
2 www.swr.de/swraktuell/baden-wuerttemberg/Initiative-Rettet-die-Bienen-Volksbegehren-zur-Artenvielfalt-Oekoverband-und-Gruenen-Poli­tiker-ueben,artenvielfalt-kritik-bw-100.html
3 www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/hautfluegler/180503-nabu-wildbienen-monitoring-2010.pdf
4 www.lernort-bauernhof-bodensee.de/wp-content/uploads/Offener-Brief_AntioniaKitt_Volksbegehren.pdf
5 https://de.statista.com/statistik/daten/studie/36094/umfrage/landwirtschaft---anzahl-der-betriebe-in-deutschland/
6 www.agrarheute.com/management/recht/investoren-kaufen-landwirtschaft-540318
7    a.a.O.

Quelle: Erstveröffentlichung in www.rubikon.news/article/rettet-die-bienen-und-die-demokratie

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