Wieder einmal hat die Demokratie gesiegt – der Brexit ist unvermeidlich

von Nicola Ferronato, Politikwissenschaftler

Am 12. Dezember 2019 wurde das britische Volk in einem aussergewöhnlichen und beispiellosen Zusammenhang zu den Urnen gerufen. Sie waren aufgerufen, ein neues Parlament zu bestimmen, und damit für oder gegen die Regierung von Boris Johnson. Soweit ist dies nichts Überraschendes. Aber für Johnson zu stimmen bedeutete, sich (erneut) für den Brexit auszusprechen. Sich für den Status quo oder für die Opposition auszusprechen, hätte bedeutet, gegen den Brexit zu stimmen. Und hier liegt der aussergewöhnliche Charakter dieser Parlamentswahlen: Die Bevölkerung hat einmal mehr ihre Bereitschaft bekräftigt, aus der Europäischen Union (EU) austreten zu wollen, und die Idee eines von der Opposition vorgeschlagenen zweiten Referendums dazu abgelehnt.
Seit der Volksbefragung von Juni 2016 hatten die Menschen keine Gelegenheit mehr, ihre Meinung zum Brexit zu äussern. Die Massenmedien – und vor allem die linken Medien – hatten ständig wiederholt, dass die Briten ihre Meinung geändert hätten und in der EU bleiben wollten, weshalb ein zweites Referendum erforderlich sei.
Aber wie ich in meinen letzten Artikeln erklärte, war es genau das Gegenteil: Die Unsicherheit, die über der Wirtschaft des Landes und über dem Alltag hängt, liess die Briten, die heute mehr denn je wollen, dass der Brexit umgesetzt wird, verzweifeln. Kein Wunder, dass Johnson mit seinem Slogan «Get BREXIT done» gewann.

Endlich mehr Klarheit

Nach drei Jahren der Ungewissheit brachte diese Wahl Gewissheit. Sicherheit für den einzelnen, aber auch für Unternehmen und die Wirtschaft insgesamt. Selbst die Brexit-kritische französische Tageszeitung «Le Figaro» schrieb am 13. Dezember: «Die Pariser Börse, angetrieben von Donald Trumps Ankündigungen über den Handel und Boris Johnsons Sieg bei den britischen Parlamentswahlen, befindet sich auf dem höchsten Stand seit zwölf Jahren.»
Und tatsächlich sind die Wirtschaftsindikatoren des Vereinigten Königreichs seit dem Sieg der Konservativen mehr als positiv. Das britische Pfund hat auf den Sieg von Boris Johnson positiv reagiert und stieg um mehr als 2 % gegenüber dem Dollar und dem Euro. Der FTSE-100, der Hauptindex der Londoner Börse, stieg um 1,43 % und der FTSE-250, der die gesamte britische Wirtschaft widerspiegelt, um 4,2 %.

Klare Mehrheit für die Konservativen

Nach dem Zuwachs von 47 Sitzen verfügen die Konservativen mit 365 der 650 Sitze in Westminster nun über eine absolute Mehrheit. Dies ist der grösste Sieg der Konservativen seit 1987, als Margaret Thatcher Premierministerin war. Boris Johnson ist sicherlich der erfolgreichste konservative Premierminister des Vereinigten Königreichs seit den Tagen der Eisernen Lady. Und dies aus gutem Grund: Es gelang ihm, das zu tun, was kein anderer
Politiker an seiner Stelle hätte tun können. Wie bereits gesagt, hat er eine absolute Mehrheit im Parlament erhalten, was den Konservativen seit fast 40 Jahren nicht mehr gelungen ist. Aber schon zu Beginn seines Mandats verzeichnete er eine Reihe von Erfolgen, insbesondere im Rahmen der Verhandlungen über das Scheidungsabkommen mit der EU. Es sei daran erinnert: Johnson hat eine echte «Mission: Impossible» erfüllt, da er in nur 85 Tagen ein Abkommen mit Brüssel aushandelte, das von allen akzeptiert werden konnte, während dies Theresa May in drei Jahren nicht gelang. Selbst das Westminster-Parlament hatte mit 329 zu 299 Stimmen den «Grundsatz» des Abkommens gebilligt.

Beseitigung des irischen «Backstop»

So konnte Johnson nicht nur die Verhandlungen mit Brüssel wieder aufnehmen, sondern auch einige wesentliche Bestimmungen des Abkommens ändern, die zuvor für Brüssel «nicht verhandelbare» Elemente waren. Das beste Beispiel dafür ist die Beseitigung des irischen «Backstop», der von den meisten britischen Politikern als undemokratisch angesehen wurde. Der Backstop war in der Tat ein Teil des Abkommens von Theresa May und sah vor, dass Nordirland für eine lange Übergangszeit in der Zollunion der EU verbleiben sollte. Aber jetzt gewährleistet das neue Abkommen die Einheit des gesamten britischen und nordirischen Zollgebiets, indem es vorsieht, dass Nordirland, das ein integraler Bestandteil des Vereinigten Königreichs ist, in der Zollunion des Vereinigten Königreichs und nicht in derjenigen der EU verbleibt. Nach Ansicht der jetzigen Regierung wäre es inakzeptabel gewesen, wenn ein Teil des Landes seine Zollhoheit verloren hätte. So geriet der zuvor nicht verhandelbare «Backstop» in Vergessenheit. Eine weitere Verbesserung gegenüber dem vorherigen Abkommen ist die Verankerung des Ziels eines Freihandelsabkommens in der politischen Erklärung (zwischen Grossbritannien und der EU), die bis Ende 2020 unterzeichnet werden soll.

Absturz der Linken

Die Linke hingegen verliert 59 Sitze und behält noch 203. Dies ist die schmerzhafteste Niederlage der Labour Party seit 1935. Es scheint, dass Jeremy Corbin seine Position als Parteichef bald verlassen wird. Glücklicherweise haben seine sozialistisch-revolutionären-bolivarischen Ideen das britische Volk nicht überzeugt, und die verheerenden Nationalisierungen, die er geplant hatte, werden nicht stattfinden.
Im weiteren hat die Vorsitzende der Liberaldemokraten Jo Swinson ihren Sitz im Parlament verloren. Mit ihrem Credo «Stop Brexit» wollte sie den Lauf der Geschichte umkehren und nahm dabei in Kauf, den Volksentscheid von 2016 und die Demokratie im weiteren Sinne über Bord zu werfen.
Nigel Farages Brexit Partei hat keinen Sitz bekommen. Diese Niederlage ist wahrscheinlich darauf zurückzuführen, dass die Partei keine langfristige politische Vision hat.

Was wird in den kommenden Monaten geschehen?

Charles Michel, der neue Präsident des Europäischen Rates, hat angekündigt, dass er «bereit» sei, die künftigen Beziehungen und ein Freihandelsabkommen mit Johnson auszuhandeln. Und da das Rücktrittsabkommen des Vereinigten Königreichs eine Übergangsfrist bis zum 31. Dezember 2020 vorsieht, hat die britische Regierung viel Arbeit vor sich. Innerhalb weniger Monate muss sie ein Freihandelsabkommen aushandeln und gleichzeitig ihr Wahlversprechen halten: mehr Polizisten auf der Strasse, mehr Krankenschwestern und Ärzte, mehr Krankenhäuser und eine stabile Wirtschaft. Es ist wahrscheinlich, dass die Wahlversprechen eingehalten werden, aber es ist auch möglich, dass Boris Johnson bei der Aushandlung des Freihandelsabkommens mit der EU auf mehr Hindernisse stossen wird als erwartet.
Es kann auch sein, dass der Brexit seine ersten Früchte tragen wird, denn es wird bereits von der Aushandlung eines Freihandelsabkommens mit den Vereinigten Staaten gesprochen. Donald Trump selbst erklärte sich bereit, sich auf ein Freihandelsabkommen mit Johnson zu einigen, «das das Potential hat, grösser und lukrativer zu sein als jedes andere Abkommen, das mit der EU geschlossen werden könnte».
Was jetzt Priorität hat, ist die Ratifizierung des Scheidungsabkommens durch das neue Parlament, das wirklich den Willen des Volkes repräsentiert, und dass der Brexit endlich umgesetzt wird. Je früher die Ratifizierung stattfindet, desto besser für die EU, die Briten und die Demokratie im weitesten Sinne.    •

(Übersetzung aus dem Französischen Zeit-Fragen)

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