Das Händedesinfektionsmittel, eine Schweizer Erfindung

von Nicole Duprat, Frankreich

Die Covid-19-Pandemie rückt die weithin unbekannte Tat des Dr. Didier Pittet ins rechte Licht. Dieser Infektiologe des Universitätsklinikums (Hôpitaux Universitaires) in Genf hat das Händedesinfektionsmittel weltweit als erster verwendet.

Eine rettende Geste

Thierry Crouzet, ein französischer Schriftsteller aus Sète (Südfrankreich), hat über diese medizinische Odyssee in seinem Buch «Le geste qui sauve» (Die rettende Geste), das im Verlag L’Âge d’Homme erschienen ist, berichtet. Eine einfache Frage führt schlussendlich zur Herstellung des Händedesinfektionsmittels: «Wie kann das medizinische Personal effektiver Hände reinigen?» Im Laufe seines Medizinstudiums, während dem er sich auf infektiöse Krankheiten spezialisiert, interessiert sich der Epidemiologe des Hôpital Universitaire de Genève (HUG) für Infektionen, die in Verbindung mit intravenösen Kathetern stehen und für 20 bis 30 Millionen Infektionen pro Jahr, die im Krankenhaus entstehen, verantwortlich sind. Dies ist das Thema des leicht zu lesenden Buches und bietet uns eine inspirierende Geschichte, die guttut. Zu erwähnen ist auch, dass Thierry Crouzet alle seine Rechte an die Stiftung «CleanHandsSaveLives.org» abgetreten hat und dass es eine kostenlose Fassung des Buches im Internet gibt.

Eine Entwicklung, die es erst seit 1999 gibt

In den neunziger Jahren wird der «Doktor mit den sauberen Händen», wie man ihn auch nennt, Spezialist für ansteckende Krankheiten am HUG und bekämpft die Krankheiten, mit denen sich Patienten in medizinischen Einrichtungen anstecken, also die Krankheiten, die mit der medizinischen Behandlung in Verbindung stehen. Die Fragestellung Pasteurs hat er zu der seinen gemacht: «Statt sich damit zu beschäftigen, wie man die Mikroben in den Wunden abtötet, sollte man sie vernünftigerweise erst gar nicht in die Wunde hineinbringen.» Dieses mühsame Unterfangen führte schliesslich zu einer Formel für ein Desinfektionsmittel, die mit Hilfe eines englischen Pharmazeuten des Krankenhauses, William Griffith, entwickelt wurde.
   
So einfach die Idee ist, so stellt sie doch eine Revolution im Gesundheitssystem dar: Seife, mit der das Pflegepersonal sich immer wieder waschen muss bzw. die in armen Ländern ohne nennenswerte Infrastruktur ohne genügend Wasser verwendet werden muss, wird ersetzt. Jetzt ging es darum, die Desinfektionslösung oder das Desinfektionsgel überall auf der Welt einfach und günstig herstellen zu können. Seit 1905 weiss man, dass Alkohol ein effektives Bakterizid und Viruzid ist, man es aber mit Wasser oder Glyzerin vermengen muss, damit es auf der Haut haften kann, um die unerwünschten Keime zu töten.

Zu überwindende Hürden

Es sollte jedoch kein einfaches Unterfangen werden, die Welt von der Verwendung dieses Produkts zu überzeugen. Professor Pittet musste auf der ganzen Welt von Tür zu Tür gehen, um manche Einrichtungen von der Verwendung des Gels anstelle von Seife zu überzeugen und es überall einzuführen. Diese unerwartete Innovation befreit die armen Länder von dem Problem des Wassermangels und ist als «Geneva Model» bekannt. Auch in den muslimischen Ländern gab es Schwierigkeiten, weil die Flüssigkeit, wie der Name schon sagt, Alkohol enthält. Man musste also die Herstellung ändern, indem man Isopropylalkohol verwendet. In Russland tranken manche Menschen die Lösung, so sah man sich gezwungen, ein Brechmittel zuzusetzen. Um den günstigen Preis zu halten, musste sich Professor Pittet mit den Herstellern pharmazeutischer Produkte auseinandersetzen und sie von dem Desinfektionsmittel überzeugen, so wie er auch die grossen Pharmakonzerne davon abhalten musste, sich auf dem Rücken der Kranken zu bereichern!

Im Dienste der Allgemeinheit

So wie es zur Zeit der Pandemie hilfreich ist, hat die Erfindung und Verbreitung des Desinfektionsgels Millionen von Menschenleben gerettet. Als er es vor 20 Jahren erfunden hat, hätte Professor Pittet sich dieses Produkt patentieren lassen sollen, es verkaufen und damit reich werden können. Vor allem zurzeit hätte seine Entdeckung ihn zum Multimilliardär werden lassen. Doch hat er es vorgezogen, sich seine Entdeckung zum Wohle der Menschheit nicht patentieren zu lassen. Er hat das Patent dafür der WHO geschenkt, so dass man das Mittel auf der ganzen Welt zu einem günstigen Preis vor Ort herstellen kann. «Die Hygiene der Hände ist zu einfach und zu wichtig zugleich, um sie patentieren zu lassen», hat er in einer Reportage geäussert, die im französischen Fernsehen (TF1) zu sehen war. Der Infektiologe hat die Reportage im übrigen genutzt, um die massive Verteuerung des Händedesinfektionsmittels in manchen Ländern zu kritisieren. Frankreich hat er dafür gelobt, ein Preislimit für Desinfektionsmittel gesetzt zu haben. «Es kostet 1 Euro; das Produkt plötzlich für 20 Euro zu verkaufen ist respektlos», meinte er scharf.
   
«Im Gegensatz zu Geld gibt es gegenseitige Hilfe unbegrenzt, sie ist die Währung des Überflusses.» Oder auch: «Wer schenkt, der schenkt, das ist Wirtschaft im Zeichen des Friedens.»
   
Ein Auszug des Buches bestätigt dies: «Er ist der Engel des Schenkens […].» Mehr noch als eine Geste für die Gesundheit hat Didier Pittet eine neue Höflichkeitsfloskel und einen neuen Ausdruck des Respekts erfunden. «Ich wasche mir die Hände, um Sie zu schützen», schreibt Thierry Crouzet.
   
Seine Vorgehensweise im Kampf gegen im Krankenhaus erworbene Infektionen – ungefähr 70 000 Menschen sind davon jedes Jahr in der Schweiz betroffen, wovon 2000 sterben – wird am HUG und mit Hilfe der WHO weiterentwickelt. So können jedes Jahr weltweit etwa acht Millionen Menschenleben gerettet werden. Wegen seiner Präventionsarbeit bei Infektionen und für seine Arbeit im Vereinigten Königreich ist er 2007 von Ihrer Majestät Königin Elisabeth II. in den Rang eines Kommandeurs des Ordens des Britischen Königreiches erhoben worden. Seit über 400 Jahren hat die britische Krone diese Ehre keinem anderen Schweizer zuteil werden lassen. Doch lässt ihn das nicht hochmütig werden.
   
In Petit Lancy ist Didier Pittet für seine zugängliche und wohlwollende Art bekannt. Er, der jahrelang Präsident des Kirchenrats der Gemeinde Christ-Roi war, ist ein Kind Lancys.
   
Auch als international anerkannte medizinische Kapazität ist er doch immer noch voller Grosszügigkeit, und sein Ruf reicht weit über die Grenzen der Gemeinde hinaus. Der französische Schriftsteller Thierry Crouzet hat sich nicht getäuscht. Er erzählt in seinem Buch wunderbar von dieser allseits begrüssten Initiative, indem er sein Werk dem widmet, der der Menschheit den Schlüssel zu dem Gel an die Hand gegeben hat, das auf der ganzen Welt täglich Millionen von Menschenleben rettet.
   
Diesem medizinischen Abenteuer des Doktor Pittet folgen heisst, dass es möglich ist, eine neue Form der Menschlichkeit zu leben, die einen Wechsel vom Raubtierkapitalismus zu einer Wirtschaft für den Frieden verspricht. •
 



1  Crouzet, Thierry. Le geste qui sauve, Des millions de vie, peut-être la vôtre, L´Âge d´Homme, Genf 2014;Die rettende Geste, CreateSpace Independent Publishing Platform, 2014
2  Didier Pittet leitet im Hôpital Universitaire de Genève (HUG) die Abteilung für ansteckende Krankheiten, ist Honorarprofessor am Imperial College (London), an der Hong Kong -Polytechnic University und an der Medical School of the Fu (Shangai) sowie Ehrenmitglied der Akademie der Wissenschaften in Russland und der Académie de Chirurgie française.

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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