Was ein Mensch vermag

Zum neu erschienenen Buch «Dr. Beat Richner. Kinderarzt – Rebell – Visionär» von Peter Rothenbühler über das Leben von Dr. Beat Richner und sein Lebenswerk in Kambodscha

Buchbesprechung

ep. Auf dem Titelbild der neu erschienenen Biographie schaut uns ein zuversichtlich blickender Beat Richner entgegen. Direkte menschliche Aufmerksamkeit einfordernd, wie wir ihn kennen. Peter Rothenbühler, langjähriger Freund und Unterstützer von Beat Richner, hat sich aufgemacht, den Lebensweg des grossen Schweizers nachzuzeichnen, und das ist ihm hervorragend gelungen. Das schön gestaltete und mit vielen Fotos bereicherte Buch ist jedem zur Lektüre zu empfehlen.

«Das Lebenswerk von Beat Richner lebt weiter»

Nach dem Vorwort des Künstlerkollegen Franz Hohler ergreift René Schwarzenbach, Präsident der Stiftung Kinderspital Kantha Bopha, das Wort und gibt unter dem Titel: «Das Lebenswerk von Beat Richner lebt weiter» einen kurzen Überblick über die langjährige Aufbauarbeit, die jetzt von seinen Mitarbeitern in seinem Sinne weitergeführt wird. Man kann ihm nur zustimmen, wenn er sagt: «Möge Beat Richner möglichst viele Nachahmer finden.» Beat Richner selbst hat diese Geschichte in einem kleinen weissen Büchlein aufgeschrieben und mit Zeichnungen illustriert. Es ist das Märchen von einem König mit seiner Tochter, der Prinzessin Kantha Bopha.

«… Kinder, die heute das neue Kambodscha aufbauen können»

Die eigentlichen Aufzeichnungen beginnen mit dem Abflug Beat Richners aus Kambodscha zurück in die Schweiz im Februar 2017. Es ist sein letzter Flug. Seit einiger Zeit war er ein anderer geworden, und nun sollten die dahinter stehenden gesundheitlichen Probleme in Zürich geklärt werden. Der Leser erfährt in der Folge wohltuend zurückhaltend einiges über die medizinischen Gründe seiner Krankheit und seinen Aufenthalt in einem Pflegeheim in der Nähe von Zürich bis zu seinem Tode am 9. September 2018. Liebevoll werden einige seiner Hinterlassenschaften wie seine typischen roten Krawatten erwähnt, um dann bei seinem wichtigsten Erbe zu verweilen: «Fünf Spitäler, ein Bildungszentrum, eine Maternité und mehrere Millionen geheilter Kinder, die heute das neue Kambodscha aufbauen können.»

«… ohne dabei Gefahr zu laufen, sich in leerem Gerede zu verlieren»

Das zweite, umfassendste Kapitel widmet sich der Geschichte seines Lebenswerks, beginnend mit der Kindheit und den Studienjahren des grossen Arztes.
Man erfährt einiges von seiner Kindheit als viertes Kind einer Lehrerfamilie am Zürichberg und von seiner Schulzeit, in der er weniger durch Fleiss als durch originelle Ideen und seine Schlagfertigkeit auffiel. Die eingestreuten Anekdoten lassen schmunzeln, man spürt seine heranwachsende Grossherzigkeit und ahnt, wie Beat Richner sich schon in frühen Jahren mit eigenständigen Ideen durchzusetzen wusste.
Früh in seinem Leben nahm die Musik einen wichtigen Platz ein. Nach der Matura stand ihm der Weg zum Berufscellisten offen, und bald trat er unter dem Künstlernamen Beatocello mit einem abendfüllenden Programm in Kleintheatern auf.

«I am the doctor PC 80-60699-1
Do you remember this very number,
We still need money, just your money
Why poor children should not have
the right of getting drugs and care
Why we wonder
We don’t surrender
Thank you, thanks a lot.»

Lied, mit dem Beatocello das Verbot umging, offen für Spenden zu werben.

Den Menschen der dritten Welt ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen

Dann entschied er sich doch zu einem Studium. «In der Funktion des Arztes, dachte ich mir, können viele ernsthafte Fragen, Ungerechtigkeiten und Nöte am ehesten sinnvoll angegangen werden, ohne dabei Gefahr zu laufen, sich im leeren Gerede zu verlieren.» Bald wollte er ein medizinisches Hilfsprojekt lancieren, scheiterte jedoch an der fehlenden finanziellen Unterstützung durch den Bund. Die Idee liess ihn aber nicht los. Seinen eigenen Lebensweg vorwegnehmend, meinte er, die beste Landesverteidigung sei es, «den Menschen der dritten Welt entgegenzukommen und ihnen in ihrer Welt ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen».

Bevor Beat Richner zusammen mit einem Kollegen eine eigene Kinderarztpraxis am Römerhof in Zürich eröffnete, meldete er sich für Hilfseinsätze des Roten Kreuzes, zuerst in Tansania und dann 1974 ein erstes Mal in Kambodscha, wo er bis zum Umsturz durch die Roten Khmer 1975 blieb. Neben seiner Tätigkeit als Kinderarzt wurde er eine wichtige Grösse als Künstler in der Kleintheaterszene.

«Il y a des enfants qui meurent,
leurs mères qui pleurent,
les fonctionnaires qui traînent,
les bureaucrates qui traînent.
Leurs train tues des vies.
C’est pourquoi il y a des enfants qui meurent,
des mères qui pleurent,
des fonctionnaires qui traînent …»

Lied von Beatocello, mit dem er die «Arme-Welt-Medizin» der WHO anprangerte

«Mach doch mal etwas Vernünftiges mit deinem Blatt»

1991 nahm die Erfolgsgeschichte Richners ihren Anfang. Er wollte nach Kambodscha zurückkehren und dort das Kinderspital Kantha Bopha wiederaufbauen, das er vor fünfzehn Jahren Hals über Kopf hatte verlassen müssen. Peter Rothenbühler begleitete ihn als Chefredaktor der Schweizer Illustrierten von Anfang an. Zuerst ging es darum, überhaupt die nötigen Finanzen aufzutreiben. «Mach doch mal etwas Vernünftiges mit deinem Blatt», meinte seine Frau. Er publizierte einen Spendenaufruf, mit welchem die ersten 60 000 Dollar zusammenkamen. Beat Richner konnte starten.
Qualitätsmedizin für alle
Es war Richners Credo, dass Medizin keine Unterschiede zwischen armen und reichen Menschen machen darf. Er scheute nicht davor zurück, sich deswegen mit der Weltgesundheitsorganisation (WHO) anzulegen, die eine andere Gesundheitsstrategie vertrat.
Entsprechend war es für ihn klar, dass seine Spitäler mit den neuesten Gerätschaften ausgestattet sein mussten, damit die entsprechenden Untersuchungsmethoden angewendet werden konnten. Es war ihm bewusst, dass die medizinische Arbeit wesentlich durch die Auswahl des Personals bestimmt war. Darum nahm er die Auswahl seiner Mitarbeiter selbst an die Hand. Sie erhielten, anders als in staatlichen Institutionen, ein angemessenes Salär, womit er der in Kambodscha damals verbreiteten Korruption erfolgreich begegnete. Die Patienten wurden gratis behandelt, wodurch allen Kranken der Zugang zu einer fachlich guten Behandlung möglich wurde. «Mit seinem Ansatz widersprach Richner so diametral der internationalen Medizinautorität WHO, dass es massiven Gegenwind geben musste.» Aber nicht nur bei der WHO, auch in der Schweiz biss Richner längere Zeit mit seinem Anliegen auf Granit. Über 20 Jahre dauerte die Kampagne gegen ihn, die ihn viel Kraft kostete.

Was er in den folgenden Jahren geleistet hat, ist unglaublich

Trotz aller Steine, die ihm in den Weg gelegt wurden, blieb Beat Richner sich treu und arbeitete unermüdlich. Sein Spital wurde von Patienten überrannt, und schon bald war ein zweites Spital nötig, für das der König einen Teil seines Bodens zur Verfügung stellte. Sorgfältig beschreibt Rothenbühler, wie in den folgenden Jahren neue Projekte geplant und ausgeführt wurden. Fünf Spitäler, ein Kongresszentrum, eine Maternité entstanden.

Das beste je gesehene Modell für medizinische Hilfe in armen Ländern

Der tägliche Kampf für die Vision einer gleichwertigen Medizin für alle war zermürbend. Das nötige Geld aufzutreiben wurde in den folgenden Jahren zu einem der grösseren Aufgabenfelder von Beat Richner. Mit seinem Cello reiste er mehrmals pro Jahr in die Schweiz, um mit seinen Auftritten die nötige finanzielle Grundlage für seine Projekte einzuspielen. Dass sich Beat Richner dabei nicht immer diplomatisch verhielt und kein Blatt vor den Mund nahm, ist ihm nicht zu verübeln – im Gegenteil! Zu Beginn des neuen Jahrtausends kam es endlich zu einer Trendwende in der internationalen Beurteilung seiner Projekte. Aktuell unterstützt der Bund die Kantha-Bopha-Stiftung mit vier Millionen Franken pro Jahr. Seit 1994 flossen so über 60 Millionen Franken in die Spitäler. Die kambodschanische Regierung ihrerseits verdoppelte 2016 ihren Beitrag auf jährlich sechs Millionen Dollar.
Nach 20 Jahren mühevoller Aufbauarbeit wurde Kantha Bopha von internationalen Experten als bestes je gesehenes Modell für medizinische Hilfe in armen Ländern beurteilt. Beat Richner wurde nicht nur zum ersten Schweizer des Jahres gekürt (2003), sondern auch für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.

«I bi der Beatocello und möchts jetz gmüetli ha.»

Als Beat Richner 2018 starb, stand sein Lebenswerk auf sicheren Füssen, und seine Nachfolge war geregelt. In seiner Ära waren 15,4 Millionen Kinder ambulant und 1,7 Millionen schwerkranke Kinder stationär behandelt worden. 80 % hätten ohne Kantha Bopha keine Überlebenschance gehabt. 85 % aller kranken Kinder Kambodschas werden dort behandelt. Insgesamt stehen 2400 Betten zur Verfügung, und 2500 kambodschanische Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort tätig. Die finanziellen Grundlagen sind gefestigter, auch wenn das Spital nach wie vor dringend auf Spendengelder angewiesen ist. Beat Richner hätte es nun gemütlich haben können, wie er es sich immer gewünscht hatte: «I bi der Beatocello und möchts jetz gmüetli ha.» Leider war es ihm nicht mehr vergönnt.
Das Buch von Peter Rothenbühler trägt aber dazu bei, dass Beat Richners Gedanken lebendig bleiben und Modell für andere engagierte Mitmenschen werden können.    •

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