Für eine sichere Stromversorgung und den Schutz der einheimischen Stromproduktion

Eingliederung in den EU-Strommarkt wird’s nicht richten

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Im ersten Quartal 2020 (also nächstens) soll das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation UVEK dem Bundesrat ein «Aussprachepapier mit Eckwerten für eine vollständige Marktöffnung sowie weiterem Anpassungsbedarf beim Stromversorgungsgesetz» vorlegen. Mit diesem «Aussprachepapier» wird der Bundesrat versuchen, seinen Vorentwurf zur Revision des Stromversorgungsgesetzes zu retten, den er im Oktober 2018 in Vernehmlassung gegeben hat. Hauptzweck der Revision: die vollständige Öffnung des Schweizer Strommarktes als Voraussetzung für ein Stromabkommen mit der EU.

Der Vorentwurf sieht im Grundsatz vor, dass jeder Endverbraucher seinen Stromlieferanten frei wählen kann (vollständige Marktöffnung). Zur Beschwichtigung der Bürger, die auf einen vom Staat gewährleisteten Service public pochen, sollen Haushalte und kleinere Unternehmungen gegenüber dem lokalen Netzbetreiber Anspruch auf eine Grundversorgung mit der gewünschten Menge zu angemessenen Tarifen haben. Die Grundversorgung soll «aus einheimischer sowie überwiegend oder ausschliesslich erneuerbarer Energie» bestehen (Artikel 5/6)1. Lediglich drei Zeilen der knapp 100seitigen Erläuterungen des Bundesrates sind dem Stromabkommen mit der EU gewidmet: Die Verhandlungen sollen «parallel zu den Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen» mit der EU weitergeführt werden (S.25).

Im September 2019 gab der Bundesrat die Ergebnisse der Vernehmlassung bekannt. Weil die Antworten zahlreicher Adressaten viel Kritik – auch grundsätzlicher Art – enthielten, gab der Bundesrat besagtes «Aussprachepapier» in Auftrag. Was drinsteht und wie der Bundesrat damit operieren will, werden wir Ende März sehen.

Zunächst ein Blick auf die Vorgeschichte.

Kein Ausverkauf der Schweizer Wasserkraft am Volk vorbei

Seit der Jahrtausendwende streben der Bundesrat und seine Verwaltungsmannschaft die «Öffnung» des Strommarktes Richtung EU an, das heisst die Liberalisierung und Vorbereitung der Privatisierung der Stromwirtschaft – entgegen den realen Verhältnissen in der Schweiz. Denn die Stromversorgung ist fester Bestandteil des Service public, und die zahlreichen Schweizer Kraftwerke gehören grossmehrheitlich den Gemeinden und Kantonen oder sind als Genossenschaften organisiert – vom Kleinstkraftwerk bis zur Axpo Holding AG (zu 100 % im Eigentum der Nordostschweizer Kantone und der Kantonswerke). Tatsache ist: In der direktdemokratischen Schweiz ist ein solch radikaler Umbau des Systems ohne Zustimmung des Volkes nicht möglich. Und das ist gut so.

  • Am 22. September 2002 sagte das Stimmvolk mit 52,6 % nein zum Elektrizitätsmarktgesetz, mit dem Bundesrat und Parlament die Schweizer Stromwirtschaft EU-konform machen wollten. Das Referendum hatten die Gewerkschaften und die Grüne Partei ergriffen.2
  • Bereits 2004 (!) lieferte der Bundesrat einen neuen Entwurf zwecks Liberalisierung des Strommarktes. National- und Ständerat stimmten am 23. März 2007 gegen den erklärten Willen der Stimmbürger einer Teilöffnung des Strommarktes zu: Gewährleistung der landesweiten Stromversorgung für die Haushalte (Service public), möglicher Marktzugang für Unternehmen (das heisst Strom aus dem Ausland zu tieferen Preisen) und Anpassungen an die Strommarktordnung der EU.3
  • Ebenfalls im Jahr 2007 begann der Bundesrat Verhandlungen mit der EU über ein bilaterales Stromabkommen. Damit sollte die Schweiz Zutritt zum europäischen Strommarkt erhalten.4 Dass das Abkommen nun seit 13 Jahren in der Warteschlaufe liegt, hat handfeste Gründe. Zum einen weigern sich die meisten Bürger in den Gemeinden und Kantonen standhaft, ihre rund 800 Kraftwerke und Kraftwerksgesellschaften/-genossenschaften zu ein paar wenigen Konzernen zusammenzuschliessen und womöglich ins Ausland zu verkaufen (wie bei einzelnen Grosskonzernen (Alpiq) geschehen). Zum anderen wäre das Stromabkommen laut Brüssel nur in Verbindung mit einem institutionellen Rahmenabkommen zu haben, das heisst, die Schweiz müsste die Regeln des EU-Strombinnenmarktes und deren Änderungen laufend übernehmen. (Darüber hat Zeit-Fragen wiederholt informiert.)
  • Am 17. Mai 2017 haben die Schweizer Stimmbürger die «Energiestrategie 2050» deutlich angenommen und damit dem Ausstieg aus der Atomenergie zugestimmt, verbunden mit einem massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Heute zeichnet sich bereits ab, dass die Erneuerbaren sich nicht so entwickeln wie gewünscht. Deshalb der deutliche Ruf fast aller Stimmen nach Versorgungssicherheit in der folgenden Vernehmlassung.

Vernehmlassung 2018/2019: Nicht ganz nach dem Wunsch des Bundesrates

Nach diesem kurzen Rückblick kommen wir zu den wichtigsten Ergebnissen der Vernehmlassung zum Vorentwurf zur Revision des Stromversorgungsgesetzes. (Als Nicht-Fachfrau in Energiefragen beschränke ich mich auf die rechtlichen Hauptpunkte, diese sind aufschlussreich genug.) 299 Stellungnahmen sind bis am 31.1.2019 eingegangen, eine stattliche Anzahl! Darunter sind – neben Kantonen, Städten, Parteien und Verbänden – 98 von Kraftwerkseignern, oft Gemeinden. 

Breite Ablehnung einer Öffnung des Strommarktes

«Die Vernehmlassung hat gezeigt, dass sich eine Mehrheit der Teilnehmenden für diese Öffnung ausspricht.» So der Bundesrat in seiner Medienmitteilung vom 27.9.2019.5 Deshalb halte er an seinem diesbezüglichen Grundsatzentscheid fest. Nach dem Motto: Augen zu und durch?
In Wirklichkeit ist nämlich der Widerstand gegen die Privatisierung der Schweizer Wasserkraft und anderer heimischer Energien enorm. Die Mehrzahl der Kantonsregierungen und der Parteispitzen ist zwar dafür, und, wenig erstaunlich, Wirtschaftsverbände wie die economiesuisse, von denen wir solcherlei gewohnt sind. Dem steht jedoch eine breite Gegnerschaft gegenüber, welche der Bundesrat nicht einfach übergehen kann:
«Insgesamt ablehnend zur Marktöffnung äussern sich die RKGK [Regierungskonferenz der Gebirgskantone]* und einige Städte sowie deren Verband. Gegen die Strommarktöffnung sind die Parteien GPS und SP. Aus der Energiewirtschaft lehnt eine Mehrzahl der Verbände von Verteilnetzbetreibern (und angeschlossenen Unternehmen) sowie tendenziell kleinere Energieversorger die Marktöffnung ab. Kritisch bis ablehnend äussern sich weiter Umweltverbände und -organisationen. Deutliche Ablehnung formulieren schliesslich Arbeitnehmerorganisationen und Gewerkschaften.»6 (* Kantone Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Graubünden, Tessin und Wallis; also diejenigen Kantone, welche den grössten Teil der Wasserkraft in den Händen haben, mw.)
Als Gründe gegen die Marktöffnung werden angeführt:

  • «Gefährdung von Investitionen in die heimischen, erneuerbaren Technologien und damit negative Auswirkungen auf die Versorgungssicherheit;
  • Befürchtung, dass sich der Strom-Mix der Endverbraucher zu mehr (CO2-behaftetem) Import verschieben könnte;
  • Margendruck bei den Energieversorgern sowie Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und damit Gefährdung des ‹Service public›.» (Vernehmlassungsbericht, S. 9)

Dies sind ernstzunehmende Einwände: Wer will denn einen offenen Markt für Energie-Grosskonzerne aus aller Welt, für die weder die Schweizer Wasserkraft noch eine möglichst hohe Versorgung mit erneuerbaren Energien, weder ein schonender Umgang mit der Umwelt noch die Erhaltung des Service public und der Arbeitsplätze im Energiesektor von Bedeutung ist? Der Bundesrat und seine Verwaltungsmannschaft kommen nicht darum herum, sich diesen Einwänden zu stellen.

Aus ureigenen Interessen ein Scheitern des Stromabkommens mit der EU in Kauf nehmen

Aus der Stellungnahme der Regierungskonferenz der Gebirgskantone RKGK vom 20.12.2018 (Kantone Uri, Obwalden, Nidwalden, Glarus, Graubünden, Tessin und Wallis)

mw. In den Schweizer Medien ist oft die Rede von den drei Bereichen, welche die Schweizer Politiker und Sozialpartner von der EU geklärt haben wollen, wenn es um das Rahmenabkommen mit Brüssel geht. Die RKGK greift einen dieser Bereiche, das EU-Beihilfeverbot, im Zusammenhang mit dem Stromversorgungsgesetz auf: Es geht ganz konkret darum, ob wir die Gewährleistung des Service public im Strombereich preisgeben wollen oder ob wir bereit sind, die Halteleine zu ziehen, wenn es not tut.
In diesem Sinne fordert die RKGK unter anderem:
«Es ist zwingend, im Sinne eines Auffangtatbestandes ein Instrument in die StromVG-Revision aufzunehmen, welches die Planungs- und Investitionssicherheit bei der Schweizer Wasserkraft gewährleistet. […]
Der Bundesrat muss klarstellen, ob er gewillt ist, an fundamentalen Instrumenten der StromVG-Revision auch dann festzuhalten (Conditio sine qua non), wenn dadurch ein Stromabkommen mit der EU scheitert.» (RKGK, S. 4)

Geforderter «Auffangmechanismus» vermutlich unvereinbar mit EU-Beihilfeverbot:
Gemäss RKGK sind «verschiedene im Revisionsvorschlag vorgeschlagene Instrumente, wie auch der von uns oben geforderte ‹Auffangmechanismus› nicht mit EU-Recht vereinbar […].» Deshalb könnte die Schweiz «im Rahmen der weiteren Verhandlungen über ein Stromabkommen mit der EU vor die Entscheidung gestellt werden […], ob sie an solchen Förderinstrumenten zur Förderung der einheimischen erneuerbaren Energien, namentlich der Wasserkraft, hart festhalten wird (Conditio sine qua non), auch wenn dadurch kein Stromabkommen zustande kommt. Die dringend erforderliche Planungs- und Investitionssicherheit würde zwingend ein solches Festhalten bedingen.»
Die RKGK fügt bei: «Hier fordern wir ebenfalls deutlich mehr innenpolitische Klarheit. Ohne diese geforderte Klarheit wird auch ein institutionelles Rahmenabkommen kritisch zu hinterfragen sein.» (RKGK, S. 4f.)

Förderung der Wasserkraft vermutlich unvereinbar mit EU-Beihilfeverbot:
Ebenso könnte die EU die Unterstützung der Schweizer Wasserkraft mit Hilfe eines Mindestpreises als unerlaubte Bevorzugung gegenüber anderen Energieproduzenten beurteilen. Übersetzt in Brüsseler Bürokratensprache: «Aus Sicht der Energieerzeuger ist wichtig, dass eine beihilferechtliche Überprüfung die Notwendigkeit eines Mindestpreises an sich und dessen Berechnung in Frage stellen könnte. Denn wenn die Wasserkraft gefördert wird, kann dies nach der Praxis der Europäischen Kommission eine beihilferechtlich relevante selektive Bevorteilung im Vergleich zu anderen (erneuerbaren oder fossilen) Energiequellen darstellen.» (RKGK, S. 5)
Wir Schweizer können dankbar zur Kenntnis nehmen, dass in den Bergkantonen EU-rechtlich bewanderte Mitbürger sitzen, die ihre Zeit und ihre Aufmerksamkeit dafür einsetzen, uns auf so wichtige Fakten aufmerksam zu machen, die wir sonst nicht erfahren hätten. Es ist zu hoffen, dass sich auch einige andere Politiker dafür interessieren.

Hauptanliegen praktisch aller Vernehmlassungsteilnehmer: Versorgungssicherheit

Für die grosse Mehrheit der Antwortenden, auch für viele grundsätzliche Befürworter einer Marktöffnung, steht die Versorgungssicherheit im Vordergrund: Das «Instrument der Speicherreserve zur (kurzfristigen) Absicherung der Versorgungssicherheit» wird breit unterstützt, unter anderem von rund einem Drittel der Kantone, der Mehrheit der Parteien, der Elektrizitätswirtschaft, der Konsumenten- und Wirtschaftsverbände (Vernehmlassungsbericht, S.10).

Die Regierungskonferenz der Gebirgskantone (RKGK), deren Mitglieder sich offensichtlich vertieft mit der Vorlage auseinandergesetzt haben, weist jedoch darauf hin, dass mit einer kurzfristigen Reserve noch keine Versorgungssicherheit gewährleistet ist: «Die vorgeschlagene strategische Reserve (Energiereserve) kann deshalb lediglich ein punktuelles Element zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit bilden, welches in einen umfassenderen Zusammenhang zu stellen ist.»7 Entsprechend fordert die RKGK «einen Auffangstatbestand, der bei längeren, politisch motivierten Tiefpreisphasen als Sicherheitsnetz dienen soll. Dieses Instrument soll für Krisenzeiten zur Verfügung stehen und deshalb nur dann und nur solange zur Anwendung gelangen, als es tatsächlich benötigt wird.» (RKGK, S. 3) Auch andere Antworten beinhalten die «Forderung nach neuen Massnahmen zur Absicherung der langfristigen Versorgungssicherheit» (Vernehmlassungsbericht, S. 10).

Haupteinwand: Mangelnde Planungs- und Investitionssicherheit in einheimische Energien

Die Wasserkraft ist die wichtigste einheimische Energiequelle der Schweiz und ausserdem sehr effizient, klima- und umweltfreundlich. Sie deckt rund 56 % des schweizerischen Strombedarfs. Bereits heute sind die Schweizer Wasserkraftwerke dem rauhen Wind im internationalen Strommarkt ausgesetzt und können zum Teil ihre Gestehungskosten nicht mit den tiefen Strompreisen decken. Deshalb klingt bei vielen Vernehmlassungsteilnehmern die berechtigte Sorge um die fehlende Investitionssicherheit durch.
Wer bisher geglaubt hat, der EU-Binnenmarkt sei dem freien Wettbewerb mit gleich langen Spiessen für alle Marktteilnehmer verpflichtet, wird von der RKGK eines Besseren belehrt: Der EU-Markt sei «derart verzerrt und von Protektionismen geprägt, dass nicht von einem wirklichen Markt gesprochen werden kann. Der Börsenpreis ist in hohem Masse von subventionierten Preisen und Einspeise-Vorrangregeln geprägt, die sich für die schweizerische Wasserkraft nachteilig auswirken und diese übermässig unter Druck setzt bzw. setzen kann.» Die Schweiz könne «die klima- und energiepolitischen Ziele, zu welchen sie sich national und international bekannt hat, ohne eine erweiterte Stromproduktion aus Wasserkraft nicht erfüllen.» (RKGK, S. 3) Ohne zusätzliche Investitionsanreize für die Wasserkraft lehnen auch die Kantone JU und VD, die SP und GP und andere die Gesamtvorlage grundsätzlich ab.

Fazit zur geplanten Revision des Stromversorgungsgesetzes

Angesichts der grundsätzlichen und wohlbegründeten Gegenwehr zahlreicher Vernehmlassungsteilnehmer ist dringend davon abzuraten, unsere Wasserkraft einem vollständig geöffneten Strommarkt beziehungsweise einem Stromabkommen – verknüpft mit dem von Brüssel geforderten Rahmenvertrag – zu überlassen. In diesem Sinne sind wir gerüstet, wenn das UVEK im Frühjahr das vom Bundesrat in Auftrag gegebene «Aussprachepapier mit Eckwerten für eine vollständige Marktöffnung sowie weiterem Anpassungsbedarf beim Stromversorgungsgesetz» vorlegen wird.
Zwei grundsätzliche Stellungnahmen aus einem weiteren Blickwinkel seien hier beigefügt: Zur Notwendigkeit einer möglichst hohen Unabhängigkeit der Schweiz von Stromimporten (Bericht der Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom zur Versorgungssicherheit der Schweiz vom Mai 2018) und zum nötigen Willen, aus ureigenen Interessen von einem Stromabkommen mit der EU Abstand zu nehmen (Vernehmlassungsantwort der Regierungskonferenz der Gebirgskantone RKGK vom 20.12.2018).  •

1  Schweizerische Eidgenossenschaft. Revision des Stromversorgungsgesetzes (volle Strommarktöffnung, Speicherreserve und Modernisierung der Netzregulierung). Erläuternder Bericht zur Vernehmlassungsvorlage vom Oktober 2018, S. 27
Raaflaub, Christian. «Elektrizitätsmarktgesetz abgelehnt». swissinfo.ch vom 22.9.2002
3  Parlamentsdienste. 04.083 Stromversorgungsgesetz und Elektrizitätsgesetz. Änderung
4  Die Schweizer Strominfrastruktur ist inzwischen längst in das EU-System eingebunden. Siehe: EDA. Merkblatt Strom vom August 2019
5  «Bundesrat bekräftigt vollständige Öffnung des Strommarktes». Medienmitteilung des Bundesrates vom 27.9.2019
UVEK. Revision des Stromversorgungsgesetzes (volle Strommarktöffnung, Speicherreserve und Modernisierung der Netzregulierung). Bericht über die Ergebnisse der Vernehmlassung vom September 2019, S. 8
Stellungnahme der Regierungskonferenz der Gebirgskantone RKGK vom 20.12.2018, S. 6

 

Bericht der ElCom vom Mai 2018: Stromabkommen mit der EU – keine Gewähr einer besseren Versorgungssicherheit der Schweiz

mw. Um die Schweiz und uns Schweizer zur Bejahung eines institutionellen Rahmenabkommens zu bewegen, wird die angeblich grössere Rechtssicherheit ins Feld geführt. Um ein Stromabkommen beliebt zu machen, argumentieren die Befürworter mit der besseren Versorgungssicherheit. Beides ist falsch. Ersteres war in Zeit-Fragen schon öfter Thema, zum zweiten Abkommen nimmt eine Institution klar Stellung, die nicht übergangen werden kann: die Eidgenössische Elektrizitätskommission ElCom. Sie ist vom Bundesrat eingesetzt für die Überwachung der Stromversorgungssicherheit und kann ihm auch Massnahmen unterbreiten, wenn sie die Versorgung als gefährdet einschätzt (Stromversorgungsgesetz Art. 9 und 22).
Die ElCom weist darauf hin, dass ein Stromabkommen mit der EU allenfalls formale Verbesserungen, aber nicht mehr Versorgungssicherheit für die Schweiz brächte: «Ein Stromabkommen zwischen der Schweiz und der EU würde aus regulatorischer Sicht helfen, die grenzüberschreitenden Belange systematischer zu regeln. […] Andererseits ist aber klar, dass auch bei einem Abschluss eines Stromabkommens keine Gewähr besteht, dass die Interessen der Schweiz in jedem Fall besser oder gar vollumfänglich durchgesetzt werden können» (Bericht ElCom, S. 4 und 52).

Übernahme von EU-Recht

Die Vorbedingung der EU, dass ein Stromabkommen nur mit dem vorgängigen Abschluss eines Rahmenabkommens möglich wäre, füllt die ElCom mit Inhalt: «Mit dem 3. Paket zum Energiebinnenmarkt im Jahr 2009 (und dem nun vorbereiteten 4. Paket) beabsichtigt die EU, die in der Vergangenheit primär national organisierten Strommärkte noch stärker zusammenzuführen und zu harmonisieren. Die Verordnungen […] sind in den Mitgliedsstaaten der EU und im EWR-Raum direkt anwendbar. Das heisst, sie müssen nicht in nationales Recht überführt werden.» Mit einem Strom- und Rahmenabkommen würde auch der Schweizer Strommarkt zum grossen Teil aus der nationalen Souveränität herausgezogen (Bericht ElCom, S. 50). Es soll keiner behaupten, ein Schiedsgericht könne vielleicht die EU-Richter dafür gewinnen, im Falle der Schweiz eine Ausnahme zu machen …

Stromversorgung der Schweiz hängt von der Exportfähigkeit und -bereitschaft der Nachbarländer ab

Laut ElCom ist die Schweiz seit 2004 im Winterhalbjahr «stets auf Stromimporte angewiesen» (Bericht ElCom, S. 31). Heutige Exportländer wie Deutschland oder Frankreich könnten aber nach Ausserbetriebnahmen von Kernkraftwerken in den Wintermonaten zeitweise negative Leistungsreserven haben, so dass die Schweiz bei einem Mangel an Eigenproduktion auf die Exportbereitschaft der Nachbarländer angewiesen sei. Im Winter 2016/17 habe sich gezeigt, dass die Exportbereitschaft bei Engpässen «eine Frage des Preises» sein könne: Teurere (gasbefeuerte) Kraftwerke hätten die Lücke geschlossen (S. 35). In Krisensituationen stelle sich aber auch die Frage der Exportfähigkeit der Nachbarländer: «Da die Stillegung des Kernkraftwerks Mühleberg per Ende 2019 feststeht und dessen elektrische Energiemenge kaum durch Produktion in der Schweiz substituiert werden kann, ist davon auszugehen, dass die Schweiz in den nächsten Jahren im Winter zunehmend auf Stromimporte angewiesen ist. Die Stromversorgung in der Schweiz hängt somit von der Exportfähigkeit der Nachbarländer ab.» (Bericht ElCom, S. 37). Mit anderen Worten: Wenn diese selbst knapp dran sind, würde auch ein Stromabkommen nichts nützen.

Hohe Versorgungssicherheit als wichtige Voraussetzung der Lebensqualität

«Die ElCom ist der Auffassung, dass die hohe Versorgungssicherheit in der Schweiz eine wichtige Grundvoraussetzung unserer Lebensqualität darstellt und in erheblichem Masse dazu beiträgt, die Schweiz als attraktiven Wirtschaftsstandort hochzuhalten. Diese Qualität darf langfristig nicht einzig auf der Option ‹Stromimport› basieren, da dieser nicht garantiert ist. […]
Sollte sich die Importabhängigkeit der Schweiz in den Winterhalbjahren durch Stillegungen von Kernkraftwerken merklich verändern (erhöhen), ist zur Gewährleistung der Systemstabilität dafür zu sorgen, dass ein substantieller Teil der wegfallenden Winterproduktion der Kernkraftwerke weiterhin im Inland produziert wird. In diesem Zusammenhang ist auch der Fortschritt der Realisierungsziele beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu beobachten» (Bericht ElCom, S. 60).

Quelle: Stromversorgungssicherheit der Schweiz 2018. Bericht der Eidgenössischen Elektrizitätskommission ElCom vom Mai 2018

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