Duale Berufsbildung als wesentlicher Bestandteil des Schweizer Modells

Zum Buch «Berufsbildung. Entwicklung des Schweizer Systems» von Emil Wettstein

von Dr. iur. Marianne Wüthrich

Im zu Ende gegangenen Jahr gab es auch in der Schweiz Jugendliche, die sich über die «Einschränkung» ihrer Freiheit beklagten, weil Diskos und Bars zeitweise geschlossen waren und weder Open Airs noch öffentlich zugängliche Fussballmatchs stattfanden. In Wirklichkeit ist die Schweizer Jugend privilegiert wie vielleicht sonst keine auf der Welt: Wie froh wären viele junge Leute in anderen Ländern, wenn sie eine Berufslehre machen und mit dem Lehrlingslohn zum Unterhalt ihrer Familien beitragen dürften! (Die meisten Schweizer Lehrlinge haben den grössten Teil ihres Lohnes als Taschengeld zur Verfügung.)
  Emil Wettstein, langjähriger Leiter der Technikerschule ABB und später des Höheren Lehramtes für Berufsschullehrer an der Universität Zürich, stellt 2020 in einer Neufassung seines vor über dreissig Jahren publizierten Werkes leicht verständlich dar, wie sich die Berufsbildung in der Geschichte der Schweiz entwickelt hat.1 «Wie konnte die Schweiz ein duales Berufsbildungsmodell entwickeln? Warum sind die Schweizer Unternehmer bereit, sich so stark für die Berufsbildung junger Menschen zu engagieren?» Solche Fragen stellen Interessierte aus anderen Ländern, die das Schweizer System kennenlernen wollen. Beantworten kann man sie nur mit einem Blick zurück in die eidgenössische Geschichte – so der Herausgeber des Buches in seinem Vorwort. Zu ergänzen ist: Die Geschichte der Schweizer Berufsbildung ist verwoben mit der Entwicklung der Demokratie; die hiesige Ausformung der Berufsbildung ist Teil des Schweizer Modells. Das heisst nicht, dass eine gute Berufsbildung nicht auch in anderen Ländern der Welt eingeführt werden kann. Es empfiehlt sich aber, Zeit und Sorgfalt für den Aufbau zu verwenden.

Bei der Schweizer Jugend erfreut sich die Berufslehre grosser Beliebtheit. Zwei Drittel der Schulabgänger entscheiden sich für eine Lehre, in einigen Deutschschweizer Kantonen sind es über 80 Prozent. Die berufliche Grundbildung wird nach drei oder vier Jahren mit einem Eidgenössischen Fähigkeitszeugnis (EFZ) oder nach zwei Jahren mit einem Eidgenössischen Berufsattest (EBA) abgeschlossen. Falls die jungen Berufsleute sich weiterbilden wollen, gibt es nach der Lehre etliche Möglichkeiten. Viele wollen aber bei ihrem Beruf bleiben und werden oft dank ihrer fachlichen und menschlichen Qualitäten zu den Spitzenkräften, die dem Schweizer Wirtschaftsstandort seinen guten Ruf einbringen.

Fast jedes Schweizer Unternehmen ist ein Lehrbetrieb

Das Besondere an der dualen Berufsbildung steckt im Wörtchen «dual»: Die Ausbildung findet an zwei Orten statt: im Lehrbetrieb (meist drei Tage pro Woche) und in einer Berufsfachschule (in der Regel einer staatlichen Schule, meist zwei Tage pro Woche). Es gibt fast für jede Berufstätigkeit die Möglichkeit, eine Lehre zu machen, etwa 230 Lehrberufe stehen zur Verfügung. Fast alle KMU, aber auch alle privaten und staatlichen Grossbetriebe in der Schweiz bilden Lehrlinge aus, ebenso die Verwaltungen der Gemeinden, der Kantone und des Bundes. Allein beim Bund können über fünfzig Berufe gelernt werden! (https://www.stelle.admin.ch/stelle/de/home/einstiegsmoeglichkeiten/schueler.html)
  Sogar im Corona-Jahr 2020 fanden fast alle, die im August eine Lehre beginnen wollten, eine Stelle, weil die Unternehmer ihr Menschenmögliches taten, um genügend Lehrstellen anbieten zu können.
  Dass es heute für die Schweizer Unternehmer selbstverständlich ist, Jugendliche ins Berufsleben einzuführen, ihnen ihre beruflichen Kenntnisse weiterzugeben und ihnen den Weg zum tüchtigen, sozialen und zuverlässigen Erwachsenen zu zeigen, kommt nicht von allein. Es beruht auf einer langen Tradition und liegt auch im Schweizer Milizmodell begründet. Jeder junge Mensch ist von Bedeutung für das Ganze, indem er seinen Platz im Berufsleben und als Bürger in der Gemeinde einnimmt, in seinem Umfeld mitwirkt und seine politischen Rechte verantwortungsvoll ausübt. Der Lehrbetrieb seinerseits hat an den von ihm ausgebildeten Lehrlingen zuverlässige Fachkräfte, die wissen, wie der Betrieb läuft, und die auch gut ins Team integriert sind.

Anfänge der Berufsbildung in den Zünften

Das Buch «Berufsbildung» von Emil Wettstein beginnt mit den historischen Wurzeln der Berufslehre im Zunftwesen. Dort, wo sich in Europa später ein differenziertes Berufslehrsystem herausgebildet hat, war das Handwerk oft seit dem Mittelalter in Zünften organisiert (in der Schweiz vor allem in Städten der Deutschschweiz, aber zum Beispiel auch bei den Uhrmachern im französischsprachigen Jura). Die Zünfte waren berufliche Fachverbände und zugleich soziale Gemeinschaften, die insbesondere auch die Ausbildung des Nachwuchses regelten und gewährleisteten. Damals fand die gesamte Ausbildung im Betrieb eines Meisters statt, der sein handwerkliches Können und sein berufliches Wissen weitergab, aber auch die sozialen Fähigkeiten, die beim Zusammenleben im Haushalt des Lehrmeisters und seiner Familie gefestigt wurden und später zur Teilhabe an der städtischen Gesellschaft als Berufsmann und Bürger befähigten (Wettstein, S. 57–59).
  Die Zünfte haben das 19. Jahrhundert – das heisst die mit der Helvetik eingeführte Rechtsgleichheit der Bevölkerung in Stadt und Land, die Handels-und Gewerbefreiheit und die aufkommende Industrialisierung – nicht überlebt. Dennoch legte das Zunftwesen die Grundlagen für eine gute Berufsausbildung, die im 19. und 20. Jahrhundert in zeitgemässer Form wieder aufgegriffen werden konnten.

Gute schulische Grundlagen als Voraussetzung für berufliche Bildung und Schweizer Qualitätsprodukte

Im 19. Jahrhundert kämpften viele Handwerker um ihre Existenz. Neben der industriellen Herstellung von Textilien und anderen Gütern machte ihnen die zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland das Leben schwer. Um Schritt halten zu können, setzten Gewerbe und Industrie im rohstoffarmen Binnenland Schweiz schon früh auf eine hohe Qualität ihrer Produkte. Dazu brauchte es damals wie heute eine Berufsbildung, die auf soliden Grundkenntnissen mindestens im Lesen, Schreiben und Rechnen aufbauen konnte. Voraussetzung dafür ist eine gute Volksschule. Ab den 1830er Jahren führten die Kantone die obligatorische Volksschule ein, die nicht nur zum Erlernen eines Berufes befähigen sollte. So stand im Schulgesetz des Kantons Zürich von 1832, Zweck der Schule sei, «die Kinder aller Volksclassen nach übereinstimmenden Grundsätzen zu geistig thätigen, bürgerlich brauchbaren und sittlich-religiösen Menschen» zu bilden (Wettstein, S. 60).
  Schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts erkannte man, dass es nach den meist sechsjährigen Primarschulen neben den Gymnasien weitere Bildungsmöglichkeiten brauchte. Deshalb richteten viele Kantone Fortbildungs- oder «Repetierschulen», zum Teil auch Handwerks- oder Zeichenschulen ein, die ausserhalb der Arbeitszeit am Abend oder am Wochenende besucht wurden (Wettstein, S. 62).
  Auch nach der Gründung des Bundesstaates 1848 blieb das Schulwesen in der Hand der Kantone (grundsätzlich bis heute). Die revidierte Bundesverfassung von 1874 schrieb in Artikel 27 vor, dass die Kantone für einen «genügenden Primarunterricht» in obligatorischen und unentgeltlichen staatlichen Schulen zu sorgen hatten. Die Umsetzung blieb den Kantonen überlassen, und auch die Berufsbildung wurde weiterhin kantonal geregelt. Der Bund förderte seit 1884 die gewerbliche, industrielle und landwirtschaftliche Berufsbildung mit Subventionen. Um die Jahrhundertwende erliessen die meisten Kantone Gesetze über das Lehrlingswesen, einige schrieben auch den Besuch der Gewerbeschule und das Ablegen einer Lehrabschlussprüfung vor (Wettstein, S. 65–69).

Berufsbildung als gemeinsame Sache von Bund, Kantonen, Lehrbetrieben und Berufsverbänden

Das erste eidgenössische Berufsbildungsgesetz (BBG) wurde nach längeren Vorarbeiten und Vernehmlassungen bei den Kantonen sowie den Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbänden von der Bundesversammlung 1930 verabschiedet und auf den 1. Juni 1933 in Kraft gesetzt. Es galt für die gewerblichen, industriellen und Handelsberufe.
  Neben den gewerblichen Berufen hatten sich andere Berufsfelder auf separatem Weg entwickelt: die landwirtschaftliche Berufslehre (Wettstein, S. 103ff.); die kaufmännische Lehre – das «KV»: Die Schulen gehören heute noch in vielen Kantonen den kaufmännischen Vereinen KV, werden aber von den Kantonen finanziert (S. 94ff.); die nichtärztlichen Gesundheitsberufe – die Schwesternschulen wurden lange Zeit von katholischen oder reformierten Organisationen geführt, 1899 gründete das Schweizerische Rote Kreuz die erste Rotkreuz-Pflegerinnenschule, später delegierte der Bund den Vollzug der Gesetzgebung in diesem Bereich an das SRK (S. 118ff.).
  Das BBG von 1933 knüpfte an das Berufsbildungsmodell der Zünfte an. Bereits 1895 hatte der Schweizerische Gewerbeverein (SGV) beschlossen, nicht den Weg von Lehrwerkstätten mit dazugehörigem Fachunterricht zu gehen, sondern an der Meisterlehre festzuhalten. Für die weitere Entwicklung der Berufsbildung war dies ein wichtiger und richtiger Entscheid – entspricht es doch der menschlichen Natur, dass der junge Mensch am besten in der direkten Beziehung zum älteren, erfahrenen Berufsmann oder zur Lehrmeisterin lernen und wachsen kann – dies gilt im Betrieb genauso wie in der Schule.
  Das Gesetz von 1933 enthielt bereits die wichtigsten Elemente der heutigen Berufsbildung. Es regelte die Grundbildung in einer Berufslehre (Betrieb und Gewerbeschule) mit Lehrabschlussprüfung und Fähigkeitszeugnis, aber auch die Ausbildung der Lehrmeister. Die Fachschulen und Lehrwerkstätten, die vor allem in der Romandie verbreitet waren, wurden einbezogen. Der Lehrvertrag war und ist als Spezialform des Arbeitsvertrages im Obligationenrecht (OR) geregelt.
  «Basis für den späteren Erfolg des Gesetzes», schreibt Emil Wettstein, «ist der Einbezug von Kantonen und Berufsverbänden in die Gestaltung der Regelungen, deren Weiterentwicklung und deren Vollzug» (Wettstein, S. 70). Die Berufsverbände bestimmen unter anderem die Inhalte der Ausbildungsreglemente in den einzelnen Berufen mit und nehmen die praktischen Lehrabschlussprüfungen ab. Die Kantone sind verantwortlich für die Umsetzung des Berufsbildungsgesetzes, sie betreiben die Berufsschulen und beaufsichtigen die Lehrbetriebe. Die Rechtssetzung liegt beim Bund.
  Manches wurde in den darauffolgenden Jahrzehnten den Veränderungen der Arbeitswelt angepasst und weiterentwickelt. Aber die Grundprinzipien und das Zusammenarbeitsmodell blieben bestehen, denn sie erwiesen sich als praxistauglich.

Durchlässigkeit des Schweizer Berufsbildungsmodells – von der Lehre an die Uni

Die neuen Bildungsartikel, welche der Souverän 2006 in die Bundesverfassung einfügte, haben nicht zu einer – von vielen erhofften – besseren Schulbildung für alle geführt, sondern wurden als Sprungbrett für fragwürdige Umwälzungen (HarmoS, Lehrplan 21) benutzt. Was die Berufsbildung betrifft, behielt der Bund die Kompetenz zur Rechtsetzung und schrieb neu vor: «Er [der Bund] fördert ein breites und durchlässiges Angebot im Bereich der Berufsbildung» (Art. 63 BV).
  Dieses durchlässige Angebot sieht kurzgefasst so aus: Seit 1994 gibt es die Berufsmaturität für diejenigen Lehrlinge, die gerne mehr Lernzeit einsetzen – sei es gleichzeitig mit der Lehre oder danach. Im Jahr 2019 schlossen rund 68 000 Jugendliche eine Berufslehre ab, über 14 000 erwarben eine Berufsmaturität (BM).2 Mit einer BM für kaufmännische, technische, gesundheitlich/soziale, gestalterisch/künstlerische, landwirtschaftliche oder Dienstleistungsberufe ist der Weg zur entsprechenden Fachhochschule offen. Seit 2005 können Personen mit Berufsmaturität über eine einjährige Zusatzausbildung mit Ergänzungsprüfung (die sogenannte Passerelle) auch an die Universität oder die ETH gelangen. Knapp 1200 bestanden die Passerelle im Jahr 2018 (Wettstein, S. 168ff.).
  Wie Emil Wettstein festhält, hat die Einführung der Berufsmaturität «massgebend zur Steigerung der Attraktivität des berufsbildenden Weges beigetragen» (Wettstein, S. 172). Mancher leistungsstarke Schüler macht lieber eine Lehre als das Gymnasium, wenn er sie mit einer BM verbinden kann. Aber, so schreibt Bildungsredaktor Robin Schwarzenbach in der «Neuen Zürcher Zeitung»: «Wer will, kann – aber niemand muss nach weiteren Diplomen streben. Gerade Jugendliche müssen, ja, sie können heute noch gar nicht wissen, wo sie in fünf oder zehn Jahren im Berufsleben stehen werden. Es sei ihnen vergönnt, einen Schritt nach dem anderen zu gehen. Im eigenen Tempo, ihren eigenen Neigungen und Interessen entsprechend.»3

Matura für alle – ist das gerechter?

Zuweilen hört man, ein gerechtes Bildungswesen müsste es allen Jugendlichen ermöglichen, die Matura zu machen. Diese Forderung zielt an der Realität vorbei. Zum einen wollen viele kluge junge Leute lieber eine Lehre machen, als die ganze Woche die Schulbank zu drücken. Zum anderen wird derlei «Gerechtigkeitsdenken» den unschätzbaren Vorzügen der schweizerischen dualen Berufsbildung in keiner Weise gerecht: Für das Leben der einzelnen Jugendlichen (damit ist nicht nur ihre berufliche Zukunft gemeint!), für die hohe Qualität des Wirtschaftsstandortes, für die ausserordentlich tiefe Jugendarbeitslosigkeit (2–4 %) und für eine lebendige Demokratie.
  Die Bildungsreform von 2006 schreibt vor: Bund und Kantone «setzen sich bei der Erfüllung ihrer Aufgaben dafür ein, dass allgemein bildende und berufsbezogene Bildungswege eine gleichwertige gesellschaftliche Anerkennung finden» (Art. 61a Abs. 3 BV).
  Diese «gleichwertige Anerkennung» erreicht man allerdings nicht, indem man die Berufslehre zusammen mit den Mittelschulen in die neue Schachtel «Sekundarstufe II» verpackt. Sie muss vielmehr in unseren Köpfen stattfinden.
  Eine meiner ersten tiefgehenden Erfahrungen als Berufsschullehrerin waren die Aufsätze, die meine Elektromonteur-, Maschinenmechaniker- und Mechapraktiker-Klassen (heute heissen die Berufe anders) nach den ersten Monaten ihrer Lehre zum Thema «Von der Schule zum Berufsleben» schrieben. Wie die 15-, 16jährigen die enorme Umstellung vom gemütlichen Oberstufenschüler-Dasein zum strengen und vollen Einsatz fordernden Arbeitstag anschaulich beschrieben und innert weniger Monate bewältigten, wie sie (fast ausnahmslos) ihre Freude am Beruf, am eigenständigen Schaffen, ihren Stolz auf die ersten selbsterstellten Arbeitsstücke und natürlich auch auf den ersten Zahltag zum Ausdruck brachten, erschütterte den Rest meines Akademiker-Hochmutes in den Grundfesten. Was für eine einmalige Chance die duale Berufslehre einem Grossteil unserer jungen Leute bietet, in der wichtigen Lebensphase zwischen 15 und 20 zu reifen und ihren Platz im Leben einzunehmen!
  Das soll keineswegs heissen, dass das Gymi nicht auch eine gute Wahl sein kann – mir jedenfalls hat das intensive Lernen im Klassenzimmer und zu Hause (meistens) Freude gemacht. Ebenso klar ist, dass es zu den Aufgaben von uns Berufsschullehrern gehört, jeden Jugendlichen, der gerne nach der Lehre eine Weiterbildung machen will, vielleicht die Berufsmatura und ein Studium, nach Kräften zu unterstützen.

Optimale Anpassungsfähigkeit der Berufslehre an die Erfordernisse der Zeit – Ausnahme ABU

Seit dem ersten eidgenössischen Berufsbildungsgesetz von 1933 hat sich vieles in der Arbeitswelt geändert. Der Schweizer Berufsbildung ist es gelungen, sich diesem Wandel anzupassen: Berufe wurden umbenannt oder neu geschaffen, Berufsreglemente und schulische Lerninhalte revidiert. «Dies ist keineswegs eine Selbstverständlichkeit», so Emil Wettstein. «In vielen Ländern hat sich das Bildungswesen von den Bedürfnissen der Arbeitswelt abgekoppelt, was zu arbeitsmarktlichem Missverhältnis und damit zu Jugendarbeitslosigkeit führt» (Wettstein, S. 216).
  Das Geheimnis der Anpassungsfähigkeit der Schweizer Berufsbildung ist ganz einfach: Weil die Berufslehre eben von der Praxis her kommt, weil die Berufsverbände und die Lehrbetriebe die Erfordernisse der Realität in die kantonalen und die Bundesämter einbringen, weil die Berufsschulen den Kontakt mit den Lehrmeistern pflegen und die Fachlehrer in der Regel früher selbst den Beruf gelernt haben, dessen Lehrlinge sie heute unterrichten – aus all diesen Gründen driften die Lerntheorien und der Fachunterricht in der Berufsschule nicht ab vom Berufsalltag.
  Eine Ausnahme von dieser Realitätsbezogenheit ist leider der Allgemeinbildende Unterricht (ABU). Als ich in den 1980er Jahren als Berufsschullehrerin begann, hatten wir unsere drei Wochenlektionen für die Fächer Deutsch, Geschäftskunde sowie Staats- und Wirtschaftskunde zur Verfügung, es gab einen Lehrplan für die ganze Deutschschweiz mit einheitlichen Lernzielen und eine einheitliche Lehrabschlussprüfung (LAP) mit anspruchsvollem Niveau, in allen Deutschschweizer Berufsschulen am selben Tag um dieselbe Zeit.
  In den neunziger Jahren benutzten die Schulreformer den ABU als Experimentierfeld für ihre Ideologien, mit denen wir uns heute auch in der Volksschule herumschlagen: Die Schulfächer wurden abgeschafft und durch einen Mischmasch namens «Allgemeinbildung» ersetzt, die Lernziele wurden mit «Handlungs-, Sach-, Selbst- und Sozialkompetenzen» «angereichert», es gab nur noch einen Rahmenlehrplan, jede Schule fabrizierte ihren eigenen Schullehrplan und ihre eigene LAP nach dem Motto: «Wer lehrt, prüft.» Dies führte zu einem massiven Abbau des Lernstoffs und des Prüfungsniveaus. Zudem geht für die «Vertiefungsarbeit (VA)», die jeder Schüler als Teil der Abschlussprüfung «selbstorganisiert» verfassen und präsentierten muss, viel gemeinsame Lernzeit im Allgemeinbildenden Unterricht verloren. Beim Fachunterricht beziehungsweise bei den Fachlehrern und Branchenverbänden blitzten die Reformer glücklicherweise mit derlei Ideen gründlich ab.

Dem Wirtschaftsstandort Sorge tragen

Emil Wettstein zeigt mit seiner Geschichte der Schweizer Berufsbildung auf, welch grosse Bedeutung die duale Berufslehre als eines der Standbeine für den Wirtschaftsplatz und den Zusammenhalt der Gesellschaft hat.
  Jedenfalls brauchen wir uns wegen ein bisschen Donnergrollen aus Brüssel noch lange keine Sorgen zu machen um den Wirtschaftsplatz Schweiz. Gegen derlei Gebaren ziehen unsere cleveren Leute im Bundesrat und in der Verwaltung ihren Plan B aus der Tasche, und unsere Unternehmer sind ohnehin flexibel und innovativ. Aber wenn unsere Betriebe weiterhin Spitzenqualität liefern wollen, brauchen sie Spitzenfachkräfte. Schon seit längerem klagen viele Lehrmeister, dass ihre Lehrlinge aus der Volksschule unzureichende schulische Grundlagen und oft auch mangelnde Einsatzbereitschaft und Frustrationstoleranz mitbringen. Dagegen müssen wir etwas tun – besser heute als morgen.  •



1 Wettstein, Emil. Berufsbildung. Entwicklung des Schweizer Systems. © 2020 hep Verlag Bern. ISBN 978-3-0355-1675-3
2 Bundesamt für Statistik, Bildungsabschlüsse Berufliche Grundbildung/Allgemeinbildende Ausbildungen
3 Schwarzenbach, Robin. «Eine Berufslehre ist erst der Anfang.» in: Neue Zürcher Zeitung. Bildungsbeilage vom 25.11.2020

Berufsbildung: Sprungbrett in die Arbeitswelt

Projekte der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit DEZA

mw. Die Schweizer Erfahrungen mit der dualen Berufsbildung geben die Mitarbeiter der DEZA in vielen Projekten rund um den Erdball weiter.
  «Hochwertige Berufsbildung kann einen entscheidenden Beitrag zur Armutsreduktion leisten, wenn sie es den Lernenden ermöglicht, langfristig und unter würdigen Arbeitsbedingungen im Arbeitsmarkt Fuss zu fassen. Im Vordergrund steht ein Wirtschaftswachstum zum Wohle aller. In Zusammenarbeit mit den Behörden und dem Privatsektor entwickelt die DEZA Ausbildungsangebote, die den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes gerecht werden.»

Erfahrungsberichte

  • aus Bolivien: Doña Silvia, Bäckerin: «Für mich war es die Rettung, als die Gemeinde den ersten Ofen einrichtete und wir zum Unterricht eingeladen wurden.»
  • aus Ruanda: Mediatrice Nyirahabimana, Coiffeuse: «Einen Monat nach Abschluss der Ausbildung kann ich meinen Lebensunterhalt selbst bestreiten. Ich blicke zuversichtlich in die Zukunft.»
  • aus Burkina Faso: Kader Kouanda, Schneider: «Jetzt kann ich lesen, an den Kunden Mass nehmen und mit ihnen diskutieren. Zum Glück gibt es die Abendschule.»

und weitere mehr …

https://www.eda.admin.ch/deza/de/home/themen/grund-_und_berufsbildung/formation-professionnelle--developper-de-nouvelles-competences-/temoignages.html

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