Direkte Demokratie – ein Königsweg für ein friedliches Deutschland?

Direkte Demokratie – ein Königsweg für ein friedliches Deutschland?

von Karl Müller

Die fortgesetzten Entscheidungen der deutschen Politik gegen den ausdrücklichen Willen der Bürgerinnen und Bürger gefährden die innere und äussere Sicherheit des Landes erheblich. Könnte direkte Demokratie die Situation deutlich verbessern?

Welches Hindernis ist die EU für direkte Demokratie?

km. Wer direkte Demokratie für Deutschlands Bundesgesetzgebung fordert, muss folgendes bedenken: Sehr viele der vom Deutschen Bundestag verabschiedeten Gesetze und Verordnungen – die Zahlen verschiedener Untersuchungen aus den Vorjahren schwanken zwischen 30 und 80 Prozent – setzen lediglich EU-Richtlinien1 in deutsches Recht um. Die deutsche Politik hat sich dazu mit der EU-Mitgliedschaft des Landes vertraglich verpflichtet. Der Deutsche Bundestag muss selbst dann nach den Vorgaben der EU beschliessen, wenn die deutschen Regierungsvertreter im Ministerrat der EU dagegen waren, mit qualifizierter Mehrheit aber überstimmt wurden. Solche Entscheidungen mit qualifizierter Mehrheit haben mit jeder neuen Veränderung der EU-Verträge zugenommen – der letzte Stand ist der seit Ende 2009 geltende «Vertrag von Lissabon».
In den vergangenen Wochen waren es vor allem deutsche Politiker wie Aussen­minister Heiko Maas, Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen und der CSU-Politiker Manfred Weber – Spitzenkandidat der deutschen CDU/CSU und der Europäischen Volkspartei EVP –, die Mehrheitsentscheidungen auch im Bereich der Gemeinsamen Aussen- und Sicherheitspolitik GASP gefordert haben. Käme es soweit, dann verlöre Deutschland auch in der Frage von Krieg und Frieden seine Souveränität. Auch die Möglichkeit direktdemokratischer Verfahren auf Bundesebene würde dann im Falle eines Falles kein deutsches Veto mehr ermöglichen. Fazit: Die Mitgliedschaft in der EU richtet sich gegen die Souveränität der Bürgerinnen und Bürger. … Und auch gegen den Frieden?

1 Neben dem «Vertrag von Lissabon» kennt das EU-Recht Verordnungen, Richtlinien und Beschlüsse. Die Richtlinien müssen in nationale Gesetze umgesetzt werden. EU-Verordnungen und EU-Beschlüsse gelten unmittelbar.

Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozial­wissenschaften der Bundeswehr hat Ende Februar 2019 einen 340 Seiten umfassenden Forschungsbericht veröffentlicht: «Leben nach Afghanistan – Die Soldaten und Veteranen der Generation Einsatz der Bundeswehr. Ergebnisse der sozialwissenschaftlichen Langzeitbegleitung des 22. Kontingents ISAF». (<link http: www.zmsbw.de html einsatzunterstuetzung downloads external-link seite:>www.zmsbw.de/html/einsatzunterstuetzung/downloads/20190221forschungsberichtseifferthesslebennachafghanistan.pdf)
Grundlage des Berichts waren umfangreiche Mehrfachbefragungen von mehr als 1000 Bundeswehrsoldaten, die von März bis Oktober 2010 in Afghanistan eingesetzt waren, also in einer Zeit zahlreicher Kampfhandlungen. Befragt wurden die Soldaten das erste Mal wenige Wochen vor ihrem Einsatz, während des Einsatzes, wenige Wochen nach der Rückkehr nach Deutschland und dann nochmals knapp drei Jahre später.
Medienaufmerksamkeit erzielte vor allem folgendes Untersuchungsergebnis: «Etwa ein Viertel (27 %) der Befragten ist […] davon überzeugt, dass der Einsatz der Bundeswehr letztendlich nutzlos gewesen ist, da er zu keinen grundlegenden Verbesserungen beigetragen hat. Weitere 26 Prozent der Befragten stimmen dieser Aussage teilweise zu.»

Einsatz in Afghanistan «nutzlos»

Mehr als die Hälfte der befragten Soldaten hielt also den Bundeswehreinsatz in Afghanistan für nutzlos oder teilweise nutzlos. Und das heisst laut der Studie: Er hat das Leben der Afghanen nicht verbessert, jedenfalls nicht langfristig.
Der tatsächliche Prozentsatz liegt wahrscheinlich noch höher; denn die meisten Soldaten waren während der Befragungen noch im Dienst, ihr Dienstherr war die kriegführende Bundeswehr, und die Befragungen fanden im Rahmen eines Forschungsprojektes dieser Bundeswehr statt. Man merkt dem Forschungsbericht an, dass die Bundeswehr nicht in Frage gestellt werden sollte.

Deutschlands Freiheit jedenfalls wurde nicht am Hindukusch verteidigt

«Deutschlands Freiheit wird auch am Hindukusch verteidigt» war die anfängliche regierungsamtliche Rechtfertigungsformel für den Truppeneinsatz – Tausende Kilometer von Deutschland entfernt. Dann versuchte die deutsche Regierung das Bild zu vermitteln, der Armeeeinsatz wäre vor allem eine Art Rot-Kreuz-Einsatz mit Soldaten, also vor allem eine Hilfe für das Leben der Afghanen. 2006 aber, als der Krieg in Afghanistan mehr und mehr auch die deutschen Soldaten einholte, titelte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel: «‹Die Deutschen müssen das Töten lernen.› Wie Afghanistan zum Ernstfall wird».
Und dann, im Jahr 2010, stimmten mehr als 50 Prozent der befragten deutschen Afghanistan-Soldaten der Aussage, ihr Einsatz sei «nutzlos» gewesen, ganz oder teilweise zu.
Die Forschungsergebnisse liegen den zuständigen Stellen schon seit September 2017 vor. Genauso wie die Ergebnisse der regelmässigen Befragungen, die immer wieder eine deutliche Mehrheit der Gesamtbevölkerung gegen den Afghanistan-Einsatz und auch gegen andere Auslandeinsätze zeigen.

Wille der Bürger bleibt ohne politische Konsequenzen

Politische Konsequenzen hat diese breite Skepsis bei Soldaten und Wählern bis heute nicht gehabt. Jahr für Jahr verlängert der Deutsche Bundestag den Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Am 13. Februar hat die Bundesregierung erneut eine Einsatzverlängerung für 1300 deutsche Soldaten beschlossen. Sie wird wohl auch dieses Jahr ohne viel Diskussion den Bundestag passieren.
Das ist das Grundgefühl vieler Deutscher: Parlament und Regierung kümmern sich nicht um das, was die Bürgerinnen und Bürger wollen. Es gibt zwar Wahlen, aber die Gewählten handeln nach der Wahl nicht mehr nach dem Wählerauftrag. Und das betrifft nicht nur die Auslandeinsätze der Bundeswehr.

Der Unmut der Bürger wächst

Das hat in den vergangenen Jahren zu sehr viel Unmut geführt. Der Unmut äussert sich vielfältig. Ehemalige verantwortliche Politiker und Spitzenbeamte wie Willy Wimmer und Hans-Georg Maassen nehmen heute sehr kritisch Stellung. Eine sehr junge Partei wie die AfD erreichte bei der letzten Bundestagswahl mehr als 10 Prozent der Wählerstimmen und ist in alle Landtage eingezogen, zum Teil mit mehr als 20 Prozent der Stimmen. Demonstrationen, Kundgebungen und Veranstaltungen gegen die deutsche Politik und deutsche Politiker gibt es an vielen Orten Deutschlands. Viele Bürger haben sich von den Mainstream-Medien abgewendet und lesen alternative Medien, vor allem im Internet. Ehemalige Volksparteien wie CDU, CSU und SPD haben in den vergangenen Jahren zum Teil mehr als 50 Prozent ihrer Mitglieder verloren. Die Zahl aller Parteimitglieder in Deutschland ist zwischen 1990 und 2018 von 2,4 auf 1,2 Millionen gesunken. Das sind gerade einmal noch 1,5 Prozent der Gesamtbevölkerung.

Deutschland bleibt auf politischer Talfahrt

Aber auch dies führt nicht dazu, dass sich die Politik verändert. Im Gegenteil: Viele Deutsche haben den Eindruck gewonnen, dass Deutschland ein Land im Niedergang ist und die Anzahl politischer Fehlentscheidungen weiter zunimmt.
Den Preis dafür zahlen aber nicht die politisch Verantwortlichen, sondern die Bürgerinnen und Bürger. Schlechte Politik trifft nicht die Politiker, sie trifft die Menschen im Land.
Und wenn es um Krieg und Frieden geht, kann schlechte Politik den Tod bedeuten. Tote deutsche Soldaten in Afghanistan sind ein Beispiel dafür.
Ein Wunder wäre es, gäbe es eine späte Einsicht der politisch Verantwortlichen. Aber an Wunder zu glauben ist kein überzeugender Ausblick.

Direkte Demokratie – ein Weg der Besserung?

Hier wird zur Diskussion gestellt, ob es nicht eine Wende zum Besseren geben kann, wenn die Bürgerinnen und Bürger direkt und selbst in zentralen Fragen der Politik entscheiden können. Ist direkte Demokratie ein Königsweg für ein friedliches Deutschland?
Die Schweiz hat gute Erfahrungen mit ihrer direkten Demokratie gemacht. Direkte Demokratie verspricht nicht das politische Paradies auf Erden. Aber auf jeden Fall mehr Bürgernähe der politischen Entscheidungen und viel mehr gelebte Bürgersouveränität.
Zur direkten Demokratie gehört das Recht der Bürger, über politische Sachfragen unmittelbar zu entscheiden und nicht nur Personen und Parteien zu wählen. Die Schweiz kennt auf Bundesebene die Möglichkeiten der Volksinitiative und des Referendums. Bei der Volksinitiative geht es um eine Verfassungsänderung. Schweizer Bürger können innerhalb von 18 Monaten 100 000 Unterschriften sammeln, dann muss es eine Volksabstimmung über die von Bürgern vorgeschlagene Verfassungsänderung geben. Für ein Referendum können die Bürger innerhalb von 100 Tagen 50 000 Unterschriften sammeln, dann muss es eine Volksabstimmung über ein vom Parlament beschlossenes Gesetz geben. Bei jeder Verfassungsänderung, die vom Parlament ausgeht, und bei einigen Gesetzen ist die Volksabstimmung obligatorisch.

Jedes Land sucht seinen Weg

Jedes Land und seine Bürger können ihren eigenen Weg hin zur direkten Demokratie finden.
Dazu gehört es auch, sich die Voraussetzungen bewusst zu machen und auch daran zu arbeiten. Dialogbereitschaft, Sachlichkeit und Ausgewogenheit in der öffentlichen Diskussion, gute Sachkenntnis des Bürgers, Interesse auch an den Argumenten der Gegenseite (also auch dem anderen gut zuhören können!), Bemühen um eine Gesetzgebung, mit der dann auch alle Bürger leben können … und so weiter – das braucht es, damit eine direkte Demokratie tatsächlich gelingen kann. Direkte Demokratie setzt mündige Bürger voraus – ist aber auch ein Beitrag dazu, dass Bürger mündig werden.
Die Forderung nach direkter Demokratie ist in vielen europäischen Staaten lauter geworden. Wer einmal die Veröffentlichungen des Dresdner Instituts für sachunmittelbare Demokratie (DISUD) (<link http: www.disud.de external-link seite:>www.disud.de/) und deren Kongressprogramme studiert, der erkennt leicht, dass es in vielen europäischen Ländern sehr ernsthafte Bemühungen um mehr direkte Demokratie gibt.

Deutschland hat gute Voraussetzungen

Auch Deutschland hat gute Voraussetzungen dafür.1 Für alle deutschen Gemeinden und Bundesländer sehen die Landesverfassungen und Gemeindeordnungen direktdemokratische Verfahren vor. Die Hürden sind zum Teil noch hoch, aber vieles wurde in den vergangenen 30 Jahren verbessert. Die Erfahrungen, die Deutschland mit Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden, Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheiden gemacht hat, sind gut. Aber auf Bundesebene wurde der Verfassungssatz, dass die Staatsgewalt des Volkes auch durch Abstimmungen ausgeübt werden kann (Artikel 20, Absatz 2, Satz 2 Grundgesetz), bislang noch nicht in die Gesetzgebung umgesetzt. Die verantwortlichen Politiker verweigern den Deutschen bislang die Ausübung dieses Rechts – und diese Poli­tiker werden dies auch weiter so tun, wenn die Forderung danach nicht breiter und nachhaltiger wird.
Obrigkeitsstaat und Untertan sind passé. Aber nicht weniger unwürdig ist es, den Menschen auf Arbeit, Konsum und Spass­haben zu reduzieren. Direkte Demokratie braucht das engagierte Selbstbewusstsein des Bürgers, der eigentliche Souverän zu sein.    •

1    Das Dresdner Institut für Sachunmittelbare Demokratie (DISUD) hat eine umfangreiche Bibliothek zum Thema «direkte Demokratie» aufgebaut (www.disud.de/Taetigkeitsschwerpunkte/Bibliothek) und verweist auf seiner Internetseite auf die Fachliteratur (www.disud.de/Fachliteratur). Erwähnenswert ist auch die vom Institut selbst herausgegebene Schriftenreihe (www.disud.de/Taetigkeitsschwerpunkte/Schriftenreihe), unter deren Titeln sich auch Veröffentlichungen über die angewandte direkte Demokratie in den Gemeinden und Bundesländern Deutschlands finden. Grundlegend zur Information ist die sehr umfangreiche Darstellung von Peter Neumann: «Sachunmittelbare Demokratie im Bundes- und Landesverfassungsrecht unter besonderer Berücksichtigung der neuen Länder», Nomos-Verlag 2009 (ISBN 978-3-8329-4081-2).

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