Russland gegen den Westen – oder umgekehrt?

von Dr. Erwin Mächler*

In den meisten weltpoli­tischen Diskussionen in «westlichen» Gesprächsrunden kommt «Putin» schlecht weg. Entweder wird er gleich zu Beginn der Gespräche als der «Böse» abqualifiziert oder in der Quintessenz der Gespräche als der «Schuldige an allem» erkannt. Teilnehmer mit abweichenden Meinungen sind «Putin-Versteher».

Zwei entscheidende Bereiche prägen seit 30 Jahren die West-Ost-Beziehungen:
1.    die US-amerikanische Weltpolizistenrolle, nach 9/11 intensiviert durch einen Rache-Feldzug gegen den Islamistischen Terror und
2.    die Nato-Ost-Erweiterung.
In der Folge des Zweiten Weltkrieges und bis in die jüngste Zeit wurde es als positiv empfunden, dass die Weltmacht USA überall in der Welt einzugreifen bereit war, wo etwas vermeintlich politisch Unkorrektes passierte. Meist erfolgten diese Eingriffe militärisch, praktisch nie durch den Uno-Sicherheitsrat sanktioniert, also völkerrechtswidrig. Beispiele dazu sind: Philippinen, Jugoslawien, Iran, Irak, Libyen, Syrien, Somalia, Ukraine und weitere.
Ziel dieser Eingriffe war und ist immer ein sogenannter Regime change. Da sich diese Eingriffe zu katastrophalen Kriegshandlungen entwickelten, oft mit vorausgehenden oder nachfolgenden Bürgerkriegen verbunden, wandelten sich die positiven Wahrnehmungen in Kritik, neuerdings in scharfe Kritik. Es wurde auch bald klar, dass die meisten Eingriffe primär der amerikanischen Weltmachtpolitik dienten, einschliesslich dem Zugriff auf und der Sicherung der weltweiten Öl-, Gas- und Rohstoffreserven.
Das derzeitige ungeheure Chaos im Mittleren Osten und in den Maghreb-Ländern ist die Folge dieses amerikanischen Interventionismus. Unterstützt durch die US-dominierte Nato, und damit durch Nato-Mitglieder wie Grossbritannien, Frankreich, die BRD, Dänemark und andere mehr. Die ungeheure epochale Flüchtlingswelle aus den kriegsversehrten Ländern nach Europa ist die indirekte Folge dieses amerikanischen Interventionismus. Diese den USA und damit den jeweils verantwortlichen Führungsorganen anzulastende Politik ist damit auch die Ursache von Millionen unschuldiger Todesopfer.
Es ist offensichtlich, dass sich diese ­Politik «roten Linien» nähert bzw. diese bereits überschritten hat. Russland, China und andere Länder werden diese amerikanische Aggressionspolitik kaum viel länger akzeptieren.
Mit der Vereinigung der beiden deutschen Staaten BRD alt und DDR und der Beendigung des Kalten Krieges entfiel der Existenzgrund des Warschauer Paktes und der Nato. Während der Warschauer Pakt nach Auflösung der Sowjetunion aufgelöst wurde, blieb die Nato nicht nur bestehen, sondern begann, sich schrittweise nach Osten auszudehnen (Nato-Ost-Erweiterung), dies im krassen Widerspruch zu den Zusicherungen, welche Russland gegeben wurden, nämlich jede Ausdehnung der Nato nach Osten zu unterlassen. Kürzlich wurden grössere Kampfverbände der Nato bis vor die russische Westgrenze verschoben, und umfangreiche Nato-Manöver unmittelbar vor der russischen Westgrenze sollten Russland abschrecken. Pikant: Vor 75 Jahren standen im Rahmen des Zweiten Weltkrieges Kampfverbände der Wehrmacht 200 km vor Leningrad. Heute stehen im Rahmen der Nato wiederum deutsche Kampfverbände 150 km vor St. Petersburg – mit welcher Rechtfertigung? In Polen und Rumänien werden durch die Nato Raketenabwehrdispositive installiert, angeblich gegen Iran gerichtet. Für jeden normal denkenden Menschen ist klar, dass diese Stellungen gegen Russland gerichtet sind.
Verantwortlich für die Nato-Ost-Erweiterung ist die Regierung der USA unter den Präsidentschaften von George W. Bush, Bill Clinton und Barack Obama.
Die «Nato-Ost-Erweiterung» ist die Haupt­ursache für die Destabilisierung Osteuropas. Es ist offensichtlich, dass die «rote Linie» hier überschritten wurde, zum Beispiel in der Ukraine (durch die USA 2014 finanzierter Putsch gegen die rechtmässig gewählte Regierung der Ukraine und Entfernung der für die USA missliebigen Regierung). Regime change nach amerikanischem Muster.
Die Rücknahme der Krim in die Russische Föderation ist die Folge dieser Provokation, dasselbe gilt für die Erklärung von zwei «Autonomen Republiken» im Donbass. Es ist bemerkenswert, dass in den westlichen Medien über die Krim immer nur von «Annexion» durch Russland die Rede ist; die vorangehende Provokation wird verschwiegen.
Sollten weitere Provokationen seitens der USA und der Nato gegen die Russische Föderation erfolgen, so ist mit dem dritten Weltkrieg zu rechnen. Jeder objektive Geschichtsschreiber wird dann ehrlicherweise die USA als Verursacher und Auslöser bezeichnen müssen, und nicht Russland, welches sich seit dem Ende des Kalten Krieges in der Defensive befindet.
Wenn immer wieder von Provokation die Rede ist und diese immer der Person Putin angelastet wird, so wird im Lichte des dargestellten Ablaufs klar, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Die Provokation liegt beim Westen. Genauer bei den USA, unterstützt durch die Nato, und in manchen Fällen auch bei der Europäischen Union (Sanktionen).
Barack Obama wurde bei seinem Amtsantritt der Friedensnobelpreis verliehen. Während seiner achtjährigen Amtszeit führte er dann sieben direkte und indirekte Kriege gegen aus amerikanischer Sicht missliebige Regimes; zwei davon wurden von seinem Vorgänger übernommen, fünf in eigener Entscheidung begonnen. Damit ist Obama samt Entourage zum Kriegsverbrecher avanciert. Und die ganze westliche Welt will davon keine Kenntnis nehmen. Die Vorgänger von Obama, Clinton und G. W.  Bush, einschliess­lich der für die Kriegsführung verantwortlichen Regierungsmitglieder, sind naturgemäss ebenfalls Kriegsverbrecher. Dasselbe gilt für die Regierungsspitzen von England (Blair) und Frankreich (Sarkozy), soweit sie an diesen illegalen Interventionskriegen mitwirkten.
Aber der «Böse» ist Putin, obschon er während der gesamten bisherigen Amtszeit, einschliesslich der Swap-Phase mit Medwedew, keinen illegalen Krieg vom Zaun brach. Es sollte bald den einfachsten «westlichen» Köpfen klar werden, welches der tatsächliche Sachverhalt ist.
Die vorstehende Darstellung betrifft erwiesene Fakten und nicht, wie oft unterstellt wird, Verschwörungstheorien. Diese historischen Sachverhalte werden in den «westlichen» Medien selten und meist verfälscht dargestellt. Die sogenannten westlichen «Mainstream-Medien» sind ein «Einheitsbrei». Auch die «Neue Zürcher Zeitung» zeichnet sich dadurch aus, dass ihre gesamte Berichterstattung, einschliesslich der Veröffentlichung von Leserbriefen und von Gastkommentaren, unausgewogen russlandfeindlich und damit unausgewogen westfreundlich ist; man muss sich fragen, weshalb?
In Deutschland spielt die sogenannte Atlantikbrücke, eine Lobbyorganisation zur Pflege der Beziehungen zwischen der BRD und USA (bis Frühjahr 2019 präsidiert durch Friedrich Merz), eine grosse Rolle. Die Chefredaktoren der wichtigsten deutschen Printmedien und der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten (ARD und ZDF) sind Mitglieder dieser Organisation.
Wie soll das weitergehen? Im Wahlkampf um die amerikanische Präsidentschaft 2016 machte Donald Trump eine Menge Versprechungen. Unter anderem nannte er zwei wichtige Zielsetzungen seiner (erhofften) Präsidentschaft: erstens Verbesserung der Beziehungen zwischen USA und Russland und Rückzug der USA aus der Weltpolizistenrolle. Leider zeichnet sich ab, dass sich eine starke Gegnerschaft gegen diese Ziele entwickelt.
Für Aussenstehende ist erkennbar, dass sich die Gegner aus den sogenannten Neokons sowie dem «deep state» zusammensetzen, ergänzt durch die übrigen politischen Gegner Trumps. Unverständlich ist für Aussenstehende auch die Ernennung von Mike Pompeo (vormaliger Chef der CIA) zum Secretary of State (Aussenminister) und von John Bolton zum Sicherheitsberater. Beide hintertreiben die obgenannten Pläne Trumps öffentlich erkennbar mit allen Mitteln.    •

*    Oberst im Generalstab a. D. Erwin Mächler, Dr. oec. publ., ehemals Mitglied Konzernleitung Holcim, 9445 Rebstein

Quelle: Der Artikel ist erstmals in der Allgemeinen Schweizerischen Militärzeitschrift (ASMZ) 6/2019 erschienen.

Sieben direkte und indirekte Kriege unter Präsident Obama

Übernommen: Libyen I und Afghanistan.
Begonnen: Libyen II, Syrien I (2011), Ukraine (2014), Syrien II (2015), Jemen (2015).

 

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