Meinungsäusserungsfreiheit gehört in der direkten Demokratie zum Grundstock

Neue Strafnorm gegen «Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung»?

Abstimmungstext

Strafgesetzbuch Art. 261bis
Diskriminierung und Aufruf zu Hass*

Wer öffentlich gegen eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung zu Hass oder zu Diskriminierung aufruft,
wer öffentlich Ideologien verbreitet, die auf die systematische Herabsetzung oder Verleumdung dieser Personen oder Personengruppen gerichtet sind,
wer mit dem gleichen Ziel Propaganda­aktionen organisiert, fördert oder daran teilnimmt,
wer öffentlich durch Wort, Schrift, Bild, Gebärden, Tätlichkeiten oder in anderer Weise eine Person oder eine Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung in einer gegen die Menschenwürde verstossenden Weise herabsetzt oder diskriminiert oder aus einem dieser Gründe Völkermord oder andere Verbrechen gegen die Menschlichkeit leugnet, gröblich verharmlost oder zu rechtfertigen sucht,
wer eine von ihm angebotene Leistung, die für die Allgemeinheit bestimmt ist, einer Person oder einer Gruppe von Personen wegen ihrer Rasse, Ethnie, Religion oder sexuellen Orientierung verweigert,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft.
*    Im Militärstrafgesetz soll in Art.171c Abs.1 derselbe Wortlaut übernommen werden.

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Eidgenössische Volksabstimmung vom 9. Februar 2020

Am 9. Februar stimmen wir über eine Erweiterung der Anti-Rassismus-Strafnorm ab, welche Diskriminierung und Aufruf zu Hass auf Grund der sexuellen Orientierung als neuen Straftatbestand einführen will. Laut Bundesrat ist damit gemeint, «ob sich ein Mensch zu Menschen des andern Geschlechts (heterosexuell), des gleichen Geschlechts (homosexuell) oder beiderlei Geschlechts (bisexuell) hingezogen fühlt. Nicht gemeint sind die Geschlechtsidentität oder sexuelle Vorlieben und Praktiken».1
Gegen diese erweiterte Strafnorm wurde von einem überparteilichen Komitee das Referendum ergriffen, mit dem Slogan «Nein zum Zensurgesetz – Für Toleranz und Meinungsvielfalt».
Worum geht es? Das Referendumskomitee stellt ein ausführliches Argumentarium zur Verfügung.2 Zeit-Fragen lässt hier neben der Vorstellung der Vorlage auch andere kritische Stimmen zu Wort kommen.
Vor 25 Jahren wurde die Einfügung von Art. 261bis «Verbot der Rassendiskriminierung» ins Schweizerische Strafgesetzbuch in der Volksabstimmung vom 25. September 1994 relativ knapp (mit 54,6 % Ja-Stimmen) angenommen. Vielen Bürgern leuchtete es schon damals nicht ein, warum die Meinungs­äusserungsfreiheit durch einen Strafrechtsartikel beschnitten werden sollte, der angesichts genügend anderer Strafbestimmungen nicht wirklich nötig war. Denn für die demokratische Willensbildung der Schweizer, die gewohnt sind, ihre Angelegenheiten in Bund, Kanton und Gemeinde selbst zu gestalten, ist die Meinungsäusserungsfreiheit ein fundamentales Grundrecht, das sie sich nicht nehmen lassen.

Wozu diente der Antirassismus-Artikel von 1994?

Im damaligen Abstimmungsbüchlein stellte der Bundesrat zwar fest: «Toleranz gegenüber anderen ist eine schweizerische Grundhaltung.» Aber rassendiskriminierende Übergriffe seien «auch bei uns nicht ausgeschlossen».3 Kein besonders überzeugendes Argument. Warum die Strafbestimmung trotzdem angenommen wurde: Bundesrat, Parlament, die meisten Parteien und viele Medien bedrängten das Stimmvolk, die Schweiz solle dem «Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung» von 1965 beitreten, dazu brauche es die neue Strafnorm. Wie vorauszusehen war, wurde deren Anwendung durch die Gerichte seit damals aus Gründen der Meinungsfreiheit häufig kritisiert.

Bundesrätin Sommaruga: «Der Bundesrat erachtet es nicht als zwingend, den strafrechtlichen Schutz zu erweitern»

Heute stellt sich dieselbe Frage wie 1994: Gibt es einen zwingenden Grund, die freie Meinungsäusserung der Bevölkerung noch weiter einzuschränken?
Der Schutz vor Diskriminierung wegen der sexuellen Orientierung gehört – wie der Bundesrat im Abstimmungsbüchlein richtig festhält – «zu den von der Bundesverfassung garantierten Grundrechten».4 Festgehalten ist dies in BV Art. 8 Absatz 2: «Niemand darf diskriminiert werden, namentlich nicht wegen […] der Lebensform […].»
Inwiefern eine neue Strafbestimmung nötig sein soll, ist daher fraglich. Denn bereits heute stehen eine ganze Reihe von Schutzvorschriften und Straftatbeständen zur Verfügung.
In diesem Sinne führte Bundesrätin Simonetta Sommaruga in der Nationalratsdebatte vom 25. September 2018 aus: «Der Bundesrat hat auch schon früher bekundet, dass aus seiner Sicht das geltende Recht bereits weitgehenden Schutz vor Hassreden und Hass­taten sowie Diskriminierungen gegenüber Personen auf Grund ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität bietet. Zu denken ist vor allem an den Persönlichkeitsschutz des Zivilrechtes, aber auch an den Ehrenschutz des Strafrechtes in den Artikeln 173ff. StGB. […]» Sie fügt hinzu: «Das heisst, der Bundesrat erachtet es nicht als zwingend, den strafrechtlichen Schutz zu erweitern. Trotzdem beantragt Ihnen der Bundesrat im Sinne seiner Stellungnahme, die Kommissionsmehrheit zu unterstützen und auf die Vorlage einzutreten.»5
Warum dann ohne Not die freie Meinungs­äusserung einschränken?

«Weil jeder seine eigene ‹Wahrheit› hat bzw. ‹konstruiert›, die nicht die intersubjektiv gültige und von allen Vernünftigen zu suchende ist, herrschen nur noch eigene Interessen und Befindlichkeiten, Lebensstile und vor allem Emotionen, die allesamt durchgesetzt werden und recht haben wollen.» (Marian Eleganti)

Ständerat Andrea Caroni: «Wollen wir das Strafrecht auf immer mehr Kriterien ausdehnen?»

Neben der SVP lehnte auch eine Reihe freisinniger Politiker die Vorlage ab. Bemerkenswert die Stellungnahme des jungen FDP-Ständerates Andrea Caroni aus Appenzell-Ausserrhoden, die wir auszugsweise wiedergeben. Caroni weist auch auf gewisse Abläufe in der Uno hin (siehe unten, Grosse Zahl nichtwestlicher Staaten …).
«Ich sage es Ihnen geradeheraus: Ich bin gegen diese Vorlage. Ich befinde mich für einmal in etwas ungewohnter Allianz. […] Ich finde generell, dass das Strafrecht – das Ultima ratio ist, wie Kollegin Seydoux gesagt hat – eine zu grobe und meines Erachtens auch unnötige Keule im Kampf um Meinungshoheit ist. Ich finde, das beste Rezept gegen Dummheiten oder auch geäusserte Bosheiten sind halt Gegenreden, die anständig und gescheit sind.
Es gibt auch schon einen breiten Schutz für das Individuum, das auf Grund seiner sexuellen Orientierung beleidigt oder diskriminiert wird. Aber mein Hauptargument ist folgendes: Wenn Sie dem hier zustimmen, dann hört es nie auf. Schon in der Stellungnahme des Bundesrates steht, was die Uno gerne hätte. […] Unter strafrechtlichem Schutz stehen im Moment die Religion, die Ethnie; jetzt kommt das Geschlecht, die sexuelle Orientierung hinzu. Aber die Uno sagt ja: Man sollte dann auch noch die Sprache hereinnehmen. […]

Jemand hat vorhin noch das gefährliche Kriterium der politischen Gesinnung in den Raum gestellt: Was ist denn, wenn wir es plötzlich noch unter Strafe stellen, dass man schlecht über andere politische Gesinnungen spricht? […] Die Grundsatzfrage ist immer die gleiche: Wollen wir das Strafrecht auf immer mehr Kriterien ausdehnen?»6

Beispiel «Ehe für alle»: Freie Meinungsbildung muss möglich sein

In naher Zukunft steht in der Schweiz die Diskussion um die «Ehe für alle» an, inklusive höchstumstrittener Fragen wie dem Adoptionsrecht für homosexuelle und dem Zugang zur Samenspende für lesbische Paare. Das Referendumskomitee befürchtet mit Recht, dass durch die Erweiterung der Diskriminierungs-Strafnorm die Gegner solcher Forderungen in der politischen Debatte schwer benachteiligt wären: «Ein strafrechtliches Diskriminierungsverbot würde den medial aufgebauten Eindruck, die Argumentation gegen die ‹Ehe für alle› sei per se diskriminierend, entscheidend verstärken. Eine sachliche Auseinandersetzung würde dadurch – gleichgültig, wie man sich zu diesem Thema positioniert – massiv erschwert. Schon heute entsteht jeweils ein Sturm der Empörung, wenn jemand in der Öffentlichkeit zu sagen wagt, dass das Aufwachsen bei zwei Vätern oder Müttern dem Kindeswohl abträglich sei. Reflexartig werden solche – entwicklungspsychologisch durchaus begründbaren – Äusserungen als Angriff auf die Elternqualitäten von gleichgeschlechtlich liebenden Personen bezogen. Und so ist anzunehmen, dass sich viele Bürger und Politiker erst gar nicht an einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu diesen hoch-emotionalen Fragen beteiligen würden, um nicht Gefahr zu laufen, als ‹homophob› wahrgenommen und etikettiert zu werden.»7

«Wer seine Gegner diskreditiert, beschädigt das Vertrauen in die Politik»

«Wer seine Gegner diskreditiert, beschädigt das Vertrauen in die Politik.» Mit diesen Worten warnt Fabian Schäfer in der «Neuen Zürcher Zeitung» vor der zunehmenden Verwilderung der Diskussionskultur vor Volksabstimmungen. Eine bittere Feststellung in der direktdemokratischen Schweiz, deren Existenz unverzichtbar mit dem freien Gespräch unter Mitbürgern mit verschiedensten Auffassungen verknüpft ist. Schäfer bezeichnet die Abstimmung vom 9. Februar als «Test für die Diskussionskultur in diesem Land» und fährt fort: «Man kann über diese Vorlage aus guten Gründen geteilter Meinung sein. Aber schon jetzt ist zu befürchten, dass ein Teil der guten Gründe – jene dagegen – nicht ernst genommen, sondern bösartig verdreht und umgedeutet werden. […] Spätestens in den sozialen Netzwerken wird es kein Halten mehr geben. Eine vernünftige Diskussion über die Notwendigkeit der Vorlage, an der auch der Bundesrat zweifelte, oder über die Grenzen des Strafrechts wird da kaum mehr möglich sein. Gegner der Vorlage müssen damit rechnen, in die Ecke der Schwulenhasser gestellt zu werden.»8
Ein mutiger und bitter nötiger Aufruf, welcher der freisinnigen «Neuen Zürcher Zeitung» wohl ansteht.

«Jeder, der widerspricht oder sich quer stellt, wird als ‹persönlicher Feind›, nicht als vernünftiger und ehrenwerter ‹Diskurs-Gegner› wahrgenommen nach der Formel ‹Du widersprichst mir, also hassest Du mich›. Als ob ein Widerspruch in der Sache auch schon die Ablehnung (Hass) der Person, welche die Sache vertritt, bedeuten würde.» (Marian Eleganti)

Plädoyer des Churer Weihbischofs Marian Eleganti für die Bemühung um Objektivität im offenen Dialog

Am Vorabend der Volksabstimmung vom 9. Februar tut der Kommentar von Bischof Eleganti wohl und ist geeignet, die Standhaftigkeit der Stimmbürger zu stärken:
«Da es in der postmodernen, pluralistischen und relativistischen Gesellschaft keine allgemein gültige Wahrheit mehr geben soll, die zu suchen ist, fällt auch die Bemühung um Objektivität auf Grund von gemeinsamen Vernunftargumenten in einem offenen Dialog weg. Weil jeder seine eigene ‹Wahrheit› hat bzw. ‹konstruiert›, die nicht die intersubjektiv gültige und von allen Vernünftigen zu suchende ist, herrschen nur noch eigene Interessen und Befindlichkeiten, Lebensstile und vor allem Emotionen, die allesamt durchgesetzt werden und recht haben wollen. Jeder, der widerspricht oder sich quer stellt, wird als ‹persönlicher Feind›, nicht als vernünftiger und ehrenwerter ‹Diskurs-Gegner› wahrgenommen nach der Formel ‹Du widersprichst mir, also hassest Du mich›. Als ob ein Widerspruch in der Sache auch schon die Ablehnung (Hass) der Person, welche die Sache vertritt, bedeuten würde.»
Marian Eleganti warnt vor der Einführung einer Strafnorm zum «Schutz» vor Diskriminierung und Aufruf zu Hass auf Grund der sexuellen Orientierung mit eindringlichen Worten: «Jede von ihr [der LGBTQ-Lobby] abweichende Meinung wird als ‹hatespeech› stigmatisiert oder mindestens als theoretische Voraussetzung für tätliche Gewalt gewertet. Und noch bevor ein wirkliches Gewaltverbrechen geschieht, das ganz andere Ursachen hat, droht dem Vertreter einer abweichenden Meinung eine gerichtlich verfügte Strafe oder ein Boykott seiner freien Rede durch Blockaden und andere Schikanen. Hier wird dann wirkliche Gewalt angewandt, ohne angesichts des eigenen, gleichzeitig lautstark verkündeten pluralistischen Credos (Vielfalt) zu erröten.»9

Fazit

Es ist eine Freude, dass vor dieser Abstimmung so vernünftige und sachkundige Stimmen aus den verschiedensten gesellschaftlichen «Ecken» zu vernehmen sind.    •


1    Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 9.2.2020, S. 19
2    Abstimmungskomitee «Nein zu diesem Zensurgesetz!» Argumentarium, finale Fassung vom 7.11.2019
3    Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 25.9.1994, S. 7
4    Erläuterungen des Bundesrates zur Volksabstimmung vom 9.2.2020, S. 7
5    13.407 Parlamentarische Initiative Reynard Mathias. Kampf gegen die Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung. Nationalratsdebatte vom 25.9.2018; ebenso im Ständerat am 28.11.2018
6    13.407 Parlamentarische Initiative Reynard Mathias. Kampf gegen die Diskriminierung auf Grund der sexuellen Orientierung. Ständeratsdebatte vom 28.11.2018
7    Abstimmungskomitee «Nein zu diesem Zensurgesetz!», Argumentarium vom 7.11.2019, S. 8
8    Schäfer, Fabian. «Das üble Spiel der Unterstellung». Neue Zürcher Zeitung vom 16.11.2019
9    Weihbischof Marian Eleganti. «Das Ende der Bemühung um Objektivität». Gastkommentar vom 3.1.2020. Zukunft-ch (https://www.zukunft-ch.ch/das-ende-der-bemuehung-um-objektivitaet/)

Grosse Zahl nichtwestlicher Staaten gegen Meinungsdiktat

mw. Im Juni 2016 führte der Uno-Menschenrechtsrat das «Mandat des Experten zum weltweiten Schutz der Rechte von Lesben, Schwulen und Transmenschen» ein. Allerdings war eine breite Gruppe von afrikanischen und islamischen Staaten sowie Russ­land, China und Indien nicht damit einverstanden und versuchte, das Mandat am 23. November in der Dritten Kommission der Uno-Generalversammlung* wieder rückgängig zu machen.

 

*    Dritte Kommission: Kommission für Soziale, Humanitäre und Kulturelle Angelegenheiten (SOCHUM), eine von sechs thematisch gegliederten Unterkommissionen, welche die Generalversammlung zur besseren Bewältigung ihrer Geschäfte eingerichtet hat. (Quelle: Wikipedia)

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