«Dialog an der Wolga» - Online-Konferenz über Frieden und Verständigung im 21. Jahrhundert

von Eva-Maria Föllmer-Müller

Es war ein enormes Unterfangen und für die Teilnehmer eine grosse Freude, dass auch in diesem Jahr durch die Stadt Wolgograd und die Region Wolgograd zusammen mit der Regierungsagentur Rossotrudnitschestwo1 das diesjährige Internationale Forum für Volksdiplomatie «Dialog an der Wolga: Frieden und Verständigung im 21. Jahrhundert» vom 29. Oktober bis zum 1. November 2020 im Online-Format ausgerichtet werden konnte. Rund 250 Redner und Diskutanten aus weltweit 18 Ländern haben sich in diesen vier Tagen an drei Podiumsdiskussionen und elf Runden Tischen beteiligt.
  Dieses Jahr fand die Veranstaltung im Rahmen der Feierlichkeiten zum 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und zum 75. Jahrestag der Gründung der Vereinten Nationen statt.
  Im folgenden kann nur ein kleiner Einblick in die zahlreichen Veranstaltungen, an denen die Autorin selbst via Videokonferenz teilgenommen hat, gegeben werden. Es lohnt sich, die einzelnen Beiträge nachzuschauen und auszuwerten. Sie sind vollständig dokumentiert und abrufbar unter http://dialognavolge.ru.

Bereits zwei Tage vor dem Forum hatte das Zentrum für Volksdiplomatie der Staatlichen Universität Wolgograd2 mit einem internationalen Forum «Wolgograder Dialog» als eigene Veranstaltung begonnen. Dort diskutierten Vertreter der Fachwelt sowie von Jugend- und Nichtregierungsorganisationen, Experten auf dem Gebiet der internationalen Beziehungen und der öffentlichen Diplomatie aus verschiedenen Ländern folgende Themen:

  • «Suche nach einem globalen Gleichgewicht: Gibt es einen Weg vom gegenseitigen Misstrauen zum Dialog?» (s. Kasten unten),
  • «30 Jahre Städtepartnerschaft zwischen Cleveland und Wolgograd»,
  • «Der Beitrag der Universitäten zur Umsetzung der globalen Ziele der Vereinten Nationen für nachhaltige Entwicklung»,
  • «Jugenddiplomatie als Mittel für die Bildung des Selbstverständnisses eines Landes»,
  • «‹Östliche Übergänge› – Herausforderungen und neue Perspektiven».

Internationales Forum für Volksdiplomatie

Das internationale Forum für Volksdiplomatie «Dialog an der Wolga» wurde vom Gouverneur der Wolgograder Region, Andrei Iwanowitsch Bocharow, eröffnet. Es folgten Grussbotschaften von Wassili Alexejewitsch Nebensja, Ständiger Vertreter der Russischen Föderation bei den Vereinten Nationen und im UN-Sicherheitsrat, Matthias Platzeck, Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, Dietmar Bartsch, Ko-Vorsitzender der Linkspartei des Deutschen Bundestages, Bill Boerum, emeritierter Vorsitzender der Twin Cities Association der Vereinigten Staaten, Kazumi Matsui, Bürgermeister von Hiroshima und Präsident von Mayors for Peace International, Sylvester Rowe, Vertreter der Internationalen Vereinigung der Botschafter-Städte für den Frieden (IAPP), Anne Lucas, Oberbürgermeisterin von Coventry, Atanas Krystin, ausserordentlicher und bevollmächtigter Botschafter der Republik Bulgarien in der Russischen Föderation.

Eine unverzichtbare Initiative in einer Zeit zunehmender weltpolitischer Spannungen

Bei der Gründung der Vereinten Nationen im Jahr 1945 sei es gelungen, alle Anstrengungen zu vereinen, um eine starke Grundlage für eine Nachkriegsweltordnung zu legen, sagte Wassili Nebensja in seiner Begrüssung. Die Vereinten Nationen seien nicht nur zum Symbol für die Überwindung des Bösen geworden, sondern auch zum Synonym für die Hoffnungen der Menschheit auf eine Welt ohne Kriege, für Wohlergehen und ein freundschaftliches Zusammenleben der Menschen. Der in letzter Zeit geäusserten Kritik, vor allem am Sicherheitsrat, hielt er entgegen: Die Uno sei, was ihre Legitimität, ihre Repräsentativität und ihren Universalismus angehe, einzigartig.
  Matthias Platzeck würdigte die Veranstaltung als eine unverzichtbare Initiative, die sich in einer Zeit zunehmender weltpolitischer Spannungen um Frieden und Verständigung bemüht. Gerade in diesem Jahr, 75 Jahre nach Kriegsende, sei es besonders wichtig, sich die Lehren der Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen. Wolgograd (damals Stalingrad) sei Ort einer der schlimmsten Schlachten des Weltkrieges gewesen und heute um so mehr ein Ort der Mahnung. «Wie keine andere Nation haben wir Deutschen Anlass, uns zu erinnern und das Leid derer zu würdigen, die die Welt von Faschismus und Nationalsozialismus befreit haben. Die Hauptlast der Niederschlagung Hitler-Deutschlands haben die Völker der Sowjetunion getragen. Ihnen gegenüber haben wir eine ganz besondere Verantwortung dafür, die dunklen Seiten der Geschichte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen, die Erinnerung an die Vergangenheit wachzuhalten; das gehört zu den wichtigen Voraussetzungen für eine friedliche, für eine gute Zukunft. Und deshalb ist es gut, dass der Dialog an der Wolga für diese Zukunft das Miteinander unserer Gesellschaften in den Fokus stellt. Die Zusammenarbeit der Bürgerinnen und Bürger, das ist Aussenpolitik von unten. Eine Diplomatie, die wirklich völkerverbindend wirkt. Wir können das in den deutsch-russischen Beziehungen auch gut beobachten. Die Wege der Verständigung, die Städte und Gemeinden in Deutschland und Russland miteinander gehen, das sind Wege, die in eine gemeinsame Zukunft führen. Und das macht auch Hoffnung, es macht mir Hoffnung, gerade in schwierigen Zeiten wie diesen. Warum sollte denn, was uns im Kleinen gelingt, nicht auch in der grossen Politik möglich sein? Dass wir diese Frage heute mit Zuversicht stellen dürfen, dass wir diese Hoffnung haben können, ist auch einem Gesprächsforum wie dem ‹Dialog an der Wolga› zu verdanken.»

Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg

Zwei Podiumsdiskussionen wurden von der Verwaltung der Region Wolgograd organisiert. Zum Thema «Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg»: Der 75. Jahrestag des Grossen Vaterländischen Krieges dürfe nicht vergessen gehen; es müsse verhindert werden, dass die Geschichte verfälscht wird. Besonders wichtig sei es, die Jugend an die Geschichte heranzuführen, da oftmals keine Kenntnisse vorhanden sind. Mit grossem Engagement wurden zahlreiche Projekte aus Russland vorgestellt, die dokumentieren, wie die Erinnerungskultur am Leben gehalten wird: Museen, Denkmäler, Lehrmaterialien für die Schulen, Zeitzeugen, Kriegsgräberpflege und mehr.
  Valery Rostovschikov, der Menschenrechtsbeauftragte der Wolgograder Region, betonte, die wichtigste Aufgabe, die sich heute weltweit stelle, sei die Bewahrung des Friedens. Wir könnten alles überleben, wenn sich der Krieg nicht wiederhole. Millionen von Menschen haben in Wolgograd den Mamajew Hügel besucht, dessen Erde von Blut durchtränkt ist. Die Menschen wollten nicht zerstören, sie wollen aufbauen. «Wir in Wolgograd werden den Krieg nie vergessen.»

Internationale Beziehungen in Zeiten des Wandels

Die Podiumsdiskussion zum Thema «Internationale Beziehungen in Zeiten des Wandels» wurde von Professor Hans Köchler, Präsident der International Progress Organization aus Wien, geleitet (s. auch Kasten). An der Diskussion beteiligten sich Professor Wilfried Bergmann, stellvertretender Vorsitzender des Deutsch-Russischen Forums, Alexander Rahr, Akademischer Direktor des Deutsch-Russischen Forums, Professor Ján Čarnogurský, ehemaliger Ministerpräsident der Slowakei und Mitglied des Waldai-Diskussionsklubs, sowie Anton Aleksandrovich Varfolomeev, Leiter des Studienzentrums für neue Herausforderungen und Bedrohungen des Instituts für aktuelle internationale Fragen an der Diplomatischen Akademie des russischen Aussenministeriums. Zur Diskussion standen Themen wie:

  • die wichtigsten Herausforderungen bei der entstehenden multipolaren Ordnung,
  • die Risiken beim Übergang von der uni-polaren zur multipolaren Konstellation,
  • die Bedeutung regionaler Zusammenschlüsse (EU, Eurasische Wirtschaftsunion, Afrikanische Union) für eine nachhaltige Friedensordnung auch auf Weltebene,
  • die wirksame(re) Bekämpfung weltweiter Notfälle wie die Covid-19-Pandemie,
  • die Finanz- und Wirtschaftskrise, Umweltkrisen durch die Staatengemeinschaft (Uno).

Was kommt nach der unipolaren Welt?

Professor Köchler skizzierte zu Beginn Probleme in der heutigen Welt: Nach der verlorengegangenen bipolaren Weltordnung, die vier Jahrzehnte lang nach dem Krieg bestanden hatte, habe sich bis heute noch keine tragfähige, stabile Ordnung und schon gar kein Machtgleichgewicht herausgebildet. Durch die unipolare Konstellation, die nach dem Ende des Kalten Krieges eine Zeit lang bestand, sei es zu vielen instabilen Situationen in mehreren geopolitisch wichtigen Regionen gekommen, bzw. seien bestehende Instabilitäten noch verstärkt worden, insbesondere im Nahen und Mittleren Osten, aber auch im Kaukasus und in Gebieten von Afrika. Eines der grundlegenden Probleme sei sicherlich auf eine Politik der Interventionen und auf den Versuch der dominierenden Macht, die neue Weltordnung nach ihren Konzepten und nach ihrer Ideologie zu gestalten, zurückzuführen. Mit der Frage, wie die Weltordnung gestaltet sein soll, hänge auch die Frage der immer schwieriger werdenden Beziehungen zwischen den grossen Zivilisationen zusammen, derzeit insbesondere eine Zunahme der Spannungen zwischen der islamischen Welt und dem Westen. Auch hier sei eine Lösung überhaupt nicht in Sicht. Die regionalen Organisationen, die sich nach dem Ende des Kalten Krieges gebildet haben, besässen auch noch nicht entsprechendes Gewicht, um einen Beitrag zu dieser Neupositionierung im globalen Kräftespiel leisten zu können. Weshalb der Organisation der Vereinten Nationen eine besondere Rolle zukäme.

Schwerwiegende Irrtümer der US-Politik

Die USA handelten so, als ob es sie als uni-polare Weltmacht noch gäbe, äusserte sich Professor Čarnogurský. Heute herrschten fast überall auf der Welt US-Gesetze, wie beispielsweise bei Nord Stream 2, dort wollten die USA Unternehmen sanktionieren, die am Projekt mitarbeiten. Russland und China seien heute wirtschaftliche Grossmächte und hätten die USA überholt. Krisen und Konflikte könnten nicht militärisch gelöst werden. Realität sei, dass die USA keine Rolle mehr spielten, es sei ihnen nur noch nicht bewusst. Es brauche Zeit, bis sie es verstehen. Die EU sollte die USA nicht unterstützen, sie müsste die Sanktionen beenden, weil sie die Zusammenarbeit schädigten. Wir lebten jetzt in einer gefährlichen Situation.

Der Westen hat kein Monopol auf die Macht mehr

Alexander Rahr äusserte sich zunächst zur Pandemie: Die Lage sei explosiv, es stehe zu befürchten, dass es auch bei uns Protestaktionen geben werde wie in den USA. Die Welt erhole sich nicht, jeder handle nur im eigenen Interesse, jeder versuche, nur sich selbst zu retten. Konflikte, die schon vor der Pandemie vorhanden waren, verschärften sich. Wir seien bereits in einer multipolaren Welt angelangt, zu den wichtigen Akteuren gehörten China, Russland, Indien und die Türkei. Der Westen habe kein Monopol auf die Macht mehr. In diesem Zusammenhang machte er auf den Vorschlag von Wladimir Putin aufmerksam, den dieser vor einiger Zeit gemacht hatte: Er hatte einen Gipfel der fünf ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates vorgeschlagen, um über den Fortbestand der Weltordnung zu sprechen und etwas zu entwickeln, worauf die Welt sich stützen könne, damit das Chaos vermieden werden kann. Die fünf Mitglieder, aber auch die anderen Atommächte hätten genug Kräfte und Kapazitäten, sich darüber Gedanken zu machen. Grosse Veränderungen seien in der internationalen Politik zu erwarten, und es brauche abgestimmte Handlungen im Bereich der Sicherheit, so Rahr.

Gute Beziehungen zwischen Deutschland und Russland haben für Stabilität in Europa gesorgt

Gute Beziehungen zwischen Deutschland und Russland hätten immer für Stabilität in Europa gesorgt, fuhr Rahr fort. Als beide miteinander im Krieg waren, habe es in ganz Europa nur Chaos gegeben. Von den freundschaftlichen Beziehungen hänge auch die -Politik in Europa ab. Russland habe alles getan, um die deutsche Einheit zu stützen, und die Deutschen müssten Russland sehr dankbar dafür sein. Russland sei für Europa sehr wichtig, und man müsse die jetzige Situation verändern. Das diesjährige Forum leiste hierzu einen wichtigen Beitrag.
  Anton Varfolomeev stellte die Frage, ob es wirklich jemals eine Unipolarität gegeben habe, oder ob die unipolare Welt nicht schon immer eine Illusion gewesen sei. Unipolarität bedinge ein streng hierarchisches System der Lösungen. Dieses habe es nie gegeben. Die Welt sei immer vielfältig gewesen. Heute würden andere Länder, zum Beispiel die Türkei, an Bedeutung gewinnen. Iran habe seit 3000 Jahren erfolgreich eine eigenständige Politik verfolgt. Die BRICS-Staaten hätten ihre eigenen Vorstellungen, wie auch andere Länder.
  Heute habe sich die Rolle des Staates verändert. Man habe geglaubt, unabhängige Staaten gebe es nicht mehr. Schlüsselprobleme wie das Problem der Pandemie könnten aber nur die Staaten lösen. Der Staat bleibe also sehr wichtig.

Runder Tisch «Deutsch-Russischer Dialog»

Ein Runder Tisch, zu dem auch die Autorin mit einem kurzen Statement beitrug, befasste sich mit dem Thema: «Deutsch-Russischer Dialog: Probleme und Möglichkeiten von Kooperation».
  Dieser Runde Tisch wurde von Frau Professor Tatjana Wassiljewna Jewdokimowa von der Staatlichen Sozial- und Pädagogischen Universität Wolgograd moderiert. In zwei Stunden kamen fast 15 Redner zu Wort. Es gelang ihr, mit wenigen Worten jeden einzelnen Beitrag gebührend zu würdigen. Auch hier kann nur ein kleiner Einblick gegeben werden. Zwei einführende Beiträge wurden von Dr. Wladislaw Below, Direktor des Zentrums für Deutschlandforschungen am Europainstitut der Russischen Akademie der Wissenschaften in Moskau, und Jürgen Roters, Kommunaler Programmdirektor des Deutsch-Russischen Forums, ehemaliger Oberbürgermeister von Köln (2009–2015) und Förderer der Städtepartnerschaft mit Wolgograd, gehalten.

Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland

Dr. Below gab einen Überblick über verschiedene Phasen der Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland seit den neunziger Jahren. Heute seien die Beziehungen erschwert, trotzdem gebe es auf der Ebene der Beamten einen guten Dialog. Auch sei Russ-land für Deutschland Partner in konkreten Bereichen, zum Beispiel im Kampf gegen den Terrorismus, bei der organisierten Kriminalität oder beim Problem der illegalen Einwanderung. Auch wirtschaftlich gebe es Potential für die Zusammenarbeit im Bereich der Wasserstofforschung oder bei den neuen Technologien oder der Abfallbeseitigung. Aussenminister Lawrow fordere immer wieder auf, zum Dialog zurückzukehren.
  Jürgen Roters würdigte in seinem Beitrag den diesjährigen «Dialog an der Wolga» als beispielhaft für eine Zusammenkunft von Bürgern mit dem Anliegen der persönlichen Verständigung und Friedensarbeit. «Wolgograd hat sich zu einer international anerkannten Plattform für das Gespräch und den friedlichen Dialog über die nationalen Grenzen hinweg entwickelt. […] Das Forum ist ein hervorragendes Beispiel für politische Verständigung und Friedensarbeit.» Die Veranstaltung zeige, dass Dialog möglich ist und der Gesprächsfaden nicht abreissen müsse. Weiter nahm er Bezug auf den 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkrieges: «Dankbar sind wir, dass die russische Nation, die im Zweiten Weltkrieg durch den deutschen Angriffskrieg die unfassbare Zahl von 27 Millionen Kriegstoten zu verzeichnen hat, uns Deutschen nach dem Krieg die Hand gereicht, uns in die Gemeinschaft der Völker wieder aufgenommen hat. Hier und heute in Wolgograd daran zu erinnern, hat eine besondere Bedeutung.» Man müsse den Blick nach vorne richten und die gegenseitigen Übereinstimmungen betonen, denn beide Seiten seien aufeinander angewiesen. «Zwischen Deutschland und Russland ist die Zahl der Städtepartnerschaften auf über 100 angewachsen. Trotz der Abkühlung des politischen Klimas tragen die Aktionen und Projekte auf kommunaler Ebene mit dazu bei, die Gemeinsamkeiten zwischen Deutschland und Russland mit Leben zu erfüllen.»

Eine Plattform der Friedensstifter

Juri Starovatych ist ehemaliger Bürgermeister von Wolgograd, Vorsitzender der Wolgograder «Russischen Friedensstiftung» und Ehrenbürger von Hiroshima und Wolgograd. «Wir alle hier sind Freunde», beginnt er seinen Beitrag. Der «Dialog an der Wolga» sei eine Plattform der Friedensstifter. Das sei auch der rote Faden der diesjährigen Gespräche, 75 Jahre nach Kriegsende. Partnerschaftliche Beziehungen zwischen Wolgograd und Köln gebe es nun seit über 30 Jahren. 1945 seien Russen und Deutsche Feinde gewesen, dann Partner. Aber der Graben zwischen Deutschland und Russland vertiefe sich jetzt wieder. Leider würden deutsche Politiker – namentlich nannte er Ursula von der Leyen und Angela Merkel – einiges tun, um die Beziehungen zu verschlechtern. Das untergrabe Vertrauen.

Von Mensch zu Mensch auf freundschaftlicher Ebene

Auch die Autorin dieses Beitrages kritisierte den gegenwärtigen Umgang mit Russland: «Die Hybris, mit der unser Nachbarland Russland vom Westen behandelt wird, ist schwer erträglich. Wenn Politik nicht auf Ethik beruht und nur von imperialen Machtgedanken dominiert wird, ist eine gedeihliche Kooperation praktisch unmöglich.»
  Sie beobachte in den deutsch-russischen Beziehungen derzeit ein Ringen verschiedener Kräfte: zwischen denjenigen, die um eine stetige Verbesserung der Beziehungen bemüht sind, und anderen, die auf Konfrontationskurs gegangen sind und gehen.
  Wie überall müsse man auch bei der Frage nach der Meinung der Menschen über Russland zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung unterscheiden. Immer noch wollen mehr als zwei Drittel der Bundesbürger eine grössere Nähe zu Russland und halten 94 % der Deutschen gute Beziehungen zu Russland für wichtig. Aufgabe der Medien wäre es, das abzubilden, was in der öffentlichen Meinung vorhanden ist, was leider meistens nicht getan werde. So wird den zahlreichen, konstruktiven Projekten auf zivilgesellschaftlicher Ebene, von denen auch im Laufe des diesjährigen Dialogs an der Wolga immer wieder berichtet wurde, in den Medien viel zu wenig Beachtung geschenkt.
  Man sollte die Bedeutung von Städtepartnerschaften nicht unterschätzen. Städtepartnerschaften seien ein Weg, dem anhaltenden Konfrontationskurs entgegenzusteuern. Sie sind ein wichtiger Baustein für den Fortbestand des deutsch-russischen Dialogs und bieten die Möglichkeit, von Mensch zu Mensch auf freundschaftlicher Ebene, über alle Ideologien hinweg, eine breite Basis von Gleichwertigkeit, Vertrauen und gegenseitiger Achtung zu schaffen.•


1 Die Rossotrudnitschestwo (russisch Россотрудничество) ist die Föderalagentur für Angelegenheiten der GUS, für Fragen der im Ausland lebenden Mitbürger und für internationale humanitäre Zusammenarbeit im Aussenministerium der Russischen Föderation. Sie hat die Aufgabe, die Kenntnis der russischen Sprache im Ausland zu fördern, die internationale kulturelle Zusammenarbeit zu pflegen und ein umfassendes, aktuelles Russlandbild zu vermitteln. Zu den 61 Freundschaftsgesellschaften gehören u. a. die Gesellschaft Schweiz-Russland (GSR) sowie die Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG).
2 «Wolgograder Dialog» ist eine vom Zentrum für Öffentliche Diplomatie (Wolgograder Staatliche Universität) organisierte Diskussionsplattform zu aktuellen Fragen der Weltpolitik und Sicherheit, die geschaffen wurde, um das positive Profil der Staatlichen Universität Wolgograd sowie der Stadt Wolgograd als Friedensbotschafterin, als Hauptstadt der öffentlichen Diplomatie, als Begründerin der internationalen Bewegung der Partnerstädte zu fördern.

«Die sich herausbildende multipolare Konstellation wird sich wesentlich von derjenigen von 1945 unterscheiden»

Pressemitteilung der International Progress Organization I.P.O. (Auszug)

Drei Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Krieges steht die Welt vor der Notwendigkeit einer umfassenden Neuausrichtung der Weltmächte. Die unipolare Ordnung der Zeit unmittelbar nach dem Kalten Krieg hat sich als unhaltbar erwiesen. Der Zusammenbruch der bipolaren Ordnung der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg hat einen Prozess in Gang gesetzt, in dem eine Vielzahl von Staaten ein neues Kräfteverhältnis aushandeln. Die sich herausbildende multipolare Konstellation wird sich wesentlich von derjenigen von 1945 unterscheiden, um die herum die Organisation der Vereinten Nationen gegründet wurde.
  In einer Rede auf einer internationalen Podiumsdiskussion, die von der Staatlichen Universität Wolgograd zu der Frage «Gibt es einen Weg vom gegenseitigen Misstrauen zum Dialog?» organisiert wurde, betonte der Präsident der International Progress Organization, Professor Hans Köchler, dass die gegenwärtige Phase des Übergangs zu einem neuen Kräfteverhältnis ein Lackmustest nicht nur für die Relevanz zwischenstaatlicher Organisationen wie der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen, sondern auch für regionale Strukturen wie die Europäische Union sein wird. Die bestehenden Kooperationsrahmen müssen an die Realitäten des 21. Jahrhunderts angepasst werden. Aufstrebende globale und regionale Mächte und ihre Kooperationsrahmen wie BRICS müssen in den globalen Entscheidungsprozess integriert werden.
  In seiner vom Hauptsitz der I.P.O. in Wien übermittelten Rede erklärte Prof. Köchler weiter, dass die Covid-19-Pandemie grosse strukturelle Schwächen im System der zwischenstaatlichen Zusammenarbeit offensichtlich gemacht hat. Die Souveränität der Staaten beinhaltet nicht nur das Recht der Staaten, ihre Bürger zu schützen und das nationale Interesse zu verteidigen, sondern auch die Verantwortung, die Rechte anderer Staaten zu respektieren. Unter den Bedingungen einer globalen Gesundheitskrise hat jeder Staat die Pflicht, die weitere Ausbreitung der Epidemie einzudämmen – im gegenseitigen Interesse aller Mitglieder der internationalen Gemeinschaft. Angesichts der Tragödie, die Millionen von Menschen rund um den Globus erleiden, ist es an der Zeit, so Professor Köchler abschliessend, die Doktrin der Globalisierung zu überdenken und nach einem neuen und nachhaltigen Modell der globalen Entwicklung zu suchen. […]
  Im Anschluss an das Treffen an der Staatlichen Universität Wolgograd leitete der Präsident der I.P.O. eine digitale internationale Podiumsdiskussion zum Thema «Internationale Beziehungen in Zeiten des Wandels», die von der Stadtverwaltung Wolgograd im Rahmen des jährlichen «Dialogs an der Wolga: Frieden und gegenseitiges Verständnis im XXI. Jahrhundert» veranstaltet wurde. In seinem einleitenden Statement machte Professor Köchler die Teilnehmer auf die Risiken des Übergangs von einer bipolaren – über eine unipolare – zu einer neuen multipolaren Machtkonstellation aufmerksam – in der ein kämpfender Hegemon versucht sein könnte, einen Präventivkrieg gegen einen aufstrebenden Rivalen zu führen. Er warf auch die Frage der nuklearen Abrüstung angesichts wieder aufkeimender Grossmachtrivalitäten auf und bezeichnete die Politik der unilateralen Sanktionen und ihrer extraterritorialen Durchsetzung als grosse Bedrohung für den Frieden auf globaler Ebene. Dr. Ján Čarnogurský, ehemaliger Ministerpräsident der Slowakei, unterstrich in seiner Rede aus Bratislava die Volatilität der unipolaren Ordnung in den Jahren nach dem Ende der globalen Bipolarität. Herr Anton Varfolomeev, Leiter des Studienzentrums für neue Herausforderungen und Bedrohungen an der Diplomatischen Akademie des russischen Aussenministeriums, hob unter anderem die Rolle des Nationalstaats bei der Bewältigung der durch Covid-19 ausgelösten globalen Gesundheitskrise hervor. Alexander Rahr, Akademischer Direktor des Deutsch-Russischen Forums, Berlin, unterstrich die Unverzichtbarkeit des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen bei der Lösung internationaler Konflikte und forderte einen inklusiveren Ansatz in Fragen der internationalen Sicherheit, wobei er die zunehmende Rolle von Ländern wie Indien und der Türkei hervorhob. […]

Quelle: https://www.i-p-o.org/IPO-nr-Int-Forum-Volgograd-02Nov2020.htm

 (Übersetzung Zeit-Fragen)

«Dazu beitragen, Frieden und Sicherheit zu festigen»

Resolution des Internationalen Forums der Volksdiplomatie «Dialog an der Wolga: Frieden und gegenseitiges Verständnis im XXI. Jahrhundert»

Wir, die Teilnehmer des Internationalen Forums der Volksdiplomatie «Dialog an der Wolga: Frieden und gegenseitiges Verständnis im XXI. Jahrhundert», das vom 31. Oktober bis 1. November 2020 in Wolgograd (Russland) stattfand und dem 75. Jahrestag des Endes des Zweiten Weltkriegs und dem 75. Jahrestag der Vereinten Nationen gewidmet war,

  • in Anerkennung der Leistungen von Coventry (Vereinigtes Königreich) und Wolgograd (Russland), den Städten, die 1944 die internationale Städtepartnerschaftsbewegung initiierten,
  • unter Berücksichtigung der langjährigen Erfahrung von Stalingrad-Wolgograd (Russland) bei der Entwicklung und Förderung der Ideen des Friedens und der Volksdiplomatie,
  • in Hervorhebung der Leistungen und der Kompetenz der Uno als der wichtigsten Organisation, die die internationalen Beziehungen in Übereinstimmung mit den Prinzipien von Respekt, Gleichheit und Selbstbestimmung regelt,
  • in nachdrücklicher Verurteilung aller Formen von Gewalt, Diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und aller Versuche, den Faschismus zu rehabilitieren und die historischen Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs zu revidieren,
  • in Unterstützung der Ideen der Abrüstung, der Nichtverbreitung von Atomwaffen, der friedlichen Koexistenz, der Konsolidierung der internationalen Gemeinschaft um des Friedens und der Sicherheit der Welt willen,
  • in der Feststellung, dass der globale Charakter der heute in der Welt stattfindenden Veränderungen eine bedrohliche Wendung nimmt, und mit der Forderung nach einer sofortigen Suche nach konstruktiven Wegen zur Lösung politischer, sozialer und humanitärer Probleme,
  • in Anerkennung der wachsenden Rolle und Fähigkeit der Volksdiplomatie bei der Bewältigung moderner Herausforderungen und Bedrohungen und bei der Stärkung der Beziehungen zwischen den Nationen,

 

 

haben beschlossen:

  1. sich an internationale Organisationen, Behörden, die Expertengemeinschaft und andere Akteure der Volksdiplomatie mit dem Aufruf zu wenden, aktiv zum Prozess der Stärkung des Friedens in den internationalen Beziehungen im Einklang mit den Zielen der nachhaltigen Entwicklung beizutragen, die in der am 25. September 2015 verabschiedeten Erklärung der Resolution 70/1 der Generalversammlung der Vereinten Nationen genannt werden;
  2. internationale Organisationen, Behörden, die Expertengemeinschaft und andere Akteure der Volksdiplomatie bei der Förderung der internationalen Zusammenarbeit und der Stärkung der weltweiten Partnerschaft in verschiedenen Bereichen zu unterstützen, um die gegenwärtigen Herausforderungen und Probleme zu bewältigen;
  3. die Behörden, die Expertengemeinschaft und die Öffentlichkeit zu ermutigen, die objektive historische Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und sein Vermächtnis zu bewahren und die Jugend in diese Arbeit einzubeziehen;
  4. zur Sensibilisierung der Medien für die Arbeit des Internationalen Forums der Volksdiplomatie in Wolgograd sowie für die -positiven Erfahrungen aller internationalen Organisationen, Länder und Städte, die an dem Forum teilgenommen haben, im Hinblick auf die Durchführung von Friedensinitiativen beizutragen.

Wir sind davon überzeugt:
  Die Umsetzung der in der Resolution dargelegten Vorschläge wird dazu beitragen, Frieden und Sicherheit zu festigen, internationale Beziehungen im Einklang mit den Grundsätzen und Normen des Völkerrechts zu entwickeln, die weltweite politische, wirtschaftliche, kulturelle und humanitäre Zusammenarbeit zu fördern, und der Zivilgesellschaft zugute kommen.
  Diese Resolution ist in russischer und englischer Sprache abgefasst, die gleichermassen verbindlich sind.

Quelle: https://drive.google.com/file/d/1rxb0ML3l6S5pidVFLEDIZ566b1yYfUE-/view

(Übersetzung Zeit-Fragen)

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