Mit Tricks und Kniffs zum vermeintlichen Ziel?

Nachlese zur Wintersession

Nato-Partnerschaft widerspricht der Neutralität der Schweiz

mw. Seit 1996 beteiligt sich die Schweiz an der Nato-Partnerschaft für den Frieden (PfP).
Gemäss EDA handelt es sich um «ein flexibles Instrument für die Zusammenarbeit zwischen der Nato und ihren Partnerländern», das dazu beitrage, «Schweizer Streitkräfte vorzubereiten auf die Teilnahme an friedensunterstützenden Einsätzen im Ausland, unter Führung der Nato, der Europäischen Union (EU) oder der Vereinten Nationen (Uno)» (EDA. «NATO: Partnerschaft für den Frieden»)Laut swissinfo vom 4.4.2019 sehen das nicht alle so: «Stimmen sowohl in linken als auch in rechtskonservativen Kreisen finden, dass die PfP mit der Neutralität unvereinbar sei und einer latenten Nato-Mitgliedschaft entspreche. Zu den Kritikern gehören unter anderen die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GsoA), die Aktion für eine unabhängige und neutrale Schweiz (Auns) und die Schweizerische Volkspartei (SVP).»

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Die erste Session des neu gewählten Parlamentes in Bern ist zu Ende. Wie vermutet, geschahen keine Wunder. Aber einige Karten des grossen Spiels um die Einbindung der Schweiz in EU und Nato liegen nun offener auf dem Tisch.
Ein paar Blitzlichter aus der Session:

Der trickreiche Weg zu Nato-kompatiblen Kampfflugzeugen

Der Nationalrat und der Ständerat stimmten am 20. Dezember 2019 einem 6 Milliarden-Kredit für die Beschaffung neuer Kampfflugzeuge zu, ohne dass diese bereits bestimmt sind.1 Das Geschäft wurde in unüblicher Eile durch die Wintersession gejagt: Erste Behandlung im Ständerat am 24. September, im Nationalrat am 9. Dezember, dann dreimal hin und her zur Bereinigung der Differenzen, Einigungskonferenz am 19. und Schlussabstimmung in beiden Räten am 20. Dezember.
Eigentlich ein unspektakuläres Geschäft, das mehrheitlich unbestritten war, denn die heutigen Flugzeuge der Armee kommen langsam in die Jahre. Die Differenzen zwischen dem National- und Ständerat betrafen vor allem Art und Umfang der Kompensationsgeschäfte, die von den Lieferstaaten eingefordert werden sollen, sowie einen Verteilschlüssel bezüglich dieser Geschäfte auf die Sprachregionen, damit die Romandie und das Tessin nicht zu kurz kommen.
Dieser Parlamentsbeschluss untersteht dem fakultativen Referendum, das zu ergreifen die SP, GP und GSoA (Gruppe für eine Schweiz ohne Armee) angekündigt haben.
Zur Vorgeschichte: Im Mai 2014 hatte das Schweizervolk den Kauf des schwedischen Kampfjets Gripen mit 53,4 % abgelehnt, obwohl er finanziell am günstigsten war. Die Nein-Parole fassten damals nicht nur die Armeegegner, sondern auch etliche bürgerliche Politiker und Offiziere rieten vom Gripen ab, weil er technisch noch nicht ausgereift sei. Die einen fanden dies wirklich, andere störte wohl eher dessen Herkunft aus einem Nicht-Nato-Land. Jedenfalls trugen ihre Stellungnahmen massgebend zum Nein des Volkes bei, denn die meisten Schweizer bejahen eigentlich die eigene Armee.
Der Trick des Bundesrates: Um ein zweites Scheitern zu vermeiden, lässt er diesmal die Wahl des Flugzeugs offen. Der Souverän wird in der Referendumsabstimmung lediglich darüber entscheiden können, ob für maximal 6 Milliarden Franken neue Kampfflugzeuge angeschafft werden sollen oder nicht. Tatsache bleibt: Für die neutrale Schweiz käme der Gripen am ehesten in Frage, weil Schweden sich zwar eifrig an Nato-Manövern Richtung Osten beteiligt, aber trotzdem nicht Nato-Mitglied ist. Im Juni dieses Jahres wurde der Gripen jedoch überraschend aus dem Rennen genommen, was Jonas Hjelm, Leiter Luftfahrt beim schwedischen Hersteller Saab, als «etwas seltsam und ungerecht» bezeichnete.2 Nun hat das Schweizer Parlament die Wahl zwischen Airbus und Dassault aus EU-Nato-Ländern und einem US-Kampfjet von Boeing oder Lockheed Martin, womit die Schweizer Armee auf jeden Fall eng in die Nato eingebunden bliebe.
Damit geraten wir Stimmbürger in ein echtes Dilemma: Sollen wir Bundesrat und Parlament zähneknirschend den Blankocheck ausstellen, so dass sie «nach dem Willen des Stimmvolks» Nato-kompatible Jets anschaffen können? Oder sagen wir nein zum immer dünneren Blatt Papier zwischen der Schweizer Verteidigungsarmee und dem Nato-Kriegs-Pakt und nehmen damit in Kauf, als Gegner der Armee etikettiert zu werden? Ein Dilemma, das im Grunde genommen auf andere Weise gelöst werden muss: Mit einer Volksinitiative für den Austritt der Schweiz aus der PfP, dem Nato-Anbinde-Abkommen mit dem orwellschen Namen «Partnership for Peace». Der Neutralitätsstatus der Schweiz wird in den jährlichen Umfragen der ETH von 90–95 % der Schweizer Bevölkerung bejaht – der Austritt aus der PfP wäre eine konsequente Tat.

Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose – eine Idee mit Stolpersteinen

In Zeit-Fragen vom 3. Dezember 2019 wurde die Überbrückungsrente vorgestellt, die der Bundesrat schnell, schnell vor der Volksabstimmung im Mai 2020 über die Begrenzungsinitiative der SVP durch das Parlament bringen will.3 Denn ein Ja des Schweizervolkes zu dieser Initiative mit dem Ziel, die Zuwanderung mit Brüssel neu auszuhandeln, würde das sichere Ende des Rahmenabkommens einläuten – das allerdings ohnehin in der Agonie liegt. Die Überbrückungsleistungen bezwecken, die Schweizer Arbeitnehmer in Sicherheit zu wiegen, dass die ungehinderte Zuwanderung Erwerbstätiger aus dem EU-Raum ihnen nicht schaden werde, auch wenn mit dem Rahmenabkommen die starken flankierenden Lohnschutzmassnahmen in Frage stünden. Seine Stelle könnte zwar mancher ältere Arbeitnehmer nach wie vor an einen jungen Einwanderer mit niedrigeren Lohnkosten verlieren, aber er wäre durch die neue Rente vor untragbaren finanziellen Einbussen geschützt. Der entsprechende Gesetzesentwurf sollte problemlos im Dezember beim Ständerat und im März beim Nationalrat durchkommen, weil ja wohl niemand etwas gegen die bessere soziale Absicherung langjähriger inländischer Arbeitskräfte einwenden kann. So weit die Idee aus der Trickkiste des Bundesrates.
Nun hat der Ständerat am 12. Dezember 2019 diesem ehrgeizigen Zeitplan bereits Hürden in den Weg gelegt – was zu erwarten war. Denn das Schweizer Modell beinhaltet nicht nur starke direktdemokratische Rechte, sondern auch eine sehr differenzierte demokratische Ausmarchung im National- und im Ständerat. Ein umfangreicher und inhaltlich komplexer Gesetzesentwurf wie derjenige über die Überbrückungsleistungen wird nie als Ganzes durchgewinkt, sondern detailliert diskutiert und beschlossen.
Zwar hat der Ständerat der Einführung einer Überbrückungsrente im Prinzip zugestimmt, aber dem bundesrätlichen Entwurf einige erschwerende Bestimmungen hinzugefügt: So wurde zum Beispiel die Höhe der Rente wesentlich gekürzt und als Voraussetzung für deren Bezug der scheinbar harmlos klingende Satz eingefügt: «Die Bezüger von Überbrückungsleistungen haben jährlich nachzuweisen, dass sie sich um eine Integration in den Arbeitsmarkt bemühen.»4
Als Folge dieser Änderungen durch den Ständerat wird der Zeitplan des Bundesrates knapp: Denn nun wird sich zunächst die Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit des Nationalrates (SGK-NR) mit dem Entwurf befassen, und in der Frühjahrssession müsste nicht nur der Nationalrat darüber abstimmen, sondern beide Räte hätten im Schnellzugstempo ihre Differenzen zu bereinigen, damit den Stimmbürgern vor der Volksabstimmung im Mai gesagt werden kann: Die Zuwanderung in die Schweizer Arbeitsplätze ist gar nicht so schlimm, denn ältere Schweizer Arbeitnehmer werden finanziell abgesichert, also braucht es die Begrenzungsinitiative nicht. – Ob das Parlament die neue Regelung bis dahin schafft, ist allerdings offen.
Ausserdem hat sich ein Kuddelmuddel mit dem EU-Recht angekündigt, das den Bundesrat gewiss nicht freut. Die Überbrückungsrente sollte ja hieb- und stichfest sein gegenüber sogenannten «Zuwanderern in die Sozialwerke»: Mindestens 20jährige Erwerbstätigkeit in der Schweiz als Voraussetzung für die Überbrückungsleistungen müss­te dies sicherstellen. Der Bundesrat war der Meinung, diese seien gemäss EU-Recht als «Vorruhestandsleistung» zu sehen, so dass die Schweiz nur jene Jahre anrechnen müsse, in denen jemand hier gearbeitet hat. Mit der Einfügung der Klausel durch den Ständerat, dass die Leistungsbezüger ihre Bemühungen um einen Arbeitsplatz nachzuweisen haben, könnte die «Vorruhestandsleistung» aber plötzlich zu einer «Arbeitslosenfürsorge» mutieren. Dann könnten Zuwanderer, die in der Schweiz arbeitslos werden, sich die Jahre ihrer Arbeitstätigkeit in EU-Staaten anrechnen lassen. Wird also die Schweiz die neuen Sozialleistungen dereinst auch an Zuwanderer auszahlen müssen, die noch nicht lange hier sind? Dieses Risiko bestehe, so Rolf Camenzind, Sprecher des Bundesamts für Sozialversicherungen: «Das werden dereinst die Gerichte entscheiden.»5 Wobei hinzuzufügen ist: Das urteilende Gericht wird entweder der EuGH sein, der mit den Schweizer Verhältnissen nicht vertraut und auch nicht unparteiisch ist. Oder es wird das Schweizerische Bundesgericht sein, das gemäss dem institutionellen Rahmenvertrag verpflichtet würde, die Rechtsprechung des EuGH im fast unendlich grossen Bereich der Personenfreizügigkeit anzuwenden.
Komplexe Sachverhalte und Rechtslagen tun sich hier auf, nicht wahr? Dabei handelt es sich bloss um ein klitzekleines und vereinfacht geschildertes Müsterli für die unüberblickbare EU-Bürokratie, der wir uns ausliefern würden – falls wir so unweise wären, den Rahmenvertrag zu unterschreiben. Jedenfalls scheint der Bundesrat mit seiner Strategie gegen die Begrenzungsinitiative fast ein bisschen in die Falle zu tappen, die er anderen stellen wollte.

Die verzwickte Sache mit der Ehe als «gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau»

Das Bundesgericht hat am 10. April 2019 erstmals eine Volksabstimmung auf Bundesebene für ungültig erklärt, weil der Bundesrat im Abstimmungsbüechli massiv falsche Zahlen veröffentlicht und damit die Abstimmungsfreiheit der Stimmberechtigten verletzt hatte.6 Darauf hob der Bundesrat am 21. Juni  2019 das Ergebnis der Volksabstimmung auf. Nun müsste die Abstimmung über die Volksinitiative «Für Ehe und Familie – gegen die Heiratsstrafe», welche die Benachteiligung von Ehepaaren gegenüber unverheiratet zusammenlebenden Paaren bei den Bundessteuern und den AHV-Renten abschaffen wollte, wiederholt werden. Da die Initiative am 28. Februar 2016 vom Volk äusserst knapp (mit 50,8 %) abgelehnt worden war und eine komfortable Zustimmung von 16 ½ gegen 6 ½ Kantone erreichte, wäre beim zweiten Mal deren Annahme gut möglich.
Nun stellt sich aber ausgerechnet die Urheberin der Initiative, die CVP, auf den Kopf, damit es nicht zu einer zweiten Volksabstimmung kommt. Warum? Ganz einfach: Im Initiativtext wird die Ehe als «Lebensgemeinschaft von Mann und Frau» definiert.7 Im Falle der Annahme der Initiative würde diese Definition der Ehe in die Bundesverfassung gesetzt, was dem Mainstream «Ehe für alle» im Wege stünde. Denn im heutigen Artikel 14 BV steht lediglich: «Das Recht auf Ehe und Familie ist gewährleistet.», eine Nachführung von Art. 54 Abs.1 der Verfassung von 1874: «Das Recht zur Ehe steht unter dem Schutze des Bundes.» Selbstverständlich war damit immer die Ehe zwischen Mann und Frau gemeint.
Die Parteispitzen der christlichdemokratischen Volkspartei CVP – die übrigens allen Ernstes die Streichung des «C» aus ihrem Namen in Erwägung ziehen – deklarieren sich heute wie fast alle anderen Parteispitzen als Befürworter der «Ehe für alle». Deshalb wären sie froh, wenn sie die Volksinitiative in allen Ehren zurückziehen könnten, um sich im Abstimmungskampf nicht einer Diskussion über die Ehe-Definition stellen zu müssen.
Der zweite Urnengang soll am 27. September 2020 stattfinden, Ende Mai läuft die Frist für den Rückzug der Initiative ab. Deshalb hoffte die CVP auf einen für sie annehmbaren Gegenvorschlag im Parlament. Diese Hoffnung wird mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht erfüllt werden. Denn der Nationalrat hat am 18. Dezember 2019 – wie im September bereits der Ständerat – einen Vorschlag des Bundesrates abgelehnt, der Ehepaare nicht höher besteuern wollte als Konkubinatspaare.8 FDP, GLP, SP und Grüne verlangen statt dessen die Einführung einer Individualbesteuerung, in der jede und jeder, unabhängig vom Zivilstand, für sich selber Steuern bezahlt. Damit würde die Bedeutung von Ehe und Familie als Grundlage für ein gedeihliches gesellschaftliches Zusammenleben weiter geschwächt, und gleichzeitig entstünden zahlreiche inhaltliche und administrative Baustellen, auch für die Kantone. Die einzigen Profiteure wären die Treuhand- und Steuerberatungsunternehmen, die alle Hände voll zu tun bekämen.
Weil sich keine Mehrheit für den Vorschlag des Bundesrates fand, schloss sich der Nationalrat dem Beschluss des Ständerates vom 16. September an und wies das Geschäft mit 113 gegen 80 Stimmen der CVP/EVP/BDP und der SVP an den Bundesrat zurück.9
Ob die CVP bis zum Mai noch einen Gedankenblitz für den Rückzug ihrer Initiative haben wird? Andernfalls haben wir im September die Chance, ja zu sagen zu einem Bundessteuer-Tarif und zu AHV-Renten, die Ehepaare nicht benachteiligen, und gleichzeitig in die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft zu schreiben: «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau.»
* * *
So weit in Kürze zu drei wichtigen Themen des Parlaments in der Wintersession. Alle drei werden uns in Zukunft weiter beschäftigen.    •

1    Nationalrat: 123 Ja der bürgerlichen Fraktionen gegen 68 Nein von SP und Grünen, bei 5 Enthaltungen; Ständerat: 33 Ja zu 10 Nein, bei 1 Enthaltung
2    Rhyn, Larissa. «Neuer Kampfjet für die Schweiz: Der Gripen ist aus dem Rennen». Neue Zürcher Zeitung vom 13.6.2019.
3    «Erste Session nach den Wahlen: Wahrscheinlich keine Wundertüte». Zeit-Fragen Nr. 26/27 vom 3.12.2019
4    19.051 «Gesetz über Überbrückungsleistungen für ältere Arbeitslose». Fahne Ständerat vom 12.12.2019, Artikel 3 Absatz 5
5    Schäfer, Fabian. «Sozialausbau auch für Zuwanderer?» Neue Zürcher Zeitung vom 20.12.2019
6    siehe «Schutz der freien Willensbildung in der direkten Demokratie» und «Ein aussergewöhnlicher Bundesgerichtsentscheid. Gespräch mit Prof. Dr. Rainer J. Schweizer», in: Zeit-Fragen vom 7.5.2019
7    Initiativtext: «Die Ehe ist die auf Dauer angelegte und gesetzlich geregelte Lebensgemeinschaft von Mann und Frau. Sie bildet in steuerlicher Hinsicht eine Wirtschaftsgemeinschaft. Sie darf gegenüber anderen Lebensformen nicht benachteiligt werden, namentlich nicht bei den Steuern und den Sozialversicherungen.»
8    18.034. Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer (Ausgewogene Paar- und Familienbesteuerung)
9    «Pläne für Abschaffung der Heiratsstrafe im Parlament gescheitert.» Debatte im Nationalrat. SDA-Meldung vom 18.12.2019

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