Editorial

Editorial

Zeit-Fragen hat den Nato-Krieg – genauso wie alle weiteren Kriege vor und nach 1999 – stets verurteilt und die Berichterstattung dazu kritisch hinterfragt. Konflikte gehören an den Verhandlungstisch, Lösungen haben das Völkerrecht und das in den internationalen Pakten verankerte Selbstbestimmungsrecht der Völker genauso zu achten wie die Menschenrechte der betroffenen Bevölkerungen. Mit Blick auf das Leben aller Menschen auf diesem einen und einzigen Planeten, auf dem wir und zukünftige Generationen leben wollen, war es uns auch stets ein Anliegen, auf die Kriegsverbrechen hinzuweisen, die in all diesen Kriegen mit dem Einsatz von Waffen begangen wurden: die neben den unmittelbaren Verheerungen das Leben der betroffenen Menschen und ihre Lebensgrundlagen auch langfristig zerstören oder beeinträchtigen.
Das Motto der Konferenz und Gedenkveranstaltung zum 20. Jahrestag der Nato-Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien: «Nato Aggression – Never to forget/niemals vergessen!» ist in diesem Sinne Menschheitsaufgabe im Dienste des Friedens.
Dass wir nicht vergessen, was den Menschen mit Krieg angetan wurde und wird – mit allen Kriegen, aber auch mit der Aggression gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, dem ersten Krieg auf europäischem Boden nach dem «Nie wieder!» der beiden Weltkriege – das schulden wir den Opfern, den gegenwärtigen und zukünftigen Generationen, aber auch der Wahrheit und unserem menschlichen Gewissen.
Wie in allen Kriegen hat man auch vor diesem Krieg mit Propaganda und Manipulation das Denken irrezuleiten versucht und das Gewissen betäubt. Man hat im Namen der Menschenrechte die fundamentalsten Rechte der Menschen in diesem Land missachtet und mit Füssen getreten. Völkerrecht, Uno-Charta, internationale Abkommen – alles ignoriert im Dienste der Machtinteressen einer sogenannten «neuen Weltordnung».
Wer sich als Mensch das Denken nicht nehmen lassen will und sich nicht nur an «Narrativen», sondern an Tatsachen und Quellen orientieren möchte, weiss heute um die Lügen, mit denen auch dieser Krieg herbeigetrommelt wurde.
Bereits am Abend vor der eigentlichen Konferenz wurden die Gäste begrüsst und eingeladen, die Fotoausstellung zum 78 Tage dauernden Bombardement der Nato und seinen Folgen für die Menschen und das Land auf sich wirken zu lassen. Es sind – wie alle Bilder des Krieges – Fotos des Schreckens, menschlichen Leids, mutwilliger Zerstörung, die den Betrachter immer wieder vor die Frage stellen: Warum? Warum tun Menschen das? Wer sich damals schon mit der Frage auseinandersetzte, erinnert sich an das Foto des Mädchens in Vietnam, das, getroffen von Napalm, dem Betrachter entgegenläuft. So wie jenes schreien auch diese Fotos dem Betrachter ins Gewissen: «Was habe ich, was haben wir euch getan?»
An den zwei Konferenztagen brachten 78 Redner auf sehr unterschiedliche Weise zum Ausdruck, warum dieser Krieg und seine Opfer nicht vergessen werden dürfen, warum solches Vergessen nur neue Kriege und neues Unrecht möglich macht, und dass eine der Gefahren für die Menschheit heute darin besteht, dass die wirklich Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Sie riefen in Erinnerung, wie auch dieser erste Angriffskrieg nach 1945 auf europäischem Boden ohne Mandat des Uno-Sicherheitsrates inszeniert wurde: mit dreister Lüge, unsäglicher Geschichtsverdrehung, Dämonisierung und medialem Trommelfeuer – gegen Uno-Charta, internationale Abkommen und Verträge, gegen anderslautende Berichte hochrangiger OSZE-Vertreter und gegen Untersuchungsberichte, welche die Kriegsrhetorik bereits widerlegt hatten. Einig waren sich die Teilnehmer auch bezüglich der geopolitischen Dimension des Ganzen – es waren keine «humanitären» Anliegen, sondern harte geostrategische Ziele, die damit verfolgt wurden.
Klare Worte fielen zudem von offiziellen Vertretern Serbiens. Während die Behörden längere Zeit vorsichtige Zurückhaltung übten, sprechen heute viele wesentlich deutlichere und klarere Worte. So der heutige serbische Verteidigungsminister, Aleksandar Vulin, der das Kriegsziel als Versuch charakterisierte, die serbische Nation biologisch, aber auch geschichtlich zum Verschwinden zu bringen – biologisch mit Blick auf die eingesetzten Waffen, geschichtlich mit dem Versuch der Auslöschung zahlreicher historischer Kulturgüter und des Selbstbewusstseins der Menschen in diesem Land.
Obwohl Vertreter des ABC-Schutzes der serbischen Armee die Folgen der in Serbien und Kosovo verschossenen Uran-Munition schon anlässlich des zehnten Jahrestages des Bombenkrieges thematisiert hatten, war auffallend, dass diese Frage heute für alle Teilnehmer klar war: Die Folgen für die Bevölkerung sind am gravierenden Anstieg der Krebserkrankungen und der Todesfälle unübersehbar, und die Bevölkerung ist sich durchaus bewusst, womit diese Entwicklung zusammenhängt.
Die Dimension des Geschichtlichen und Kulturellen sprach auch der 85jährige italienische Journalist, Dokumentarfilmer und langjährige Kriegsberichterstatter, unter anderem beim italienischen Fernsehen, Fulvio Grimaldi, an: Überall habe er erlebt, wie auf den Kriegsschauplätzen der Welt als etwas vom ersten Kulturgüter zerstört werden, um die kulturelle Identität der Menschen anzugreifen. Machtpolitik der Globalisierung ertrage keine solche, sie braucht die «amorphe Identität, und das ist keine Identität» – so Grimaldi.
Am Anfang menschlichen Tuns steht sein Fühlen und Denken: Überprüfbare Informationen und ein Nachdenken über das, was den Mitmenschen – zum Beispiel in Serbien – angetan wurde und mit den Langzeitfolgen noch wird, sind ein wesentlicher Beitrag dazu, dass sich das menschliche Gewissen und vernünftiges Handeln einmal Bahn brechen.

Erika Vögeli

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