Staatssekretär a. D. im deutschen Verteidigungsministerium
Seit dem völkerrechtswidrigen Krieg der Nato auf europäischem Territorium gegen die Bundesrepublik Jugoslawien wird seitens der Nato konsequent die Erosion des Völkerrechts betrieben. Das Faustrecht soll die internationalen Beziehungen bestimmen. Amerikanische Sichtweise geht vor, und der Umbau unserer Staaten zu einem von Washington bestimmten Vorfeld, auch unter wesentlicher Aufgabe unserer Rechtsordnung, wird konsequent betrieben. Ja, es geht wieder einmal darum, die Konsequenzen aus zwei Weltkriegen zu ziehen.
Eine Konsequenz fliegt uns durch das Vorgehen des ehemaligen «Werte-Westens» seit eben diesem Jugoslawien-Krieg um die Ohren. Seit 1945 war der Krieg durch die Charta der Vereinten Nationen, geradezu durch die Rolle des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen eingehegt. Krieg sollte nur noch möglich sein zur Selbstverteidigung und nur nach dem Regelkatalog der Vereinten Nationen. Selbst die Nato war nur denkbar als reine Verteidigungsorganisation und gebunden an ebendiese Charta der Vereinten Nationen.
Deutschland hat seinen Beitrag dazu geleistet, den einzigen Schutz der Menschheit gegen erneute Vernichtung zu zerschmettern, indem es seit dem Krieg gegen Jugoslawien 1999 die Bindung Deutschlands an die geltenden Regeln des Völkerrechts durch Militäreinsätze entgegen der Charta der Vereinten Nationen bewusst hintertrieben hat.
Das ist keine historische Angelegenheit. Wer in diesen Tagen aufmerksam hinhört, stellt die enorme Zunahme des militärischen Flugverkehrs ebenso fest wie das Rollen der Panzer quer durch Deutschland an die russische Front. Seit 1992 wird nach dem Ende des Kalten Krieges diese Politik gegenüber Russland betrieben, gegen alle internationalen Vereinbarungen anlässlich der deutschen Wiedervereinigung und gegen Zusagen auch an die damals noch bestehende Sowjet-union im November 1990 in der sogenannten Charta von Paris. Es sollte der Geist der guten Nachbarschaft das Leben in Europa bestimmen. Wo sind die Verbote der Bundesregierung, den Aufmarsch der US-Armee gegen Russland, das seiner riesigen Opfer im Zweiten Weltkrieg gerade jetzt und während dieses Nato-Manövers gedenkt, zu unterbinden? Wo war und ist ein deutscher Bundespräsident, der einmal in seiner Amtszeit an die Bedeutung der Charta der Vereinten Nationen zur Kriegsverhütung erinnert hat und einer willfährigen Bundesregierung in den Arm gefallen ist, wenn wieder einmal deutsche Truppen ohne UN-Mandat in den Krieg ziehen mussten?
Die deutsche Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel, begeht mit der Teilnahme deutscher Soldaten an dem grössten Nato-Manöver seit Ende des Kalten Krieges gegen Russland einen Tabubruch, der geeignet ist, genau das gegenüber der Russischen Föderation und dem russischen Volk nicht entstehen zu lassen, was durch grossartige Gesten und vernunftbetontes Handeln möglich wurde: dauerhafter Friede und mögliche Versöhnung.
Es ist gerade das russische Volk, das den deutschen Menschen mit einer Aufgeschlossenheit begegnet, die nach den Verheerungen des Zweiten Weltkrieges und dem Angriff des Deutschen Reiches gegen die Sowjetunion eigentlich völlig unvorstellbar sein würde. Nein, man kann sich auf den Strassen und Plätzen dieses grossartigen Landes aufhalten, wo man will: Man ist als Deutscher willkommen. Bei meinem Besuch 1987 in der berühmten Taman-Division nahe Moskau als erster westlicher Verteidigungspolitiker war selbst das Divisionsmuseum frei davon, die Soldaten der gegnerischen Wehrmacht herabzusetzen. Der Politoberst der Division liess sich mit den Worten seiner Mutter vernehmen, dass um diese jungen deutschen Soldaten auch eine Mutter trauern würde.
1985 hat der deutsche Bundespräsident Richard von Weizäcker im Deutschen Bundestag ein Verhalten angeprangert, das «geschichtsvergessen» genannt werden könne. Dieses Wort ist auf das Verhalten der gesamten deutschen Staatsspitze heute anzuwenden. Sie hat dafür gestimmt, dieses Manöver mit deutschen Soldaten ablaufen zu lassen. Sie hat die Zielrichtung festgelegt und lässt die Generale der Bundeswehr über das Manöver so reden, wie sie es tun. Sie hat nichts dagegen, dass sich deutsche Soldaten «in den Vorgärten von Leningrad/St. Petersburg» eingegraben haben.
«Defender 2020» – Aufmarsch an Russlands Grenze
km. Von Februar bis Mai 2020 findet das Nato-Manöver «Defender 2020» statt. Es richtet sich ganz offensichtlich gegen Russland. Mehr als 20 000 Soldaten aus den USA und die dazugehörigen Waffensysteme werden für dieses Manöver nach Europa verfrachtet und durch ganz Europa nach Polen und ins Baltikum transportiert. Hinzu kommen die beteiligten Soldaten anderer Nato-Staaten. Es ist die grösste Truppenverlegung aus den USA seit einem Vierteljahrhundert. Bezeichnend für die Nato- und die deutsche Sprachregelung ist die Stellungnahme des verteidigungspolitischen Sprechers der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Henning Otte, vom 13. Februar 2020: «Die Sicherheitslage in Europa hat sich verschärft, auch wegen Russlands offensiver Aussenpolitik. Denken Sie nur an die völkerrechtswidrige Annektion der Krim und die russische Rolle beim Konflikt in der Ost-Ukraine, an russische Übungsflüge über der Ostsee, offensive Militärmanöver in der Arktis, die Unterstützung des Assad-Regimes in Syrien oder die Verletzung des INF-Vertrags. Auch unsere Nachbarländer sind beunruhigt. Wir müssen sicherheits-politisch wieder mehr tun, und dazu gehört auch eine glaubwürdige Absicherung der Nato-Ostflanke.» (https://www.cducsu.de/presse/texte-und-interviews/otte-defender-2020-ist-logistisches-grossprojekt)
St. Petersburg ist heute eine strahlende Perle der gemeinsamen europäischen Kultur. Am 28. Januar 2020 hat der russische Präsident Putin anlässlich einer Gedenkveranstaltung der Befreiung von Auschwitz in Jerusalem ein Denkmal enthüllt, das an die Blockade Leningrads durch das Deutsche Reich im Zweiten Weltkrieg erinnert. Die deutsche Bundeskanzlerin war anwesend und trägt dafür die Verantwortung, dass Russland heute Ziel des gleichen Ungeistes von «Versailles» geworden ist und zu werden droht, wie er mit dem Ersten Weltkrieg und Versailles das eigene Land getroffen hatte.
Es ist insofern kein Wunder, dass die deutsche Bundesregierung im Mai des Jahres 2019 nicht an «Versailles» vor einhundert Jahren erinnert hat oder der Herr Bundespräsident in einer von ihm zu verantwortenden Gedenkveranstaltung. Versailles bedeutet nicht nur «Ungeist der Rache», sondern die bewusste Unfähigkeit, sich um Frieden zu bemühen. Statt dessen war den Diktat-Verantwortlichen von Versailles bewusst, den Fahrplan zum nächsten Krieg mit «Versailles» 1919 aufzulegen. Wolfgang Effenberger hat darauf aufmerksam gemacht, dass der französische Marschall Foch, an dessen Grab US-Präsident Trump 2017 stand, von einem weiteren Krieg in etwa zwanzig Jahren sprach. Er sollte sich nicht irren. Dieses Denken kommt mit dem Nato-Grossmanöver, bewusst zum Tag des Kriegsendes am 9. Mai 1945 angelegt, erneut zum Ausdruck. Als hätte es noch eines weiteres Beweises bedurft. Der «Nato-Westen» kann keinen Frieden, er kann nur Krieg, ob kalt oder heiss.
Die amerikanische Konferenz von Bratislawa in der Slowakischen Republik im April 2000 hat das amerikanische Ziel für Europa deutlich gemacht: Eiserner Vorhang zwischen Ostsee und Schwarzem Meer, Russland kann bleiben, wo es will, und sich in kleinere Staaten zerlegen oder zerlegt werden. Das Manöver der Nato mit dem Namen «Defender 2020» ist ein «Manöver der Schande», das nur den Kriegstreibern dient. •
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