Zu einer so wichtigen Frage muss die Bevölkerung das letzte Wort haben

Zu einer so wichtigen Frage muss die Bevölkerung das letzte Wort haben

Gespräch mit Nationalrat Franz Grüter, IT-Unternehmer und Präsident des Initiativkomitees

Zeit-Fragen: Es freut mich, Herr Nationalrat Grüter, Sie bei diesem Anlass kennenzulernen. Was hat Sie dazu bewogen, das Präsidium des Initiativkomitees zu übernehmen?

Nationalrat Franz Grüter: Das kam nicht nur von mir, sondern von all unseren Leuten im Komitee. Wir haben ja schon fast ein historisch breit abgestütztes Komitee, das von vielen Parteien und Organisationen getragen wird, die sonst politisch das Heu nicht auf derselben Bühne haben.

Das habe ich bemerkt, es ist wirklich eine aussergewöhnlich vielfältige Zusammensetzung.

Ja, und wir alle haben im letzten Herbst festgestellt, dass die Einführung des elektronischen Abstimmungssystems, so wie man es in der Schweiz angedacht hat, ein hohes Risiko wäre. Die Realität gibt uns leider recht, es ist sehr viel passiert. Wir starten heute die Unterschriftensammlung, damit die Schweizerinnen und Schweizer darüber abstimmen können, ob sie diese Risiken eingehen wollen oder nicht. Im schlimmsten Fall geht es um den Verlust des Vertrauens in unsere Demokratie.

Wie kommen der Bundesrat, die Bundeskanzlei dazu, E-Voting trotz der vielen Pannen als völlig sicher zu bezeichnen und derart voranzutreiben?

Die ganze Mobilisierung, der Weckruf, gegen E-Voting anzukämpfen, kam eigentlich erst dann auf, als die Bundeskanzlei vor etwa zwei Jahren bekanntgab, man wolle bis zu den nationalen Wahlen im Oktober 2019 in 18 Kantonen flächendeckend E-Voting einführen. Damals habe ich den Bundesrat gefragt, wann wir, das Parlament, darüber debattieren können, ob wir das gut finden und damit einverstanden sind, und welche Risiken es gibt. Ich bekam zur Antwort, das Thema werde 2020/2021 ins Parlament kommen. Darauf entgegnete ich: Aber dann ist es ja in 18 Kantonen bereits eingeführt. Da habe ich plötzlich gemerkt: Die führen das durch die Hintertür ein, es ist ja gar nicht demokratisch legitimiert. Zu einer derart wichtigen Entscheidung muss die Bevölkerung das letzte Wort haben. Wir haben es dann noch mit parlamentarischen Vorstössen versucht, die ganz knapp gescheitert sind. Das war letztendlich der Anlass für uns zu sagen: Wir machen eine Volksinitiative – weil wir gesehen haben, so wie das aufgegleist ist mit zentralisierten Systemen, ist es ein zu hohes Risiko.

In Ihrem Argumentarium habe ich gelesen, dass mit E-Voting Abstimmungen auch absichtlich manipuliert werden könnten.

Ja, etwa vor einer Woche hat eine weltweit renommierte kanadische IT-Sicherheitsexpertin im Intrusionstest, der zurzeit bei der Post läuft, den Source Code (Quelltext eines Computerprogramms) analysiert und offengelegt, dass man in dieses System eindringen und es manipulieren kann, also Stimmen verändern, ohne dass man etwas merkt. Die Verifizierbarkeit, welche die Post für sich in Anspruch nimmt, ist gar nicht gewährleistet. Die Möglichkeit, dass Wahlen oder Abstimmungen beeinflusst werden könnten, hat dazu geführt, dass andere Länder wie Norwegen, Finnland, England, Frankreich, Deutschland E-Voting nicht einführen oder wenigstens für den Moment gestoppt haben (siehe auch «Im Ausland kein Thema mehr», Argumentarium S. 8).

Die Initiative bezweckt also lediglich den Schutz der demokratischen Stimmabgabe, die jeder demokratische Staat zu gewährleisten hat.

Ja, wir fordern ein Moratorium von fünf Jahren. Bis dann kann vieles passieren, gewisse Voraussetzungen können vorliegen. Zum Beispiel ist E-Voting heute komplizierter und teurer als die Abstimmung per Brief: Die Unterlagen kommen per Post, und die Stimmenden müssen ihren Code rubbeln. Bis in fünf Jahren könnte es alternative Lösungen geben, die dezentral sind. Kommunale und kantonale Abstimmungsbüros müssen überprüfen können, ob die Abstimmungsresultate überhaupt stimmen können. Wenn alle Sicherheitsbedingungen gewährleistet sind, erlaubt es unsere Initiative, dass das Parlament elektronische Abstimmungen wieder ermöglichen kann. Wir lassen eine Türe offen, aber für den Moment ist ein Marschhalt angesagt.

Besten Dank, Herr Nationalrat Grüter, für das informative Gespräch.    •

Argumente gegen E-Voting

In Zeiten des Cyberwars brandgefährlich

mw. «In Zeiten des ‹Cyberwars›, der Wirtschaftskriege und gestiegener Hacker-Gefahren ist es brandgefährlich, an heutigen E-Voting-Systemen festzuhalten. Beispiele aus dem Ausland – aber auch aus der Schweiz! – haben gezeigt, dass E-Voting-Infrastrukturen manipuliert werden können.» (Argumentarium, S. 5; siehe Interview mit Hernani Marques vom Chaos Computer Club)

Genfer E-Voting-System wurde gehackt

Der Kanton Genf hatte vor Jahren ein System entwickelt, das mehrere Kantone übernahmen, aber nach verschiedenen Pannen wurde es jeweils wieder aus dem Verkehr gezogen. Nun ist das Ende des Systems gekommen:
«Im November 2018 konnten Hacker des Chaos Computer Clubs mit einem einfachen ‹Man-in-the-Middle-Angriff› auf das E-Voting-System des Kantons Genf demonstrieren, dass es ohne grossen Aufwand möglich ist, eine Stimmabgabe auf einen Fake-Server umzuleiten, ohne dass die Manipulation für den Abstimmenden ersichtlich wird. Schon früher trat zutage, dass das Genfer System erhebliche Sicherheitslücken aufweist. […] Obwohl die Entwickler […] beschwichtigten, alles sei nur halb so wild – das Genfer System wird jedenfalls per Ende 2020 eingestellt …» (Argumentarium, S. 7).

«Bröckelndes E-Voting-System der Post: Sofort die Notbremse ziehen!»

Das einzige verbleibende Schweizer E-Voting-System ist zurzeit dasjenige der Post. Diese (das heisst der Bundesrat) hat Computer-Hacker eingeladen, ihr System anzugreifen. Mehrere tausend Hacker beteiligen sich daran. Der Test läuft vom 25. Februar bis 24. März 2019 (swiss info SWI vom 14.2.2019). Noch vor Ablauf der Testphase konnte die Untauglichkeit des Systems mehrfach nachgewiesen werden.1 Stossend ist zudem, dass die Post ihre Software über die spanische Firma Scytl, die in US-amerikanischen Händen ist, entwickeln lässt (Medienmitteilung des Initiativkomitees vom 1. Februar).

Immer mehr Kantone steigen aus

Während der Bund die flächendeckende Einführung von E-Voting vorantreiben will, wächst in den Kantonen der Widerstand: Die Kantonsparlamente von Baselland, Uri und Jura sowie der Regierungsrat von Glarus lehnten 2018 eine Testphase ab, der Zürcher Kantonsrat beschloss Ende 2018, weitere Investitionen in E-Voting zu stoppen. Im Aargau und in Basel-Stadt sind entsprechende Vorstösse hängig (Argumentarium, S. 8).

Teuer und ohne den behaupteten Nutzen

«Der Abstimmungsprozess bei E-Voting ist nicht etwa einfacher, günstiger oder zeitsparender. Die Unterlagen müssen nach wie vor per Post verschickt werden. […] E-Voting ist womöglich für viele Bürger um einiges komplizierter als die briefliche Stimm­abgabe» (Argumentarium, S. 3). Eine flächendeckende Einführung von E-Voting würde nach der Berechnung des Bundesrates in den ersten zehn Jahren mindestens 620 Millionen Franken kosten (Argumentarium, S. 6). So viele Steuergelder für ein fragwürdiges und unsicheres System in den Sand setzen? Und's Tüpfli uf em i: Das Hauptargument der Befürworter, mit E-Voting würde die Stimmbeteiligung der Jungen steigen, hat sich in der Testphase in den Kantonen nicht bewahrheitet (S. 6). Ganz abgesehen davon, dass unser Land junge Bürger braucht, die im Staatskundeunterricht lernen, sich mit den Abstimmungen und Wahlen auseinanderzusetzen – auf dem Computer etwas anzuklicken genügt definitiv nicht.

Vertrauen in demokratisch gefällte Entscheide ist zentral für ein friedliches Zusammenleben

«Darum sagen wir: Keine Experimente mit der direkten Demokratie – mit den Volksrechten spielt man nicht» (Argumentarium, S. 5). Diesem Warnruf des Initiativkomitees kann sich jede besonnene Bürgerin, jeder Bürger nur anschliessen. Das filigrane Schweizer Abstimmungs- und Wahlverfahren kann nur dezentral bestehen, es muss zwingend in der Bevölkerung und der Organisation der Gemeinden abgestützt sein. Ein von der Bundesverwaltung gesteuertes zentralistisches und elektronisches System kann den Anforderungen des Schweizer Modells nicht genügen.

1    siehe Interview mit Hernani Marques vom Chaos Computer Club; vgl. auch «Schwerer Fehler beim E-Voting-System der Post entdeckt» in: «Neue Zürcher Zeitung» vom 12.2.2019

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