«Wissen ohne Gewissen ist eine seelische Ruinenlandschaft», so drückte sich Rabelais in seinem «Pantagruel» aus.
Wir schulden Marc Chesney Dank dafür, dass er der Wirtschaftswissenschaft ihren Adelsbrief zurückgegeben hat, indem er sein äusserst klar verfasstes Buch La crise permanente in verschiedenen Sprachen und laufend aktualisierten Fassungen veröffentlicht hat, sowie seinen jüngsten grundsätzlichen Artikel in Zeit-Fragen Nr. 11 vom 18. Mai 2021. Auf einfache, integre und loyale Art entwickelt er dabei seine kritische Analyse des Finanzsektors und verweist die Wirtschaftswissenschaft auf ihre menschlichen, gerechten und allgemeinverständlichen Grundlagen zurück. Die Wirtschaftswissenschaft wird dabei wieder zu einer Fachdisziplin, die bestrebt ist, ihre wissenschaftlichen Kapazitäten mit dem zu versöhnen, was moralisch akzeptabel ist.
Es ist eine grosse Chance, dass ein Universitätsprofessor mit Spezialgebiet Finanzwelt einfache Begriffe gebraucht, um äusserst komplexe Situationen zu beschreiben, die deshalb so komplex erscheinen, weil sie vom Nebel der beteiligten Institutionen und Akteure durchdrungen sind, vom Nebel der Banken, vom Nebel der Rolle der Steuerparadiese im globalisierten Börsengeschäft, vom Nebel zweifelhafter Spekulationen, des sogenannten «shadow bankings» (Finanzgeschäfte im Schatten), des herrschenden ungeniessbaren Fachjargons im Bereich Wirtschaft, des Siegeszugs der Krypto-Währungen, der faulen Tricks bei internationalen Finanztransaktionen, der lügenhaften Fachliteratur, wie sie von der Schule von Chicago verbreitet wird, sowie der allgemeinen Akzeptanz des Profits und der illoyalen Konkurrenz.
«Ein guter Kopf ist besser als ein vollgestopfter», gab Montaigne zu bedenken, und er hatte recht. Die Studenten der Wirtschaftswissenschaften, die sich aus ihrem Studiengang heraus dann den verschiedenen Berufen im Bereich der Wirtschaft widmen, werden es zweifellos schätzen, wenn sie auf Hochschullehrer stossen, die ihr Denken nicht ganz auf die Logik des gegenwärtigen Finanz-Kasinos und seiner abwegigen Auswirkungen ausrichten, sondern sie zur Reflexion hinführen und zum interdisziplinären Austausch, zum genaueren Verständnis dessen, wie alles zusammenhängt. Die Bildungsgänge der jungen Wirtschaftswissenschafter sind oft geprägt von sehr engem Spezialistentum, welches mehr und mehr die umfassende Perspektive aus den Augen verliert und vor lauter Detailkenntnis das Ganze vergisst. Das führt zwingend dazu, dass man vor lauter Bäumen den Wald nicht mehr sieht. Erst die Überwindung der Fachgrenzen macht den Blick frei auf das Ganze im Wirtschaftswesen.
Es kann nicht erstaunen, dass die «Gilets jaunes» in Frankreich von der Idee und der Initiative überzeugt waren, dass man die elektronischen Finanztransaktionen einer Mikrosteuer unterwerfen solle, um das überalterte und bürokratische Steuersystem des Landes zu erneuern, das immer mehr Ungerechtigkeiten, um sich greifende Notlagen und Verelendung erzeugt.
Es gibt heute viele Mitbürger, Gemeinschaften und Gruppierungen, die sich darin einig sind, dass bei der Schaffung eines gerechteren und menschlicheren Gesellschaftsmodells die Kreativität und die Erneuerungsgabe die treibenden Kräfte sind, wenn es darum geht, aktiv zu werden.
Es ist sicher verdienstvoll, die Machenschaften der Finanzoligarchie anzuprangern, aber an der Schaffung einer anderen Art der Wirtschaftsregulierung mitzuwirken hat eine viel weitere Dynamik. Die Zukunft lässt sich nicht voraussagen, sie verlangt nach der Suche von Lösungen. Das beste Mittel, in die Zukunft zu schauen, ist, sie mitzugestalten. Die Zukunft, das sind wir, das, was in uns steckt.
Die Initiative des Komitees ist zu begrüssen. Sie bringt das Wirtschaften auf den Weg der Vernunft zurück, auf seine wirklichen Zusammenhänge. Und sicher ist so etwas leichter in der Schweiz zu realisieren, dank ihrer direkten Demokratie, ihren Mitteln der Initiative und des Referendums, leichter als in Frankreich, wo die Demokratie oft eine Demokratie des Schwatzens bleibt. •
* Nicole Duprat ist dipl. Politikwissenschafterin in den Bereichen Recht und internationale Beziehungen des Institut d’Etudes Politiques Aix-en-Provence, Lehrerin und Mitarbeiterin von Horizons et débats.
(Übersetzung Zeit-Fragen)
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