Junge Menschen tun gerne mit!

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Zum Jahr der Milizarbeit 2019

Die Gemeinnützige Gesellschaft des Kantons St. Gallen (GGSG) hat am 23. November 2019 aus Anlass ihres 200jährigen Bestehens zum «Tag der Freiwilligen» an der Fachhochschule FHS St. Gallen eingeladen. Im gut gefüllten Plenarsaal trafen sich neben den Mitgliedern der GGSG vor allem Vertreter der verschiedensten Vereine, die um die Nachwuchsförderung besorgt sind, aber auch etwa ein Dutzend junger Leute, die selbst Freiwilligenarbeit verrichten.
Vorgestellt und diskutiert wurde eine neue Studie der FHS zur Frage, ob und wie die «Digital Natives», also Jugendliche und junge Erwachsene, auch heute für Freiwilligenarbeit zu gewinnen sind.1 Über 2600 St. Galler Studenten, Berufs- und Kantonsschüler sowie junge Vereinsvertreter zwischen 16 und 25 Jahren hatten im März in einer Online-Befragung zu ihrem freiwilligen Engagement Auskunft gegeben. Die Studienautoren wollten erfahren, welche Erwartungen und Motive junge Menschen zu freiwilligem Engagement bewegen, wie Vereine, Schulen und Politik sie für Freiwilligenarbeit gewinnen können und wie diese im «digitalen Zeitalter» künftig gestaltet werden soll.
Tatsächlich belegen die Ergebnisse der Studie in eindrücklicher Weise, dass auch heute ein grosser Teil der Jugend für eine aktive Beteiligung an den Aufgaben der Gesellschaft zu gewinnen ist. Ihre Motive unterscheiden sich nur wenig von denen der vorherigen Generationen, und – besonders bemerkenswert – das persönliche Vorbild engagierter Erwachsener strahlt ungleich mehr aus als die sogenannten Social Media. Auch in bezug auf die Freiwilligenarbeit der Jugend wird also die Bedeutung der Digitalisierung überhöht: In Wirklichkeit kann diese immer nur Hilfsmittel für unsere Tätigkeiten sein – die zwischenmenschliche Beziehung kann sie nicht ersetzen. Dazu einige Einblicke in die Untersuchung.

«Obwohl sämtliche Teilnehmer regelmässig ein oder mehrere digitale Medien nutzen, geben 82 % an, dass sie ihre Tätigkeit ‹auf Grund einer persönlichen Ansprache aus dem eigenen Familien-, Freundeskreis oder durch Vereinsmitglieder› aufgenommen haben und dass auch weiterhin der persönliche Kontakt im Zentrum stehen muss: ‹… allein über Inserate in Printmedien sowie in digitalen Medien fühlt sich kaum jemand angesprochen›.»

Wo und wie die heutige Jugend Freiwilligenarbeit leistet

Über 90 % der Befragten haben schon freiwillige Einsätze geleistet, aktuell sind es 51 %. Schwerpunkte sind die Bereiche Sport, Kultur und Freizeit, Kirche/Religion, Bildung/Erziehung sowie Dorf/Quartier. Aber auch im sozial/karitativen Bereich, im Umwelt- und Tierschutz sowie im Gesundheitswesen leisten die Jungen Milizarbeit. In der Politik dagegen besteht noch Nachholbedarf, hier sind lediglich 4 % aktiv (Studie, S. 13).
Bei den übernommenen Tätigkeiten steht an erster Stelle die Mitarbeit bei Festivals und Anlässen: 60 % der Befragten haben sich dafür schon engagiert. Dieser Anteil ist vielleicht höher als in früheren Generationen. Aber die weiteren Antworten sind ähnlich wie vor 20 oder 30 Jahren: An zweiter Stelle begeistern sich hohe 41%, vor allem junge Frauen, für pädagogische Aufgaben wie Kinderbetreuung und Aufgabenhilfe, und 40 %, mehrheitlich junge Männer, setzen sich als Trainer, Schiedsrichter oder in anderen Funktionen im Sport ein. Viele übernehmen auch Vorstandsämter oder Büroarbeit, beteiligen sich an Unterschriften- und Sammelaktionen oder im Natur- und Tierschutz, und ein erfreulicher Teil (19 %) erbringt persönliche Hilfeleistungen für Menschen (Studie, S. 14). Mehr als die Hälfte ist bereit, neben Schule und Beruf ein bis zwei Stunden pro Woche für Freiwilligenarbeit einzusetzen, ein Drittel sogar drei bis fünf Stunden (Studie, S. 28).

Persönliche Kontaktaufnahme und Begleitung sind wegweisend

Obwohl sämtliche Teilnehmer regelmässig ein oder mehrere digitale Medien nutzen, geben 82 % an, dass sie ihre Tätigkeit «auf Grund einer persönlichen Ansprache aus dem eigenen Familien-, Freundeskreis oder durch Vereinsmitglieder» aufgenommen haben und dass auch weiterhin der persönliche Kontakt im Zentrum stehen muss: «… allein über Inserate in Printmedien sowie in digitalen Medien fühlt sich kaum jemand angesprochen». (Studie, S. 19; Hervorhebung mw) Eine bemerkenswerte Feststellung.
Ebenso wichtig für die jungen Leute ist die persönliche Begleitung bei der Ausübung der freiwilligen Tätigkeit. Mehr als 80 % Prozent bejahen die Frage, ob sie ausreichend eingeführt und begleitet wurden, von den unter 18jährigen sogar 89 % (Studie, S. 20). Zu einer sinnvollen Betreuung gehört auch die Übertragung eines angemessenen Grades an Verantwortung. 89 % geben an, dass sie ihren Verantwortungsumfang als genau richtig empfunden haben (Studie, S. 21f.).
Sogar für die Kommunikation innerhalb der Vereine oder Organisationen steht der persönliche Kontakt mit Abstand an erster Stelle: Auf einer Bewertungsskala von 1 bis 7 (1 als bester Wert) erreicht er durchschnittlich 1,91 Punkte, vor Chats (2,98), Social Media (3,75), E-Mail (3,81), Telefon (4,44) und interessanterweise weit hinten SMS (5.08) (Studie, S. 30). Es scheint, dass viele Jugendliche gerne einmal eine Pause haben von dem stetigen Strom von Informationen und Plaudereien am Handy.
Fazit der bisher genannten Resultate: So schlecht ist offenbar die Nachwuchsförderung in den verschiedenen Organisationen nicht. Die älteren Semester sollten sich deshalb nicht verunsichern lassen, weil ihr Vereinsleben nicht «modern» genug sein könnte für die Jungen. Auch zu den «Digital Natives» findet man den Draht am besten durch die persönliche Beziehung. Dass sie geübter sind im Umgang mit den digitalen Medien, kann auch positiv genutzt werden: Viele werden diese Fähigkeiten gerne zum Wohl aller Beteiligten einbringen, dort, wo es sinnvoll ist.

Zentrale Bedeutung der Vorbilder in Familie und Schule

Damit Jugendliche den Faden zum Mittun in der Gesellschaft finden können, spielt der Wert der Freiwilligenarbeit in ihrer Familie eine wichtige Rolle. Wenn der Vater am Familientisch von der gestrigen Feuerwehrübung erzählt, die Mutter von ihren Erlebnissen als Schulpflegerin, die grosse Schwester von den Besuchen im Altersheim, die sie im Rahmen eines Klassenprojekts machen darf – dann werden die jüngeren Geschwister neugierig und «gluschtig», auch einmal so etwas zu versuchen.
Über zwei Drittel der freiwilligen Helfer geben an, dass in ihrer Familie Freiwilligenarbeit verankert ist, im ländlichen Raum sogar 72 %. Die Autoren schliessen daraus, «dass die Prägung durch das Elternhaus eine wichtige Grundlage in bezug auf die frühzeitige Sensibilisierung für Freiwilligenarbeit darstellt» (Studie, S. 26). Für jeden in Pädagogik und Psychologie Bewanderten ist dies nicht erstaunlich, aber schön, dass auch heutige Studienautoren diesen Zusammenhang einbeziehen und würdigen.
Zu denken geben muss hingegen, dass das Thema Freiwilligenarbeit in der Schul- und Studienzeit vieler Jugendlicher viel zu wenig thematisiert wird: Hohe 78 % kreuzen die Antworten «gar nicht» oder «eher wenig» an. Die Autoren weisen darauf hin, dass Schulen und Bildungsinstitutionen diese Aufgabe vermehrt wahrnehmen sollten: «Diese Orte bieten sich an, jungen Menschen Gelegenheiten für das Kennenlernen demokratischer Strukturen und Beteiligungsmöglichkeiten zu bieten und somit wichtige Erfahrungen zu vermitteln, die der Schlüssel zu weiteren, eigenen Initiativen sein können» (Studie, S. 27). So können der Besuch einer Gemeindeversammlung oder der örtlichen Feuerwehr, aber auch ein Klassen- oder Lehrlingslager, in dem die Jugendlichen in einer Berggemeinde einen Fussweg sanieren, Erlebnisse mit Wirkung in die Zukunft sein.

«Spass» an der Sache – ja klar, aber nicht als einziger Beweggrund

Hauptmotiv für das freiwillige Engagement ist die «Freude an der Sache», 82 % geben dies als einen Grund neben anderen an (Studie, S. 22). Allerdings würden wir unserer Jugend nicht ganz gerecht, wenn wir dieses Resultat als «typisch für die Fun-Generation» beurteilen würden. Denn wer nur Fun und Spass haben will, leistet nicht ohne weiteres Milizarbeit. Aber wenn man schon freiwillig zupacken will, warum nicht eine Tätigkeit wählen, die einem Freude macht? Wir haben ja seinerzeit auch bei der Pfadi mitgemacht oder mit den Mitschülern zusammen das Schulhaus für ein Fest geschmückt, weil wir es gerne getan haben.
Als weitere wichtige Beweggründe werden denn auch von vielen «gemeinsame Erlebnisse mit anderen» oder «weil Freunde ebenfalls dabei waren» genannt.
Die grosse Mehrheit der Jugendlichen schaut aber auch über den Tellerrand hinaus: 61 % nennen als Motiv, dass sie einen gesellschaftlichen Beitrag leisten/anderen helfen wollen, und fast ein Drittel will «etwas Sinnstiftendes tun». Erfreulich ist auch, dass etwa die Hälfte sich die «Erweiterung der eigenen Fähigkeiten» erhofft. Schön, dass sie beim sinnvollen Tun auch etwas lernen möchten, und zwar nur zum kleineren Teil auf die eigene Ausbildung bezogen: Bei über 60 % ist die freiwillige Tätigkeit nicht oder nur wenig damit verknüpft (Studie, S. 23). Da werden also nicht nur «credits» gesammelt.
Auch in bezug auf die Wertschätzung ihres Engagements steht die persönliche Beziehung im Vordergrund: Für 81 % ist der persönliche Dank wichtig oder eher wichtig, nur 2 % kreuzen «unwichtig» an. Von Bedeutung ist für rund 50 % auch ein Empfehlungsschreiben oder eine Bestätigung des freiwilligen Engagements (Studie, S. 32). Dies ist verständlich, befinden sich doch die jungen Leute am Beginn ihrer beruflichen Laufbahn.

Fazit: Freiwilliges Engagement für das Allgemeinwohl ist der jungen Generation wichtig

Zum Abschluss lassen wir den jungen Teilnehmern an der Studie das Wort. Neben einzelnen negativen Erfahrungen, die vor allem auf das Empfinden fehlender Wertschätzung oder auf eine zeitlich zu grosse Belastung neben Studium, Beruf und Familie zurückgehen, bringen die jungen Menschen ihre
positiven Erfahrungen sehr differenziert zum Ausdruck (Studie, S. 24):

  • Dankbarkeit, Freude und Wertschätzung von anderen;
  • anderen helfen macht einen selbst glücklich und schenkt Erfüllung;
  • Knüpfung von neuen Kontakten und Entwicklung von Freundschaften;
  • Freiwilligenarbeit ist mit viel Spass und tollen Erlebnissen verbunden;
  • Erweiterung der eigenen Fähigkeiten und persönliche Charakterbildung;
  • starkes Gemeinschaftsgefühl, einzigartige Erlebnisse mit anderen;
  • Horizonterweiterung, Einblick in andere Themenbereiche, Blickwechsel;
  • Möglichkeit, Verantwortung zu übernehmen und Dinge aktiv mitzugestalten.

94 % antworten erfreulicherweise auf die abschliessende Frage: «Findest du es wichtig, dass sich Menschen freiwillig für das Allgemeinwohl engagieren?» mit Ja.    •

1    Jordan, Daniel. Freiwilligenarbeit & zivilgesellschaftliches Engagement. Studie: Wie Digital Natives die Freiwilligenarbeit verändern. FHS St. Gallen, Hochschule für Angewandte Wissenschaften, 2019

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