«Es ist allein das Geld, was die EU noch zusammenhält»

Karl Albrecht Schachtschneiders neues Buch analysiert das Versagen der europäischen Geld- und Finanzpolitik

von Dr. Werner Mäder, Leitender Senatsrat a. D.

Karl Albrecht Schachtschneider macht mit seiner neuen, elf Kapitel umfassenden und an seine Werke zur Euro-Rettungspolitik anknüpfenden Schrift «Staatsschulden. Wider die Schuldenbremsen»1 neugierig. Der Titel verblüfft den Bürger, der nach preussischer Tugend «Schuldenmachen» vermeiden soll. Die Schrift verlangt dem Leser volle Konzentration ab, vereinigt sie doch interdisziplinär Staats- und Verfassungsrecht, Volkswirtschaft und EU-Politik.

Schon zu Beginn des Buches stellt Schachtschneider heraus: «Die Fragwürdigkeit der Schuldenbremsen und der irregeleitete Schuldenbegriff sind Gegenstand dieser Abhandlung, der rechtlich, aber auch ökonomisch bearbeitet wird. Ohne Volkswirtschaftslehre kann Staatsrecht im Bereich der Wirtschaft nicht betrieben werden.» (S. 13) Gleiches gilt für das Europa-Recht.

Wirtschaftlich illusionär und nicht durchsetzbar

Trotz der Fülle des Materials führt der Autor zum Kern der Probleme: Einerseits eine verfehlte EU-Politik mit Massnahmen zur strikten Haushaltsdisziplin und Schuldenbremsen zur Preisstabilität in der Währungsunion (Art. 126 AEUV), die wirtschaftlich illusionär sind und sich nicht durchsetzen lassen (Kapitel D, Haushaltsdisziplin, S. 58–70). Andererseits den durch Art. 136 Abs. 3 AEUV eingeführten Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der die Stabilität auch dann wahren soll, wenn den Mitgliedsstaaten dafür trotz aller Disziplinierung die Mittel fehlen, indem er sie von der Bindung durch Art. 126 AEUV (Vermeidung übermässiger Haushaltsdefizite) freistellt und das Bailout-Verbot des Art. 125 AEUV aufhebt.
  Mit seiner Befugnis, Staatsanleihen unter Umgehung des Art. 123 AEUV (Verbot von Kreditfazilitäten) aufzunehmen und den Schuldenberg zu erhöhen, wurde der ESM neben der EZB zur zentralen Notenbank der Euro-Zonen-Mitglieder
  Schachtschneiders Bilanz ist auch hier ernüchternd: Die Staaten (Spanien, Zypern, Griechenland), die sich unter den Rettungsschirm – mit strengen Auflagen der aufgezwungenen Austeritätsmassnahmen – begeben haben, wurden in die Rezession gezwungen, die ihnen noch grösseren Schaden zugefügt hat. Der ESM hat seine Ziele nicht erreicht (Kapitel E, S. 71–77).
  Das Verbot der direkten Finanzierung von Staaten durch die EZB soll die Geldmenge begrenzen und die Preisstabilität sichern, die nicht gefährdet ist, solange die Geldmenge für die Realwirtschaft nicht zu gross ist. Der ESM ist hingegen kontraproduktiv, bedeutet eine stabilitätswidrige Haushaltsführung ohne realwirtschaftliche Grundlagen (S. 73). Der ESM war ein weiterer Schritt zur Vergemeinschaftung der Haftung für Schulden anderer EU-Staaten, das Einfallstor für eine Schulden- und Finanzunion, einer erweiterten Transferunion (Kapitel H, II: Von der Stabilitäts- zur Schuldengemeinschaft, S. 112–125).

Haushaltsdisziplinierung mit Schuldenbremsen ist gescheitert

Die EU hatte sich Wachstum, Beschäftigung, Wettbewerbsfähigkeit und sozialen Zusammenhalt in einem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht zum Ziel gesetzt; dabei sollte ein übermässiges Defizit und eine Schuldenhäufung bei strenger Haushaltsdisziplin vermieden werden. Ein stabiler Euro sollte das Funktionieren der Wirtschafts- und Währungsunion garantieren. Weder das eine noch das andere Ziel wurde jemals erreicht.
  Die Haushaltsdiziplinierung mit den Schuldenbremsen (Art. 126 AEUV, Stabilitäts- und Wachstumspakt, Six-Pack; Fiskalpakt) ist gescheitert. «Mit Spargeboten in Verträgen und Gesetzen kann man die Wettbewerbsfähigkeit schwacher Volkswirtschaften», so Schachtschneider, «nicht stärken, nicht einmal die Konjunktur beleben.» (S. 65) Der ESM hatte trotz Geldmengenerweiterung mit seinen Austeritätszwängen verheerende wirtschaftliche und politische Folgen.
  Die Massnahmen allesamt erweisen die Systemlosigkeit der EU-Politik: Schuldenbremsen einerseits, Staatsschuldenvermehrung andererseits. Stabilität und Wohlstand liegen in weiter Ferne, das Siechtum des Euro geht weiter. «Europa ist aus asiatischer Sicht zum kranken Mann der Welt geworden.» (S. 135) Den EU-Organen liegt es fern, volkswirtschaftliche Politik zu betreiben; sie betreiben eine «Wirtschaft» ohne und gegen das Volk. Die Rettung des Euro dient dem internationalen Kapital, zielt aber auch massiv auf die Bildung eines unitarischen Bundesstaates mit einheitlicher Währung, für den es keine Vertrags- und Verfassungsgrundlagen gibt.

Ein permanenter Angriff auf die Souveränität der Staatsvölker

Schachtschneider referiert – wie ein roter Faden durch die Schrift – Grundlegungen, die mit ihm international renommierte Wissenschaftler vertreten:

  • «Eine Währung für verschiedene Staaten mit heterogenen Volkswirtschaften stärkt weder die Stabilität noch den Wohlstand der Völker. Sie bezweckt, die Entwicklung der Europäischen Union zu einem unitarischen Bundesstaat zu erzwingen, in dem homogene Lebensverhältnisse insbesondere durch Finanzausgleich geschaffen werden.» (S. 11)
  • «Die Eurorettungspolitik gibt beredtes Zeugnis dafür. Die Gebervölker werden genötigt, ihre Wirtschaftsleistungen zur Finanzierung der (wirklichen oder vermeintlichen) Misswirtschaft anderer Staaten und Völker hinzugeben. Der Stabilitätsmechanismus ist ein getarnter Ausbeutungsmechanismus, geradezu eine Aufforderung zum beggar your neighbour.» (S. 109)
  • «Die Stabilität der Euro-Zone kann nicht gesichert werden, weil auch die Schulden-, Finanz- und Transferunion, die mit dem ESM zum Teil geschaffen wurde, nicht zu dem optimalen Währungsraum wird, der allein eine Währungsunion zu tragen vermag.» (S. 112)
  • «Anstatt den Versuch der Währungsunion aufzugeben, rennen die Staats- und Regierungschefs seit dem Maastricht-Vertrag gegen die ökonomischen Gesetze an, in der Hoffnung, mit einer untragbaren Vergemeinschaftung der Schulden den optimalen Währungsraum zu erringen.» (S. 113, 116, 120f.)

Die Souveränität der Staatsvölker lasse diese Politik nicht zu. Die Schuldenbremsen sind ausgesetzt oder werden missachtet. Was bleibt übrig? Schachtschneiders Befund: Im Rahmen des EU-Systems kann den Volkswirtschaften mit einer überbewerteten Währung nur durch Subventionen, monetäre Staatsfinanzierung, wachsende Staatsschulden, endlich nur noch durch die etatistische Verteilung der Gesamtleistung der Union unter allen Mitgliedsstaaten geholfen werden. Für Volkswirtschaften, die im Wettbewerb mit überlegenen Volkswirtschaften stehen, d. h. deren Wirtschaftsgebiet nicht gegen Importe aus stärkeren Volkswirtschaften geschützt ist, – was der Binnenmarkt mit der Zollunion ausschliesst –, besteht ohne Abwertungsmöglichkeit keine Wachstumschance, Die hohe Staatsverschuldung ohne Investitionen wird die gesamte Wirtschaft der Union ruinieren (S. 63, 112).

Fatale Schuldenpolitik der EZB

Schachtschneider referiert eingehend die brisante Schuldenpolitik der monetären Staatsfinanzierung durch das Europäische System der Zentralbanken ESZB und die EZB (Kapitel C, S. 25–57). Die Massnahmen zur Rettung des Euro waren unzureichend. Dass der Euro noch existiert, ist einzig der gegen Art. 123 Abs. 1 AEUV – Verbot der Staatsfinanzierung – und Art. 125 AEUV – Bailout-Verbot – verstossenden, vertrags- und verfassungswidrigen Geldpolitik des ESZB und der EZB zu danken. Deren Staatsfinanzierung (OMT-Programm, die Politik des quantitave easing (PSPP) und das Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP)), die sie im grossen Stil monetärer Geldschöpfung aus dem Nichts durchführen, verschafft den Mitgliedern des Euroverbundes die Kredite, die sie am Finanzmarkt wegen zu hoher Zinsen nicht aufnehmen könnten, wenn ihnen die EZB und die nationalen Zentralbanken nicht mit der Politik des leichten Geldes (neo-keynesianische Politik Mario Draghis) und der Finanzierung der Länder die Zinslasten genommen hätten (S. 29, 37, 49f., 119, 126). Als Staatsfinanzierung brechen die Massnahmen aus dem Ermächtigungsrahmen aus, da sie auch Wirtschafts- und nicht nur Währungspolitik sind, für die die EZB keine Kompetenz hat (Art. 3 Abs. 1 lit. c AEUV). Nach dem Plazet des Bundesverfassungsgerichts, – das die Rechtsbrüche im Anschluss an den EuGH hinnimmt, wenn gewisse Regeln eingehalten werden (BVerfGE 146, 216), – haben ESZB und EZB bewiesen, dass sie ihr Mandat für jedwede Politik nutzen, die sie mit ihren Massnahmen bewerkstelligen können, ohne Rücksicht auf das Defizit an demokratischer Legitimität, ohne Rücksicht auf ihre begrenzte Ermächtigung, die Preisstabilität zu sichern  (S. 28).

Die Rolle des Bundesverfassungsgerichts

Vermerkt wird auch die fatale Rolle des Bundesverfassungsgerichts (S. 31, 32ff., 35ff., 39–43, 173–185), das wegen seiner «Regierungstreue» die «Geister nicht mehr loswird», die es mit seinen Entscheidungen seit dem Maastricht-Urteil «gerufen» hat. Immerhin ist dem Bundesverfassungsgericht die Überschreitung der Zuständigkeit der EZB in Sachen der monetären Staatsfinanzierungsmassnahmen der EZB durch den Ankauf von Staatsanleihen in so gut wie grenzlosem Umfang (PSPP, zwei Billionen Euro), verbunden mit einer Nullzinspolitik, zu weit gegangen. Es hat die Massnahmen als eine offensichtliche Zuständigkeitsanmassung der EZB und des EuGH (Urteil vom 11.12.2018 – C – 493/17) für Wirtschaftspolitik, die nicht mehr als Währungspolitik ausgegeben werden könne, wegen Missachtung des Ultra-vires-Verbotes als vertragswidrig kritisiert, wenn die Verhältnismässigkeit dieses Kompetenzverständnisses nicht dargetan werden könne. Die wesentliche Kritik an dem Urteil des EuGH ist, dass es die faktischen wirtschafts- und fiskalpolitischen Wirkungen der Massnahmen der EZB bei Beurteilung der Verhältnismässigkeit des PSPP ausgeblendet habe. Es hat ausserdem die Politik des leichten Geldes, des PSPP als Verletzung des Budgetrechts des Deutschen Bundestages erkannt (BVerfG 2 BvR 859/15 u. a., Urteil vom 5.5.2020). Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 4, Abs. 2 EUV ist erstmalig wirklich beachtet worden.

Deutschland ist kein «Herr der EU-Verträge»

Wie weit Deutschland als ein «Herr der EU-Verträge» mit seinem höchsten Gericht seinen Herrschaftsanspruch auf die EU – selbstkasteiend – zurückgenommen hat, deren Organe sich mehr und mehr als «Souverän» über das ganze Europa aufspielen, bezeugt die Reaktion auf das Urteil vom 5. Mai 2020: Es dokumentiert einen Fall von Rechtssittenverfall, Respektlosigkeit und Rechthaberei, wenn der EuGH dem höchsten deutschen Gericht die Kompetenz und Justizhoheit für die deutsche Verfassung abspricht und wenn er ohne prozessuale Veranlassung und ohne irgendeine verfahrensgerechte Befugnis schnellstens Widerspruch gegen das Urteil erhoben hat und in einer Erklärung vom 8. Mai 2020 dem Bundesverfassungsgericht das Recht zum letzten Wort abgesprochen hat. Ein solches Vorgehen ist eine offene Kampfansage gegen die Souveränität der Mitgliedsstaaten. Die Kommission mit ihrer in Deutschland als Politikerin und Ministerin gescheiterten und gegen das eigene Land agierenden Präsidentin setzt – bar jeglichen Verdachts von Sachkenntnis – noch einen darauf und prüft eine Vertragsverletzung Deutschlands durch das höchste deutsche Gericht (S. 12).
  Unbeirrt von dem noch zu erwartenden Schlussurteil des Bundesverfassungsgerichts zum PSPP hat die EZB mit dem Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) die monetäre Staatsfinanzierung mit monetär geschöpftem Geld nicht nur fortgesetzt, sondern mit dem Volumen von 1,35 Bill. Euro erheblich erweitert (S. 13, 31f.). «Die monetäre Entlastung der defizitären Volkswirtschaften durch die Zinssubvention mittels Negativzinsen für die Bankeinlagen bei der EZB […], die Nullzinspolitik für die Kredite der EZB an die Geschäftsbanken (seit 2016) und vor allem die monetäre Staatsfinanzierung», so Schachtschneider, «war der wohl ausweglose Weg zur Rettung des Euro auf Kosten der Sparer, die sich in hohen Milliardenverlusten rechnen (in Deutschland seit 2010 648 Mrd. Euro.» (S. 49, 118) «Jetzt haben die schwachen Volkswirtschaften exorbitante Schulden, die Privaten und Unternehmen bei den Geschäftsbanken, diese und die Staaten bei den nationalen Zentralbanken. Eine Begleichung dieser Schulden bei dem ESZB ist nicht zu erwarten.» (S. 49) Die geradezu gigantischen Verschuldungsangebote der EZB, die enorme Geldschöpfung aus dem Nichts, stehen in krassem Widerspruch zu den Spardiktaten des Fiskalpaktes.

Entwicklungsbehinderung durch Schuldenbremsen

Schachtschneider legt mit der Wirtschaftswissenschaft dar, zu welchen Folgen die Behinderung der Entwicklung durch Schuldenbremsen führt (Kapitel I, S. 126–136): Die Schuldenbremsen der EU und der Mitgliedsstaaten, namentlich Deutschlands, führen fern der technischen Revolution (S. 132ff.), zum Rückschritt, sie behindern die Entwicklung der Volkswirtschaften und der Zukunftsvorsorge durch Investitionen. Er weist darauf hin, dass ein Anstieg der Schulden durch Vorteile einer guten Infrastruktur ausgeglichen werden kann und insbesondere die öffentliche Daseinsvorsorge in öffentlicher Hand behalten werden muss (S. 128–131).
  Es ist bekannt, dass die Bundesrepublik sich die Stricke der Schuldenbremsen selbst umgebunden hat. Schachtschneider erinnert und folgert: «Die deutschen Finanzpolitiker, die die Spardiktate im Maastricht-Vertrag und im Stabilitäts- und Wachstumspakt, aber vor allem im Fiskalpakt gegen die ohnehin schwachen und in der Währungsunion mit einer einheitlichen Währung nicht wettbewerbsfähigen Volkswirtschaften durchgesetzt haben, vernunftwidrig und demokratiewidrig, haben den Schuldenbegriff verkannt. Die Staatsfinanzierung durch die Zentralbank wie auch die durch das ESZB und die EZB führt nicht zu Schulden des Staates, die der Staat zurückzahlen müsste.» (S. 13, näher S. 164ff.)

Wirtschaftsfeindliche Politik und marode Lage

Deutschland hat sich ausser den EU-Schuldenbremsen (S. 14–20) national noch zusätzlich mit Art. 109, 109 a und Art. 115 GG Finanzierungsbeschränkungen auferlegt (S. 132f.). Schachtschneider gibt ein erschreckendes Bild von der wirtschaftsfeindlichen Politik und maroden Lage, die von wissensfeindlichen Ideologen beherrscht wird (S. 132–134). Das Land hat einen schwerwiegenden Investitionsrückstand, wird seine Wettbewerbsfähigkeit, die auf technischen Entwicklungen der Vergangenheit beruht, einbüssen. Im Bereich der Elektrotechnik, der Digitalisierung, ist Deutschland drittklassig, in der Kommunikationstechnik von den USA, China und Südkorea abhängig. Es ist auch in der Entwicklung batteriemotorischer und autonomer Fahrzeuge rückständig. In den Unionsstaaten sieht es nicht besser aus. «Deutschland wird von wissensfeindlichen moralistischen Ideologen beherrscht, typisch für sozialistische Systeme. In diesen Kontext gehört auch die Schuldenbremse.» (S. 132)
  Das starre Verbot der Kreditaufnahmen in konjunkturellen Normallagen verhindert staatliche Förderungen notwendiger technischer Innovationen für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes, aber auch notwendiger Investitionen in die Infrastruktur, lässt die finanzielle Förderung von grosstechnischen Entwicklungen, die Teilnahme an der technischen Revolution, nicht zu. Im Gegenteil: Das Land lässt es zu, dass Unternehmen mit führenden technischen Fähigkeiten von Unternehmen fremder Staaten (China, USA) übernommen werden. Die deutsche (Gross-)Industrie ist weitgehend in ausländischer Hand. Die im DAX notierten Unternehmen gehören nur zu gut 15 % Deutschen, zu fast 85 % Ausländern. Der Ausverkauf geht weiter. Immer weniger Mittelstandsunternehmen, die auch immer weniger deutschen Unternehmern gehören, haben Weltmarktrelevanz. Auf Grund massiver Veränderungen im Schulwesen, das jedem, «der sich nicht wehrt, die Hochschulreife aufdrängt und zum oft erfolglosen Studium verführt», fehlt es diesen Unternehmen immer mehr an fähigem Nachwuchs (z. B. Facharbeiter in dualer Ausbildung).

Andere Länder zeigen, dass es anders besser geht

Schachtschneider stellt dem die Beispiele «hochverschuldeter, aber erfolgreicher Volkswirtschaften» der USA, Chinas und Japans gegenüber und weist darauf hin, dass die Rückzahlung der Kredite für staatlich geförderte Investitionen für die technische Entwicklung nicht das dringendste Problem sei, wenn die technische Entwicklung die weltweite Wettbewerbsfähigkeit und damit die Schuldentragfähigkeit stärkt. Selten hätten die Staaten die Schulden vollständig beglichen. Die USA als noch führende Wirtschaftsmacht haben Staatsschulden von 21,456 Billionen Dollar. China finanziert seinen wirtschaftlichen Aufstieg mit grossen Schulden des Staates (etwa 50,5 % des BIP 2018, 34,3 % des BIP 2019.) Japans Staatsschulden belaufen sich auf fast 240 % des BIP (BIP 2020 5,4 Bill. Dollar). Japan ist heute der stabilste Staat der Weltwirtschaft. «In Asien spricht niemand mehr über eine Währungszone, wie sie im Euro-Raum entstanden ist. Weil eindeutig klar ist, dass der Euro eigentlich nicht funktioniert. Das währungs-politische Experiment ist aus asiatischer Sicht gescheitert.» (Schachtschneiders Verweis S. 135 auf ein Gespräch von Gabor Steingart mit dem deutschen Finanzmanager Jasper Koll, Vorstandschef von Wisdom Tree Japan am 25. April 2019)
  Schachtschneiders traurige Bilanz: «Während vorwärtsstrebende Staaten technische Innovationen, die ihrer Wirtschaft Stärke geben, mit grossen finanziellen Mitteln, oft im Rahmen der Militärhaushalte, unterstützen, verordnet sich die EU die Schuldenbremse. Deutschland macht bei dieser den Niedergang betreibenden Politik nicht nur mit, sondern forciert diese mehr als andere Mitgliedsstaaten der EU, um die Partner der Union zur Haushaltsdisziplin nötigen zu können.» (S. 132)

Kritik an der Staatsschuldendoktrin

Das finale Kapitel L zur Doktrin von Schulden des Staates gegenüber dem Staat gibt einen Strauss von Einblicken in das Geldwesen, zur Zentralbank und den Geschäftsbanken als Akteure der Geldversorgung, zu den Quellen einer Finanzierung des Staates, insbesondere zur Frage, ob der Staat Schulden macht, wenn er sich durch seine Zentralbank monetär finanziert, mit der «Krönung» der Kritik an der Staatsschuldendoktrin. Der Staat kann sich das Geld, das er benötigt, gleich von der Zentralbank geben lassen und auf die Erhebung von Steuern verzichten, ein staatsadäquates Verfahren (S. 163). Schachtschneider gibt eine überraschende, aber rechtlich völlig einleuchtende Begründung, dass die monetäre Staatsfinanzierung – entgegen der allgemein praktizierten Auffassung – keine Staatsschulden begründet. Bundesbank (Zentralbank) und der Staat als Träger der Bank gehören zu einer Rechtsperson. Wenn die Bank Zentralbankgeld herstellt und an den Staat ausgibt, können daraus keine Schulden des Bundes gegenüber der Bank entstehen (S. 164–166). Niemand kann wegen einer Geldforderung Schuldner und Gläubiger in einer Person sein.
  Schachtschneider ist ein Universalgelehrter, ein exzellenter Kenner und Denker des europäischen Geschehens von den Anfängen an. Seine Schrift gibt ein exzellentes Urteil von der verfehlten EU-Politik und der Rolle deutscher Regierungen an der den Niedergang auslösenden Politik, die nur eine Verschiebung des wirtschaftlichen Zusammenbruchs bewirkt (S. 118f.), Stabilität und Wohlstand der Völker verhindert. Die Schrift, ein «Muss» für jeden wahren Europäer, hinterlässt einen nachdenklichen Leser. Für den bislang überzeugten Idealisten wird der letzte Rest an Illusionen und Erwartungen für ein starkes Europa im Gewande der EU schwinden. «Es ist allein das Geld, was die EU noch zusammenhält.»  •



1 Schachtschneider, Karl Albrecht. Staatsschulden. Wider die Schuldenbremsen, Schriften zum Öffentlichen Recht, Bd. 1442 – Duncker & Humblot, -Berlin 2021, ISBN: 978-3-428-18079-0

Glossar

AEUV und EUV: Der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist neben dem Vertrag über die Europäische Union (EUV) einer der Gründungsverträge der EU. Beide sind völkerrechtliche Verträge zwischen den EU-Mitgliedsstaaten; sie sind nach Art. 1 AEUV rechtlich gleichrangig.

Bailout-Verbot: Das Bailout-Verbot ist in Art. 125 AEUV geregelt. Grundsätzlich darf danach weder die Europäische Union noch ein Mitgliedsstaat der Europäischen Währungsunion für die Verbindlichkeiten eines anderen Mitgliedsstaates haften. Das Bailout-Verbot zielt darauf, dass jeder Mitgliedsstaat die Verantwortung für seine Finanzpolitik selbst übernimmt. Das Bailout-Verbot wird seit Jahren nicht mehr eingehalten.

DAX: Der DAX (Abkürzung für Deutscher Aktienindex) ist der bedeutendste deutsche Aktienindex. Er misst aktuell die Wertentwicklung der 30 grössten und liquidesten Unternehmen des deutschen Aktienmarktes. Ab September 2021 wird er auf 40 Aktiengesellschaften erweitert.

ESM: Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) wurde am 27. September 2012 durch einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedsstaaten der Euro-Zone gegründet und hat seinen Sitz in Luxemburg. Er ist Teil des sogenannten «Euro-Rettungsschirms». Aufgabe des ESM ist es, überschuldete Mitgliedsstaaten der Euro-Zone durch (an Bedingungen geknüpfte) Kredite und Bürgschaften zu unterstützen, um deren Zahlungsfähigkeit zu sichern.

ESZB: Das Europäische System der Zentralbanken (ESZB) besteht aus der Europäischen Zentralbank (EZB) und den nationalen Zentralbanken aller EU-Mitgliedsstaaten, unabhängig davon, ob sie den Euro eingeführt haben oder nicht. Das ESZB und die EZB wurden am 1. Juni 1998 geschaffen. Das geldpolitische Hauptziel des ESZB ist die Gewährleistung von Preisstabilität.

EuGH: Der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Sitz in Luxemburg ist das oberste rechtsprechende Organ der Europäischen Union (EU). Nach Art. 19 Abs. 1 Satz 2 EUV sichert er «die Wahrung des [EU-] Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge».

EZB: Die Europäische Zentralbank (EZB) mit Sitz in Frankfurt am Main ist die Zentralbank der 19 Länder des Euro-Raums. Die EZB ist für die Durchführung der Geldpolitik im Euro-Währungsgebiet verantwortlich, ihre Hauptaufgabe ist es, Preisstabilität zu gewährleisten. Sie wurde 1998 als gemeinsame Währungsbehörde der Mitgliedsstaaten der Europäischen Währungsunion gegründet, ihre Aufgaben wurden erstmals im Vertrag von Maastricht 1992 festgelegt.

Fiskalpakt: Der Europäische Fiskalpakt (ausführlich: «Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion» (SKS-Vertrag)) wurde am 2.3.2012 von 25 EU-Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Er basiert auf dem Vertrag von Maastricht (1992), der für Euro-Mitgliedsstaaten eine maximale Verschuldung von 60 % des BIP und ein maximales jährliches Haushaltsdefizit von 3 % des BIP vorschreibt (Konvergenzkriterien). Der Fiskalpakt regelt die finanziellen Sanktionen bei Nichteinhaltung der Kriterien. Staaten, deren strukturelles Defizit (jährliche Neuverschuldung abzüglich konjunkturellem Defizit) 0,5 % des BIP oder deren Gesamtschuldenquote 60 % des BIP überschreitet, haben ihre Haushaltsprogramme mit Massnahmen zum Abbau der Verschuldung von der EU-Kommission und dem Europäischen Rat genehmigen zu lassen. Die Zustimmung zum Fiskalpakt ist Grundbedingung, um Darlehen aus dem ESM beziehen zu können.

Kreditfazilitäten: Gesamtheit aller Kreditmöglichkeiten, die einem Kunden zur Deckung eines Kreditbedarfs bei einer oder mehreren Banken zur Verfügung stehen.

Maastricht-Urteil: Mit dem Maastricht-Urteil vom 12. Oktober 1993 urteilte das deutsche Bundesverfassungsgericht, der EU-Vertrag von Maastricht sei mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar. Die von den Beschwerdeführern gerügte Abtretung bestimmter Kompetenzen an die Europäische Union – vor allem mit der Einführung der Wirtschafts- und Währungsunion – verletze das vom Grundgesetz garantierte Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) und den Schutz der Grundrechte nicht.

OMT-Programm: Outright Monetary Transactions (deutsch: vorbehaltlose geldpolitische Geschäfte). Das Programm erlaubt der Europäischen Zentralbank (EZB), Staatsanleihen im Euro-Raum in faktisch unbegrenzter Höhe auf dem Markt zu kaufen.

Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP): (Pandemic Emergency Purchase Programme) PEPP ist ein zeitlich befristetes Ankaufprogramm der Europäischen Zentralbank für Anleihen von Staaten im Euro-Raum. Es soll die Preisstabilität und die Effektivität der Geldpolitik in der Euro-Zone während der Covid-19-Pandemie sicherstellen.

Quantitative easing (PSPP): (Public Sector Purchase Programme) Programm zum Ankauf von verzinsbaren Wertpapieren unter der Leitung der Europäischen Zentralbank (EZB). PSPP wurde im Zuge der Finanzkrise und der Euro-Krise ab 2007 gestartet und gewährt Kredite der EZB und der nationalen Notenbanken im Euro-Raum an Staaten, regionale und lokale Gebietskörperschaften sowie Private mit Förderauftrag. Diese Massnahmen sind politisch und wissenschaftlich umstritten (siehe Prof. Schachtschneider zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Mai 2020).

Six Pack: Six Pack ist ein Paket von sechs neuen Rechtsakten des verschärften Stabilitäts- und Wachstumspaktes, der am 13. Dezember 2011 in Kraft trat (siehe Stabilitäts- und Wachstumspakt).

Stabilitäts- und Wachstumspakt: Der verschärfte Stabilitäts- und Wachstumspakt von 2011 enthält neue Regeln (Six Pack) für eine umfassende wirtschafts- und haushaltspolitische Überwachung und Steuerung der EU-Mitgliedsstaaten (inner- und ausserhalb des Euro-Raums). Der Pakt sollte laut EU-Kommission «ein entscheidender Schritt im Hinblick auf die Gewährleistung der Haushaltsdisziplin, die Stabilisierung der Wirtschaft und die Vermeidung einer neuen Krise in der EU» sein.

Ultra-vires-Verbot: Das Ultra-vires-Verbot (lat. «über die Befugnisse hinaus») untersagt die Anmassung von Zuständigkeiten über den Aufgabenbereich einer staatlichen oder überstaatlichen Institution hinaus. Das Bundesverfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung vom 5. Mai 2020 fest, dass der Europäische Gerichtshof widerrechtlich einen Ultra-vires-Akt der Europäischen Zentralbank (EZB) geschützt hatte (EZB-Staatsanleihekaufprogramm Public Sector Purchase Programme PSPP).

Schuldenbremse ist nicht gleich Schuldenbremse

Staatsschulden, Demokratie und Gemeinwohl

km. Bislang kennen nur wenige Staaten der Welt eine in ihrer Verfassung festgeschriebene Regelung zur Höhe der Staatsschulden.
  Die Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft hat, angenommen durch eine Volksabstimmung Ende 2001, einen Artikel 126 aufgenommen. Er lautet:

  1. Der Bund hält seine Ausgaben und Einnahmen auf Dauer im Gleichgewicht.
  2. Der Höchstbetrag der im Voranschlag zu bewilligenden Gesamtausgaben richtet sich unter Berücksichtigung der Wirtschaftslage nach den geschätzten Einnahmen.
  3. Bei ausserordentlichem Zahlungsbedarf kann der Höchstbetrag nach Absatz 2 angemessen erhöht werden. Über eine Erhöhung beschliesst die Bundesversammlung nach Artikel 159 Absatz 3 Buchstabe c.
  4. Überschreiten die in der Staatsrechnung ausgewiesenen Gesamtausgaben den Höchstbetrag nach Absatz 2 oder 3, so sind die Mehrausgaben in den Folgejahren zu kompensieren.
  5. Das Gesetz regelt die Einzelheiten.

Erläuternd heisst es dazu bei der Eidgenössischen Finanzverwaltung1: «Die Schuldenbremse soll den Bundeshaushalt vor strukturellen (chronischen) Ungleichgewichten bewahren und damit verhindern, dass die Bundesschuld ansteigt wie in den 1990er Jahren. Gleichzeitig gewährleistet sie eine antizyklische Fiskalpolitik, in dem sie in Abschwungphasen begrenzte konjunkturelle Defizite zulässt und in Phasen der Hochkonjunktur Rechnungsüberschüsse verlangt. Die Schuldenbremse adressiert somit zwei klassische Ziele der Finanzpolitik: Die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sowie die Glättung von Konjunktur- und Wachstumsschwankungen.»
  Die Mehrheit der Schweizer schätzt diese Regelung sehr. Die relativ geringe Schweizer Staatsverschuldung hat in der aktuellen Corona-Situation geholfen, enorme Staatsausgaben zu tätigen, ohne die grundsätzliche Solidität der Schweizer Haushaltspolitik in Frage zu stellen.
  Auf den ersten Blick scheint es so, als kenne das deutsche Grundgesetz entsprechende Regelungen. 2009 wurden die Artikel 109 und 115 neu gefasst. Artikel 109 regelt dabei die Kreditaufnahme von Bund und Bundesländern, Artikel 115 speziell die des Bundes. So lautet Absatz 2 von Artikel 115: «Einnahmen und Ausgaben [des Bundes] sind grundsätzlich ohne Einnahmen aus Krediten auszugleichen. […] Zusätzlich sind bei einer von der Normallage abweichenden konjunkturellen Entwicklung die Auswirkungen auf den Haushalt im Auf- und Abschwung symmetrisch zu berücksichtigen. […] Im Falle von Naturkatastrophen oder aussergewöhnlichen Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen und die staatliche Finanzlage erheblich beeinträchtigen, können diese Kreditobergrenzen auf Grund eines Beschlusses der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages überschritten werden. […] Die Rückführung der […] aufgenommenen Kredite hat binnen eines angemessenen Zeitraumes zu erfolgen.»
  Auch diese Bestimmung ermöglicht also Abweichungen vom Ziel, Kreditschulden so weit wie möglich zu verhindern. Schon in der früheren Fassung von Artikel 115 war die Kreditaufnahme des Bundes durch die Höhe des geplanten Investitionsvolumens begrenzt worden – eine sinnvolle Regelung, die Staatsschulden nicht grundsätzlich ausschloss, aber die Schaffung realer Werte, zum Beispiel im Bereich staatlicher Infrastruktur, voraussetzte.
  Beim zweiten Blick stellt man allerdings fest, dass sich Deutschland mit dem neu gefassten Artikel 109 verpflichtet hat, seine Haushaltspolitik den Vorgaben der Europäischen Union unterzuordnen. Diese Vorgaben eines undemokratischen Gebildes bilden den Rahmen, nicht die demokratische Willensbildung. Das ist in der Schweiz ganz anders. Hier haben die Stimmbürger das letzte Wort, auch in Fragen des Staatshaushaltes. Und darum vor allem geht es auch Karl Albrecht Schachtschneider. Das belegen viele Stellen in seinem neuen Buch. So, wenn er schreibt: «Finanzpolitik ist existentielle Angelegenheit eines Volkes. Die Budgethoheit gehört zum Kern der nicht disponiblen Verfassungsidentität.» (S. 106) Das gilt auch mit Blick auf die von ihm angedachte Idee einer nicht mehr über Steuern zu deckenden, sondern unmittelbaren monetären Staatsfinanzierung über die Zentralbanken. Mit guten Argumenten stellt er das gängige Credo vermeintlich «unabhängiger» Zentralbanken in Frage. Zentralbanken und Geldpolitik seien noch nie «politisch neutral» gewesen. «Darum muss sie [die Geldpolitik] demokratisch verantwortet werden.» (S. 162)
  Und er fügt noch einmal hinzu: «Wenn der Staat sich [aber] einer Gemeinschaftswährung unterworfen hat, wie die Mitglieder des Euro-Systems, hat er freilich seine Finanzhoheit und damit einen wesentlichen Teil seiner Souveränität aufgegeben.» (S. 163)



1 https://www.efv.admin.ch/efv/de/home/themen/finanzpolitik_grundlagen/schuldenbremse.html

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