100 Jahre diplomatische Beziehungen Schweiz-Iran

Die Guten Dienste der Schweiz bauen auf gegenseitiges Vertrauen und dienen dem Frieden

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Gute Beziehungen zwischen Iran und der Schweiz bestehen seit langer Zeit. Bereits im 19. Jahrhundert (1873) schlossen Persien und die Schweiz einen Freundschafts- und Handelsvertrag. 1920 eröffnete die Schweiz ihre Botschaft in Teheran. Zur 100jährigen diplomatischen Präsenz der Schweiz fand nun anfangs September in Teheran eine Feier statt.

Aus diesem Anlass besuchte Bundesrat Ignazio Cassis als Vorsteher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA) vom 5. bis 7. September 2020 Iran, begleitet von Nationalrätin Tiana Angelina Moser, Präsidentin der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats, und Ständerat Thomas Minder, Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission und Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Ständerats. Auf Cassis’ Agenda standen Treffen mit dem iranischen Präsidenten Hassan Rohani und Aussenminister Mohammad Javad Zarif. Ausserdem sprach Bundesrat Cassis mit Vertretern von Schweizer Firmen, der Wissenschaft und des Gesundheitsbereichs. Themen waren unter anderem der Schweizer Finanzierungskanal für den Export von humanitären Gütern nach Iran (SHTA) sowie die aktuellen Entwicklungen um das Nuklearabkommen und die Situation im Mittleren Osten. Ein besonderer Platz kam den Schutzmachtmandaten zu, welche die Schweiz im Rahmen der Guten Dienste für mehrere Staaten übernommen hat.1 

Ein auf Vertrauen beruhendes Verhältnis ist zentral

Der Schweizer Botschafter in Iran, Markus Leitner, würdigt die Feier des 100jährigen Jubiläums als Ausdruck der guten Beziehungen der beiden Staaten: «Unsere Länder sind zwar geographisch weit voneinander entfernt, haben aber über Jahrzehnte hinweg eine sehr intensive Zusammenarbeit und einen regen Austausch entwickelt, unter mitunter schwierigen Umständen. Das finde ich beeindruckend.» Heute arbeiten die Schweiz und Iran in einer Vielzahl von Bereichen zusammen: von Politik über Wirtschaft, Finanzen, Handel, Landwirtschaft, Kultur, Bildung und Forschung bis hin zu Migration und Menschenrechten. Dazu Botschafter Leitner: «Der Austausch und die Arbeit zwischen den beiden Ländern haben zugenommen. In diesem Teil der Welt ist ein auf Vertrauen beruhendes Verhältnis zentral.»2
   Bundesrat Ignazio Cassis verfügt über das Fingerspitzengefühl, das in der schwierigen weltpolitischen Lage Irans unabdingbar ist. So nahm er vor den offiziellen Treffen in Teheran an einem Tourismusprogramm in Isfahan teil und traf Iraner aus Handel, Wirtschaft und Kultur. Das Land zuerst kennenzulernen, helfe ihm, eine persönliche Beziehung aufzubauen, so Cassis. Dies sei der Schlüssel dazu, dass auch kritische Bemerkungen gehört würden. Nach seinem Treffen mit dem iranischen Aussenminister, das länger dauerte als geplant, sagte Cassis: «In der Diplomatie ist jede Minute ein Indikator der Qualität. Denn damit zeigt man dem Gegenüber, dass einem die Beziehung wichtig ist.»3

Exkurs: Völkerrechtswidrige US-Sanktionen und Menschenrechte

«Wenn wir als Schweizer Parlamentarier in ein Land wie Iran reisen, wo die Menschenrechte missachtet werden, ist es unsere Pflicht, das anzusprechen», sagte die grün-liberale Nationalrätin Tiana Angelina Moser, die mit Bundesrat Cassis nach Teheran geflogen war. Die Meinungsfreiheit sei nicht gewährleistet, und auch die Frauenrechte würden stark eingeschränkt. Manche Leute, so NZZ-Korrespondentin Larissa Rhyn, forderten wegen der schwierigen Menschenrechtslage in Iran gar, die offizielle Schweiz solle von Besuchen dort absehen. Bundesrat Cassis dagegen ging die Problematik sachdienlicher an. Er übergab seinem Amtskollegen, Aussenminister Zarif, eine Liste von Menschenrechtsverletzungen und bemerkte dazu: «Wenn es uns gelingt, auch nur zwei von zwanzig Fällen damit zu lösen, haben wir schon viel erreicht.»4
   Wer im Zusammenhang mit der aktuellen Situation des iranischen Staates und seiner Bevölkerung von Menschenrechtsverletzungen spricht, muss auch thematisieren, wie einschneidend die völkerrechtswidrigen Sanktionen der US-Regierung die Zivilbevölkerung treffen. Der Zugang der Menschen zu genügend Nahrungsmitteln und einer ausreichenden Gesundheitsversorgung ist eines der wichtigsten Menschenrechte. Dies ist durch die Sanktionen gefährdet.
   Ein kurzer Blick zurück: Obwohl die iranische Führung unter dem Druck der USA und ihrer Verbündeten der Drosselung des eigenen Nuklearprogramms zugestimmt hatte, trat die US-Regierung 2018 einseitig aus dem Atomvertrag aus, mit der «Begründung», Teheran verstosse mit einem Raketenprogramm und weil es Milizen in Irak, Syrien und Libanon unterstütze, «gegen den Geist des Atomabkommens»(!).5 Seit Mai 2018 verhängen die USA völkerrechtswidrige Sanktionen. Vor allem unterbinden sie die für Iran wichtigste Einnahmequelle, den Export von Erdöl, und setzen Unternehmen auf schwarze Listen, wenn sie mit Iran Handel treiben. Humanitäre Güter wie Medikamente und Nahrungsmittel sind eigentlich davon ausgenommen, aber die meisten Firmen und Banken fürchten sich vor den schwarzen Listen aus Washington. Den Preis dafür bezahlt die Bevölkerung: Die Löhne verlieren an Wert, und die Preise steigen. Die Corona-Pandemie verschärft die Notlage. Obwohl die Hohe Kommissarin für Menschenrechte, Michelle Bachelet, im März dieses Jahres ein Ende der Sanktionen verlangte, um die Lieferung dringend benötigter medizinischer Ausrüstung nach Iran zu ermöglichen, weigern sich die USA.6
   Was immerhin zu erwähnen ist: Präsident Trump hat sein Wahlversprechen, keine neuen Kriege zu beginnen, in bezug auf Iran gehalten. Nachdem im Januar dieses Jahres der iranische General Kassem Soleimani durch einen amerikanischen Drohnenangriff getötet worden war, bombardierte Iran einige Tage später eine US-Militärbasis im Irak, wobei es zahlreiche Tote und Verwundete gab. Zur grossen Erleichterung des iranischen Volkes und der internationalen Gemeinschaft sah Donald Trump von einer militärischen Reaktion ab.

Gute Beziehungen der Schweiz zu den beteiligten
Staaten als Türöffner: Beispiel SHTA

Von grosser Bedeutung für die Möglichkeit der Schweiz, überall auf der Welt ihre Guten Dienste anzubieten und humanitäre Hilfe zu leisten, ist ihre Unparteilichkeit. Den Kontakt zu einer Regierung irgendwo auf der Welt abzubrechen, weil diese gegen rechtsstaatliche oder demokratische Prinzipien verstösst, würde den Menschen in diesen Ländern wenig helfen.
   So konnte die Schweiz in enger Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen in den USA und in Iran sowie einigen Schweizer Banken und Unternehmen das «Swiss Humanitarian Trade Arrangement» (SHTA) einrichten. Dabei handelt es sich um einen Zahlungskanal bei Schweizer Banken für in der Schweiz ansässige Handelsfirmen, die humanitäre Güter wie Agrarrohstoffe, Nahrungsmittel, Medikamente und medizinische Geräte nach Iran exportieren. Das US Treasury Department gibt den beteiligten Banken die Zusicherung, dass die Finanztransaktionen im Einklang mit der US-Gesetzgebung abgewickelt werden können − oder klarer gesagt, dass die Exportfirmen nicht auf eine schwarze Liste gesetzt werden. Das Schweizer Seco (Staatssekretariat für Wirtschaft) überwacht den korrekten Ablauf aller Aktivitäten unter dem SHTA. Am 27. Januar 2020 wurde als Testlauf eine erste Zahlung für die Lieferung von Krebsmedikamenten abgewickelt.7 Das iranische Online-Portal «ParsToday» würdigte am 4. September den «humanitären Kanal», der «Teheran dabei helfen soll, die Folgen der amerikanischen Sanktionen zu mildern», und konnte mitteilen: «Den Schweizer Behörden ist es Ende Juli 2020 gelungen, eine erste offizielle Transaktion im Rahmen des SHTA durchzuführen.»8
   Dieser Beitrag zur Versorgung der iranischen Bevölkerung mit lebensnotwendigen Produkten entspricht der schweizerischen humanitären Tradition.

Schweizer Schutzmachtmandate –
mehr als Briefträgerdienste

Die Schweiz vertritt die Interessen der USA gegenüber Iran seit 1980, also seit die beiden Staaten nach der Absetzung des mit den USA eng verbundenen Schahs und der Machtübernahme Ayatollah Ruhollah Khomeinys die diplomatischen Beziehungen abgebrochen hatten. Ausserdem vertritt die Schweiz die iranischen Interessen in Ägypten und in Kanada sowie die gegenseitigen Interessen von Iran und Saudi-Arabien und von Russland und Georgien. Auf der Homepage des EDA ist dazu zu lesen: «Die Wahrung fremder Interessen ist Teil der ‹Guten Dienste› der Schweiz. Nach einer ‹Hochblüte› im Zweiten Weltkrieg hat die Schweiz heute als Schutzmacht sieben Mandate inne. Als Schutzmacht übernimmt die Schweiz einen Teil der konsularischen und/oder diplomatischen Aufgaben, wenn zwei Staaten ihre Beziehungen ganz oder teilweise abbrechen. Dank der Schutzmacht können die Staaten minimale Beziehungen aufrechterhalten, und die Schutzmacht gewährt Staatsangehörigen im jeweils anderen Staat konsularischen Schutz.»9
   In der Schweizer Botschaft in Teheran ist zum Beispiel eine «Sektion Fremde Interessen» (Foreign Interest Section) eingerichtet worden, welche konsularische Leistungen erbringt für US-Bürger, die in Iran leben oder nach Iran reisen. So beantragen die Schweizer Botschaftsangestellten US-Pässe bei der US-Botschaft in Bern, registrieren Geburten, Ehen und Todesfälle und geben Anträge auf Sozialversicherungskarten oder Rentenleistungen an die US-Behörden weiter. Wenn die amerikanische und die iranische Regierung miteinander kommunizieren wollen, tun sie dies verschlüsselt via Schweizer Botschaft.10
   Dass Schutzmachtmandate oft als «Briefträgerdienste» bezeichnet werden, wird ihnen nicht ganz gerecht. Die leisen, unspektakulären Hilfeleistungen sind neben der medienträchtigen Hilfe zu Verhandlungen oder beim Gefangenenaustausch ein wichtiger Teil der Guten Dienste.

Verhandlungen im internationalen Genf als Zukunftsperspektive

Trotzdem darf man als Schweizerbürger durchaus weitergehende Ziele anstreben, wie es Ständerat Thomas Minder nach seiner Heimkehr aus Teheran tat. In den Gesprächen mit der iranischen Regierung am 7. September hatten Bundesrat Ignazio Cassis und Botschafter Markus Leitner «Ideen präsentiert, wie die Schweiz die Kommunikation zwischen den USA und Iran aufrechterhalten könnte». Cassis ergänzte, die Schweiz setze ohnehin nie die Agenda zwischen den USA und Iran, sie könne sie nur «sanft beeinflussen».11
   In einem Gespräch mit swissinfo äusserte Ständerat Minder, die Rolle der Schweiz als Vermittlerin in der Region sei ausbaufähig: «Man redet miteinander, man signalisiert seine Bereitschaft, aber es bräuchte etwas mehr Mut, um Iran und die USA an den Tisch zu bringen, mehr Proaktivität.»12 Zeit-Fragen fragte bei Thomas Minder genauer nach (siehe Interview).   •


1  «Bundesrat Ignazio Cassis reist nach Teheran». Medienmitteilung des Bundesrats vom 1.9.2020
2  Leitner, Markus. «Die Schweiz und der Iran: traditionsreiche Länder mit einem starken Fokus auf der Zukunft». Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA vom 7.9.2020
3  Rhyn, Larissa. «Aussenminister Ignazio Cassis auf delikater Mission in Teheran», in: Neue Zürcher Zeitung vom 8.9.2020
4  Rhyn, Larissa. «Aussenminister Ignazio Cassis auf delikater Mission in Teheran», in: Neue Zürcher Zeitung vom 8.9.2020
5  «Coronavirus und die Sanktionen. Der Iran braucht Hilfe, die USA blockieren». Torsten Teichmann, ARD vom 31.3.2020
6  «Coronavirus und die Sanktionen. Der Iran braucht Hilfe, die USA blockieren». Torsten Teichmann, ARD vom 31.3.2020
7  «Zahlungsmechanismus für humanitäre Lieferungen in den Iran steht kurz vor Implementierung». Medienmitteilung des Bundesrats vom 30.1.2020
8  «Zarif empfängt am 7. September Schweizer Aussenminister/100 Jahre diplomatische Beziehungen», in: Press TV/ParsToday deutsch vom 4.9.2020
9  Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA. Schutzmachtmandate
10 www.eda.admin.ch. Embassy of Switzerland – Foreign Interests Section Teheran
11 Rhyn, Larissa. «Aussenminister Ignazio Cassis auf delikater Mission in Teheran», in: Neue Zürcher Zeitung vom 8.9.2020
12 Rigendinger, Balz. «Wozu ‹Genève internationale›, wenn wir immer nur Briefträger spielen?», in: swiss-info vom 8.9.2020

Die USA und Iran in Genf an einen Tisch bringen

Interview mit Ständerat Thomas Minder (parteilos, SH)

Zeit-Fragen: Herr Ständerat Minder, nach Ihrer Reise nach Teheran haben Sie zum Ausdruck gebracht, dass die Schweiz eine aktivere Rolle einnehmen sollte, indem sie zum Beispiel die Präsidenten Rohani und Trump nach Genf einlädt. Ist das nicht «eine Nummer zu gross» für die Schweiz?
Thomas Minder
: Wir müssen uns nicht kleiner machen, als wir sind. Gerade «Genève internationale» ist doch prädestiniert, um solche Probleme anzusprechen. Unsere Guten Dienste sollten nicht Halt machen vor «zu grossen Nummern». Auch mit unserer Neutralitätsphilosophie sind solche Bemühungen sehr wohl kompatibel, nehmen wir doch nicht Partei, weder für die eine noch die andere Seite.

Sehen Sie die Schutzmachtmandate ebenfalls als wichtige Funktion der Schweiz?
Auf alle Fälle, das Schutzmachtmandat (im allgemeinen als auch in Iran im speziellen) ist keineswegs kleinzureden, es ermöglicht uns zumal – wie soeben bewiesen – mit solchen Staaten in den Dialog zu treten, was ansonsten schwieriger wäre. Aber: Wir können und sollten doch diesen «Schuh in der Tür» nutzen, um dadurch noch mehr zu erreichen. Wir gefährden damit nichts. Und die Schweiz ist in Iran hochangesehen, das habe ich selber eindrücklich erlebt.

Kann es sich auf mögliche Erfolge der Guten Dienste nicht negativ auswirken, wenn am nächsten Tag gleich alles in den Medien steht?
Man muss das differenzieren: Als Parlamentarier bin ich da relativ frei, ich vertrete nicht die offzielle Schweiz, sondern bin quasi Teil oder Repräsentant des Volkes, der Gesellschaft, auch der Wirtschaft. Meinen Äusserungen darf man also nicht allzu hohes «diplomatisches Gewicht» beimessen, bin ich doch gerade kein Diplomat (sonst hätte Bundesrat Cassis wohl einen anderen Parlamentarier ausgewählt). Überdies sind diese wenigen öffentlichen Äusserungen (es durften uns nur zwei Journalistinnen begleiten, von der «Neuen Zürcher Zeitung» und vom SRF) ja nur die Spitze des Eisbergs. Was wir alles besprachen in diesen drei Tagen, in teilweise stundenlangen Gesprächen (von Small talk bis zur Wirtschaft, von Umweltthemen bis zu den Menschenrechten), wird nicht öffentlich wiedergegeben. Ich denke auch nicht, dass es kontraproduktiv ist, wenn ich öffentlich äussere, dass ich mir wünsche, etwa in Genf die USA und Iran an einen Tisch zu bringen. Das sollte eigentlich das Ziel jeder Diplomatie sein.

(Interview Marianne Wüthrich)

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