«Die Alpen, Geschichte einer Landschaft»

Buchbesprechung von Renate Dünki

Kürzlich erhielt ich ein Buchgeschenk, ein dünnes Bändchen aus der Beck-Reihe Wissen von Hansjörg Küster, «Die Alpen. Geschichte einer Landschaft» (2020). Beim Aufschlagen bemerkte ich schnell die Vielseitigkeit der Themen: Von der Geologie über die Vegetation, die erste Besiedlung und dann die Bildung der Alpenlandschaft seit dem Mittel-alter. Je ein eigenes Kapitel gilt der Schweiz, der Vielfalt der Volksmusik, der Erschliessung der Berge für den Tourismus und der Gegenwart.
  Küster ist Pflanzenökologe an der Universität Hannover. Von ihm gibt es auch Veröffentlichungen über andere Landschaften.
  Der Autor beginnt mit einem Blick aus dem Fenster zu Beginn einer seiner ersten Alpenreisen: «Ich öffnete das Fenster, und eine wunderbare Landschaft war vor mir ausgebreitet.» Viele persönliche Reiseeindrücke erweiterten diesen ersten Blick und festigten die Überzeugung, dass diese Landschaften sowohl von Natur als auch Kultur geprägt sind und keinesfalls nur als Naturschutzobjekte, als Wildnis verstanden werden können. Küster will einen differenzierten Blick auf die Alpen und ihre Geschichte anregen, und das ist ihm mit dem auch für den Laien verständlich geschriebenen Buch gelungen. Es enthält eine Karte des Alpenzuges von Ost nach West, und die Texte werden immer wieder durch Abbildungen – kein Hochglanz – veranschaulicht.
  Noch nie habe ich die Erdgeschichte von vor 200 Millionen Jahren bis heute – auch die Schritte der Menschen von ersten Fragen hin zu einer gesicherten Erkenntnis – so ansprechend vermittelt gelesen.

Eiszeiten und Vegetation

Besonders in dem Kapitel «Vegetation» sind die Ausführungen zur Wirkung der Eiszeiten gut erklärend. Die Alpen wirkten als Barriere auf die Pflanzenwelt Europas. «In jeder Eiszeit starben sämtliche Bäume nördlich der Alpen ab.» (S. 38) In klimatisch vergleichbaren Erdteilen waren die Gebirgszüge nicht eine unüberwindliche Wand, sondern die Bäume konnten nach den jeweiligen Eiszeiten wieder ihre früheren Standorte erobern. Es gibt daher in anderen Erdteilen eine viel grössere Artenvielfalt als in Europa. Die Vegetation wurde hier Eiszeit für Eiszeit ärmer. Heute ist es – als Ergebnis dieser Verarmung – ein Problem, dass in weiten Teilen Europas jeweils eine einzige Baumart dominiert. Diese Wälder sind besonders anfällig gegenüber Schädlingsbefall, Folge von Vegetationsgeschichte und Topographie.
  Auch der Blick auf die Besiedlung der Alpen ist der des Historikers. Er richtet sich von der frühesten Besiedlung durch Hominiden über die Nacheiszeit, die prähistorischen Pfahlbauten, den «Ötzi», die Alpwirtschaft, die vielleicht namensgebend für den Gebirgszug wurde, hin zur Erschliessung durch das Strassennetz der Römer.
  Die Besiedlung vom Mittelalter an wird im folgenden Kapitel dargestellt, von den verschiedenen Haustypen, die sich, entsprechend den unterschiedlichen Witterungsverhältnissen, herausbildeten, über die Anlage von Gärten, Wiesen und Äckern bis zu unterschiedlichen Formen der Landwirtschaft.

Die Schweiz – ein Gebirgsstaat

Während grosse Teile dieser Alpenlandschaften jeweils verschiedenen Staatsgebilden und deren Wirtschaftsgebieten zugehörten, entwickelte sich die Schweiz als ein Gebirgsstaat, von dem nur kleinere Teile ausserhalb der Bergregion liegen. Der Autor stellt die Geschichte der besonderen Wirtschaftsform der Schweiz wieder packend und übersichtlich dar – aufschlussreich für den Leser ist zum Beispiel auch die Entstehung der Naturforschung durch Conrad Gessner im 16. Jahrhundert und Johann Jakob Scheuchzer im 17. Jahrhundert mit seinen 138 «Fragen, so zur Natur des Schweizerlandes angesehen» (1699). Albrecht von Haller beschrieb im 18. Jahrhundert erstmals die Höhenstufen der Alpen mit ihrer jeweils charakteristischen Vegetation. Diese Arbeit wurde zu einer Grundlage für die Forschungen von Alexander von Humboldt, die 2019 – noch vor dem Lockdown – in grossen Ausstellungen zum Beispiel in Berlin gewürdigt wurden. Viele Impulse für die aufkommende exakte Naturwissenschaft gingen also von der Schweiz aus.
  Auch auf bildende Kunst, Musik und Literatur geht der Autor im Überblick ein, ebenso auf die Entstehung und Bedeutung des Tourismus.
  Und heute? «Nie geht es nur um ein einziges Ziel, etwa um den Schutz einer einzigen Tier- oder Pflanzenart, sondern stets um sehr viele verschiedene Dinge, die gleichzeitig beachtet werden müssen.» Es sollte auch in Zukunft darum gehen, diese «ungewöhnlich schöne Landschaft von weltweiter Bedeutung mit allen ihren Natur-, Kultur- und Ideenschätzen» gesamthaft zu schätzen und zu erhalten.
  Die Reichhaltigkeit dieses Bändchens zur Geschichte der Alpenlandschaft konnte nur umrissen werden. Es ist ein Vergnügen, die Ausführungen des bekannten Pflanzenökologen kennenzulernen und damit einen genaueren Blick auf die Alpen als erstes Hochgebirge, das gut erschlossen wurde, richten zu können. •

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