Schönhalsiger Ruderer mit weisser Weste

Der Höckerschwan – die noble Gans

von Heini Hofmann

Ursprünglich gehörten die «schönhalsigen Ruderer» nicht zur einheimischen Avifauna. Es waren wohl in erster Linie Ästheten, welche den Höckerschwan mit seinem anmutigen Jugendstil-Look auf unseren Gewässern ansiedelten (analog dem rosaroten, hochbeinigen Schönhals namens Flamingo in den Tiergärten). Doch heute ist Fremdling Schwan assimiliert und naturalisiert.

Der Schwan, die noble Gans

Als klein Hansli vom Bauerndorf mit den Eltern erstmals an die Gestade eines Sees kam, meinte er angesichts der dort majestätisch dahinsegelnden Schwäne: «Schau Vater, da hat’s auch Gänse.» Worauf der Stammesälteste den kleinen Naseweis überlegen-lächelnd korrigierte: «Hansli, das sind keine Gänse, das sind Schwäne!» Und die Moral von der Geschicht’? Recht hatte auch der kleine Wicht! Denn die stolzen Schönhälse namens Schwan sind – zoologisch betrachtet und mit Verlaub gesagt – nichts weiter als Gänse, wenn auch zugegebenermassen deren High-Society.
  Das hinderte Heinrich Heine nicht, den Umstand, dass Göttervater Zeus seiner geliebten Leda unkenntlich in Schwanengestalt nahte, zoologisch-sarkastisch zu kommentieren, indem er Leda rügt: «Welch eine Gans bist du gewesen, dass ein Schwan dich konnt betören!» Doch was Heine nicht bedachte und die schöne Leda halbwegs entschuldigt: Die Verführung geschah an Land. Was das bedeutet? Ferenc Molnar sagt’s im Lustspiel «Der Schwan», wenn er postuliert: «Schwäne sollten immer majestätisch in der Mitte des Wassers bleiben; denn sie sehen an Land wie Gänse aus» …

Eingebürgert und verwildert

Die Ansiedlung von ursprünglich bei uns nicht heimischen Höckerschwänen aus Nordosteuropa und Kleinasien reicht bis ins 19. (in England gar ins 13.) Jahrhundert zurück. Der schneeweisse, wohlgeformte, majestätisch schwimmende und zudem sagenumwobene Wasservogel diente vorerst zur verzierenden Belebung verträumter Weiher in Landgut-, Schloss- und Stadtpärken. Von hier fand er den Weg in träge Fliessgewässer, gestaute Flussstrecken und schliesslich auf Seen.
  Heute findet man den weissen Langhals auf vielen grossen und kleinen Seen, meist bis zu Höhen unter 600 m ü. M., gelegentlich bis auf 1000 m ü. M., in den Alpen – ausgesetzterweise – sogar bis über 1700 m ü. M. (so früher auf den Seen von St. Moritz und Arosa). Allerdings müssen Schwäne auf solcher Höhe im Winter infolge Vereisung abwandern oder eingefangen werden.
  Kurz: Bei den Schwänen in ganz Mitteleuropa handelt es sich praktisch durchwegs um mehr oder weniger verwilderte Nachkommen eingesetzter Parkschwäne. Während die Höckerschwäne im kontinentalen Bereich ihres Verbreitungsgebiets Zugvögel sind, gelten sie in Europa als Stand- und Strichvögel; ein Umherstreichen im Frühjahr und Herbst ist hauptsächlich nahrungsbedingt.

Von halbwild bis zahm

Da sie keine natürlichen Feinde haben und jagdlich bedeutungslos sind, und weil sie sich im Sommerhalbjahr infolge der zivili-sationsbedingten Eutrophierung (Überdüngung) unserer Gewässer reichlich ernähren und zudem das Winterhalbjahr dank ihrer Robustheit gut überdauern können, zumal sie sich als Kulturfolger mit den futterspendierenden Menschen arrangiert haben, gedeihen die Schönhälse derart munter, dass sie zum Ökoproblem werden können.
  Auf Schweizer Gewässern tummeln sich heute rund 7500 schwimmende Märchenfiguren, während es Mitte letztes Jahrhundert erst deren 2000 waren. Allerdings befinden sich darunter nur etwa 650 Brutpaare; der Rest sind noch nicht fortpflanzungsfähige Jungtiere, alte Einzelgänger sowie Paare, welche kein Brutrevier erobern konnten. Die stärksten Höckerschwan-Populationen finden sich auf dem Bodensee (Erstaussetzung 1917), dem Neuenburger- und dem Genfersee (seit 1837). Auf dem Zürichsee ist die Art seit 1929 heimisch. In ganz West- und Mitteleuropa leben momentan um die 200 000 Höckerschwäne.
  Während halbwilde Schwäne eutrophe Gewässer mit seichten Ufern, viel Unterwasserpflanzen, ausgedehnter Verlandungszone und breitem Schilfgürtel bevorzugen, halten sich zahme und somit vom Menschen abhängige Langhälse gerne an besiedelten Gestaden auf, bis hinein in Städte, wo sie sich auch nicht scheuen, vor aller Augen zu brüten.

Der namengebende Höcker

Die schönhalsigen Ruderer gleiten, weissen Papierschiffen gleich, majestätisch und lautlos übers Wasser, den Schwanz leicht angehoben, den Hals anmutig gebogen. Fast könnte man meinen, die «stolzen» Gesellen wüssten um ihre Schönheit und Anmut. Ihre «saubere Weste», das schneeweisse Gefieder, dominiert die Gesamterscheinung der imposanten Schwimmvögel, pointiert durch einige auffallende Attribute.
  Der orangerote Schnabel, versehen mit feinen Hornlamellen, die ein Herausfiltrieren der Nahrung aus dem Wasser ermöglichen, ist ein Mehrzweckinstrument, das sowohl zum Fressen wie zum Putzen und Verteilen des Bürzeldrüsensekrets, ja sogar zum Eierwenden dient. Am Schnabelgrund sitzt ein mehr oder weniger grosser, schwarz gefärbter Höcker, der dem Tier den Namen gab; er ist beim Männchen – zumal in der Brutzeit – stärker ausgebildet als beim Weibchen, das sich sonst, mit Ausnahme vielleicht der Körpergrösse, kaum vom männlichen Partner unterscheidet.
  Maskenhaft wirken die «Zügel» am Kopf des weissen Ruderers. Gemeint sind nicht jene, die der Held der Gralssage in Richard Wagners Oper Lohengrin in Händen hält, wenn er auf Geheiss des Königs Artus in einem von einem Schwan gezogenen Nachen der bedrängten Herzogin Elsa von Brabant zu Hilfe eilt, sondern die wie der Höcker ebenfalls schwarzen, unbefiederten Partien seitlich am Kopf, Zügel genannt, die sich nach hinten bis zu den nussbraunen Augen verjüngen.

Die «Unveränderlichen»

Beine und Ruderfüsse der erwachsenen Schwäne schliesslich sind von grau-schwarzer Farbe, und die Zehen zwei bis vier sind durch Schwimmhäute verbunden, wie das für alle Gänseartigen typisch ist, zu welcher Ordnung neben Gänsen, Enten und Sägern auch die Schwäne gehören. Das Jugendkleid der Schönhälse ist braun, im Übergang zur Adultfärbung scheckig, weil dann die weissen Federbasen sichtbar werden. Seit wenigen Jahrzehnten beobachtet man bei den halbdomestizierten Schwänen unter Jungtieren gelegentlich ein bereits im Jugendkleid reinweiss gefärbtes Individuum.
  Dabei handelt es sich um eine streng alternativ vererbte Mutante, bedingt durch ein rezessives Gen im Geschlechtschromosom. Man nennt solche Tiere «Unveränderliche» («immutabilis»), oder, weil diese Spielerei der Natur zuerst in Polen gesehen wurde, auch «Polenschwäne». Ihre Beine und Füsse bleiben zeitlebens fleischfarben. Genaueres weiss man nicht. Vermutet wird, dass diese «unveränderlichen» Jungschwäne, weil kein Jugendkleid tragend, das bei älteren Artgenossen schonendere Behandlung auslösen würde, einem stärkeren Selektionsdruck ausgesetzt sind.

Tierliches Tragflügelboot

Schwäne sind, obschon wir Menschen sie meistens am Tag zu sehen pflegen, sowohl tag- als auch nachtaktiv. Während Jungschwäne bei Gefahr auf Tauchstation gehen, tun dies ältere nicht. Denn erwachsen sind sie so etwas wie die Alphatiere unter dem Wassergeflügel, und als solche geziemt es sich nicht, die Flossen zu klopfen …
  Im Gegenteil, man stellt sich mit Droh- und Imponiergebaren der Gefahr: Angriff oder «Imponierschwimmen» erfolgen mit s-förmig zurückgelegtem Hals, angehobenen Ellenbogen, so dass sich die Flügel weissen Segeln gleich über den Rücken wölben, unter gereiztem Zischen und – besonders imposant – mit schäumender Bugwelle. Dabei schiesst das tierliche Tragflügelboot ruckartig vor, weil in solch «dringenden Fällen» mit beiden Füssen gleichzeitig gerudert wird.
  Während sie im Winter gesellig leben, verhalten sich Schwanenpaare zur Brutzeit territorial, und nichtbrütende Schönhälse formieren sich zu Gruppen. Gewöhnlich beginnt die Schwanenfrau im April zu legen: fünf bis sieben oder gar neun grosse, graugrüne Eier, die im Verlauf des Brütens, das 35 Tage dauert, schmutzig-braungelb werden. Der Bruterfolg liegt kaum über fünfzig Prozent.

Ganze 25 Halswirbel

An Land ruht der Schwan liegend oder stehend; im Wasser lässt er sich treiben. Beim Schlafen wird der Schnabel nicht unter den Flügel, sondern unter das Schultergefieder gesteckt. Dabei wird oft das eine Bein rückwärts angehoben. Beim Sich-Putzen imponiert die extreme Geschmeidigkeit des Halses, beruhend auf der stolzen Zahl von 25 Wirbeln (kein anderer Vogel hat deren mehr).
  Die Toilette mit viel Zeremoniell dauert an Land wesentlich länger als im Wasser: Schwanzwedeln, Kopf-Hals-Reiben, Sich-Flügeln, Putzknabbern, Gefieder-Glätten, Schnabel-Eintauchen und -Schleudern, Kopf-Kratzen und -schütteln, Streckschütteln, Federndurchziehen, erneut Kopfschütteln, Flügel winkeln – und dann wieder Schwanzwedeln. Wer weiss trägt, putzt länger …  •

Diskrete Schwanenhochzeit

hh. Die Paarbildung erfolgt ohne grosses Getue. Doch das Liebesvorspiel, die Balz, ist streng ritualisiert: Kopf-Wenden, Schnabel-Senken, Schnabel-Rucken, Schein-Putzen, Schnabel-Eintauchen (= Schein-Fressen), Dippen (= Hals-Strecken über dem Wasser), Schnarchen – und schliesslich die Zärtlichkeitshaltung mit Kopfberührung bei gesträubten Kopffedern. Bref: Liebeswerben bei den Schwänen bedeutet Aufwand!
  Wenn Friedrich Hölderlin von den «holden Schwänen» schreibt «… und trunken von Küssen tunkt ihr das Haupt ins heilig-nüchterne Wasser», so beschreibt er in der überschwenglichen Sprache des Romantikers nichts anderes als das, was Wissenschaftler unromantisch-realistisch «Doppelhalstauchen beim Kopulationsvorspiel» nennen. Die Paarung dauert wenige Sekunden, wobei das Männchen das Weibchen im Nackengefieder festhält, um sich nach der Paarung seitwärts runterfallen zu lassen. Einem kurzen Aufrichten beider Vögel Brust an Brust folgt die normale Schnabelsenkhaltung. Dann hat die Liebe ein Ende – und das Putzen nimmt seinen Fortgang. So reiht sich denn auch die Schwanenhochzeit in die Realität biomechanischer Abläufe ...

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