Alle Kinder wünschen sich eine Welt ohne Atomkrieg

von Nicole Duprat, Mitarbeiterin von "Horizons et débats"

Gewidmet denjenigen,
die den Bombenanschlag überlebt haben,

Nur um in ständiger Angst zu leben

Wegen der mit der Bestrahlung
verbundenen Risiken.

Mögen die Seelen der Verstorbenen
in Frieden ruhen

Mögen diejenigen, die noch am Leben sind und noch Schmerzen haben

Zu Leuchtfeuern des hellen Lichts
werden und

Der Menschheit ermöglichen,

Die bösartige Natur der Atomwaffen
zu erkennen.

Der Artikel in Zeit-Fragen über den 75. Jahrestag des tragischen Atombombenabwurfs hat das Verdienst, uns zu zeigen, dass Hiroshima und Nagasaki nicht der Vergangenheit angehören. Atomwaffen stehen derzeit im Mittelpunkt des aktuellen Geschehens, sowohl national als auch international. Diese Aktualität unterstreicht die Tatsache, dass Atomwaffen nach wie vor zu den von einigen Staaten entwickelten Machtinstrumenten gehören, trotz des wachsenden Gewichts der Anti-Atom-Bewegungen in der ganzen Welt und der immer lauter werdenden Forderungen nach einer atomwaffenfreien Welt.
   Hiroshima und Nagasaki haben unserem Gedächtnis die Grausamkeit des Einsatzes von Atomwaffen eingeprägt. Die durch Atomfeuer pulverisierten Orte bleiben für immer Zeugen der tödlichen und vorsätzlichen Politik von Präsident Truman und seiner Berater, die versuchten, den Krieg mit dem Einsatz der Bombe zu gewinnen.
   Diese beiden Atombomben waren furchterregende Kriegswaffen, die kolossale Zerstörungen in einem noch nie dagewesenen Ausmass anrichteten. Akute Strahlungs-Syndrome konnten innerhalb von Wochen zum Tod führen oder auch nicht.
   75 Jahre nach den Bombenanschlägen von Hiroshima und Nagasaki hängt trotz des Grauens, das diese Städte erlitten haben, immer noch der Schatten eines Atomkriegs über uns. Auch heute noch ist keine Stadt auf die Folgen einer Atombombenexplosion vorbereitet, und keine Nation kann damit fertig werden.
   In gewisser Weise illustrieren Hiroshima und Nagasaki den blinden Fleck des internationalen Strafrechts, das mit den grossen Nürnberger Prozessen geschaffen wurde. In einem bewaffneten Konflikt bleiben Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die von den Siegern begangen werden, unbestraft.
   Der Start-Vertrag über die Reduzierung von Atomwaffen zwischen Russland und den Vereinigten Staaten läuft 2021 aus, wenn sich die beiden Mächte nicht auf seine Erneuerung einigen können.
   Begrüssen wir die Aktion der «Mayors for Peace», einer Gruppe von Bürgermeistern aus aller Welt, deren Programm am 24. Juni 1982 auf der Uno-Sondersitzung über Abrüstung vom damaligen Bürgermeister von Hiroshima, Takeshi Araki, ins Leben gerufen wurde, dem sich bald darauf sein Amtskollege, der Bürgermeister von Nagasaki, Yoshitake Morotani, anschloss, um die Solidarität unter den Städten in aller Welt auf dem Weg zur Abschaffung der Atomwaffen zu fördern. So etwas wie einen gerechten Krieg gibt es nicht, und in Kriegen zahlen immer die Unschuldigen.
   In Japan wurden laut dem Gesundheitsministerium 134 700 «Hibakusha» gezählt. Ein Begriff, der wörtlich «an der Bombe leidende Menschen», d. h. Menschen, die verstrahlt wurden, bedeutet. Das Durchschnittsalter der heute noch Lebenden liegt bei knapp über 83 Jahren. Und viele waren Neugeborene oder noch im Mutterleib. Die physische und moralische Tortur vieler Hibakusha dauerte ihr ganzes Leben lang. Viele von ihnen haben lange gelitten und wurden diskriminiert, insbesondere in bezug auf die Ehe. «Für uns Überlebende ist eine Heirat oder eine Geburt kein freudiges Ereignis, sondern Quelle der Angst. Wir haben immer noch Angst vor den Nachwirkungen der Bomben auf unsere Kinder und Enkelkinder.» Hibakusha. Wir sollten ihr Anliegen der Abschaffung der Atomwaffen und des Erreichens des Weltfriedens mit grossem Respekt und offenem Herzen entgegennehmen.
   Die Fotografien in den Archiven des Friedensmuseums in Hiroshima veranschaulichen das Ausmass der durch Atomwaffen verursachten Verwüstungen und den Preis, den die Zivilbevölkerung – Hauptopfer dieses mörderischen Amoklaufs – bezahlt hat. Der Kenotaph, dessen Form an alte japanische Lehmhäuser erinnert, wurde angefertigt, um die Seelen der Opfer vor Wind und Regen zu schützen. Er enthält die Namen aller Opfer des Bombenanschlags und wurde von dem Architekten Tange Kenzo gebaut; dort brennt eine Friedensflamme, die so lange brennen soll, wie es Atomwaffen gibt, mit der Inschrift: «Ruhe in Frieden, wir werden die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen», wobei sich das «Wir» auf die gesamte Menschheit bezieht.
   Im Laufe meiner Arbeit als Lehrerin empfing ich in Zusammenarbeit mit der Alliance française de Tokyo eine junge Japanerin, Yoriko, die gekommen war, um den Französischunterricht in den Schulen Frankreichs kennenzulernen. Wir hatten uns bereit erklärt, mit den Schülern während eines Origami-Workshops über dieses tragische Ereignis zu sprechen, und zwar mit Worten, die ihrem Alter und ihrem Verständnis entsprechen. Bei einem Origami-Workshop werden Kraniche (Orizuru) hergestellt, Symbol der Langlebigkeit. Die Origami-Technik ist eine den japanischen Kindern bekannte Falttechnik. Meine Schüler haben sich mit viel Fleiss, Genauigkeit und mit viel Gefühl an die Faltkunst begeben. Wir zeigten ihnen ein Poster der Statue der Kinder, die von der Bombe betroffen waren, und insbesondere von Sadako Sasaki. Dieses kleine Mädchen starb an Leukämie, woran sie infolge der Strahlenbelastung durch die Explosion erkrankt war. Sadako ist dank der vielen Papierkraniche, die sie während ihrer Krankheit hergestellt hat, zu einem Sinnbild des Friedens geworden. Tatsächlich besagt eine japanische Legende: «Jeder, der 1000 Papierkraniche faltet, die durch ein Glied miteinander verbunden sind, kann seinen sehnlichsten Wunsch nach Gesundheit, einem langen Leben, Liebe und Glück in Erfüllung gehen sehen.» Sadako wollte leben: Solange sie konnte, faltete sie Papierkraniche. Sie starb am 25. Oktober 1955 im Alter von zwölf Jahren. Sie wurde mit einer Girlande von 1000 Kranichen beerdigt.
   Sadakos Geschichte hatte einen tiefgreifenden Einfluss auf ihre Freunde und ihre Klasse. Im Kinderbuch faltet Sadako 644 Kraniche und als Tribut an die junge Sadako, die glaubte, sich erholen zu können, falteten die Schulkameraden die 356 fehlenden Kraniche.1 Ihre Geschichte hat aus dem Papierkranich ein Symbol des Friedens gemacht. Ihre Geschichte wird in dem Buch «Sadako und die tausend Papierkraniche» von Eleanor Coerr 1977 erzählt und ist in mehrere Sprachen übersetzt worden. Die Freunde stellten weiterhin Origami her, um Geld für japanische Schulen zu sammeln und eine Statue zu Ehren von Sadako und allen von der Bombe betroffenen Kindern errichten zu lassen. Es handelt sich um die Statue eines kleinen Mädchens, das einen riesigen goldenen Kranich in der Form eines Origami in ihren erhobenen Armen hält. Die Einweihung fand am Abend des Kinderfestes am 5. Mai 1958 statt. Sein Sockel trägt die Inschrift: «Dies ist unser Ruf. Dies ist unser Gebet. Für den Aufbau von Frieden in der Welt.»
   Seitdem wurde diese Statue ständig mit  Tausenden von Girlanden von Papierkranichen geschmückt, die von Kindern aus der ganzen Welt hergestellt wurden (einschliesslich der 30 Schülerinnen und Schüler meiner Klasse, deren Girlande Yoriko bei ihrer Rückkehr nach Hause mitbrachte). Alle Kinder haben den gleichen Wunsch: eine Welt ohne Atomkrieg.    •


1  Auch wenn die Zahl der von Sadako gefalteten Kraniche in den Kinder- und Jugendbüchern jeweils im Sinne der Legende unter 1000 bleibt, obwohl sie weit über 1000 gefaltet hat, waren es tatsächlich die Klassenkameraden Sadakos, die den Anstoss für ein Friedensdenkmal gaben und eine Sammlung initiierten. 1958 wurde es eingeweiht.

(Übersetzung Zeit-Fragen)

Papierkraniche (Gedanken der Mutter)

Je schlimmer die Krankheit wurde, je mehr sie ihre Beweglichkeit verlor, desto kleiner wurden die Kraniche, die Sadako faltete. Obwohl ihr ganzer Körper geschwollen war, bis zu den Fingerspitzen geschwollen, obwohl sie immer schlechter gesehen haben musste, faltete sie sorgsam ihre kleinen Kraniche mit Hilfe einer Nadel – wie eine Ertrinkende, die sich an einen Strohhalm klammert.

(Sasaki, Masahiro. Meine kleine Schwester Sadako, S. 96)

Erinnerungen des Bruders

Meine Schwester hatte alle tausend Kraniche auf einen langen Faden gefädelt, damit der seidene Faden des Lebens nur ja nicht abreisse. Ihr Wunsch ist nicht in Erfüllung gegangen.
   Ach, ihr tausend Kraniche! Warum habt ihr nicht gesungen? Warum seid ihr nicht geflogen?
   Ich sage zu einem der tausend Kraniche: Bleib immer bei meiner Schwester und schütze sie. Kümmere dich für uns um sie. Und wenn sie froh ist, dann erhebe deine Schwingen in den weiten Himmel!
   Als die Zahl der Kraniche eintausendsechshundert erreichte, war ihr Körper schon sichtlich schwach geworden.

(Sasaki, Masahiro. Meine kleine Schwester Sadako, S. 98)

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