Warum das OPEC+-Abkommen eine vielversprechende Sache ist

von M. K. Bhadrakumar*, Indien

Der russische Präsident Wladimir Putin hielt am 23. Januar 2020 in Jerusalem eine Rede, in der er für September ein Gipfeltreffen der «Gründerländer der Vereinten Nationen, der fünf Staaten, die besondere Verantwortung für die Rettung der Zivilisation tragen», vorschlug.

Ein perfekter Deal ist, wenn alle Beteiligten etwas davon haben. Alle erdölproduzierenden Länder können davon profitieren, wenn der Ölpreis wieder anzieht. Die OPEC+-Gruppe, angeführt von Saudi-Arabien und Russland, schloss am Sonntag [12. April 2020] in einem atemberaubenden Endspurt eine Vereinbarung über eine drastische Kürzung der Ölförderung um insgesamt 9,7 Millionen Barrel pro Tag ab, um Angebot und Nachfrage auf dem Weltmarkt wieder ins Gleichgewicht zu bringen und die Preise in die Höhe zu treiben.
Sie beendete tagelange, quälende internationale Verhandlungen, an denen auch die USA beteiligt waren. Von Produzenten ausserhalb der OPEC+-Gruppe werden zusätzliche Kürzungen erwartet. Experten gehen davon aus, dass sich die Ölpreise in der zweiten Jahreshälfte der Marke von 40 Dollar pro Barrel nähern werden.
Die Ölproduzenten der Welt schliessen sich für die grösste kooperative Förderinitiative der Geschichte zusammen. Die tektonischen Platten verschieben sich in der Geopolitik des Erdöls.
In der Vergangenheit haben sich die USA gegen das Ölkartell als Bedrohung für die amerikanische Wirtschaft gewehrt. Doch Washington schloss sich nicht nur dem jüngsten Förderprogramm an, sondern sein Erfolg könnte tatsächlich von den USA abhängen, wo sich die Ölförderung in einem einzigen Jahrzehnt verdoppelt hat.
Präsident Donald Trump hat in den letzten Tagen direkte Gespräche mit den Regierungsverantwortlichen von Russland, Saudi-Arabien und Mexiko geführt. Obwohl die USA, der weltweit grösste Produzent, keine festen Produktionskürzungen angeboten haben, haben Trump und das US-Energieministerium betont, dass die Marktkräfte den USA Rückgänge bringen werden.
Das heisst, Kürzungen können von Regierungsmassnahmen auf Grund von Unternehmensentscheidungen kommen, da Unternehmen entweder die Produktion einstellen oder Konkurs anmelden. Die Schätzungen gehen davon aus, dass die US-Produktion bis zum Jahresende um 2 Millionen Barrel pro Tag und vielleicht sogar noch mehr zurückgehen wird. Nach Angaben der Industrie könnte der Produktionsrückgang in den USA dazu führen, dass die Exporte von über 3 Millionen Barrel pro Tag im Jahr 2019 auf fast null in den kommenden Monaten zurückgehen, womit eine Hauptsorge sowohl Russlands als auch der Saudis angesichts der Angst vor einer Übernahme ihrer traditionellen Märkte durch die USA ausgeräumt würde.
Dies entspricht den erklärten doppelten Zielen Saudi-Arabiens – seinen Marktanteil zu verteidigen und auch die US-amerikanische Schieferölproduktion zu vernichten beziehungsweise zu verlangsamen. Die Alternative für die Saudis wäre gewesen, mit enormen Kosten Marktanteile zurückzugewinnen, indem sie genug Öl fördern, um die Preise auf einem niedrigen bis mittleren 20-Dollar-Niveau zu halten, und dies für zwei Jahre.
Was Russland betrifft, so wird es dank der Vereinbarung zusätzliche Einnahmen in Höhe von 70–80 Millionen Dollar pro Tag erhalten.
Trump twitterte am Sonntag: «Das grosse Öl-Geschäft mit der OPEC+ ist abgeschlossen. Dies wird Hunderttausende von Energiearbeitsplätzen in den Vereinigten Staaten retten. Ich möchte Präsident Putin von Russland und König Salman von Saudi-Arabien danken und ihnen gratulieren. Ich habe gerade vom Oval Office aus mit ihnen gesprochen. Ein grossartiger Deal für alle!»
Im Kern ergibt sich die OPEC+-Vereinbarung jedoch aus einer Matrix der Verständigung zwischen Trump und Putin. Saudi-Arabien hat verstanden, dass es ihnen besser aus dem Weg gehen sollte. Putin schätzte genau ein, wie wichtig es für Trump politisch ist, die Schieferindustrie über Wasser zu halten, um Arbeitsplätze zu erhalten. Die Industrie beschäftigt über 10 Millionen Amerikaner und erwirtschaftet 7 % des BIP der USA.
Die grosse Frage ist, wo ist die Gegenleistung? Es hat immer der Verdacht bestanden, dass Putin einen Plan hatte, als er den Rückgang des Ölpreises auf eine so ausgeklügelte Art und Weise auslöste, dass der russischen Wirtschaft Einnahmeverluste in Milliardenhöhe entstanden sind.
Ganz offensichtlich löste der freie Fall des Ölpreises in einem Wahljahr in Amerika eine existenzielle Krise für die amerikanische Schieferindustrie aus, die Trump zwangsläufig eher früher als später in den Mittelpunkt rücken musste. Ob Putin es nun geplant hatte oder nicht, genau so ist es geschehen.
Was Trump betrifft, so ist ein konstruktives Engagement mit Russland etwas, das er schon immer wollte. Drei kostbare Jahre sind durch die Müller-Untersuchungen über «Russland-Absprachen» und so weiter verlorengegangen. Aber nachdem er seine Gegner in dem Amtsenthebungsdrama erfolgreich ausmanövriert hat, ist Trump nun ungebunden. Putin versteht das auch.
In dieser besonderen Angelegenheit rettet Trump die Interessen des Big Oil, das einen enormen Einfluss auf die politische Klasse, Think tanks, die Medien und die Wall Street – und natürlich auf den Tiefen Staat – hat. Mit einfachen Worten, es ist heute unvorstellbar, dass irgend jemand im Washington Beltway, wie russophobisch auch immer, es wagen würde, gegen Trump zu protestieren, wenn er mit Putin unter vier Augen verhandelt, um Big Oil zu retten.
Es besteht ein breiter Konsens in der amerikanischen Elite, dass Putin den Schlüssel zur Lösung der Ölkrise besitzt, die der US-Wirtschaft schweren Schaden zufügen kann, nachdem sie sich bereits in einer tiefen Rezession befindet.
Tatsächlich haben Trump und Putin seit dem 10. April 2020 dreimal miteinander gesprochen. Trump weiss, dass er auf der richtigen Seite der Geschichte steht, und seinem Gesprächspartner kann man vertrauen, dass er sein Wort hält. Trumps Tweet am Sonntag (oben zitiert) trieft vor Zuversicht. Er schreitet auf eine Entspannung mit Russland zu.
Andererseits ist Putin mit Blick auf den US-Wahlzyklus daran interessiert, mit Trump so schnell wie möglich einen grossen Deal über die russisch-amerikanischen Beziehungen abzuschliessen, denn ein möglicher Sieg Joe Bidens im November würde bedeuten, dass die USA sich dazu hinreissen lassen, den Druck auf Russland wieder signifikant zu erhöhen.
Putin hat einen Zeitplan für September festgelegt. Er hat die Idee eines Gipfeltreffens der ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrates im September «an einem beliebigen Ort der Welt» vorgeschlagen – und Trump hat es begrüsst –, um globale Fragen im Gefolge der Corona-Virus-Pandemie zu diskutieren.
Interessanterweise nutzte Putin am 10. April, noch während die OPEC+-Vereinbarung zum Abschluss gebracht wurde, eine Sitzung mit der dreiköpfigen US-Astronautenbesatzung (die am kommenden Freitag die Internationale Raumstation vom russischen Team übernehmen wird), um die russisch-amerikanischen Beziehungen anzusprechen.
Putin sagte, die Zusammenarbeit im Weltraum sei «ein anschauliches Beispiel für eine effektive Partnerschaft zwischen unseren Ländern zum Nutzen der gesamten Menschheit». Dann fügte er hinzu: «Wir versuchen nun auch, die Arbeit an aktuellen Problemen zu organisieren. Ich spreche nicht gerne darüber, aber ich muss es tun. Ich meine den Kampf gegen die Pandemie, aber auch die Situation auf den Weltmärkten. Der Präsident der Vereinigten Staaten und ich haben erst gestern über diese Fragen gesprochen, und wir werden noch mehr über dieses Thema sprechen. Glücklicherweise entwickelt sich also die Zusammenarbeit, und zwar nicht nur im Weltraum, sondern auch in anderen Bereichen.»
Besonders bemerkenswert ist, dass die Mitteilung des Kremls über das Gespräch zwischen den beiden Staatschefs zwei Tage später, am 12. April, lautet: «Es wurden auch aktuelle Fragen der Gewährleistung der strategischen Sicherheit erörtert.» Die Gesprächsagenda hat sich deutlich erweitert und vertieft.
Unterdessen positioniert sich China ebenfalls für den Gipfel im September. Moskau konsultierte Peking, bevor es den Vorschlag für den Gipfel machte. (Putin räumte ein, dass Moskau den Gipfel «mehreren unserer Kollegen vorgeschlagen habe und, soweit ich verstanden habe, eine positive Reaktion sah».) Peking war schnell auf den Beinen, um (innerhalb von vierundzwanzig Stunden) Unterstützung für Putins Vorschlag bezüglich des Gipfels zur Lösung globaler Problemstellungen zu bekunden.
Alles in allem sollten wir also den Wald vor lauter Bäumen nicht übersehen. Bei der OPEC+-Vereinbarung geht es um viel mehr als nur um Öl. Es war der Startschuss für eine Reihe von Kooperationsverhandlungen zwischen den USA, Russland und China, die für die Weltpolitik nach einer Pandemie von grosser Tragweite sein dürften.
Eine solche Annäherung ist ein klarer Indikator dafür, wie tief die weltweite Pandemie und die weltweite Ölkrise miteinander verflochten bleiben und dass die Erholung der US-Wirtschaft damit verbunden ist. Wie der US-Energieminister Dan Brouillette es ausdrückte, ist die weltweite Ölkrise eine verheerende Auswirkung des Covid-19 und «geht über die Interessen einer einzelnen Nation hinaus und erfordert eine schnelle und entschlossene Reaktion von uns allen».
Die Welt wird hier Zeuge des Geistes des Internationalismus, der inmitten einer menschlichen Katastrophe entsteht, wie es sie vielleicht seit mehr als einem Jahrhundert nicht mehr gegeben hat. Die Pandemie hat derzeit 1,6 Millionen Menschen infiziert und fast 100 000 getötet und hat fast jeden Winkel des Planeten erreicht.          •

Quelle: www.indianpunchline.com vom 13.4.2020

(Übersetzung Zeit-Fragen)

* M. K. Bhadrakumar hat rund drei Jahrzehnte als Karrierediplomat im Dienst des indischen Aussenministeriums gewirkt. Er war unter anderem Botschafter in der früheren Sowjetunion, in Pakistan, Iran und Afghanistan sowie in Südkorea, Sri Lanka, Deutschland und in der Türkei. Seine Texte beschäftigen sich hauptsächlich mit der indischen Aussenpolitik und Ereignissen im Mittleren Osten, in Eurasien, in Zentralasien, Südasien und im Pazifischen Asien. Sein Blog heisst «Indian Punchline».

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