Covid-19 ist ein medizinisches Problem

Plädoyer für mehr Sachlichkeit, Kooperation und weniger Ideologie

Interview von Nicole Köster, SWR 1 Leute, mit Prof. Dr. med. Dr. h. c. Paul R. Vogt

Nicole Köster: Professor Paul Vogt, einen schönen guten Morgen.
Paul Vogt: Guten Morgen.

Herzlich willkommen bei SWR 1 Leute. Sie sind Herzchirurg aus Zürich, sind also über die Grenze angereist gestern Abend [4. Mai 2020]. Kurze Frage dazu: Wie war’s an der Grenze mit Grenzkontrollen?
Kein Problem, zehn Minuten Stau, aber Sie hatten mir ja eine Bestätigung zugeschickt, dann war’s kein Problem.

Alles entspannt geschafft. Aber viele haben natürlich Bedenken, wenn die Grenzen wieder geöffnet werden, besonders die Bürger, die dort wohnen. Die Politiker auf der anderen Seite fordern eine schnellere Grenzöffnung. Haben Sie da irgendetwas spüren können?
Ich denke, eine Aufhebung des Lockdown ist ja unvermeidlich – Wirtschaft hin oder her, niemand will so weiterleben. Die Leute möchten ihre Bekannten, ihre Verwandten, ihre Familienangehörigen besuchen, das ist ja eigentlich klar. Die Frage ist, wie man das macht und was wir für Daten haben. Können wir aufgrund wissenschaftlicher Daten voraussagen, was sich dann ereignen wird? Und ich denke, eigentlich nicht. Wir wissen nicht so genau, was in den nächsten sechs, zwölf, achtzehn, vierundzwanzig Wochen passieren wird. Es braucht eine schrittweise Aufhebung des Lockdown, und dann muss man halt monitorisieren, was passiert.

Dieses Nicht-Wissen ist ein grosses Problem. Sie haben versucht, in diesen Dschungel etwas Ordnung zu bringen, und sind auch «ein besorgter Bürger». Sie haben nämlich unter diesem Titel, unter dieser Überschrift, einen Gastkommentar in einer schweizerischen Zeitung, der «Mittelländischen Zeitung», veröffentlicht. Was passierte, nachdem dieser Artikel erschien?
Das ist ein kleiner Verlag, das wurde online veröffentlicht, die haben vielleicht so ein paar tausend Klicks maximal pro Tag. Und dann sind sie angeklickt worden, ich denke 750tausendmal in 48 Stunden. Ich habe dann zwei Manuskripte geschickt und ein Interview zum ersten Manuskript, und es wurde 2,5 Millionen mal angeklickt in der Schweiz und etwa 2 Millionen mal im russischsprachigen Raum. Ich bin dann angefragt worden für eine spanische Übersetzung, eine französische, eine bulgarische usw. und selbst für eine chinesische Übersetzung. Das haben wir dann nachgeliefert über meine Kollegen.

Und Sie üben in Ihrem Artikel Kritik. Was ist Ihre Hauptkritik?
Ich denke, hätte man besser aufgepasst und hätte man etwas gelernt daraus, was in Asien abgelaufen ist, und zwar in China, in Taiwan, in Südkorea, und wäre man etwas vorbereitet gewesen, die Pandemie wäre wahrscheinlich nicht in diesem Masse über die Schweiz gekommen, wahrscheinlich wäre gar kein Lockdown notwendig gewesen, es hätte weniger menschliche Opfer gegeben, und ich denke, auch weniger ökonomische, finanzielle Schwierigkeiten, die sich ja jetzt erst allmählich zeigen werden.

Aber dieses Nicht-Wissen, das haben Sie ja eben auch schon angesprochen, ist ein grosses Problem. Wann haben Sie denn zum erstenmal von dem Ausbruch eines gefährlichen neuartigen Sars-Virus gehört?
Ab September war ich eigentlich kontinuierlich in Taschkent tätig, in Usbekistan. Wir bauen dort eine Kinder-Herz-Chirurgie auf.

Sie haben eine Stiftung gegründet.
Ja, genau. Meine usbekischen und russischen Kollegen, die nicht so des Englischen mächtig sind – ich habe denen eine Bibliothek eingerichtet für Herzchirurgie usw., – haben mich dann so im Januar gefragt, ob ich nicht einmal etwas darüber erzählen könnte, was in China vor sich geht. Ich bin dann in die Literatur gegangen und habe gesucht, was es gibt, und bin auf eine Publikation von Peng Zhou aus Wuhan gestossen, einem Virologen, der im März 2019 eine epidemiologische Studie von Corona-Viren in Bats (Fledermäusen) in China präsentierte.
Als ich dieses Paper gelesen hatte, war für mich eigentlich alles klar. Dort wurde diese Pandemie vorausgesagt, dass sehr bald eine neue Corona-Viren-Pandemie über die Welt schwappen wird; man kann nicht ganz genau sagen, wann, aber sehr bald, und den Hot-Spot kennt man auch nicht genau, es würde aber wahrscheinlich in China sein, das wurde auch genau begründet.

Sie sagen, seit 2003 wurde die Corona-Pandemie mindestens achtmal angekündigt. Was war mit den vorherigen Ankündigungen, waren die nicht ernstzunehmen?
Ich kann es auch nicht sagen. Man hat ja verschiedene Pandemien erlebt. Das eine sind Sars1 und Mers2, die beiden Epidemien, würde ich sagen. Nach 2004 gab es keine Sars-Erkrankungen mehr in China, das heisst das Virus wurde ausgerottet, was eine wichtige Botschaft ist. Ich weiss ja, der Deutsche Bundestag hat 2012 eine Corona-Pandemie in Deutschland simuliert, und 2016 gab es Exercise Cygnus, bei der man eine Influenza-Pandemie in London simuliert hat. Dort war das Resultat, dass das NHS [National Health Service] kollabieren wird. Und dieser Bericht wurde dann als «classified» der Bevölkerung vorenthalten. Es gibt auch Pandemie-Blätter, Richtlinien, die die Schweiz publiziert hat im Jahr 2018. – Es ist schwierig zu erklären, weshalb man nicht reagiert hat. Es gibt diesen «Event 201» von Bill Gates, in dem ganz konkret Ende 2019 eine Corona-Pandemie weltweit diskutiert wurde. Es gibt viele Film-Ausschnitte im Internet – können Sie lesen – bis hin zu den ökonomischen Folgen einer solchen Pandemie. Und dann natürlich die wissenschaftliche Arbeit von Peng Zhou, der das voraussagt.

Und Sie sind dann zum Schluss gekommen: Es liegt an einer westlichen Arroganz. Wie ist die zu verstehen?
Ja, ich denke, wenn man zum Beispiel die Kommentarspalten anschaut, auch die Medienbeiträge in der Schweiz, aber vor allem auch die Kommentarspalten, das zeigt mir ein bisschen die Atmosphäre und die Stimmung. Da heisst es sowieso: «Alle Chinesen lügen», und «den Taiwanesen kann man nichts glauben», «Singapur ist eine Familiendiktatur, da kann man auch nichts glauben». Das ist einfach eine schlechte Haltung. Wenn zum Beispiel China am 31. Dezember 2019 die WHO informiert hat – und die Chinesen haben ein Überwachungssystem für atypische Pneumonien installiert, das 2017 mit jenem in Holland verglichen worden ist und das sehr gut funktioniert, das wurde auch so bestätigt – und dann die WHO am 30. Januar 2020, ich sag mal, weltweiten Pandemie-Alarm gibt, und verschiedene Länder verschiedene Vorsichtsmassnahmen treffen, kann man auch nicht die Augen verschliessen, sondern ich denke, dann muss man gucken, was passiert,  und was machen diese Länder.

Aber es gibt ja auch die Kritik, die am Wochenende vom Verbund der fünf Geheimdienste aufkam, dass durchaus auch in China der Beginn der Pandemie vertuscht wurde.
Nein, ich denke, so wie ich es begriffen habe, haben sie am Anfang gedacht, es sei Sars. Sie mussten zuerst herausfinden, dass es überhaupt ein neues Virus ist. Für mich sieht es so aus, als ob jetzt die Chinesen in Wuhan am Corona-Virus forschen, dann springt eines aus dem Fenster, und dann sagen sie: «Wir sagen nichts». Aber Tatsache ist, dass diese Forschung an Corona-Viren eine weltweite Forschung ist. Es gibt dazu Publikationen, die jeder finden kann: 2015 hat eine Forschungsgruppe in North Carolina, Jefferson, Arkansas, Harvard zusammen mit Wuhan, zusammen mit einem Institut aus der Schweiz, in Bellinzona, ein Paper produziert, wie sie synthetisch an Sars-Corona-Viren manipuliert haben. Da wurde dann vom National Institute of Health in Amerika ein Moratorium verhängt, weil es zu gefährlich sei, an Mers- und Sars-Viren zu forschen. Und dieses Moratorium wurde 2017 aufgehoben. Diese Forschung ist international. Und auch die Forschung von Shi Zheng-Li, die jetzt natürlich im Mittelpunkt steht in Wuhan, wurde z. B. von den Amerikanern bis zuletzt mit Millionen Dollars unterstützt. Es waren ausländische Forscher in Wuhan, das Labor wurde von den Franzosen mitgebaut. Das ist nicht etwas Lokales in Wuhan. Da war die ganze Forscherwelt involviert in der Corona-Forschung.

Das würde also jetzt bedeuten, die Kritik, die der US-amerikanische Aussenminister Mike Pompeo gerade äussert, äussert er auch gegenüber seiner eigenen Forschung. Es ist dieses Bashing, das Sie letztlich auch kritisieren, weil das ja zu nichts führt. Was sind also die Ideen zur Frage: Wie kann man zu Lösungen kommen? Gerade aus der Wissenschaft gibt es dazu sicherlich viel Erfahrung.
Im Moment ist es ja so, es gibt eigentlich zwei Meinungen: Es war ein Laborvirus oder es war keines. Die aktive Virologen-Community in der Welt, die haben ein Paper publiziert im Lancet, «Support of China» und ihrer Kollegen. Es sind Virologen aus neun Ländern, die an der Front stehen, und die haben klar gesagt: «Das ist ein natürliches Virus, das kommt aus der Natur». Das ist für mich die virologisch-medizinische wissenschaftliche Botschaft. Das andere ist Politik, und im Prinzip müssen Sie jetzt abwägen: Glauben Sie jetzt diesen Five Eyes [Allianz der Geheimdienste der fünf Länder USA, Grossbritannien,  Australien, Kanada und Neuseeland]? Da kommt mir als erstes gleich mal der Irak in den Sinn. Oder glaube ich der wissenschaftlichen Community? Und ich glaube hier der wissenschaftlichen Community, weil ich nicht davon ausgehe, dass alle aktiv tätigen Weltklasse-Virologen zusammen die Welt beschwindeln.

Wie ist das Virus entstanden? Darüber wird viel spekuliert. Wir hatten eben darüber gesprochen, dass es 27 führende Virologen aus neun Ländern gibt, die sagen, es gebe nicht die Möglichkeit, dass es synthetisch entstanden ist. Aber am Ende Ihres Artikels stellen Sie dann doch wieder die Frage: Wie ist das Virus überhaupt entstanden? Also: Was wissen wir, was wissen wir nicht?
Wenn man die führenden Virologen fragt und ihnen das Genom des Covid-Virus zeigt, mit jenen Sars-Corona-Viren, mit denen experimentiert worden ist – weltweit, muss man sagen –, dann sagen die übereinstimmend, dass diese beiden Genome so unterschiedlich sind, dass das Virus nicht aus dem Labor kommt. Es ist bekannt aus 20jähriger Forschung, dass es offenbar Tausende von verschiedenen Coronaviren gibt, jeden Tag werden neue entdeckt, und dass die auf den Menschen überspringen können. Es gibt Leute, die Bevölkerung, die in der Nähe von solchen Ansammlungen von Bats, Fledermäusen, leben, auf denen die Corona-Viren sind, die Antikörper gegen Corona-Viren haben. Und es ist die Unterschiedlichkeit der Genome, die den Virologen sagt, dass es ein natürliches Ereignis ist, wie das vorkommt. Diese Viren sitzen ja alle auf diesen Bats – das Tollwutvirus kommt von dort, das Ebolavirus kommt von dort, und verschiedene andere Viren sitzen alle auf den Bats. Und mein Vertrauen gilt eigentlich der Aussage der führenden Virologen, wenn die sich alle einig sind, dass das natürlich ist, dann denke ich, dass das so ist.

Sie sind dann chronologisch viele Punkte durchgegangen, die gerade auch behauptet werden. Nehmen wir uns einmal den Punkt eins vor, wo es heisst:  Das ist einer Grippe ganz ähnlich.
Das hat sich ja meiner Meinung nach sehr früh und dann mit der Zeit immer klarer gezeigt, dass es nicht so ist. Natürlich, für die 80 bis 85 Prozent, die vielleicht zwei, drei Tage Schnupfen haben, ist das eine normale Grippe. Aber für die Patienten, die hospitalisiert werden und auf die Intensivstationen kommen, sieht es ganz anders aus. Wenn ich meine Kollegen frage oder wenn ich selbst 30, 40 Jahre zurückschaue: Wir haben nie eine solche Zahl von Patienten mit derartigen respiratorischen Problemen erlebt, bei denen diese Krankheit alle Organe angreift. Das heisst, dieses Virus greift das Hirn an, das Herz, die Nieren, die Leber, den Darm und natürlich ebenfalls die Lunge. Nie in einer solchen Anzahl. Wir haben nie gesehen, dass auch so viel Pflegepersonal und auch die Ärzte am selben erkranken wie die Patienten, die sie betreuen – trotz Schutzmassnahmen – und dann auch sterben. Es gibt jetzt eine Untersuchung aus England, wo über 100 Betreuende – Pflegepersonal und Ärzte – ebenfalls an Covid-19 verstorben sind. Ich kann mich nicht erinnern, dass wir an der Front, dass die Leute an der Front, auf den Intensivstationen jemals in einer solchen Lage waren. Und meine Kollegen können sich auch nicht daran erinnern. Das ist das eine. Das zweite ist ja, dass sich langsam zeigt, dass es ganz andere Pathomechanismen gibt; das heisst, das Virus hinterlässt an der Lunge Spuren, die so aussehen, als würde der Körper seine eigene Lunge abstossen – mit entsprechenden Langzeitfolgen. Das heisst, es ist von der Krankheit her, es ist eine Erkrankung, die wir vom Pathomechanismus her bisher noch nicht gesehen haben.
 


«Wenn ich meine Kollegen frage oder wenn ich selbst 30, 40 Jahre zurückschaue: Wir haben nie eine solche Zahl von Patienten mit derartigen respiratorischen Problemen erlebt, bei denen diese Krankheit alle Organe angreift. Das heisst, dieses Virus greift das Hirn an, das Herz, die Nieren, die Leber, den Darm und natürlich ebenfalls die Lunge. Nie in einer solchen Anzahl. Wir haben nie gesehen, dass auch so viel Pflegepersonal und auch die Ärzte am selben erkranken wie die Patienten, die sie betreuen – trotz Schutzmassnahmen – und dann auch sterben.»



Eine Frage, die sich auch immer wieder stellt: Müsste mehr obduziert werden?
Die Italiener haben natürlich obduziert, es gibt Obduktionsstudien aus Amerika. Es gibt histologische, immun-histo-chemische Untersuchungen, und das Bild setzt sich langsam zusammen. Es ist wirklich ein Krankheitsbild, welches wir auch in der Hinterhältigkeit, muss man fast sagen, so nicht gekannt haben.

Wie steht es um die Vorerkrankungen, die so häufig genannt werden?
Diese sogenannten Nebendiagnosen: Ich meine, wenn hundert Leute in einem Saal sind, und ich mache ein Ganzkörper-MR und das ganze Labor dieser hundert Leute und untersuche sie, dann kann ich Ihnen sagen, dass 80 Prozent mit drei Diagnosen weggehen werden. Das ist ja auch ein bisschen der «Irrsinn» in der heutigen Medizin, das ist das eine. Das zweite ist: Wenn Sie die Häufigkeit an hohem Blutdruck, Zucker etc. im Vergleich der Covid-Patienten zur Normalpopulation anschauen, gibt es keine grossen Unterschiede. Und: Ich denke, eine sogenannte Diagnose haben, heisst ja überhaupt nicht, dass man krank ist. Das ist heute ein grosser Unterschied. Es ist das Verdienst der Medizin, dass Sie heute, auch wenn Sie zwei, drei Nebendiagnosen haben und noch viel mehr – und wir operieren solche Patienten, die viel mehr Diagnosen haben, am Herzen –, dass Sie mit solchen sogenannten Nebendiagnosen problemlos ein hohes Alter in guter Lebensqualität erreichen können. Wieso das jetzt bei Covid-19 plötzlich ganz anders sein soll, sehe ich nicht ein. Von mir aus gesehen ist das komplett übertrieben mit solchen Nebendiagnosen.

Es sind verschiedene Szenarien denkbar, wenn das Virus nicht eliminiert werden kann. Vielleicht gehen wir zwei mal durch. Wovon Wissenschaftler ja durchaus ausgehen, ist,  dass dieses Virus nicht verschwindet. Was wäre die beste Möglichkeit? Was wäre die schlimmste Möglichkeit?
Die beste wäre natürlich der Ehrgeiz gewesen, das Virus zu vernichten. Das ist die chinesische Strategie. Das haben sie auch mit Sars erfolgreich umgesetzt. Diesen Ehrgeiz hatten die Westeuropäer, auch die Schweiz, eigentlich nie.

Warum hatten sie den Ehrgeiz nicht?
Das kann ich mir auch nicht genau erklären, wieso nicht. Ich meine, das ist in der Pandemielehre eigentlich das, was man tun sollte: Man muss versuchen, dieses Virus zu eliminieren. Jetzt ist man in der Situation, in der man nicht weiss, was passiert. Jetzt heben wir den Lockdown auf, vielleicht steigen die Zahlen, vielleicht gibt es wieder einen Lockdown, das Virus persistiert, vielleicht gibt es lokale Ausbrüche. Wir sind jetzt in einer Situation, in der wir nicht wissen, was passieren wird. Das Beste wäre natürlich, dass das Virus sich im Rahmen dieser multiplen Transmissionen von Mensch zu Mensch so abschwächt – das kann passieren –, dass es nicht mehr gefährlich ist. Das wäre das Bessere, das ist Wunschdenken. Wir ducken uns, und das Virus erledigt sich selbst.

Das Schlimmste wäre wahrscheinlich, es mutiert.
Die schlimmste Variante ist, wenn das Virus saisonal ist, wie die Grippe, wenn es mutiert zurückkommt, in einer ähnlichen pandemischen Welle, das wäre natürlich das Schlimmste.

Gehen wir vom Worst Case aus. Was wäre zu tun, um sich auf so einen Worst Case vorzubereiten?
Ich hoffe, dass man dann besser weiss, wie man sich vor so einer Pandemie schützt. Ich meine, die Masken müssen bereit sein, genügend Desinfektionsmittel muss bereit sein. Ich denke, auch Tracking-Systeme und das Testen müssen vorhanden und möglich sein.
Wir sind eine technisch vernetzte Welt, und man kann ja nicht davon ausgehen, dass wir eine solche Pandemie in der heutigen Welt mit den Mitteln von vor tausend Jahren beherrschen können. Wir müssen die Technologien des 21. Jahrhunderts einsetzen, um solche Pandemien in unserer vernetzten Welt zu beherrschen.

Wollen Sie einen Überwachungsstaat wie China?
Nein, natürlich nicht. Es gibt verschiedene Tracking-Systeme, die auch anonym sind, die man halt nachher wieder entfernen muss. Ich denke, heute sind viele Leute in Facebook, i-Cloud, nicht wahr. Die Schweizer haben im Jahr 2016 ein Nachrichtendienstgesetz angenommen, das sehr weit reicht. Niemand kümmert sich gross darum. Es wird ja auch der heutigen Jugend vorgeworfen: «Ihr habt eure Daten überall.» Und jetzt, wo es darum geht, ein paar tausend Menschenleben zu retten und sich gegen eine Pandemie zu wehren, jetzt sind plötzlich die Daten so heilig. Ich meine, hier würde ich etwas mehr Geschlossenheit von der Gesellschaft erwarten, das ist Punkt Nummer eins. Und Nummer zwei: Wenn sich die Leute mit einer Tracking-App einverstanden erklären und das über 60 % der Schweizer tun würden – vor allem, wenn es dann keinen Lockdown bräuchte –, dann muss man dem Staat vertrauen können, dass diese Tracking-App nachher wieder entfernt wird oder quasi für eine nächste Pandemiewelle in Reserve gehalten würde.

Wir hatten gestern einen Datenschutzexperten zu Gast: Es wird ja auch argumentiert, dass der Miterfinder von Bluetooth sagt: «Bluetooth ist dafür eigentlich gar nicht eingerichtet. Man kann gar nicht wirklich Nachweise darüber finden, ob die Leute so in der Nähe gewesen sind.» Glauben Sie, der Vorsprung in Asien bei der Bekämpfung der Pandemie liegt wirklich an so einer Tracking- App, oder was ist der Hauptvorteil gewesen?
Ich denke, es gibt nicht eine einzige Massnahme. Es sind verschiedene Massnahmen, das ist sicher. Wenn Sie Südkorea nehmen: Die Südkoreaner hatten neun Tage nach dem ersten Covid-positiven Fall schon 700 000 Masken an die sensiblen Stellen verteilt. Zwei Wochen nach dem ersten Covid-positiven Fall hatten sie bereits einen Test, der innert sechs Stunden anzeigt. Und hatten das Tracking-System, und sie haben schnell reagiert. Gerade für eine Pandemie ist es ja typisch, dass die Fallzahlen zu Beginn exponentiell ansteigen. Das heisst, wenn Sie die ersten Wochen verpassen, kommen Sie in Schwierigkeiten. Es braucht die Kombination der einfachen Mittel, die seit tausend Jahren bekannt sind, plus die Technologie, plus die Geschwindigkeit.

Sie sagen, weder Politiker noch Medien und auch nicht die Mehrzahl der Bürger sind in einer solchen Situation fähig, zwischen Ideologie, Politik und Medizin zu trennen. Woran machen Sie das fest?
Viele Daten über den Pandemiebeginn und auch darüber, wie die Länder in Asien reagiert haben, finden Sie in den wissenschaftlichen Publikationen rein chinesischer Autoren, gemischt chinesischer und amerikanischer Autoren. Das ist das, was man in der U.S. National Library of Medicine findet, und ich denke, wenn man etwas über die Pandemie wissen will, dann muss man nicht Tageszeitungen lesen, sondern da müssen Sie die wissenschaftlichen Arbeiten lesen, die auch von den Amerikanern selbst in ihren besten Zeitschriften publiziert worden sind. Die Pandemie ist ein medizinisches Problem, und sie können nicht sagen, dass eine wissenschaftliche Arbeit, die allgemein anerkannt ist, nicht gut ist, nur weil sie aus China kommt. Da denke ich, hat man Ideologie und Politik vermischt. China hat diese Staatsform, die Taiwanesen eine andere, das heisst noch lange nicht, dass medizinische Daten, Interpretationen und Resultate, die aus diesen Ländern kommen, deswegen nicht richtig sind. Ich denke, das muss man unterscheiden können, denn wir wollen ja die Pandemie bekämpfen, wir wollen nicht eine andere Staatsform übernehmen, sondern eine Pandemie bekämpfen.

Aber das würde implizieren, die Wissenschaft hat Ihrer Meinung nach keine Fehler gemacht?
Die Wissenschaft hat natürlich Zeit gebraucht, um herauszufinden, was es überhaupt ist. Ich kann nur sagen: An einem Editorial von Anthony Fauci, der ja auch Trump berät, am 6. Januar notabene, hat er diese chinesischen wissenschaftlichen Arbeiten begutachtet und gesagt: Ja, die sind nicht schlecht, man sieht gewisse Mängel, die aber dadurch bedingt sind, dass man noch gar nicht genau weiss, worüber man eigentlich berichtet. Und das trifft genau den Kern der Sache. Und selbst am 6. Januar hat er gesagt, wir wissen noch nicht genau, was auf uns zukommt. Ich meine, das ist ein bekannter Virologe, der die Situation auch so eingeschätzt hat. Und ich denke trotz allem: Dass die Chinesen am 7. Januar das vollständige Genom dieses Virus identifiziert und der ganzen Welt mitgeteilt haben, zeigt doch, dass sie das von wissenschaftlicher Seite her seriös genommen haben. Das ist das, was für uns zählen muss, denke ich.
 


«Es gibt einen Artikel, der speziell die hervorragende internationale Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher Ebene unter den Wissenschaftlern all dieser Länder erwähnt, und dass das ein Beispiel sein kann, dass man eigentlich so multilateral, international, bilateral zusammenarbeiten sollte auch in anderen Gebieten. Das ist das, was uns
die Pandemie eigentlich zeigen könnte.»



Die Informationen kommen ja nach und nach, die Forschung findet ja laufend statt. Was könnte denn – wenn es in der Wissenschaft so gelaufen ist – was könnte dann beispielsweise eine Politik bei der Wissenschaft abschauen, vielleicht kann man ja voneinander lernen?
Ja natürlich: Es gibt einen guten Artikel in Foreign Affairs. Foreign Affairs ist eine internationale Zeitschrift des Council on Foreign Relations, und die, würde ich sagen, sind traditionell eher antichinesisch. Da geht es eher Richtung «America must lead again» und so weiter und so fort. Diese Zeitschrift hat die chinesischen wissenschaftlichen Arbeiten in der Pandemiebekämpfung auch gelobt, und selbst Anthony Fauci hat darin gesagt, dass er sehr von der Zusammenarbeit mit seinen chinesischen Kollegen profitiert hat. Und es gibt einen Artikel, der speziell die hervorragende internationale Zusammenarbeit auf wissenschaftlicher Ebene unter den Wissenschaftlern all dieser Länder erwähnt, und dass das ein Beispiel sein kann, dass man eigentlich so multilateral, international, bilateral zusammenarbeiten sollte auch in anderen Gebieten. Das ist das, was uns die Pandemie eigentlich zeigen könnte.

Sie sind durch ihre Stiftung sehr gut vernetzt mit China, Sie waren selbst in Wuhan. Sie waren fast ein ganzes Jahr lang in China. Sie arbeiten mit Usbekistan zusammen, da sind Sie oft, Sie sind in Afrika – was lernen Sie letztendlich bei dieser Vernetzung? Wie müss-te man sich verständigen?
Also, was ich lerne: dass die Dinge komplizierter sind. Dass Sie nicht 10 Linien von irgendetwas in den Medien lesen können und Sie denken dann, Sie wissen, wie die Welt funktioniert. Die Probleme liegen immer tiefer, wenn man nachschaut. Was stimmt überhaupt? Ist es überhaupt so? Das ist das eine. Das zweite ist: Man muss in diese Länder gehen, man muss mit diesen Leuten reden. Und nebst der medizinischen Tätigkeit habe ich mir so ein bisschen ein Hobby daraus gemacht, diese Länder auch auf kultureller Ebene, auf der religiösen und der politischen Ebene etwas zu studieren, und man muss die Argumente von allen Seiten hören und sich auch selbst ein Bild machen. Es heisst ja nicht umsonst, dass Reisen bildet. Sie müssen mit den Leuten reden. Ich habe auch viele, viele Zuschriften von Wirtschaftsmanagern erhalten, die in China und in Europa tätig sind, von europäischen Kollegen, die Kliniken leiten in China, und unisono haben die mir gesagt, dass sie dieses China Bashing auch nicht aushalten können. Ich meine, diese Strasse hat ja auch keinen Ausweg.

Viele Fragen erreichen uns. Herr Rolf Schmid aus Winterbach fragt: Warum verbreitet sich das Virus weltweit pandemisch, aber nicht in ganz China, sondern nur in Wuhan? Was können Sie dazu sagen?
Es hat sich nicht nur in der Provinz Hubei und in Wuhan ausgebreitet, auch in anderen chinesischen Provinzen. Aber natürlich: Die Chinesen haben den Ehrgeiz gehabt, das Virus zu vernichten, darum haben sie eine Ausgangssperre verhängt und eigentlich eine Grenzschliessung. Aber sie konnten es nicht ganz verhindern. Zum Beispiel in der benachbarten Provinz Anhui, mit auch über 60 Millionen Einwohnern, gab es 995 Positive und 6 Tote. Das heisst, dass die Massnahmen gegriffen haben. Jetzt gab es kürzlich einen Ausbruch wieder in Harbin, von dem man sagt, das sind die Leute, die zurückkehren nach China, und die dieses Virus wieder einschleppen. Wenn sie nach China reisen, müssen sie jetzt 28 Tage in die Quarantäne. Ich habe die Strategie der Chinesen erwähnt, aber ob es wirklich gelingt, Covid wie Sars zu eliminieren, ist fraglich. Es gibt die Italiener, die denken, dass wir das erstens nicht eliminieren können und zweitens wird auch die Herdenimmunität kein Thema sein, weil das zu lange geht. Wir müssen eine Impfung haben oder Antikörper.

Und das kann dauern. Per WhatsApp fragt Bärbel nach: Wie ist der Vergleich mit einer Diktatur? Ist es richtig, dass die Menschen in Vietnam sich besser schützen können?
Ja, das ist halt wieder dieses Vermischen von Politik und Medizin. Natürlich, die asiatischen Staaten sind kollektivistischer organisiert als wir, wir legen viel mehr Wert auf die individuellen Freiheiten. Wir sollten aber vielleicht auch bereit sein, wenn ein staatlicher Notstand besteht, diese auch vorübergehend einzuschränken.

Die Grundrechte, sie sind ja bereits eingeschränkt.
Ja, ich denke schon. Es gibt die individuelle Freiheit, und es gibt die gesellschaftlichen Verpflichtungen. Im Rahmen einer Pandemie muss man das vielleicht für einen bestimmten Zeitraum neu austarieren. Natürlich ist es so, dass man mit einer zentralen Überwachung diese Pandemie besser bekämpfen kann. Aber ich kann Ihnen einfach sagen: Es brauchte kein Covid dafür, dass die NSA das Mobiltelefon Ihrer Bundeskanzlerin abgehört hat, und es brauchte auch kein Covid, um die Gesichtserkennung einzuführen. Interessanterweise haben diese Massnahmen die Pandemiebekämpfung erleichtert, aber ich meine, man muss nicht nach Asien schauen, um eine Staatsform zu übernehmen, sondern man muss nach Asien schauen, weil man ein medizinisches Problem lösen will.
 


«Ob die Durchseuchung funktioniert, ist fraglich bei etwas, von dem man die akuten Schäden, aber auch die Langzeitfolgen nicht kennt, und es gibt jetzt immer mehr Berichte, dass jüngere Leute, die Covid-19 gut überstanden haben, schwere Langzeitschäden an den Lungen haben.»



Wobei es ja auch andere Staaten gibt, die anders damit umgehen. Frank Hoffmann aus Weil im Schönbuch fragt danach: Wissen Sie, warum es in Schweden auch anders zu funktionieren scheint, und haben Sie Informationen aus anderen Ländern, beispielsweise Weissrussland?
Aus Weissrussland habe ich keine Informationen. Man kennt dort einfach die Zahlen nicht, ich kann nichts dazu sagen. Bei Schweden ist es so, sie haben eine etwa 1,5 bis 2 Millionen grössere Bevölkerung als die Österreicher, aber sie haben vier- bis fünfmal mehr Tote als Österreich. Das ist das eine. Sie haben auch Massnahmen eingeleitet, grössere Gruppen durften sich nicht treffen. Es ist nicht so, dass sie nichts getan haben. Ob die Durchseuchung funktioniert, ist fraglich bei etwas, von dem man die akuten Schäden nicht kennt, aber auch die Langzeitfolgen nicht kennt, und es gibt jetzt immer mehr Berichte, dass jüngere Leute, die das Covid-19 gut überstanden haben, schwere Langzeitschäden an den Lungen haben. Die haben zwar keine Beschwerden in Ruhe, aber unter körperlicher Belastung haben sie Atemnot. Man weiss nicht, wie viele junge Leute dann an solchen schweren Langzeitschäden leiden werden.

Wenn wir über eine Rückkehr zu dem, was wir als normal empfinden, sprechen, dann gibt es immer noch ganz viele Ungewissheiten. Stichwort: aktive Durchseuchung: Sie äussern sich dazu und sagen, das Ganze ist ein Hirngespinst. Warum?
Ja, das war die Idee, dass man die sogenannten Low Risk aktiv durchseucht oder, sagen wir mal, aktiv infiziert. Meiner Meinung nach ist das ein Unsinn. Erstens: Sie kennen weder die akuten Gefahren noch die Langzeitschäden, die kommen jetzt ans Tageslicht – langsam. Mit einer aktiven Durchseuchung vermehren Sie ja die Masse an Viren. Und je mehr Viren Sie haben, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit einer Mutation, und desto grösser ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Virus dem Menschen anpassen kann und noch viel aggressiver werden kann. Das heisst, Sie müssen die Masse der Viren eigentlich einschränken. Es war ja auch typisch, dass in der spanischen Grippe die zweite Welle viel schädlicher, viel tödlicher war, weil sich das Virus dem Menschen angepasst hatte. Das heisst, Sie müssen die Anzahl Viren reduzieren und nicht noch durch eine aktive Infizierung erhöhen. Man hat überhaupt keine Ahnung, was das bedeuten könnte. Ich meine, eine Durchseuchung war eigentlich die erste medizinische Empfehlung, wie man eine Pandemie behandeln soll in der Schweiz, gegenüber der Regierung und den Medien, und die kam von einem Ökonomen, und ich denke, das ist natürlich ein Witz, die erste Empfehlung sollte von den Medizinern kommen – und gleich zu Beginn.

Aber umso wichtiger ist jetzt natürlich auch die weitere Verständigung zwischen Medizin, Politik und Wirtschaft. Die Stimmen werden lauter, dass der Lockdown gelockert werden muss. Wie kann eine gute Verständigung aussehen?
Ja, natürlich, ich hatte auch geschrieben, dass die Aufhebung des Lockdown unvermeidlich ist, niemand will so weiterleben. Was ich etwas feststelle: In der Schweiz habe ich den Eindruck, dass die Medizin als Bremsklotz für die Aufhebung des Lockdown angeschaut wird, dass man sagt, ja, wenn wir die nicht hätten, quasi die Mediziner, dann wären wir schon längstens aus dem Lockdown draussen, und ich glaube, diese Art Konfrontation ist ganz schlecht. Die Zusammenarbeit hat zu Beginn nicht stattgefunden, aber sie sollte jetzt stattfinden. Die Aufgabe der Medizin ist es, den Entscheidungsträgern in der Politik diejenigen Daten zu liefern und diejenigen Massnahmen zu empfehlen, die einen möglichst sicheren Ausstieg aus dem Lockdown gewährleisten können, das heisst, man muss hier eng zusammenarbeiten.

Da 80 Prozent der Infektionen erst einmal symptomfrei verlaufen, hat bei uns in Deutschland Bundesgesundheitsminister Jens Spahn erklärt, um rauszukriegen, ob ich das Virus schon hatte oder nicht, sind die Antikörpertests wichtig. Wie sinnvoll sind solche Tests?
Es gibt ja über 80 Antikörpertests, aber man weiss zu wenig über die Zuverlässigkeit. Ich weiss, dass jene Gruppe, die in Rotterdam, Hannover, aber auch in China forscht, die Antikörper gegen Sars entwickelt haben, diese Antikörper in Vitro getestet haben gegen Covid, und es hat funktioniert. Und sie sind jetzt dabei, das im Tierversuch zu evaluieren. Natürlich wären Antikörper ein Segen. Es gibt jetzt neu eine israelische Gruppe, die behauptet, dass sie diese Antikörper gefunden haben. Egal, ob Impfung, Antikörper, wie auch immer, ich denke, bis man Millionen oder Milliarden von Leuten dann auch tatsächlich entsprechend versorgt hat, wird eine gewisse Zeit vergehen – trotz allem.

Aber die Planung liegt ja schon vor, diesen Monat sollen 3 Millionen solcher Tests ausgeliefert werden, ab Juni dann 5 Millionen monatlich. Macht das aktuell Sinn?
Ich denke schon. Ich meine, wenn man diese Entwicklung beschleunigen und auch durch gute medizinische Studien beweisen kann, dass das funktioniert, kann man ja nur sagen, je schneller, desto besser.

Sie haben vier Gastprofessuren in China, kennen auch Wuhan gut, und 2006 haben Sie bereits eine ehrenamtliche Stiftung gegründet. Was hat Sie denn eigentlich nach China geführt?
Ich habe 10 Jahre im Universitätsspital Zürich gearbeitet auf der Herzchirurgie und 1999 ein Jahr mit einem Gastarzt aus Wuhan. Der hat mich Ende 2000 eingeladen für einen Vortrag nach Wuhan. Er hat gesagt, ich solle meine Lupenbrille mitnehmen. Ich habe einige einfache Operationen durchgeführt, die wurden per Video, das habe ich erst am Ende der Operation gesehen, in den Nachbarraum übertragen. Da sassen viele Chefärzte von umgebenden Universitätsklinken. Darauf habe ich eine Einladung nach der anderen gekriegt, um Operationen durchzuführen in China, öffentlich. Ich kam dann über Mundpropaganda nach Vietnam, nach Ho-Chi-Minh City. Dort haben sie mir eine Warteliste von 8500 Kindern gezeigt, die eigentlich keine Operationen kriegen konnten. Sie sassen zu dritt oder zu viert im Bett. Ich habe heute noch das Video. Da habe ich gesagt, man muss etwas machen. Und es waren dann die Vietnamesen, die fragten, ob nicht mehr Leute von Europa nach Asien kommen könnten, um sie an ihren Patienten mit denjenigen Mitteln, die sie zur Verfügung haben, weiter auszubilden. Und so sind wir dann von einem Land ins andere gekommen. Wir waren aktiv in 14 Ländern in Eurasien und in Afrika, dort in Eritrea, und wir sind jetzt hauptsächlich auch in Russland, Usbekistan, in der Ukraine und in Myanmar tätig. Ich bin auch jedes Jahr in China. Und bis jetzt haben wir in dieser Zeit etwa knapp 4500 Operationen durchgeführt bei Kindern und Erwachsenen und etwa 22 000 Patienten behandelt. Aber der Hauptfokus liegt natürlich in der Aus- und Weiterbildung unserer Kollegen in diesen Ländern.

Da sind Sie gut vernetzt. Die Frage stellt sich natürlich auch immer, wie finanziert sich so eine ehrenamtliche Stiftung?
Eigentlich von interessierten Privatpersonen, viele von meinen Patienten, die ich in der Schweiz operiert habe, haben der Stiftung etwas gespendet; über viele Jahre waren das die Hauptträger. Dann haben wir Institutionen, Companien, Firmen in der Schweiz. Wir versuchen, auch Leute in diesen Ländern selbst dazu zu animieren, dass sie selbst in ihr Gesundheitswesen investieren. Wir sagen, es braucht neue Kliniken oder die Klinik muss besser ausgerüstet werden. Ihr habt das Geld dazu, finanziert das, und wir bringen dann das, was sie auch mit ihren Millionen und Milliarden nicht kaufen können, das ist, wie man das macht, und die direkte Assistenz am Operationstisch, das Eins-zu-eins-Teaching auch auf der Intensivstation, in der Kardiologie und auch in anderen Fächern.

Daher Ihr umfassender Blick. Jetzt hatten sie Ihren Gastkommentar veröffentlicht in der «Mittelländischen Zeitung». Was hat Sie denn am meisten überrascht an den Reaktionen?
Am meisten hat mich überrascht, dass mir so viele Leute geschrieben haben, dass sie endlich einmal wüssten, was das jetzt für eine Pandemie sei, dass sie endlich informiert werden würden, das hat mich am meisten überrascht. Das war der Haupttenor. Wenn ich denke, wie viele Artikel pro Tag in unseren Medien erscheinen über diese Pandemie, hat mich das wirklich überrascht, dass die Leute sich so schlecht informiert gefühlt haben. Das ist das eine, und das zweite war eben auch eine Zustimmung dazu, dass man eher eine Politik machen sollte mit gegenseitigem Verständnis. Dass diese Strasse, wie soll man sagen, «wir sind die Guten und das sind die Bösen», kein Weg ist, der weiterführt.

Gab es denn Reaktionen seitens der Politik? Hat der Schweizer Bundesrat Sie angefragt ins Expertenteam?
Ich habe nach dem ersten Manuskript einen Brief von unserem Bundesrat erhalten, und er hat gesagt, er schaut sich dieses Manuskript an, und sie werden meine kritischen Äusserungen behandeln. Ja, das habe ich gekriegt.

Wir sagen herzlichen Dank für Ihren Besuch in SWR1 Leute. Ihren Gastkommentar werden wir auch veröffentlichen mit vielen Informationen dazu. Wirklich lesenswert. Danke schön, Professor Vogt
Vielen herzlichen Dank.    •


1  Sars: «Severe Acute Respiratory Syndrome». Erste Fälle traten im November 2002 in der südchinesischen Guangdong-Provinz auf mit einem neuartigen infektiösen Agens (Sars-Corona-Virus), das beim Menschen atypische Pneumonien mit schwerem, oft tödlichem Verlauf verursacht.
2  Mers-CoV: «Middle East Respiratory Syndrome – related Coronavirus» ist ein im Jahr 2012 erstmals identifiziertes Virus aus der Familie der Corona-Viren, das beim Menschen eine schwere Infektion der Atemwege, Lungenentzündung und Nierenversagen verursachen kann.

Quelle: SWR1 Leute vom 5.5.2020

 

  • Facharzt FMH für allgemeine Chirurgie, Herz- und Gefässchirurgie.
  • Initiator und Präsident von «EurAsia Heart – A Swiss Medical Foundation» (www.eurasiaheart.com) – Schweizerischer, Deutscher, Russischer und Ukrainischer Facharzt für Herz- und Gefässchirurgie
  • Consultant für Herz- und Gefässchirurgie, Hirslanden-Gruppe, Klinik Im Park, Zürich, Schweiz
  • Senior Consultant, Klinik für Herz- und thorakale Gefässchirurgie, Universitätsspital Zürich, Schweiz

Laufbahn

2019 Member of the Board of Directors of Joint-Stock Company Medsi Group, Gruzinskiy pereulok, 3A, Moskau
2018 A) Chief Consultant, Klinik für Herz- und Gefässchirurgie, Ezgu Niyat Medical Center, Taschkent, Usbekistan
2018 B) Verleihung der Vasily P. Kolesov Medaille durch die State Medical University, St. Petersburg, Russland
2017 Senior Consultant und Managing Director for International Relations and Strategic Projects, Klinik für Herz- und Gefässchirurgie, Universitätsspital Zürich
2016 Gast-Professor, Medizinische Universität Yangon, Myanmar
2015 A) Professor und Fakultäts-Mitglied, Neugeborenen- und Kinderherzchirurgie an der Kinder-Universität St. Petersburg, Russland
2015 B) Stellvertretender Chefarzt, Ukrainisches Zentrum für Kinder- und Erwachsenenherzchirurgie, Kiew, Ukraine
2014 Gründungen: Forschungsfirma Intellistent®, Nidwalden, Schweiz und Swiss International Medical Group, Feusisberg, Schweiz
2011 Dr. h. c.: Ehrendoktor, Medizinische Universität St. Petersburg, Russland
2008 Auditor, Arbeitsgruppe «Herztransplantation» von Swiss Transplant
2006 A) Gründung von «EurAsia Heart – A Swiss Medical Foundation»; Zürich, Schweiz
2006 B) Consultant, Herz- und Gefässchirurgie, Hirslanden Klinik Im Park, Zürich
2005 Medizinischer Direktor «Focus Century Beijing»: Zentrum für internationale, medizinische Kooperationen: mediex.online.fr
2004 A) Gast-Professor, Medizinische Universität Yangzhou, China
2004 B) Gast-Professor, Hebei Universität, China
2003 Facharzt FMH für Chirurgie, spezielle Gefässchirurgie
2001 Gast-Professor, Medizinische Universität Harbin, China
2000 A) Direktor und Chefarzt, Klinik für Herz-, Kinderherz- und Gefässchirurgie, Uniklinikum Giessen, Deutschland
2000 B) Vize-Präsident, Europäische Homograft-Bank, Brüssel, Belgien
2000 C) Gast-Professor, Medizinische Universität Wuhan, China
1999 Fellow of the European Society of Cardiovascular and thoracic Surgery, Mitglied des Vorstandes der Schweizerischen Gesellschaft für Herz- und Gefässchirurgie
1997 A) PD, Klinik für Herz- und Gefässchirurgie, Universitätsspital Zürich
1997 B) Leitender Arzt und Stellvertreter von Prof. Marco Turina, Universitätsspital Zürich
1995 Akademischer Lehrer und Teilzeit-Dozent, Medizinische Fakultät Universität Zürich, Schweiz für kardiovaskuläre Chirurgie und kongenitale Herzchirurgie
1994 Facharzt FMH für Herz- und Gefässchirurgie
1992 Facharzt FMH für Allgemeine Chirurgie
1983 Staatsexamen, Universität Zürich
1976 Matura, Stiftsschule Einsiedeln

Gesundheit und Wirtschaft

«In der öffentlichen Diskussion über den weiteren Kurs in der Bekämpfung der Corona-Pandemie werden die Interessen des Gesundheitsschutzes oft als Gegensatz zu den Interessen der Wirtschaft dargestellt. Das wird der Problemlage nicht gerecht. Wenn vorzeitige Lockerungen der Beschränkungen zu einer zweiten Infektionswelle führten, würde das Vertrauen von Konsumenten und Investoren beschädigt. Viele Unternehmen müssten unabhängig von staatlichen Vorgaben ihre Geschäftstätigkeit wieder herunterfahren, die Kosten wären erheblich. Umgekehrt führt eine Verlängerung der Beschränkungen jedoch auch zu gesundheitlichen Belastungen in anderen Bereichen. Das Ziel sollte deshalb darin bestehen, die weitere Bekämpfung der Pandemie tragfähig zu gestalten und ökonomische mit gesundheitlichen Zielen bestmöglich in Einklang zu bringen.»

Quelle: Dorn, Florian; Khailaie, Sahamoddin; Stöckli, Marc; Binder, Sebastian; Lange, Berit; Peichl, Andreas; Vanella, Patrizio; Wollmershäuser, Timo; Fuest, Clemens und Meyer-Hermann, Michael: «Das gemeinsame Interesse von Gesundheit und Wirtschaft: Eine Szenarienrechnung zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Eine gemeinsame Studie des ifo Instituts (ifo) und des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI)», München, 13. Mai 2020; sd-2020-digital-06-ifo-helmholtz-wirtschaft-gesundheit-corona_1.pdf

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