UN-Experte für Folter schlägt erneut Alarm: Assanges Leben ist in Gefahr

Der UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer, hat seine Beunruhigung über die anhaltende Verschlechterung der Gesundheit von Julian Assange seit seiner Verhaftung und Inhaftierung Anfang dieses Jahres zum Ausdruck gebracht und erklärt, dass sein Leben jetzt in Gefahr sei.
Herr Assange wurde am 11. April 2019 in ein britisches Hochsicherheitsgefängnis gesteckt, wo er weiterhin im Zusammenhang mit einem US-Auslieferungsersuchen wegen Spionageanklagen festgehalten wird, weil er Beweise für Kriegsverbrechen der USA und anderes Fehlverhalten im Irak und in Afghanistan vorgelegt hat. «Während die US-Regierung Herrn Assange wegen der Veröffentlichung von Informationen über schwere Menschenrechtsverletzungen, einschliesslich Folter und Mord, strafrechtlich verfolgt, geniessen die für diese Verbrechen Verantwortlichen weiterhin Straffreiheit», sagte Melzer.
Der Sonderberichterstatter und sein Ärzte-Team besuchten den inhaftierten Wiki­Leaks-Gründer im Mai und berichteten, dass er «alle typischen Symptome einer längeren psychischen Folter» zeige und sofortige Mass­nahmen zum Schutz seiner Gesundheit und Würde erforderlich seien.
«Was wir jedoch von der britischen Regierung gesehen haben, ist eine völlige Missachtung der Rechte und der Integrität von Herrn Assange», sagte Melzer. «Trotz der medizinischen Dringlichkeit meiner Beschwerde und der Schwere der behaupteten Verstösse hat das Vereinigte Königreich keine völkerrechtlich vorgeschriebenen Untersuchungs-, Präventions- und Rechtsbehelfe ergriffen.»
Im Rahmen des Übereinkommens gegen Folter müssen die Staaten unverzüglich und unparteiisch ermitteln, wenn begründeter Anlass zu der Annahme besteht, dass eine Folterhandlung begangen wurde. «In einer oberflächlichen Antwort, die fast fünf Monate nach meinem Besuch verschickt wurde, lehnte die britische Regierung meine Untersuchungsergebnisse entschieden ab, ohne die Bereitschaft zu bekunden, meine Empfehlungen zu berücksichtigen, geschweige denn, sie umzusetzen oder auch die angeforderten zusätzlichen Informationen zu liefern», sagte der UN-Experte.
Wie von Melzer vorausgesagt, musste Herr Assange kurz nach dem Besuch des Sonderberichterstatters auf die Gesundheitsstation des Gefängnisses verlegt werden. «Er wird weiterhin unter repressiven Bedingungen der Isolation und Überwachung festgehalten, die durch seinen Inhaftierungsstatus nicht gerechtfertigt sind», sagte Melzer und fügte hinzu, dass Herr Assange, nachdem er seine Haftstrafe wegen Verletzung der britischen Kautionsbedingungen im Jahr 2012 abgesessen hatte, nun ausschliesslich im Zusammenhang mit dem anhängigen Auslieferungsersuchen der Vereinigten Staaten festgehalten wird.
«Trotz der Komplexität des von der weltweit mächtigsten Regierung geführten Verfahrens gegen ihn wurde der Zugang von Herrn Assange zu Rechtsbeistand und Dokumenten erheblich behindert und damit sein grundlegendes Recht auf Vorbereitung seiner Verteidigung wirksam untergraben», sagte Melzer.
«Die eklatante und anhaltende Willkür, die sowohl von der Justiz als auch von der Regierung in diesem Fall demonstriert wird, zeigt eine alarmierende Abweichung von dem Engagement des Vereinigten Königreichs für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit. Dies ist ein besorgniserregendes Beispiel, das durch die jüngste Weigerung der Regierung, die langerwartete gerichtliche Untersuchung der britischen Beteiligung am CIA-Folter- und Überstellungsprogramm durchzuführen, noch verstärkt wird.»
«Meiner Meinung nach ging es in diesem Fall nie um die Schuld oder Unschuld von Herrn Assange, sondern darum, ihn den Preis dafür zahlen zu lassen, dass er schwerwiegendes staatliches Fehlverhalten aufgedeckt hat, einschliesslich mutmasslicher Kriegsverbrechen und Korruption. Wenn das Vereinigte Königreich nicht umgehend den Kurs ändert und seine unmenschliche Situation lindert, kann es sein, dass Herrn Assange die Willkür und der Missbrauch, denen Herr Assange anhaltend ausgesetzt ist, bald sein Leben kosten.»
In seinem dringenden Appell an die britische Regierung empfahl der Sonderberichterstatter nachdrücklich, die Auslieferung von Herrn Assange an die Vereinigten Staaten zu verhindern, ihn unverzüglich freizulassen und ihm zu gestatten, seine Gesundheit wiederherzustellen und sein Privat- und Berufsleben wieder aufzubauen.     •

Quelle: www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/DisplayNews.aspx?NewsID=25249&LangID=E vom 1.11.2019

(Übersetzung Zeit-Fragen)

«Ich sterbe. Langsam, aber unaufhaltsam.»

«Ich sterbe. Langsam, aber unaufhaltsam. Ich bin erschöpft und habe stark abgenommen. Die Einzelhaft in Belmarsh macht mich fertig. Es gibt nur spärlichen Kontakt zur Aussenwelt. Das alles, weil ich Kriegsverbrechen öffentlich gemacht habe. Um der Gesellschaft die Augen zu öffnen und zu zeigen, was die Regierungen verschweigen. Ich sterbe. Und ich befürchte, mit mir ebenso die Pressefreiheit und die Demokratie.»

Julian Assange am 11. November 2019

Nils Melzer

Der Schweizer Völkerrechtsexperte Prof. Dr. Nils Melzer ist seit November 2016 Sonderberichterstatter für Folter und damit Experte der sogenannten Special Procedures des Menschenrechtsrates. Die Experten von Special Procedures arbeiten ehrenamtlich; sie sind keine UN-Mitarbeiter und erhalten für ihre Arbeit kein Gehalt. Sie sind unabhängig von jeder Regierung oder Organisation und dienen in ihrer individuellen Funktion. Zuvor hatte Nils Melzer während zwölf Jahren beim Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) in verschiedenen Krisenregionen gearbeitet, als Delegierter, Vize-Missionschef und Rechtsberater. Neben seinem Uno-Mandat hält er einen Lehrstuhl für Humanitäres Völkerrecht an der Universität Glasgow und lehrt an der Genfer Akademie für Humanitäres Völkerrecht und Menschenrechte.

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