Erfahrungen eines Glarners mit der Fusion von Gemeinden und Kirchgemeinden

von Hans Markus Stuck, Niederurnen

Am 27. September stimmen die Reformierten von Winterthur ab über die Aufwertung des Stadtverbandes oder die Fusion ihrer sieben Kirchgemeinden zu einer Grossgemeinde. Die Vorstellung, dass eine Grossfusion zu einer kostengünstigeren Verwaltung mit professionelleren Mitarbeitern führt, hat sich aber im Kanton Glarus nicht bestätigt. Mehr Zentralisierung schwächt ausserdem die demokratischen Mitspracherechte der Bürgerinnen und Bürger.
   2006 beschloss die glarnerische Landsgemeinde, aus damals 25 Gemeinden im Kanton Glarus drei zu machen. Seit 2011 ist die Fusion umgesetzt worden und die Einheitsgemeinde Tatsache. Das hat auch geheissen, dass es keine Schulbehörden mehr gibt. Damit ein Beschluss z. B. des Rektorats (Leitung der Schulleitung) heute von der Gemeindeversammlung überprüft werden kann, braucht es einen grossen Aufwand. Die Auswirkungen von Fusionierungen von Gemeinden und Kirchgemeinden sind sehr ähnlich. Politiker und Medien sehen oftmals eine Sache aus einem anderen (manchmal beschönigenderen) Blickwinkel als die Einwohnerinnen und Einwohner.

Was man bei uns nicht genau ausrechnen kann, ist die Finanzbelastung durch die Fusion. Tatsache ist: Der Kanton und die Gemeinden haben bei der Fusion die Aufgaben und damit die Ausgaben geändert. Dadurch wollte der Kanton seine Kosten senken. In allen drei Gemeinden mussten die Steuern jedoch seit der Fusionierung mindestens einmal erhöht werden!
   In Glarus Nord wurden acht Gemeinden fusioniert. Ein Ausgleich zwischen grossen und kleinen Dörfern ist nicht vorgesehen. Es gibt also keinen «Minderheitenschutz». Dazu schildere ich ein Beispiel: In einem kleineren Dorf (etwa 300 Einwohner) wollte man neben dem Schulhaus bauen. Dagegen wurden Unterschriften gesammelt. An der Gemeindeversammlung wurde darüber abgestimmt, nicht nur von den Einwohnern dieses kleineren Dorfes, sondern auch von Teilnehmern aus grossen Dörfern mit zusammen mehr als 10 000 Einwohnern. Die Mehrheit stimmte gegen die «Unterschriften-Sammler». Ohne Fusion wäre das vermutlich anders herausgekommen.
   Zehn Jahre nach der ausserordentlichen Landsgemeinde führten wir ein Treffen der ehemaligen «Mitstreiter» durch. Alle berichteten von den Erfahrungen nach der Fusionierung. Man war sich einig, dass eine «Verbürokratisierung» Tatsache geworden war.
   Ein Beispiel dafür: Man stellte fest, dass es an einem Ort mit abschüssigem Hang ein Stück Zaun bräuchte. In der bisherigen Gemeinde hätte es einen Kontakt gebraucht, dann wäre der Zaun gestanden. Jetzt brauchte es vier Kontakte, bis der Zaun stand – jedoch am falschen Ort!
   Eine Schwierigkeit für die Arbeitnehmer: Die fusionierte Gemeinde als grosser Arbeitgeber war nun juristisch gesehen eine andere Rechtsperson. Das heisst, dass sie innerhalb von ungefähr einem Vierteljahr viele Personen anstellen musste – alles sollte ja funktionieren. Nur die Lehrer und Angestellten der Altersheime wurden ausgenommen. Sie behielten ihre Verträge.
   Mit der «Professionalisierung» hielt auch ein neuer Umgang mit den Angestellten Einzug. Ein Angestellter, der die Arbeitsabläufe optimieren wollte, hörte: «Wenn es dir nicht passt, kannst du gehen». Der Angestellte kündigte, und so verlor die Gemeinde einen tüchtigen Mitarbeiter. Viel persönliches Wissen (besonders wichtig für eine funktionierende Kirchgemeinde!) ging verloren.
   Neulich stand in einer glarnerischen Tageszeitung ein Artikel mit dem Titel: «Die politische Beteiligung verbessern». Einige Kommentatoren sähen die Legitimität politischer Entscheide durch schlecht besuchte Gemeindeversammlungen gefährdet, liest man weiter. Aha! Was ist seit der Fusion passiert? Die Menschen gehen deutlich seltener zur Gemeindeversammlung: Politikverdrossenheit. Der Mensch hat weniger zu sagen als vorher. Da ist die kleinere Einheit der grösseren überlegen.
   Im hinteren Teil des Glarnerlandes fusionierten fünf Kirchgemeinden. Nach einiger Zeit sagte eine meiner Kirchenratskolleginnen: «Die Fusion ist gescheitert.» Im selben Jahr äusserte sich der Präsident der fusionierten Kirchgemeinde: «Die Fusion ist noch nicht abgeschlossen.» Beide sprachen vom selben Vorgang, drückten es aber sehr verschieden aus.
   Eines der gängigen Argumente für die Fusion war, man finde keine Leute für die Behörden. Die Kirchgemeinde Niederurnen, in der ich mich engagiere, ist die einzige selbständig gebliebene Kirchgemeinde in Glarus Nord. Wir konnten alle Chargen der Kirchgemeinde immer besetzen. Im Kirchenkreis, bei den anderen Kirchgemeinden also, bestehen zum Teil langjährige und einschneidende Vakanzen.
   Was man mit Bestimmtheit sagen kann: Fusionierung oder ein Beitritt zum Kirchenkreis sind keine Garantie für die Besetzung aller Chargen!

Fazit: Fusionen sind mit grosser Sorgfalt zu prüfen. Auch wenn das modern ist, kann man sich gewichtige Nachteile einhandeln. Ob heute die glarnerische Bevölkerung einer Fusionierung noch zustimmen würde?   •

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