von Diana Johnstone*
In ihrer vom Weltwirtschaftsforum (WEF) herausgegebenen Abhandlung «Covid-19: The Great Reset» [Covid-19: Der grosse Umbruch] bescheren uns die Ökonomen Klaus Schwab und Thierry Malleret die Stimme der Möchtegern-Global-Governance.
Indem sie ihrer kürzlich veröffentlichten WEF-Abhandlung den Titel «Covid-19: The Great Reset» geben, verknüpfen die Autoren die Pandemie auf eine Art und Weise mit ihren futuristischen Vorschlägen, die einen Chor von «Aha!»-Rufen hervorrufen dürfte. In der gegenwärtigen Atmosphäre der Verwirrung und des Misstrauens lässt die Freude, mit der die Ökonomen Klaus Schwab und Thierry Malleret die Pandemie als Vorboten der von ihnen vorgeschlagenen sozioökonomischen Umwälzung begrüssen, vermuten, dass sie (wenn sie dazu in der Lage gewesen wären) Covid-19 geschaffen hätten, wäre es nicht zufällig aufgetaucht.
Tatsächlich hat Klaus Schwab, der Gründer des Weltwirtschaftsforums, den «Great Reset» bereits energisch propagiert und dabei den Klimawandel als auslösende Krise genutzt, bevor ihm der jüngste Ausbruch des Corona-Virus einen noch unmittelbareren Vorwand lieferte, seine Pläne zur Neugestaltung der Welt anzupreisen.
Die Autoren fangen gleich an, indem sie verkünden: «Die Welt, wie wir sie in den ersten Monaten des Jahres 2020 kannten, gibt es nicht mehr», (dt. S. 12) dass radikale Veränderungen eine «neue Normalität» (dt. S. 12) formen werden. Wir selbst würden transformiert werden. «Viele unserer Überzeugungen und Annahmen, wie die Welt aussehen könnte oder sollte, werden sich dabei zerschlagen.» (dt. S. 13)
Das ganze Buch hindurch scheinen sich die Autoren über die angenommenen Auswirkungen der weit verbreiteten «Angst» vor dem Virus zu freuen, die die Menschen darauf konditionieren soll, die von ihnen angestrebten radikalen Veränderungen zu wünschen. Sie verwenden technokratisches Psychogeschwätz, um zu verkünden, dass die Pandemie die menschliche Mentalität bereits so verändert, dass sie sich der neuen Realität anpasst, die sie für unvermeidlich halten.
«Unsere unterschwellige und möglicherweise anhaltende Furcht davor, mit einem Virus (Covid-19 oder einem anderen) infiziert zu werden, wird somit den unerbittlichen Marsch der Automatisierung beschleunigen […].» (dt. S. 183) Wirklich?
«Auf Grund der Corona-bedingten höheren Angst, mit völlig Fremden in einem geschlossenen Raum zu sitzen, könnte es sein, dass viele Menschen beschliessen, sich den neuesten Film oder die Opernaufführung lieber zu Hause anzusehen, weil es am vernünftigsten ist.» (dt. S. 234)
«Es gibt andere erste Auswirkungen, die viel einfacher vorherzusehen sind. Sauberkeit ist eine davon. Die Pandemie wird unseren Fokus auf Hygiene sicherlich mehr in den Vordergrund rücken. Die neue Hygienebesessenheit wird insbesondere die Schaffung neuer Verpackungen nach sich ziehen. Wir werden angehalten, die Produkte, die wir kaufen wollen, nicht anzufassen. Einfache Freuden wie das Riechen an einer Melone oder das Betasten einer Frucht werden verpönt sein und vielleicht sogar der Vergangenheit angehören.» (dt. S. 234)
Dies ist die Stimme der Möchtegern-Global-Governance. Von oben herab entscheiden Experten, was die Massen wollen sollen, und verdrehen die angeblichen Wünsche des Volkes so, dass sie zu den Profitplänen passen, mit denen sie hausieren gehen. Ihre Pläne kreisen um digitale Innovation, massive Automatisierung unter Verwendung «künstlicher Intelligenz» und schliesslich sogar um die «Verbesserung» des Menschen, indem man ihn künstlich mit einigen Eigenschaften von Robotern ausstattet: zum Beispiel Problemlösung ohne ethische Ablenkungen.
Der 1938 in Ravensburg geborene Ingenieur und Wirtschaftswissenschaftler Klaus Schwab gründete 1971 sein Weltwirtschaftsforum, das von internationalen Konzernen massiv gesponsert wird. Es tagt einmal im Jahr in Davos in der Schweiz – das letzte Mal im Januar 2020 und nächstes Jahr im Mai, verschoben auf Grund von Covid-19.
Eine mächtige Lobby
Was ist es genau? Ich würde das WEF als eine Kombination von kapitalistischer Beratungsfirma und gigantischer Lobby beschreiben. Die futuristischen Vorhersagen sind darauf angelegt, Investoren in profitable Bereiche der, wie Schwab es nennt, «Vierten Industriellen Revolution (4IR)» zu führen und dann, wenn die Bereiche definiert sind, Druck auf Regierungen auszuüben, um solche Investitionen durch Subventionen, Steuererleichterungen, Beschaffungen, Vorschriften und Gesetze zu unterstützen. Kurz gesagt, das WEF ist die Lobby für neue Technologien, alles Digitale, künstliche Intelligenz, Transhumanismus.
Es ist heute mächtig, weil es in einem Umfeld des Staatskapitalismus operiert, in welchem die Rolle des Staates (vor allem in den Vereinigten Staaten, weniger in Europa) weitgehend darauf reduziert wurde, positiv auf die Forderungen solcher Lobbys, insbesondere des Finanzsektors, zu reagieren. Da sie durch Wahlkampfspenden gegen die obskuren Wünsche der einfachen Leute immunisiert sind, brauchen die meisten der heutigen Politiker praktisch die Führung von Lobbys wie dem WEF, die ihnen sagen, was sie tun sollen.
Im 20. Jahrhundert, insbesondere während des New Deal, stand die Regierung unter dem Druck widersprüchlicher Interessen. Der wirtschaftliche Erfolg der Rüstungsindustrie während des Zweiten Weltkriegs liess einen Militärisch-Industriellen Komplex (MIC) entstehen, der zu einem dauerhaften Strukturfaktor in der US-Wirtschaft geworden ist.
Es ist die dominante Rolle des MIC und der daraus resultierenden Lobbys, die die Nation endgültig in einen Staatskapitalismus anstelle einer Republik verwandelt haben.
Der Beweis für diese Transformation ist die Einstimmigkeit, mit der der Kongress nie davor zurückschreckt, grotesk aufgeblähte Militärbudgets zu genehmigen. Der MIC hat Medien und Think tanks hervorgebracht, welche die Öffentlichkeit ununterbrochen damit indoktrinieren, es sei existenziell notwendig, den Reichtum der Nation weiterhin in Kriegswaffen zu investieren. Sofern die Wähler nicht zustimmen, können sie keine Mittel des politischen Ausdrucks finden angesichts von Wahlen, die von zwei Pro-MIC-Parteien monopolisiert werden.
Das WEF kann als analog zum MIC gesehen werden. Es beabsichtigt, Regierungen und Meinungsmacher für die Förderung einer «4IR» zu gewinnen, welche die zivile Wirtschaft und das zivile Leben selbst dominieren wird.
Die Pandemie ist ein vorübergehender Vorwand; die Notwendigkeit, «die Umwelt zu schützen», wird der nachhaltigere Vorwand sein. Genauso wie der MIC als absolut notwendig dargestellt wird, um «unsere Freiheiten zu schützen», wird die 4IR als absolut notwendig angepriesen werden, um «die Umwelt zu retten» – und in beiden Fällen werden viele der verfochtenen Massnahmen den gegenteiligen Effekt haben.
Bisher hat die Techno-Tyrannei von Schwabs 4IR ihren Platz im US-Staatskapitalismus noch nicht ganz erobert. Aber ihre Aussichten sehen gut aus. Das Silicon Valley trug massiv zur Kampagne von Joe Biden bei, und Biden hat sich beeilt, die Mogule in sein Übergangsteam zu berufen.
Aber die wirkliche Gefahr dabei, dass alle Macht an den Reset geht, liegt nicht in dem, was da ist, sondern darin, was nicht da ist: irgendeine ernsthafte politische Opposition.
Kann die Demokratie wiederhergestellt werden?
Dem Great Reset steht eine breite Strasse offen, aus dem einfachen Grund, dass ihm nichts im Wege steht. Kein weit verbreitetes Bewusstsein für die Probleme, keine effektive politische Organisation des Volkes, nichts. Schwabs Dystopie (Anti-Utopie) ist allein aus diesem Grund beängstigend.
Die Präsidentschaftswahlen 2020 haben gerade die fast vollständige Entpolitisierung des amerikanischen Volkes veranschaulicht. Das mag seltsam klingen angesichts der heftigen parteipolitischen Emotionen. Aber es war alles viel Lärm um nichts.
Es wurden keine wirklichen Themen debattiert, keine ernsthaften politischen Fragen aufgeworfen, weder zu Krieg noch zu den Richtungen der zukünftigen wirtschaftlichen Entwicklung. Bei den bösartigen Auseinandersetzungen ging es um Personen, nicht um -Politik. Der stümperhafte Trump wurde beschuldigt, «Hitler» zu sein, und die von der Wall Street gekauften demokratischen Kriegstreiber wurden von Trumpisten als «Sozialisten» bezeichnet. Lügen, Beleidigungen und Verwirrung hatten überhandgenommen.
Eine Wiederbelebung der Demokratie könnte sich aus einer organisierten, konzentrierten Beschäftigung mit den von den Davoser Planern aufgeworfenen Fragen ergeben, aus der eine informierte öffentliche Meinung hervorgeht, die beurteilt, welche technischen Innovationen sozialverträglich sind und welche nicht.
Alarmrufe von den Rändern werden das intellektuelle Kräfteverhältnis nicht beeinflussen. Was wir brauchen, ist, dass sich die Menschen überall zusammenfinden, um die Probleme zu studieren und eine fundierte Meinung über Ziele und Methoden der zukünftigen Entwicklung zu erarbeiten.
Solange sie nicht mit sachkundiger und präziser Kritik konfrontiert werden, werden das Silicon Valley und seine unternehmerischen und finanziellen Verbündeten einfach damit weiterfahren, zu tun, was immer sie sich vorstellen, tun zu können, ungeachtet der sozialen Auswirkungen.
Eine seriöse Bewertung sollte zwischen potentiell nützlichen und unerwünschten Innovationen unterscheiden, um zu verhindern, dass populäre Vorstellungen dazu benutzt werden, Akzeptanz für jeden noch so verhängnisvollen «technologischen Fortschritt» zu gewinnen.
Fragen neu definieren
Die politischen Unterscheidungen zwischen links und rechts, zwischen Republikanern und Demokraten, haben an Schärfe zugenommen, während sie sich gerade selbst als inkohärent, verzerrt und irrelevant entpuppen und mehr auf ideologischen Voreingenommenheiten als auf Fakten basieren. Neue und fruchtbarere politische Orientierungen könnten durch die Konfrontation mit spezifischen, konkreten Themen aufgebaut werden.
Wir könnten die Vorschläge des Great Reset einen nach dem anderen aufgreifen und sie sowohl in pragmatischer als auch in ethischer Hinsicht überprüfen.
Die Amerikaner haben die Wahl. Entweder sie streiten sich weiter über Belanglosigkeiten oder sie wachen auf – wachen wirklich auf, erkennen die geplante Realität und tun etwas dagegen.
Die Zukunft wird durch Investitionsentscheidungen gestaltet. Nicht durch unanständige Reden, nicht einmal durch Wahlen, sondern durch Investitionsentscheidungen. Damit das Volk seine Macht zurückgewinnt, muss es seine Herrschaft darüber, wie und für welche Zwecke Kapital investiert wird, wieder geltend machen.
Und wenn privates Kapital sich dagegen sperrt, muss es sozialisiert werden. Das ist die einzige Revolution – und es ist auch der einzige Konservatismus, der einzige Weg, um anständiges menschliches Leben zu erhalten. Darum geht es in der Realpolitik. •
1 https://www.weforum.org/agenda/2020/01/yuval-hararis-warning-davos-speech-future-predications/
2 https://www.brookings.edu/research/how-artificial-intelligence-is-transforming-the-world/
3 a.a.O.
* Diana Johnstone lebt in Paris. Ihr neuestes Buch ist «Circle in the Darkness: Memoirs of a World Watcher » (Memoiren einer Weltbeobachterin). Atlanta 2020. ISBN 978-1-949762-13-6. Ausserdem erschien «Fools’ Crusade: Yugoslavia, NATO and Western Delusions.» 2002.(ISBN 978-1-58367-084-2), «Queen of Chaos: the Misadventures of Hillary Clinton.» Deutsch: Die Chaos Königin. Frankfurt 2016 (ISBN 978-3-866489-135-9). Sie schrieb ausserdem ein Vorwort und einen Kommentar zu den Memoiren ihres Vaters, Paul H. Johnstone – ehemaliger leitender Analyytiker der Strategic Weapons Evaluation Group (WSEG) im Pentagon –, die unter dem Titel «From MAD to Madness. Inside Pentagon Nuclear Planning» 2017 erschienen. Sie kann unter diana.johnstone@wanadoo.fr erreicht werden.
Quelle: https://consortiumnews.com/2020/11/24/diana-johnstone-the-great-pretext-for-dystopia/; Abdruck mit der freundlichen Genehmigung der Autorin.
(Übersetzung Zeit-Fragen)
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