Gegen das öffentlich-rechtliche Totschweigen von Kriegsverbrechen

von Eva-Maria Föllmer-Müller

Am 10. Juli 2020 wurde vor dem Verwaltungsgericht Leipzig eine Klage gegen einen Widerspruchsbescheid des Mitteldeutschen Rundfunks MDR verhandelt, die aufhorchen lässt: Ein Arzt hatte gegen den MDR geklagt, weil der Sender es abgelehnt hatte, dem Widerspruch des Klägers gegen die Gebühren zu entsprechen. Zur Vorgeschichte: Seit mehreren Jahren hatte der Arzt sich geweigert, die monatlich anfallenden Gebühren für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ARD, ZDFDeutschlandradio usw.) von 17,50 Euro zu bezahlen, die seit 2013 jedem Haushalt auferlegt sind. Hierfür hatte er Gewissensgründe angegeben. Der Grund hierfür: 

Der Filmemacher und Grimme-Preisträger Frieder Wagnerhatte 2004 für den WDReine Dokumentation zum Thema des Einsatzes von Uranmunition (DU) erstellt («Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra»). Der WDR hatte 2004, nachdem er ein Mal diese Dokumentation über die schädlichen Auswirkungen von abgerreichertem Uran (DU) in Kriegsgebieten gesendet hatte – ohne die üblichen Vorankündigungen und daher mit einer geringeren Einschaltquote – Frieder Wagner keine Aufträge mehr gegeben. Wagner hat seither von keinem öffentlich-rechtlichen Sender mehr Aufträge erhalten. Es hat auch keiner der öffentlich-rechtlichen Sender über die verheerenden Folgen und die steigenden Krebsraten durch den tonnenweisen Abwurf bzw. durch die Befeuerung mit DU-Munition in all den Kriegen seit 1991 (zweiter Irak-Krieg) in Ländern wie Afghanistan, Irak, Bosnien, Kosovo, Serbien, Somalia, Libyen usw. ausgewogen berichtet. Dies, obwohl inzwischen Angehörige von verstorbenen Nato-Soldaten in Italien, zuletzt in Frankreich (Zeit-Fragen Nr. 13 vom 16. Juni 2020) und in Serbien mit ihren Klagen gegen den Staat Anerkennung gefunden haben. Obwohl die wissenschaftliche Forschung seit mehr als 20 Jahren immer wieder Beweise vorlegt. Obwohl inzwischen der serbische Rechtsanwalt Srdan Aleksicaus dem serbischen Nis mit einem internationalen Team eine Sammelklage gegen die Nato-Staaten vorbereitet (oder vielleicht gerade deshalb). Obwohl zahlreiche Organisationen und Einzelpersönlichkeiten immer wieder das Verbot der tödlichen DU-Munition einfordern … und die Krebsraten in den betroffenen Ländern weiter ansteigen, sofern die kriegsgeplagten Länder überhaupt die Möglichkeit haben, dies festzustellen. Es gibt zahlreiche Publikationen, Dokumentationen und Artikel darüber.

Zurück zum Ausgangspunkt. Der Arzt aus Leipzig arbeitet seit über 20 Jahren als Facharzt für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie in Krankenhäusern in Deutschland, England und den USA. Dabei behandelt er überwiegend Patienten mit akutem oder chronischem Nierenversagen. Aktivitäten, von denen er annehmen muss, dass sie das akute oder chronische Nierenversagen fördern und/oder billigend in Kauf nehmen, stellen deshalb für ihn eine besondere Härte dar. Hierzu gehört für ihn der Einsatz von Uranmunition. Der Arzt hatte vor 20 Jahren selbst einen englischen Offizier begleitet, der nach seinem Kriegseinsatz im Irak an akutem Nierenversagen erkrankt war. Als Arzt, der sich auch der Prävention von Krankheiten verpflichtet sieht, könne er es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, wenn die Öffentlichkeit nicht über die verheerenden Folgen der todbringenen DU-Waffen durch öffentlich-rechtliche Sender informiert wird, deren Auftrag umfassende Information ist: «ARD und ZDF haben einen besonderen Auftrag: Sie informieren die Bevölkerung so umfassend und vielfältig, dass sich jeder selbst seine Meinung zum Beispiel zu politischen Fragen bilden kann. Das ist wichtig für die Demokratie. Dafür müssen ARD und ZDF unabhängig von Geldgebern und Werbeeinnahmen sein, die sie vielleicht beeinflussen könnten. Deshalb kommen alle in Deutschland gemeinsam für den ‹öffentlich-rechtlichen› Rundfunk auf.» (https://www.br.de/sogehtmedien/ard-und-zdf/nutzen-heute/index.html)

Der Arzt hatte einen Vergleich angeboten – dass er die Zahlung seines Rundfunkbeitrags in bar an Frieder Wagner als freiberuflichen Mitarbeiter der ARD leisten könne. Dies, weil es Frieder Wagner seit seiner Dokumentation über die Uranmunition nie wieder gelungen sei, irgendeinen Auftrag vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk erteilt zu bekommen.

Durch die unausgewogene Berichterstattung zu dem Thema und die Nicht-Vergabe weiterer Aufträge an Frieder Wagner nehme der öffentlich-rechtliche Rundfunk bis heute ein weltanschauliches Bekenntnis ein, dessen Unterstützung der Arzt durch Überweisung seines Rundfunkbeitrages mit seinem persönlichen Gewissen nicht vereinbaren könne. In seinem Plädoyer führte der Arzt bei der Verhandlung aus: Nicht nur wird der Gleichbehandlungsgrundsatz innerhalb der europäischen Union verletzt, der Rundfunkbeitrag gewinne auch eine Zweckbindung, indem er zur Verbreitung einer unausgewogenen Vorstellung über die Uranmunition genutzt wird. Das angebliche Fehlen einer derartigen Zweckbindung beim Rundfunkbeitrag ist das juristische Standard-Argument gegen die Ablehnung der Zahlung aus Gewissensgründen, doch auch durch das bewusste Vorenthalten von Informationen kann diese Zweckbindung entstehen!

Das Verwaltungsgericht hat die Klage leider abgewiesen.

In diesen Tagen jähren sich zum 75. Mal die Atombombenabwürfe über Hiroshima und Nagasaki. Wenn auch nach 75 Jahren noch immer nicht umfassend über die verheerenden Folgen des Einsatzes von Atomwaffen – und der Einsatz von Uranwaffen gehört hierzu – berichtet werden kann, dann gibt es nach wie vor Korrekturbedarf.   •


Link zum Film "Todesstaub" von Frieder Wagner: https://www.youtube.com/watch?v=-HztabrfIO4&feature=emb_title

 

Wer sind die «Öffentlich-Rechtlichen»?



Die ARD-Senderfamilie:
Bayerischer Rundfunk (BR)
Hessischer Rundfunk (hr)
Mitteldeutscher Rundfunk (mdr)
Norddeutscher Rundfunk (NDR)
Radio Bremen
Rundfunk Berlin-Brandenburg (rbb)
Saarländischer Rundfunk (SR)
Südwestrundfunk (SWR)
Westdeutscher Rundfunk (WDR)


Ausserdem:
Deutsche Welle DW
Zweites Deutsches Fernsehen ZDF
Phoenix
Deutschlandradio

Programmgrundsätze

«In den jeweiligen Rundfunkgesetzen der Bundesländer werden auch Programmgrundsätze festgelegt. Neben der Ausgewogenheit der Berichterstattung sehen sie meist vor, dass in den Sendungen die Würde des Menschen zu achten und zu schützen sei. Weiterhin sollen die Programme der Wahrheit verpflichtet sein.»

Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Programmauftrag

Artikel 5 Grundgesetz

(1) Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äussern und zu verbreiten und sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten. Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet. Eine Zensur findet nicht statt.

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