Erinnerung für die Zukunft

Bewegende Kundgebung russischer Mitbürger für den Frieden

von Marion und Christian Fischer, Köln

Am 8./9. Mai 2020 hat sich das Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa zum 75. Mal gejährt. Die deutschen Politiker und Medien haben dieses Ereignis zwar nicht übersehen; der Beitrag, den die Sowjetunion, das russische Volk und die anderen Völker dieses Staates dafür geleistet haben, wurde aber kaum gewürdigt. Dies zu tun, bleibt leider eher kleinen engagierten Gruppen überlassen, die sich mit der unwürdigen Geschichtsvergessenheit nicht abfinden wollen.
In Köln konnte – trotz Corona-Beschränkungen – am 9. Mai am Heumarkt, im Zentrum der Stadt, eine Kundgebung stattfinden, bei der ca. 60 Personen in definiertem Abstand teilgenommen haben. Es war die einzige russische Veranstaltung in Deutschland an diesem Tag. In Düsseldorf gab es eine kleine Gedenkveranstaltung zu Ehren russischer Zwangsarbeiter, die von DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen), VVN-BDA (Vereinigung der Verfolgten des Nazi-regimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten) organisiert worden war; daran nahmen ebenfalls Russinnen und Russen teil. Veranstalter in Köln war die russische Gruppe «Erinnerung für die Zukunft» bzw. «Unsterbliches Regiment». Das ist eine in Russland entstandene zivilgesellschaftliche Bewegung, die sich dem Gedenken und der Ehrung der gefallenen Vorfahren und der Friedensarbeit widmet. Dieser Bewegung gehören auch bei uns lebende Russen an. Sie haben die Kundgebung in Köln organisiert und auch die DFG-VK und den Städtepartnerschaftsverein Köln-Wolgograd zu Redebeiträgen eingeladen. Der Beitrag der Vorsitzenden dieses Vereins, Eva Aras, ist im untenstehenden Kasten abgedruckt.
Die Kundgebung war nicht nur wegen dieser und anderer Reden eindrucksvoll, sondern auch wegen der kulturellen Darbietungen der russischen Teilnehmer, von denen einige im Sinne ihres ehrenden Andenkens in Uniformen auftraten. Aber ihr Verhalten war alles andere als kriegerisch: Sowohl die Damen als auch die Uniformierten boten zwischen und nach den Reden Gesangseinlagen – begleitet von einem Akkordeonspieler –, bei denen alle sofort angesteckt wurden von der Lebensfreude, die darin zum Ausdruck kam. Wenn manchmal plakativ von der «russischen Seele» die Rede ist – hier wurde sie lebendig. Man hatte den Eindruck, für die russischen Kollegen waren die verschiedenen Reden eine wichtige Verpflichtung, vor allem auch die Erinnerung an die Opfer und Leiden ihrer Vorfahren und die Appelle an ein friedliches Zusammenleben. Aber die eigene Musik war die Kür, die ihnen besondere Freude bereitet hat und mit der sie ganz unmittelbar eine menschliche Verbindung geschaffen haben, auch wenn die Texte ihrer Lieder nicht übersetzt wurden.
Warum beteiligen sich unsere Politiker nicht an solcher Friedensarbeit? •

Für einen Dialog mit Russland

Rede von Eva Aras, Vorsitzende des Städtepartnerschaftsvereins Köln-Wolgograd, am 9.5.2020 (Auszug)

Liebe Bürgerinnen und Bürger,
liebe Freunde

Ich begrüsse Sie und freue mich, auf der Kundgebung zum 75. Jahrestag des Sieges über Nationalsozialismus und Faschismus reden zu können.
Der 8. und der 9. Mai sind Daten von entscheidender Bedeutung für Europa, da damit der Zweite Weltkrieg endete, der für alle Beteiligten grausam war. Gleichzeitig bedeutete das auch «die Befreiung vom System der menschenverachtenden nationalsozialistischen Gewaltherrschaft» – so nannte es der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker 1985 in seiner Rede.
Die Sowjetunion wurde von Deutschland überfallen, und 27 Millionen Bürger kamen dabei um. Wussten Sie, dass das fast die Hälfte aller Opfer im Zweiten Weltkrieg ist? Die Sowjetunion hatte die Hauptlast zu tragen. Wir Deutschen sind ihnen unendlich dankbar dafür, dass sie diesen Krieg durchgehalten und uns mit den übrigen Alliierten vom Nationalsozialismus befreit haben. Doch leider ist diese Dankbarkeit wenig zu bemerken, besonders nicht von Seiten unserer Regierung.

  • So wurde von deutscher Seite auf die Einladung Russlands, an der Gedenkfeier zum 75jährigen Ende des Zweiten Weltkrieges teilzunehmen, nicht reagiert.
  • Putin wurde weder zum D-Day in der Normandie im Juni 2019 eingeladen noch zur Gedenkfeier zur Befreiung von Auschwitz, wobei die Befreiung eine Tat sowjetischer Soldaten war.

Das ist eine Schande – so nennt es der Historiker Götz Aly –, über die wortlos hinweggegangen wird. Es gehe hierbei nicht um eine kritische Auseinandersetzung mit Putin, sondern um die Wertschätzung eines ganzen Volkes, das einen massgeblichen Beitrag zur Befreiung vom Faschismus geleistet hat.
Doch was können wir tun? Wir können in dieser politischen Situation als Zivilgesellschaft wenigstens auch auf der unteren Ebene die Verständigung mit Russland aufrecht erhalten.
Unser Verein macht das seit 31 Jahren. Wir unterstützen Projekte, besonders das Hilfsprojekt für ehemalige Zwangsarbeiter*innen in Wolgograd, das wir seit 18 Jahren fördern; wir organisieren regelmässige Reisen nach Wolgograd. Und jedes Mal sind wir überwältigt von der Welle der Sympathie, der wir dort begegnen: im ehemaligen Stalingrad, das von Deutschen dem Erdboden gleichgemacht wurde, sind alle so herzlich, offen und gastfreundlich uns gegenüber, dass wir uns dafür fast schämen. Deutschland hat trotz seiner ablehnenden Haltung Russland gegenüber in der russischen Bevölkerung eine hohe Anerkennung und Wertschätzung. Das begegnet uns immer wieder. Man liebt die deutsche Kultur. So wird in der Ruhmeshalle in dem grossen Denkmal «Mutter Heimat» die «Träumerei» von Schumann gespielt.
Der ehemalige Wolgograder Oberbürgermeister Jurij Starovatykh, der vor 32 Jahren mit Norbert Burger die Städtepartnerschaft Köln-Wolgograd gegründet hat, nennt immer den Begriff «Volksdiplomatie»: Die Grossen machen oben ihre -Politik, und wir unten halten einfach den Kontakt zueinander, begegnen uns und stellen fest, wie viele Gemeinsamkeiten wir haben.
So kann man die Städtepartnerschaft zwischen Köln und Wolgograd als einen Mosaikstein sehen, dass die Menschen sich annähern und in Frieden und Freundschaft miteinander leben.
Dabei wollen wir aber nicht bleiben.
Gott sei dank gibt es in unserer Republik immer wieder Stimmen, die an die Ostpolitik von Willy Brandt und Egon Bahr anknüpfen und sich für einen Dialog mit Russland aussprechen. Seit einigen Jahren haben wir es uns zusammen mit anderen Kölner Gruppen zur Aufgabe gemacht, solche Stimmen zu stärken. […]

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