Das Bild des künftigen Krieges

von Gotthard Frick*

Alle konkurrierenden Grossmächte rüsten auf. Präsident Trump sagte zwar am 28. März, er wolle mit Russland und China eine «gross­artige Beziehung» aufbauen, und beim Auftritt mit Chinas Vizepremier Liu He, am 4. April, das Geld für die Rüstungsausgaben der drei Grossmächte sollte besser für Dinge ausgegeben werden, die dem langfristigen Frieden dienten (Reuters vom 4. April). Aber im Widerspruch dazu wollen die USA dominierende Weltmacht bleiben.
Ab 1990 wollte Russland mit dem Westen ein einvernehmliches Verhältnis unter gleichberechtigten Partnern aufbauen. Aber die USA wollen keine Partner auf gleicher Augenhöhe. Demütigend wiesen sie Russland ab. So hat es sich nach Asien orientiert und rüstet massiv auf. Nachdem China die lange westliche Herrschaft abgeschüttelt hatte, ist es zu einer bedeutenden Macht geworden und beginnt, die USA zu konkurrenzieren. Indien hat mit China Territorialkonflikte, hat grosse Spannungen mit seinem Erzfeind Pakistan, rüstet auf und scheint sich an die USA anlehnen zu wollen.

Die Schweiz praktisch wehrlos

Müssen wir uns tatsächlich fragen, wie ein künftiger Krieg aussehen könnte? Sagte nicht der Bundesrat zur WEA, Krieg gegen unser Land sei praktisch ausgeschlossen? Sollte doch ein «militärischer Angriff» stattfinden, meint er dazu am 3.9.2014 in seinem Erläuternden Bericht: «[…] Spezialkräfte und Führungsunterstützung (inklusive Cyber defence) sind wichtiger geworden, schwere terrestrische Waffensysteme, in Massen eingesetzt, weniger wichtig». Russland widerlegte ihn mit der Meldung vom Februar 2016 über die Einsatzbereitschaft der 1. Garde-Panzerarmee. Auch die 7870 Abrahams-Kampfpanzer der USA sind ein deutlicher Wink.
Nicht die «Kriegsverhinderung» (BV Art. 58), die wichtigste Aufgabe der Armee, ja unseres Staates, sondern das ihr noch zugestandene Geld bestimmt ihre Möglichkeiten. Schon im Bundesbeschluss vom 29.9.2011 wurden die Eckwerte «100 000 Mann und 5 Milliarden Franken» festgelegt. Deshalb wurde im Erläuternden Bericht vom 26.6.2013 – ehrlicherweise – die Aufgabe auf «[…] den Erhalt und die Weiterentwicklung der Verteidigungskompetenz», das «savoir-faire», aber «im kleinstmöglichen Umfang» beschränkt. Auf die «Fähigkeit» zur «Verteidigung» der Schweiz wurde ausdrücklich verzichtet. Diese deutlichen Worte wurden in der folgenden Erläuternden Erklärung vom 3.9.2014 durch ­positive ersetzt (die Armee «schützt»), aber die vom Parlament 2014 bewilligte WEA-Armee wurde dadurch nicht stärker als schon 2011 entschieden. Am 18.3.2016 beschloss die Bundesversammlung noch die Schaffung der Mech Br 4. Trotz ihres martialischen Namens ist sie kein Kampf-, sondern ein Aufklärungsverband, der aber über zwei Artillerie-Abteilungen verfügt. Dadurch wurde die Armee nicht gestärkt. Schon 2015 fragte der Direktor eines grossen chinesischen IT-Konzerns den Verfasser bei einem freundschaftlichen Nachtessen in Beijing ganz unvermittelt: «Warum hat das reichste Land der Welt seine Armee abgeschafft?» So werden auch die für uns wichtigen Generalstäbe die Wehrlosigkeit unseres Landes erkannt und in ihre Planungen für den Kriegsfall militärische Eingriffe bei uns vorgesehen haben.

Das Bild des künftigen Krieges

Die heutigen konventionellen Kriegsmittel sind um ein Vielfaches weitreichender, präziser, zerstörerischer als frühere. Dazu gesellen sich zahlreiche neue Waffentypen: Flugzeuge und Flugkörper aller Reichweiten und Art, höchst leistungsfähige Luftabwehrsysteme, Cyber-, Weltraum-, Hyperschall-, Strahlen-, Prompt-Global-Strike-Waffen, Drohnen und selbstgesteuerte Waffensysteme. Denkbar ist auch der Einsatz von biologischen und chemischen Kampfstoffen. Der NEMP, der nukleare elektromagnetische Puls, der aus mehreren hundert Kilometern Höhe weit herum alle nicht geschützten elektronischen Geräte ausser Betrieb setzt, ist eine weitere Option. Wir müssen auf allen Stufen auf viel Unerwartetes vorbereitet sein. Ein Atomkrieg muss nicht diskutiert werden, da er wohl das Ende der modernen Welt bedeuten würde.
Wie könnte der Krieg aussehen? Eine der grössten Veränderung des Kriegsbildes entsteht durch die Verbindung des Menschen mit «künstlicher Intelligenz», dem Einsatz völlig neuer Technologien, Waffen und dem Einbezug des Weltraums.
Der künftige Landkrieg wird hauptsächlich in Städten geführt und wird tödlicher sein als alle Kriege seit dem Zweiten Weltkrieg. Selbst die US-Bodentruppen können nicht mehr – bislang eine Selbstverständlichkeit – vor ihrem Angriff mit der Zerschlagung des Gegners durch die Luftwaffe rechnen. Oft muss das Feindgebiet besetzt und die dortige Luftabwehr ausgeschaltet werden, bevor die Luftwaffe eingreifen kann.
Die grossen Mächte, also auch Russland und China, haben die Fähigkeit, die elektronischen Mittel sowie die Kommunikation der Streitkräfte, sogar der amerikanischen mit dem Oberkommando und dem Weissen Haus, auszuschalten. Das Schlachtfeld wird nicht mehr linear und zusammenhängend sein. Die Gefechtsfelder werden weit auseinander liegen, und zwischen den eigenen Kräften werden grosse Lücken bestehen. Vom Feind eingeschlossen zu sein, wird zur Norm. Die Truppen müssen sich wieder mit Karte und Kompass zurechtfinden und lernen, in völliger Isolation, ohne jegliche drahtlose Kommunikation und in einem nur beschränkt funktionierenden elektronischen Umfeld zu kämpfen.

Mobilität und Autonomie

Wegen der höchst empfindlichen Sensoren ist die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, sehr hoch. Dank der Präzision heutiger Waffen heisst das, dass wer aufgespürt wurde, auch getroffen wird. General Milley: «Wer länger als zwei bis drei Stunden am gleichen Ort ist, ist tot.» Die Kampfverbände müssten sich dauernd weit auseinandergezogen bewegen, für einen Angriff ganz kurz zusammenziehen und sofort wieder weit auseinandergehen, sonst würden sie sofort vernichtet. Jeder Verband muss über das ganze Spektrum an Waffen, auch weitreichender und sehr wirkungsvoller, verfügen, einschliess­lich einer sehr anspruchsvollen Luftabwehr, um seinen Luftraum selber verteidigen zu können.
Der Umfang an Meldungen und Falschmeldungen im Verbund mit Hochtechnologie wird die Lagebeurteilungen ins Chaos stürzen und die Entscheidfindung zur Erstarrung bringen, sofern die elektronischen Systeme für die Kommunikation, Führung, Feuerleitung überhaupt funktionieren. In diesem Umfeld entwickeln sich Krisen äusserst schnell, was die Zeit für die Entschlussfassung und Operationen extrem verkürzt.
Die Führer müssen ihre Verbände völlig autonom führen können, oft ohne jeden Kontakt zum höheren Kommando. Deshalb müssen sie lernen, gegen den Befehl zu handeln, um das übergeordnete Ziel zu erreichen. Falls es gelingen sollte, die Versorgungslinien zu den im Kampf stehenden Verbänden zu öffnen, dürfen nur roboterisierte oder ferngesteuerte Nachschubkolonnen eingesetzt werden, um das Risiko der totalen Vernichtung der Mannschaft zu vermeiden. Die Truppen im Kampfgebiet haben sich mit extremer Entsagung und Trübsal abzufinden, da der in den US-Streitkräften übliche Luxus mit Pizza Huts, Fast Food, Duschen, Post im modernen Krieg nicht mehr routinemässig aufrechterhalten werden kann.
Der Nachschub über die Meere an Gebiete im Krieg ist nicht mehr garantiert, deshalb müsse dieser vorher dorthin gebracht werden. Laut Meldungen im Internet, deren Echtheit nicht überprüft werden konnte, bringen die USA grosse Mengen schweren Materials nach Europa und lagern es unter anderem in nicht mehr benützten Kavernen in Norwegen ein.
Völlig unvoreingenommen müsste die Schweiz prüfen, wie sie sich auf dieses Kriegsbild vorbereiten sollte – falls unser Volk doch noch zur Einsicht käme, dass wir eine «kriegsverhindernde» Armee brauchen.    •

* Major Gotthard Frick, ehem. Bat Kdt, 4103 Bottmingen

1    WEA = Weiterentwicklung der Armee (Reorganisationsprojekt für die Schweizer Armee, das seit 1. Januar 2018 umgesetzt wird)

Quelle: Der Artikel ist erstmals in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ) 6/2019 erschienen.

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