Anlässlich des 500-Jahr-Jubiläums der Zürcher Reformation und Huldrych Zwinglis (1484–1531) Antritt des Pfarramts finden 2019 zahlreiche Veranstaltungen statt. In den Kinos läuft zurzeit ein populärer Film, und zahlreiche Publikationen richten das Interesse auf die Zürcher Reformation. Eine Ausstellung in der Zentralbibliothek in Zürich zeigt, dass ohne das neue Medium des Buchdrucks und den Zürcher Drucker und Verleger Christoph Froschauer (1490–1564) diese umwälzende historische Entwicklung kaum möglich gewesen wäre. Im Ausstellungsraum der Schatzkammer werden bis zum 30. April 2019 eindrückliche Exponate gezeigt. Die Ausstellung wurde mit einem Musikprogramm, Liedern und Psalmen in der Predigerkirche feierlich eröffnet. Sie macht deutlich, wie entscheidend Wissen, Ethik und eine gründliche Bildung für die Kulturentwicklung und das gesellschaftliche Zusammenwirken sind. Gerade mit Blick auf die zunehmende Säkularisierung, den Werterelativismus, weitreichende technische und gesellschaftliche Umwälzungen stellt sich die Frage nach der notwendigen Vermittlung moralisch-ethischer Grundwerte.
Huldrych Zwingli trat sein Pfarramt 1519 an, begann das Evangelium zu predigen und entwickelte ein reges reformatorisches Wirken. In seiner nur gerade zwölf Jahre dauernden Amtszeit als Leutpriester am Grossmünster in Zürich setzte er einen fundamentalen Wandel in Kirche und Gesellschaft in Gang. Dabei wurde der aus Bayern eingewanderte Buchdrucker Christoph Froschauer (1490–1564), der in Zürich durch Heirat eine Druckerei übernehmen konnte, ein wichtiger Mitarbeiter des Reformators. Auch international spielten Zwingli und der Buchdrucker eine Führungsrolle, indem sie grossen publizistischen Einfluss auf die öffentliche Meinung hatten.
Die Reformation eröffnete zudem ein neues grosses Geschäftsfeld mit zahlreichen Druckereien und Buchverlagen. Mit fast 800 Drucken gehörte der Zürcher Drucker zu den grossen Namen im deutschsprachigen Raum. Auch nach dem Tod Zwinglis wurde das Unternehmen weiter ausgebaut, entwickelte sich nach dem Tod Froschauers weiter und wurde nach mehreren Besitzerwechseln 1798 von Orell, Füssli & Co. übernommen, die ab 1780 auch die angesehene «Zürcher Zeitung», die heutige «Neue Zürcher Zeitung», druckten. In diesem Zusammenhang zeigt das Landesmuseum vom 21. Februar bis 22. April die Ausstellung «Von der Bibel zur Banknote. Drucken seit 1519».
Eine der grossen Leistungen der Reformation war das Zugänglichmachen der Bibeltexte durch eine allgemeinverständliche Übersetzung vom Lateinischen und Griechischen in die deutsche Sprache. Es existierten vor der Zeit der Druckerpresse bereits verschiedene, aber wenig verbreitete Übersetzungen. 1521 kam das Neue Testament von Martin Luther (1483–1546) auf Deutsch heraus, 1534 folgte das Alte Testament. Damit sollte ein wichtiger Beitrag zu mehr «Freiheit des Christenmenschen», so Luther, möglich werden. Besonders wichtig war allerdings Erasmus von Rotterdams (1466–1536) zweisprachige Neuausgabe der Bibel auf Griechisch und Latein, welche der Übersetzung Luthers zugrunde lag. Der grosse Humanist Erasmus war ein Pionier der humanistischen Volksbildung und Erziehung sowie ein Vordenker für ein Zusammenleben in Demokratie und Frieden.
Die Reformatoren kamen aus katholischen Ordensgemeinschaften und Universitäten. Das Bildungs- und Forschungsanliegen war traditionell besonders in den Klöstern ein zentrales Anliegen, und dort entstanden auch die ersten Schulen. Neben der Landwirtschaft unterhielten sie Schreibstuben, wo Bücher handschriftlich kopiert und mit wunderschönen Illustrationen und Bildern verziert und hergestellt wurden. Die Bücher mit dem Wissen der Zeit waren für Lesekundige in den Klosterbibliotheken zugänglich. Die Gelehrten der Renaissance hatten bereits die Schätze des Orients wieder entdeckt und verbreitet. Die Reformation trug mit dem Zugänglichmachen der Bibeltexte zur weiteren kulturellen Entwicklung bei.
Im Sinn der Frühaufklärung trat mit der Reformation die Notwendigkeit von Schule und Bildung für die Bevölkerung ins Zentrum. So sollten nach den Reformatoren die Protestanten die Bibel für Gottes Wort halten, verehren und die Texte besonders auch in den Familien lesen. Die Bibel sollte zur einzigen Richtschnur für die religiösen Lehrmeinungen werden. «Sola scriptura»: Dies war eine der Forderungen, welche im Widerspruch zur römisch-katholischen Papstkirche und ihrer Lehre standen. Für die revolutionäre Verbreitung der Reformation waren die bebilderten Flugschriften für die leseunkundige Bevölkerung entscheidend. Sie klärten über die Inhalte der Bibel sowie über die schwerwiegenden Verfehlungen und die Machtentfaltung der Papstkirche, den Ablasshandel und den Autoritätsanspruch des Papstes auf.
Ohne die Erfindung des Buchdrucks mit beweglichen Lettern, die technisch phänomenale Realisierung und Buchproduktion durch Johannes Gutenberg (1400–1468) sowie die durch die Pionierleistung Froschauers entwickelte Buchdruckerei hätte sich die Reformation nicht so schnell durchsetzen können. Dabei stand das Anliegen von Martin Luther, Huldrych Zwingli und zahlreicher Frühaufklärer und Reformatoren im Zentrum, die lateinischen und anderen fremdsprachigen Bibeltexte in die Alltagsprache zu übersetzen und so allen Menschen zugänglich zu machen. Das Lesen musste jedoch zuerst erlernt werden, und so wurde der Aufbau von Schulen für alle zur zentralen Aufgabe. Damit entwickelten sich eine Demokratisierung der Bildung und die Befähigung zur Mitgestaltung der gesellschaftlichen Einrichtungen und des Gemeinwohls.
Zu einem dunkeln Kapitel der revolutionären Reformationsbewegung wurden die Zerstörungen der Kulturgüter der römisch-katholischen Kirchen, die Gewalt, Mord und Totschlag an Ungläubigen und Andersgläubigen. Bei den Zerstörungen der Kirchen und Kulturgüter gab es regionale Unterschiede, sie standen im Zusammenhang mit der damaligen Machtpolitik, den Persönlichkeiten der Reformatoren, den historischen Umständen und der Bevölkerung. So versuchte Erasmus von Rotterdam, der mit Martin Luther im Austausch war, mit seinem reformerischen Konzept einen versöhnlichen Weg und einen gewaltlosen Dialog ohne Bildersturm und Mord. Die zunehmende Gewalt der Reformation erzeugte jedoch massive Gegengewalt. Es entstanden weitergehende soziale Forderungen und grosse Bauernaufstände, die blutig niedergeschlagen wurden. Die Reformatoren schlugen sich meist auf die Seite der herrschenden politischen Kräfte. So entstanden zahlreiche religiöse Abspaltungen wie beispielsweise die Wiedertäufer, welche Luther und Zwingli die Gefolgschaft verweigerten. Sie praktizierten beispielsweise die Erwachsenentaufe und sozialere Formen des Zusammenlebens. Ihr ziviler Ungehorsam wurde brutal niedergeschlagen und bis Anfang des 20. Jahrhunderts unterdrückt, ohne in einen Dialog mit ihnen zu treten.
Die vorbildlich gestaltete Ausstellung macht den Zusammenhang von Buchdruck und Reformation deutlich. Dabei wird Einblick in das Verlagssortiment der Offizin Froschauer, deren ikonographische Gestaltung und Umsetzung der theologischen Themen sowie die aufkommende Zensur gegeben. Zu sehen sind zum Teil einzigartige und selten präsentierte Dokumente wie das Porträt Froschauers aus dem Jahr 1556, den von Zwingli benutzten Einsiedler-Codex mit handschriftlichen Bemerkungen des Reformators und die kolorierte Reformationschronik von Heinrich Bullinger mit einem Blatt zur «Ersten Zürcher Disputation» (1523). Ebenso werden Szenen aus dem Kurzspielfilm «Zwinglis Erbe» (2018) zu sehen sein. Die wertvollen Objekte, Bücher, Drucke und Gemälde werden durch die Vorstellung typografischer und buchbinderischer Techniken, Werkzeuge und durch gute erklärende Texte ergänzt.
Die über 400seitige Begleitpublikation «Buchdruck und Reformation in der Schweiz», herausgegeben von Urs B. Leu und Christian Scheidegger, enthält Forschungsbeiträge nicht nur zu Zürich, sondern auch zu Basel, Bern, Genf, St. Gallen und Chur. So berichtet beispielsweise Urs. B. Leu in seinem interessanten Beitrag «Reformation als Auftrag», wie «der Zürcher Drucker regelmässig im Frühling und im Herbst an der Frankfurter Buchmesse anzutreffen war und über Basel und Strassburg zu reisen pflegte». Froschauers Bücher trugen dazu bei, «dass sich auch Laien grundlegende theologische Kenntnisse aneignen und die Bibel lesen konnten».
Gerade heute wäre eine Besinnung auf die Wurzeln der christlichen Tradition und der europäischen Kultursubstanz dringend nötig. Bibliotheken mit einem reichhaltigen Schatz an Büchern verweisen kultur- und religionsübergreifend auf die Sinnfrage des Lebens, die verbindenden menschlichen Werthaltungen, eine universale Ethik und Wege zum Frieden auf Erden. •
Die Ausstellung ist Montag bis Freitag 13–17 Uhr, Samstag 13–16 Uhr geöffnet. Verschiedene Abendreferate.
Freier Eintritt auch zu Führungen und Veranstaltungen. Auskunft: Tel.: 044 268 31 00
<link http: www.zb.uzb.ch>www.zb.uzb.ch
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